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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 19.02.2009
Aktenzeichen: 7 B 11328/08.OVG
Rechtsgebiete: AufenthG, GG, EMRK, ARB 1/80, Richtlinie 64/221/EWG, Richtlinie 2004/38/EG


Vorschriften:

AufenthG § 53
AufenthG § 55
AufenthG § 56
AufenthG § 56 Abs. 1
GG Art. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8
ARB 1/80 Art. 13
Richtlinie 64/221/EWG Art. 9
Richtlinie 2004/38/EG Art. 38
1. Zur Ausweisung eines Ausländers nach langjährigem Aufenthalt mit Ehefrau und Kindern - davon eines deutscher Staatsangehörigkeit - im Bundesgebiet (hier: spezialpräventiv begründete Ausweisung auf Grund einer Verurteilung wegen mehrere Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz und dem Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren).

2. Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG findet auf nach dem 30. April 2006 ergangene Ausweisungsverfügungen keine Anwendung mehr.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

7 B 11328/08.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Ausweisung und Abschiebungsandrohung (Türkei)

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 19. Februar 2009, an der teilgenommen haben

Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Stahnecker

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 19. November 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das der Senat allein berücksichtigen kann (§ 146 Abs. 4 Sätze 1, 3 und 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung oder Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung des Antragstellers mit der Begründung abgelehnt, die Ausweisungsverfügung vom 24. Juli 2008 sei offensichtlich rechtmäßig und es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung (vgl. S. 2 und 10 des Beschlussabdrucks).

Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass Rechtsgrundlage der Ausweisung die Vorschrift des § 55 Abs. 1 AufenthG ist. Danach kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt (Ermessensausweisung).

Allerdings hat der Antragsteller den Tatbestand des § 53 Nrn. 1 und 2 AufenthG erfüllt, der die Ausweisung als zwingende Rechtsfolge vorsieht. Denn er ist mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts F. vom 6. Januar 2006 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen und anderer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Damit ist er sowohl wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren (vgl. § 53 Nr. 1 AufenthG) als auch wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. § 53 Nr. 2 AufenthG).

Der Antragsteller genießt jedoch besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG, weil er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Niederlassungserlaubnis fortgilt (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), und sich seit seiner Einreise im Jahre 1973 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Es kann dahinstehen, ob er auch aus weiteren Gründen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 besonderen Ausweisungsschutz genießt. Er wird jedenfalls nicht zwingend, sondern lediglich "in der Regel" ausgewiesen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG), und auch nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die indes in Fällen des § 53 AufenthG "in der Regel" vorliegen (vgl. § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG).

Gleichwohl war über die Ausweisung des Antragstellers nach Ermessen zu entscheiden. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung - bereits dann vor, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 -, juris = BVerwGE 129, 367). Solche durch Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 EMRK geschützte Belange sind hier insbesondere im Hinblick auf die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau und zu seinen Kindern, die alle in Deutschland leben, und auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegeben.

1. Das Verwaltungsgericht hat die von der Antragsgegnerin auf spezialpräventive Erwägungen gestützte Ermessensentscheidung über die Ausweisung des Antragstellers für rechtmäßig erachtet und dabei angenommen, die Auffassung der Antragsgegnerin, vom Antragsteller gehe die Gefahr einer wiederholten Begehung von Straftaten aus, sei rechtlich nicht zu beanstanden. An die Annahme einer solchen Gefahr seien in Anbetracht der Art und Schwere der in Rede stehenden Delikte (insbesondere des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, der unerlaubten gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren sowie des unerlaubten Besitzes einer Waffe und von Munition) keine hohen Anforderungen zu stellen (unter Hinweis auf BVerfG, NVwZ 2001, 67). Im Falle des Antragstellers komme hinzu, dass sich die zuständige Justizvollzugsanstalt nicht in der Lage gesehen habe, eine günstige Sozialprognose zu stellen. In ihrem Bericht vom "20. Juni 2007" - gemeint ist ersichtlich 2. Juli 2007 - heiße es, der Antragsteller lasse wenig Problem- oder Schuldbewusstsein erkennen. Er leugne seine (vom Landgericht festgestellte) Absicht, zur eigenen Bereicherung mit Betäubungsmitteln gehandelt zu haben, und beschränke sich auf die Behauptung, die abgeurteilten Taten nur begangen zu haben, um Dritten einen Gefallen zu tun. An den Behandlungsangeboten der Anstalt zeige er kein Interesse. An dieser Einschätzung habe sich bis heute nichts Entscheidendes geändert (vgl. Sozialprognose der Justizvollzugsanstalt vom 5. Juni 2008). Soweit er seine Bereitschaft hervorhebe, an einer Drogentherapie teilzunehmen, müsse er sich entgegenhalten lassen, dass er den entsprechenden Antrag erst am 9. Juli 2008 und damit unter dem Eindruck des laufenden Ausweisungsverfahrens, von dessen Einleitung er mindestens seit Juni 2007 gewusst habe, gestellt habe.

Gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr macht der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung ohne Erfolg geltend, es seien einige Umstände nicht bzw. unzureichend gewürdigt worden.

Er bringt vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Sozialprognose der Justizvollzugsanstalt vom 2. Juli 2007 nicht ungünstig, sondern lediglich "nicht durchgängig positiv" und damit auch positiv.

Dem Antragsteller ist zwar einzuräumen, dass die Sozialprognose der Justizvollzugsanstalt auch positive Aussagen enthält. Sein Verhalten in der Haft gegenüber den Bediensteten wird als stets höflich und korrekt beschrieben. Mit seinen Mitgefangenen habe er keine Probleme. Zu seiner ganzen Familie halte er guten Kontakt, insoweit könne von gefestigten sozialen Bindungen ausgegangen werden.

Die Sozialprognose enthält aber auch die vom Verwaltungsgericht angeführten, für den Antragsteller negativen Aussagen. Abschließend heißt es darin: Wie oben beschrieben, negiere der Antragsteller derzeit seine Straftaten und verfüge über wenig Problem- bzw. Schuldbewusstsein. Daher sei trotz guter und stabiler sozialer Kontakte die Sozialprognose nicht durchgängig positiv. Angesichts dessen ist die Würdigung des Verwaltungsgerichts, die Justizvollzugsanstalt habe sich nicht in der Lage gesehen, eine günstige Sozialprognose zu stellen, nicht als fehlerhaft anzusehen.

Ebenso wenig ist die Annahme des Verwaltungsgerichts zu beanstanden, der Antragsteller habe seinen Antrag zur Teilnahme an einer Drogentherapie erst unter dem Eindruck des laufenden Ausweisungsverfahrens gestellt. Der Antragsteller wendet hiergegen ein, gerade der Umstand, dass er erst ein Jahr nach Kenntnis der Einleitung des Ausweisungsverfahrens einen entsprechenden Antrag gestellt habe, zeige, dass er dies unbeeinflusst von dem Verfahren aus freien Stücken und innerer Bereitschaft getan habe. Dieser Schluss ist jedoch keineswegs zwingend. Angesichts dessen, dass der Antragsteller nach seiner im Juni 2007 erlangten Kenntnis von Überlegungen der Antragsgegnerin, ihn auszuweisen und abzuschieben, einen Rechtsanwalt beauftragt hat und daraufhin ein mehrmonatiger Schriftwechsel mit der Antragsgegnerin gefolgt ist, bei dem diese von ihrer Absicht nicht abgerückt ist, rechtfertigt allein der Umstand, dass er erst im Juli 2008 einen Antrag zur Teilnahme an einer Drogentherapie gestellt hat, nicht den Schluss, er habe den Antrag unbeeinflusst vom laufenden Ausweisungsverfahren gestellt.

Ferner weist der Antragsteller darauf hin, dass die Überprüfungen auf Drogenkonsum in der Justizvollzugsanstalt bei ihm jeweils zu einem "negativen" Ergebnis geführt hätten. Er sei seit seiner Inhaftierung drogenabstinent. Beides spreche gegen eine negative Prognose.

