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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 07.08.2006
Aktenzeichen: 7 B 10791/06.OVG
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 2
AufenthG § 2 Abs. 3
AufenthG § 5
AufenthG § 5 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG § 30
AufenthG § 30 Abs. 1
AufenthG § 30 Abs. 3
Es kommt für das Vorliegen eines Anspruchs im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht allein darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm erfüllt sind, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt, sondern einen Anspruch hierauf einräumt (hier Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG). Das Recht, von der Ausländerbehörde die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu verlangen, hängt nämlich nicht nur von diesen Tatbestandsvoraussetzungen, sondern auch von denjenigen ab, die als allgemeine Erteilungsvoraussetzungen in § 5 AufenthG geregelt sind. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist daher grundsätzlich nicht gegeben, wenn eine - andere - allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung nicht vorliegt, von der nur nach dem Ermessen der Ausländerbehörde abgesehen werden kann.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

7 B 10791/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung (Türkei)

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 7. August 2006, an der teilgenommen haben

Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Verwaltungsgericht Dr. Stahnecker

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 23. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das der Senat allein berücksichtigen kann (§ 146 Abs. 4 Sätze 1, 3 und 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung oder Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Regelvoraussetzung für die von der Antragstellerin begehrte Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach der Lebensunterhalt gesichert sein muss, nicht erfüllt ist. Hiergegen wendet sich die Beschwerde ohne Erfolg.

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Die Fähigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel darf nicht nur vorübergehend sein (vgl. Nr. 2.3.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2006, § 2 AufenthG Rn. 23). Bei der hierbei anzustellenden Prognose über die Sicherung auf gewisse Dauer ist neben dem aktuellen Beschäftigungsverhältnis auch der Verlauf der bisherigen Erwerbstätigkeit des Ausländers zu berücksichtigen (vgl. OVG Bln-Bbg, InfAuslR 2006, 277).

Die Antragstellerin legt mit der Beschwerde nicht hinreichend dar, dass ihr Lebensunterhalt durch Einkommen ihres Ehemannes nicht nur vorübergehend gesichert ist. Eine solche Annahme vermögen insbesondere nicht die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Verdienstbescheinigungen des Ehemannes für Mai und Juni 2006 zu begründen. Gegen eine positive Prognose spricht bereits der Umstand, dass der Ehemann seine Tätigkeit bei der Firma K. erst nach Einleitung der Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin Mitte März 2006 aufgenommen hat. Darüber hinaus ist der Verdienstbescheinigung der Firma K. zu entnehmen, dass die Beschäftigung des Ehemannes bereits am 9. Juni 2006 wieder endete. Am 14. Juni 2006 begann er zwar eine Erwerbstätigkeit bei der Firma O.. Den Angaben der Antragstellerin zufolge ist er aber dort seit Juli 2006 nur noch zu 1/2 beschäftigt, zu 1/2 arbeite er bei der Firma Ka.. Der Ehemann hat demnach in nur 4 1/2 Monaten bei drei verschiedenen Firmen gearbeitet. Zudem ist sein Verdienst bei der Firma Ka. nicht glaubhaft gemacht. Es kommt hinzu, dass der Ehemann in der Vergangenheit in erheblichem Umfang öffentliche Leistungen bezogen hat. Die Zeiten des Leistungsbezuges beschränken sich ausweislich der vom Antragsgegner eingeholten Auskünfte der Sozialleistungsträger auch nicht auf die Wintermonate, wie von der Antragstellerin geltend gemacht. Nach alledem erlauben die erst im März aufgenommenen Beschäftigungen bei drei verschiedenen Firmen nicht die Annahme, der Unterhalt der Antragstellerin sei durch das Einkommen des Ehemannes auf gewisse Dauer gesichert.

Im Ergebnis nicht durchzugreifen vermag die Beschwerde auch insoweit, als sie sich gegen die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Ermessensvorschrift des § 30 Abs. 3 AufenthG scheide aus, weil das Ermessen der Ausländerbehörde dahingehend auf Null reduziert sei, dass nur eine Ablehnung der beantragten Verlängerung in Betracht komme. Die Frage einer Ermessensreduzierung stellt sich vorliegend nämlich nicht. Denn hier liegt auch die weitere Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht vor, wonach der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen oder gefährden darf, soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Von dieser Regelerteilungsvoraussetzung kann aber im Gegensatz zur Bestimmung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nach § 30 Abs. 3 AufenthG nicht abgewichen werden.

§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG findet hier Anwendung, da kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kommt es für das Vorliegen eines Anspruchs im Sinne dieser Vorschrift nicht allein darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm erfüllt sind, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt, sondern einen Anspruch hierauf einräumt (hier Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 AufenthG). Das Recht, von der Ausländerbehörde die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu verlangen, hängt nämlich nicht nur von diesen Tatbestandsvoraussetzungen, sondern auch von denjenigen ab, die als allgemeine Erteilungsvoraussetzungen in § 5 AufenthG geregelt sind. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist daher grundsätzlich nicht gegeben, wenn eine - andere - allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung nicht vorliegt, von der nur nach dem Ermessen der Ausländerbehörde abgesehen werden kann (im Ergebnis ebenso zur vergleichbaren Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: OVG RP, Beschluss vom 15. April 2005 - 12 B 10244/05.OVG -; Nds OVG, Urteil vom 27. April 2006 - 5 LC 110/05 -, juris, Rn. 41; Discher, in: GK-AufenthG, Stand Oktober 2005, § 10 Rn. 68 f. mit Nachweisen auch zur Gegenansicht). Hiervon ausgehend besteht kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, weil die weitere allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG - wie oben dargelegt - nicht erfüllt ist.