Dies vermag indes keine durchgreifenden Zweifel an der Annahme einer Wiederholungsgefahr zu begründen. Aus dem vom Antragsteller angeführten Umstand seiner Drogenabstinenz seit seiner Inhaftierung, was durch das Ergebnis der Überprüfungen auf Drogenkonsum bestätigt wird, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, er werde auch nach seiner Entlassung aus der Haftanstalt ohne die dortige Freiheitsbeschränkung und Überwachung seinen vorherigen, nach den Feststellungen des Landgerichts "zur alltäglichen Gewohnheit" gewordenen Drogenkonsum nicht wiederaufnehmen und drogenabstinent leben. So hat der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung auch nicht geltend gemacht, dass er einer Drogentherapie nicht mehr bedürfe, sondern im Gegenteil betont, er werde sich ihr unterziehen, sobald ihm die Möglichkeit gegeben werde. Der Antragsteller kann jedenfalls derzeit nicht aufgrund einer erfolgreich durchgeführten Drogentherapie als weniger rückfallgefährdet nach seiner Haftentlassung angesehen werden.

Unabhängig davon vermag die vom Antragsteller angeführte Drogenabstinenz auch deswegen keine durchgreifenden Bedenken gegen die vom Verwaltungsgericht ebenso wie von der Antragsgegnerin bejahte Wiederholungsgefahr zu begründen, weil nach den Feststellungen des Landgerichts der Antragsteller den Handel mit Betäubungsmitteln nicht nur zur Finanzierung seines eigenen Drogenkonsums betrieb, sondern auch, um sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf der Drogen eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zur Finanzierung seines Lebensunterhalts zu verschaffen. Dieser Beweggrund für den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln entfiele selbst bei einer erfolgreich absolvierten Drogentherapie nicht ohne weiteres.

Nicht gefolgt werden kann dem weiteren Einwand des Antragstellers, es sei nicht berücksichtigt worden, dass er im Strafverfahren durch Nennung eines Abnehmers einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag geleistet habe, weshalb er im Drogenmilieu ein Ausgestoßener sei und nicht in seine "alten Kreise" zurückkehren und ähnliche Straftaten erneut begehen könne. Da Drogen - wie allgemein bekannt ist - nicht nur von einer einzigen Quelle bezogen werden können, ist nicht erkennbar, weshalb der Antragsteller nicht von neuen Lieferanten Betäubungsmittel nach seiner Haftentlassung erwerben könnte, falls dies bei seinen früheren Lieferanten nicht mehr möglich sein sollte. Ebenso wenig ist ersichtlich, weshalb er, falls eine Rückkehr in seine "alten Kreise" nicht möglich sein sollte, unerlaubt erworbene Betäubungsmittel nicht an neue Abnehmer weiterverkaufen könnte, die von seinem Strafverfahren einschließlich der Nennung eines Abnehmers keine Kenntnis haben.

Ohne Erfolg macht der Antragsteller gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr schließlich geltend, der Umstand, dass er nach seiner Haftentlassung im Betrieb seines Sohnes eine Stelle antreten und damit seinen Lebensunterhalt verdienen könne, sei nicht näher gewürdigt und richtig gewichtet worden.

Zwar hat die Antragsgegnerin in der angegriffenen Ausweisungsverfügung die Gefahr einer wiederholten Begehung von Straftaten auch darauf gestützt, dass die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Antragstellers und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht sichergestellt sei, weil seine vor der Inhaftierung und auch aktuell bestehende Arbeitslosigkeit nach der Haftentlassung voraussichtlich fortdauern werde. Der Antragsteller hat aber erstmals im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren vorgetragen, dass sein Sohn ihm einen Arbeitsplatz in dessen Betrieb nach seiner Haftentlassung anbiete und er dadurch seinen Lebensunterhalt sicherstellen könne. Die Antragsgegnerin hat zu diesem neuen Vorbringen in der Beschwerdeerwiderung ausgeführt, dieses sei nicht in der Lage, die für eine Wiederholungsgefahr streitenden Umstände zu beseitigen bzw. in den Hintergrund treten zu lassen. Sie hat vielmehr daran festgehalten, dass an die Annahme einer Wiederholungsgefahr wegen der Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten keine allzu hohen Anforderungen zu stellen seien und dass das vom Antragsteller an den Tag gelegte geringe Problem- und Schuldbewusstsein und die fehlende Straftataufarbeitung erkennen ließen, dass nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug nach wie vor die Gefahr einer wiederholten Begehung von Straftaten bestehe.

Der Antragsteller zeigt mit dem Beschwerdevorbringen nicht auf, dass diese Einschätzung der Antragsgegnerin zum Fortbestand der Wiederholungsgefahr trotz des nunmehr vorliegenden Arbeitsplatzangebots rechtlich zu beanstanden wäre. Er behauptet insbesondere selbst nicht, dass er die Straftaten begangen habe, weil er arbeitslos gewesen sei und deswegen nur über geringere finanzielle Mittel verfügt habe. Hierfür sind im Übrigen auch den Feststellungen des Landgerichts keine hinreichenden Anhaltspunkte zu entnehmen. Zwar war der Antragsteller danach bei Begehung der abgeurteilten Straftaten Ende 2004 bis Juli 2005 erwerbslos. Er bezog aber Arbeitslosengeld in Höhe von zuletzt 1.450,-- € monatlich und hatte zudem beim Ausscheiden aus seinem Arbeitsverhältnis im Jahre 2003 eine Abfindung von 120.000,-- € erhalten. Durch den gewinnbringenden Weiterverkauf der Drogen wollte er sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer - zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und seines eigenen Drogenkonsums - verschaffen.

Dass vorliegend die Strafakten von der Ausländerbehörde - oder dem Verwaltungsgericht - beizuziehen oder einzusehen gewesen wären, macht der Antragsteller mit der Beschwerde nicht geltend.

2. Das Verwaltungsgericht hat sodann - ausgehend von einer Wiederholungsgefahr aus den oben genannten Gründen - zu Recht angenommen, dass es frei von Ermessensfehlern ist und nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, dass die Antragsgegnerin dem gewichtigen öffentlichen Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers Vorrang beigemessen hat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten familiären und privaten Belange des Antragstellers.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 [49 ff.]; 80, 81 [93]). Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist. Besteht eine Lebensgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, InfAuslR 2006, 320 und InfAuslR 2008, 347, jeweils m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der neueren Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Regel von einer - unter den Schutz des Art. 6 GG fallenden - familiären Lebensgemeinschaft bereits im Falle eines regelmäßigen Umgangs des getrennt lebenden Elternteils mit seinem Kind, der dem auch sonst Üblichen entspricht, auszugehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 23 ff. [27 f.]).

Allerdings setzen sich auch gewichtige familiäre Belange nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch. Insbesondere dann, wenn die Geburt eines Kindes nicht eine "Zäsur" in der Lebensführung des betroffenen Ausländers darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei legalisiertem Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen wird, kommt ein Vorrang der gegen einen weiteren Aufenthalt streitenden Gründe in Betracht (vgl. BVerfG, InfAuslR 2006, 320 [322]). Wenn die Straftat besonders schwer wiegt, kann sogar die Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und mit ihr ein eheliches Kind hat - allein aufgrund generalpräventiver Erwägungen - mit Blick auf Art. 6 GG zulässig sein (vgl. BVerfGE 51, 386 [397 ff.]). Dies gilt auch wegen des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG), bei dem die familiären Belange des Ausländers - ebenfalls - angemessen zu würdigen sind (vgl. BVerfG, InfAuslR 2006, 320 [322] m.w.N.).

Eine Ausweisung stellt außerdem einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers dar, der in materieller Hinsicht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens (neben dem Schutz des Familienlebens) gelten, sind auch hier heranzuziehen (vgl. BVerfG, InfAuslR 2007, 443 [444] m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - zu Art. 8 EMRK, die auch als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dient (vgl. BVerfG, NVwZ 2004, 852), sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eines Erwachsenen, der noch keine eigene Familie gegründet hat, folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. EGMR, InfAuslR 2008, 333 - Maslov II - m.w.N.): die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten; die Dauer seines Aufenthalts in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll; die seit der Begehung der Delikte verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers während dieser Zeit sowie die sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Zielstaat der Ausweisung. Bei der Anwendung einiger dieser Kriterien kann das Alter des Ausländers von Bedeutung sein. So ist bei der Beurteilung von Art und Schwere der begangenen Straftaten zu berücksichtigen, ob der Ausländer sich diese als Jugendlicher oder als Erwachsener zuschulden kommen hat lassen. Bei der Bewertung der Dauer des Aufenthalts und der Bindungen im Gastland macht es einen Unterschied, ob der Betroffene bereits als Kind hierher gekommen ist oder sogar hier geboren wurde, oder ob er erst als Erwachsener zugezogen ist.