Zu den nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG geschützten öffentlichen Interessen zählt das Interesse an der Einhaltung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen einschließlich der Einreisevorschriften (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 5 Rn. 34). Ein weiterer Aufenthalt der Antragstellerin würde dieses Interesse beeinträchtigen. Sie hat im Jahre 2002 nur deshalb mit Zustimmung der Ausländerbehörde ein Visum und anschließend eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil ihr Ehemann die Ausländerbehörde durch Vorlage eines Anstellungsvertrages vom 1. April 2002 im Visumverfahren über seine Einkommensverhältnisse getäuscht hat. Der Ehemann wusste bei Vorlage des Vertrages mit der Firma M. im Juni 2002, dass die Firma ab dem 2. April 2002 aus der Handwerksrolle gelöscht und ihr eine Handwerksausübung untersagt war. Aufgrund dieses von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalts erließ das Amtsgericht A. gegen ihn am 4. Dezember 2004 einen Strafbefehl wegen einer Straftat nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, der nach Rücknahme des Einspruchs rechtskräftig wurde. Der Ehemann der Antragstellerin hat auch nach ihrer Einreise Ende 2002 im Jahre 2003 zunächst Arbeitslosengeld und später mehrfach Arbeitslosenhilfe bezogen. Es ist demnach nicht ersichtlich, dass der Lebensunterhalt bei Einreise der Antragstellerin auf eine gewisse Dauer gesichert war. Vor diesem Hintergrund reicht die bloße Behauptung der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, es werde bestritten, dass der Nachzug durch Täuschung der Ausländerbehörde erfolgt sei und die Angaben des Ehemannes zu seinem Einkommen falsch gewesen seien, nicht aus, um die Richtigkeit des geschilderten Sachverhalts, wie ihn auch das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat, in Zweifel zu ziehen.

Soweit die Antragstellerin ferner angibt, ihr selbst sei jedenfalls nicht bekannt gewesen, welche Unterlagen in ihrem eigenen Visumverfahren vorgelegt worden seien, erscheint dies nicht glaubhaft. Unabhängig davon kommt es auch nicht darauf an, ob den unter Verletzung der einschlägigen Vorschriften eingereisten Ausländer ein Verschulden trifft. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG dient der Gefahrenabwehr. Es ist ein anerkannter polizeirechtlicher Grundsatz, dass die Beseitigung einer Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von dem dafür Verantwortlichen unabhängig davon verlangt werden kann, ob er die Gefahr oder Störung schuldhaft herbeigeführt hat (vgl. HambOVG, InfAuslR 1998, 226). Der Annahme, der Aufenthalt der Antragstellerin beeinträchtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland, steht auch nicht entgegen, dass ihr nach ihrer Einreise eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Denn die erstmalige Erteilung im Dezember 2002 erfolgte in Unkenntnis der Täuschung ihres Ehemannes. Die weitere Aufenthaltserlaubnis vom 14. Juli 2004 wurde ihr nur wegen einer beabsichtigten Urlaubsreise in die Türkei und im Hinblick auf das gegen ihren Ehemann bereits eingeleitete Strafverfahren lediglich für vier Monate erteilt.

Ein Ausnahmefall, der das sonst ausschlaggebende Gewicht der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG beseitigt, liegt nicht vor. Ein solcher Ausnahmefall ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist. Als solche Wertentscheidung kommt vor allem Art. 6 Abs.1 GG in Betracht (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1999, 610 m.w.N.; Hailbronner a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 2 f.). Die gegen den Aufenthalt sprechenden öffentlichen Interessen sind so gewichtig, dass sie die bei Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis zu erwartende Beeinträchtigung für Ehe und Familie der Antragstellerin eindeutig überwiegen. Die Antragstellerin hat nämlich ihren Aufenthalt im Bundesgebiet nur aufgrund der strafbaren Täuschung der Ausländerbehörde durch ihren Ehemann erreicht. Ohne die Vorlage des Anstellungsvertrages mit der Firma M. und das Verschweigen der bereits erfolgten Löschung der Firma aus der Handwerksrolle und der Untersagung der Handwerksausübung wäre der Antragstellerin das Visum verweigert worden mangels Nachweises der Sicherung des Lebensunterhalts, der nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG hierfür Voraussetzung war. Würde ihr nunmehr ein weiterer Aufenthalt ermöglicht, so würde bei den hier lebenden Ausländern der Eindruck erweckt, dass sich Straftaten wie die von dem Ehemann der Antragstellerin begangene lohnen, selbst dann, wenn sie entdeckt werden. Es verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG, den Aufenthalt eines Ausländers zu beenden, der die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nur aufgrund einer Täuschung der deutschen Behörden durch seinen Ehegatten erlangt hat (vgl. Hamb OVG, a.a.O.; Hailbronner, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 39).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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