Ist neben dem Privatleben auch der Schutz des Familienlebens betroffen, so ist dem EGMR zufolge zusätzlich die familiäre Situation des Ausländers zu berücksichtigen, insbesondere: die Staatsangehörigkeit der verschiedenen betroffenen Personen; Länge der Ehe und "Wirksamkeit" des Familienlebens; Vorhandensein von Kindern und deren Alter; das Gewicht der Schwierigkeiten, auf die der Ehegatte und die Kinder wahrscheinlich in dem Land stoßen werden, in das der Ausländer abgeschoben werden soll (vgl. EGMR, InfAuslR 2008, 111 - Chair - m.w.N.).

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt sich die Ausweisung des Antragstellers auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten familiären und privaten Belange nicht als unverhältnismäßig dar.

aa) Der Antragsteller wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in elf Fällen, davon ein Fall in Tateinheit mit unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren sowie wegen weiterer Fälle des unerlaubten Erwerbs und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und von Munition verurteilt. Die vom Antragsteller begangenen Drogendelikte zählen zweifellos zu den besonders schwerwiegenden Straftaten, was auch in der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren zum Ausdruck kommt, für die der Verstoß gegen das Waffengesetz ausweislich der Gründe des strafgerichtlichen Urteils von untergeordneter Bedeutung war. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass Gegenstand der Taten nicht nur die "weiche" Droge Cannabis war, sondern mit Amphetamin auch eine synthetische Droge mit erheblichem Gefährdungspotential, dass aufgrund der in einigen Fällen beträchtlichen Abnahmemengen und des nicht überschaubaren Streuungsgrades der Betäubungsmittel der Antragsteller keinen Einfluss darauf hatte, an welche Endabnehmer die Betäubungsmittel letztendlich gelangen würden, und dass die Grenze zur nicht geringen Menge in einigen Fällen ganz erheblich, zum Teil sogar um ein Vielfaches überschritten war. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass Drogenhandel zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten gehört (vgl. BVerfGE 51, 386 [397 ff.]). Der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels - anders als bei allein wegen Drogenkonsums Verurteilten - Verständnis für die Härte der Behörden gegenüber jenen gezeigt, die "aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind" (vgl. EGMR, InfAuslR 2008, 333 - Maslov II -).

bb) Hinsichtlich des Verhaltens des Antragstellers nach seinen Straftaten ist festzustellen, dass er sich seitdem in Haft befindet und er mit dem Beschwerdevorbringen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen vermocht hat, es bestehe die Gefahr einer wiederholten Begehung von Straftaten, wie oben ausgeführt.

cc) Seit 1973 hat sich der Antragsteller rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten; 1998 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Trotz der sehr langen Dauer seines Inlandsaufenthalts von rund 35 Jahren bis zum Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung unterscheidet sich seine Situation insofern von der eines Ausländers der so genannten zweiten Generation, als er seine Kindheit und Jugend in der Türkei verbracht hat und erst im Alter von 18 Jahren nach Deutschland eingereist ist. Der Senat teilt daher die Einschätzung der Ausländerbehörde, dass der Antragsteller mit den Lebens- und Gesellschaftsverhältnissen in seinem Herkunftsland und der türkischen Sprache noch in ausreichendem Maße vertraut ist, was es ihm ermöglichen würde, sich wieder in die türkische Gesellschaft einzugliedern, wenngleich die nach seinem langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet von ihm hierbei zu bewältigenden Schwierigkeiten nicht gering sein dürften.

Während seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland war der Antragsteller bis zu dem Ausscheiden aus seinem Beschäftigungsverhältnis im Jahre 2003 erwerbstätig. Danach bezog er Arbeitslosengeld und erzielte Einnahmen durch illegalen Handel mit Betäubungsmitteln.

dd) Die familiäre Situation stellt sich wie folgt dar: Der Antragsteller ist seit 1972 verheiratet. Seine türkische Ehefrau lebt seit 1978 in Deutschland und erhielt im Jahre 1998 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Aus der Ehe sind sieben Kinder hervorgegangen, die alle türkische Staatsangehörige sind und im Besitz von Aufenthaltstiteln im Bundesgebiet leben. Sechs der Kinder sind allerdings schon volljährig; von ihnen lebt nur noch eines zusammen mit dem jüngsten ehelichen Kind, der 1999 geborenen Tochter O., im elterlichen Haushalt. Zu seiner Familie hält der Antragsteller nach Angaben der Justizvollzugsanstalt auch während seiner Inhaftierung regelmäßig Kontakt.

Aus einer außerehelichen Beziehung mit einer bulgarischen Staatsangehörigen ist ferner die im März 2005 geborene Tochter A. hervorgegangen, die deutsche - und wohl auch bulgarische - Staatsangehörige ist und mit ihrer Mutter im Bundesgebiet lebt. Auch zu ihr und ihrer Mutter hat er Kontakt und erhält gelegentlich Besuch von ihnen in der Justizvollzugsanstalt. Der Senat geht im Hinblick auf die oben wiedergegebene neuere Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten des Antragstellers davon aus, dass auch mit dieser Tochter eine dem Schutz des Art. 6 GG unterfallende familiäre Lebensgemeinschaft besteht. Allerdings kann der Kontakt zwischen ihr und dem Antragsteller bislang nicht als intensiv angesehen werden. Der Antragsteller räumt in der Beschwerdebegründung ein, dass mangels Vollzugslockerungen "kein intensiverer Kontakt" habe stattfinden können als bei gelegentlichen Haftbesuchen üblich. In der ergänzenden Beschwerdebegründung erklärt er, es habe "mit dem bisherigen kriminellen Tun und der sich hieran anschließenden Haftstrafe zu tun", dass der Erziehungsbeitrag "von untergeordnetem Ausmaß" geblieben sei, und macht geltend, sich nach seiner Haftentlassung um das Kind kümmern zu wollen. Dass in der Zeit vor seiner Inhaftierung im Juli 2005 ein intensiverer Kontakt mit dem im März 2005 geborenen Kind stattgefunden habe, behauptet der Antragsteller selbst nicht.

ee) In Bezug auf das Gewicht der Schwierigkeiten, auf die die Ehefrau und die minderjährigen Kinder des Antragstellers wahrscheinlich in der Türkei stoßen werden, ist festzustellen: Die Ehefrau des Antragstellers ist im Alter von 21 Jahren nach Deutschland eingereist und hat wie der Antragsteller die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend in der Türkei verbracht, so dass es ihr trotz des sehr langen Inlandsaufenthalts von rund 30 Jahren wie ihrem Ehemann möglich sein würde, sich wieder in die türkische Gesellschaft einzugliedern. Die eheliche Tochter O. ist 1999 in Deutschland geboren und hier aufgewachsen. Als Angehörige der so genannten zweiten Ausländergeneration ist bei ihr mit der Antragsgegnerin davon auszugehen, dass sie zumindest in Grundzügen die türkische Sprache beherrscht. Die gegenteilige und zudem nicht näher dargelegte Behauptung des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren, seine Tochter könne kein Türkisch, ist ohne nähere Begründung nicht plausibel, da anzunehmen ist, dass sich die Eltern zu Hause ihrer Muttersprache bedient haben. Es erscheint daher nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Ehefrau und die 1999 geborene eheliche Tochter dem Antragsteller in die Türkei folgen könnten, um dort die familiären Beziehungen aufrechtzuerhalten. Allerdings sind die Schwierigkeiten, auf die die Ehefrau nach ihrem langjährigen Aufenthalt in Deutschland und die im Bundesgebiet aufgewachsene neunjährige Tochter in der Türkei stoßen würden, nicht gering zu veranschlagen. Es kommt hinzu, dass die 52jährige Ehefrau über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die als Niederlassungserlaubnis fortgilt, verfügt und sich selbst während ihres Aufenthalts von rund 30 Jahren im Bundesgebiet strafrechtlich nichts zuschulden hat kommen lassen. Dies spricht dafür, es für unzumutbar anzusehen, der Ehefrau - und ihr folgend der minderjährigen Tochter O. - eine Rückkehr in die Türkei anzusinnen.

Bei der 2005 geborenen Tochter A., die deutsche Staatsangehörige ist, besteht von vornherein keine realistische Aussicht, dass sie zusammen mit ihrer Mutter, die bulgarische Staatsangehörige ist, dem Antragsteller in die Türkei folgen könnte, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Mutter Türkisch spricht.

Folglich wird die Ausweisung des Antragstellers jedenfalls zu einer Trennung von seiner nichtehelichen Tochter A. und voraussichtlich auch von seiner Ehefrau und seiner minderjährigen ehelichen Tochter führen. Bei der noch sehr jungen Tochter A. ist zudem zu bedenken, dass bei einem Kleinkind die Entwicklung schnell voranschreitet und eine relativ kurze Trennungszeit schon als endgültiger Verlust erlebt werden kann (vgl. BVerfG, InfAuslR 2006, 320).

ff) Soweit der Antragsteller körperliche Erkrankungen als einen der Ausweisung entgegenstehenden Gesichtspunkt anführt, ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es schon an einer näheren Darlegung eines behandlungsbedürftigen Zustandes fehlt. Mit dem Hinweis in der Beschwerdebegründung auf die Feststellung im Urteil des Landgerichts vom 6. Januar 2006, wonach der Antragsteller unter Rücken- und Herzbeschwerden sowie Diabetes leidet, ist ein aktuell behandlungsbedürftiger Zustand nach wie vor nicht hinreichend dargelegt. Der Feststellung des Landgerichts ist nämlich weder zu entnehmen, inwieweit der Antragsteller wegen der genannten Leiden im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung behandlungsbedürftig war, noch, inwieweit er es gegenwärtig ist. Gleiches gilt für das im Beschwerdeverfahren vorgelegte ärztliche Attest des in Ludwigshafen niedergelassenen Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. .... Danach hat sich der Antragsteller jahrelang in dessen ärztlicher Behandlung befunden. Er brauche aufgrund seiner - im Einzelnen aufgeführten - Krankheiten ständige intensive Behandlung, deswegen sei er zurzeit reiseunfähig. Angesichts dessen, dass dieses Attest vom 20. Januar 2009 datiert und weder dargetan noch ersichtlich ist, dass der Arzt den seit Juli 2005 inhaftierten Antragsteller seitdem gesehen und untersucht hat, kann diesem Attest keinerlei Aussagekraft über den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Antragstellers und seine Behandlungsbedürftigkeit beigemessen werden. Im Übrigen enthält die Beschwerdebegründung auch keine nähere Darlegung, weshalb wegen des Gesundheitszustandes des Antragstellers seine Ausweisung unverhältnismäßig sein sollte, was allein aus einer behandlungsbedürftigen Erkrankung, selbst wenn eine solche gegenwärtig bestünde, nicht ohne weiteres geschlossen werden kann.

c) Der Senat verkennt nicht, dass die Ausweisung des Antragstellers weitreichende Folgen insbesondere für seine Beziehung zu seiner nichtehelichen jungen Tochter A., zu seiner Ehefrau und der ehelichen neunjährigen Tochter O., aber auch für seine sonstigen Bindungen nach der sehr langen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet hat. Unter Berücksichtigung von Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten und der aus den oben dargelegten Gründen anzunehmenden Wiederholungsgefahr kann gleichwohl nicht festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin den öffentlichen Interessen unverhältnismäßig viel Gewicht gegenüber den gegenläufigen Interessen des Antragstellers und seiner Angehörigen beigemessen hat durch die von ihr verfügte Ausweisung.

Hierbei ist auch zu beachten, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, es sei angesichts der Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Delikte und seiner privaten und familiären Situation nicht erforderlich, zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit die Wirkungen der Ausweisung von vornherein zu befristen, und dass diese Annahme vom Antragsteller mit der Beschwerdebegründung nicht angegriffen wird. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Wirkungen der Ausweisung nicht generell, sondern lediglich abhängig von den Umständen des Einzelfalles bereits bei Erlass der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu befristen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007, a.a.O., Rn. 18 m.w.N. auch zur Rechtsprechung des EGMR). Mit der Beschwerdebegründung wird das Vorliegen von Umständen, die eine Befristung bereits im Ausweisungszeitpunkt gebieten, nicht geltend gemacht.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: Der Verweis auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung bleibt für den Antragsteller ein praktisch wirksames Mittel zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit in zeitlicher Dimension, der jedenfalls angesichts des Fortbestands der ehelichen Lebensgemeinschaft und der Vaterschaft zu seinem minderjährigen deutschen Kind eine realistische Aussicht auf eine Rückkehr ins Bundesgebiet hat. Bei der Entscheidung über die Befristung sind die mit der Ausweisung verfolgten Zwecke maßgeblich. Die Ausländerbehörde hat die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 -, juris, Rn. 19 ff. = BVerwGE 129, 243). Dabei sind jedoch auch die familiären und privaten Belange angemessen zu würdigen (vgl. nochmals BVerfG, InfAuslR 2006, 320 [322]); BVerwG, Urteil vom 4. September 2007, a.a.O., Rn. 20 ff.). Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand dürfte die Länge der von der Ausländerbehörde zu bestimmenden Frist sich voraussichtlich in einem Rahmen von zwei bis fünf Jahren zu bewegen haben, um den familiären und privaten Belangen hinreichend Rechnung zu tragen, abhängig von dem weiteren Verhalten des Antragstellers auch nach seiner Ausweisung und Haftentlassung und der - gegebenenfalls auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis zutreffenden - Gefahrenprognose (vgl. zur Bemessung der Sperrfrist auch VGH BW, InfAuslR 2008, 429 [437 f.]).

3. Dahinstehen kann, ob der vom Antragsteller mit der Beschwerde angegriffenen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen ist, dass er sein nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei (ARB 1/80) erworbenes Aufenthaltsrecht nach dem Ausscheiden aus seinem Arbeitsverhältnis im Jahre 2003 wieder verloren hat. Denn das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung darüber hinaus ausgeführt, die Ausweisungsverfügung wäre selbst dann rechtmäßig, wenn der Antragsteller die von ihm erlangte assoziationsrechtliche Rechtsstellung nicht wieder verloren hätte und er sich - was indessen umstritten sei - auf die Ausweisungsschutzvorschrift des Art. 28 Abs. 3 a der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG berufen könnte. Denn die Voraussetzungen für eine Ausweisung wären auch in diesem Falle gegeben, weil er rechtskräftig zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden sei. Die Ermessensentscheidung, derer es zu einer Beendigung seines Aufenthalts bedürfte, sei von der Antragsgegnerin getroffen worden. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergäben sich keine gesteigerten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung, denen die Verfügung der Antragsgegnerin nicht gerecht würde. Diese selbständig tragende Begründung hat der Antragsteller mit der Beschwerde jedoch nicht angegriffen.

Sein Beschwerdevorbringen richtet sich lediglich gegen die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, er könne sich nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG geregelte so genannte Vier-Augen-Prinzip berufen, das zwar auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige Anwendung finde, aber jedenfalls nicht in dringenden Fällen - wie hier - gelte. Hiergegen macht er geltend, ein dringender Fall liege nicht vor. Das Vier-AugenPrinzip sei als verfahrensrechtliche Schutzvorschrift auch nach Erlass der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 weiterhin anzuwenden, weil die Europäische Union gegenüber der Türkei nicht befugt sei, den Ausweisungsschutz nachträglich herabzusetzen.

Dieser Einwand greift nicht durch. Die angegriffene Ausweisung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vom 25. Februar 1964 rechtswidrig.

Nach Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist (so genanntes Vier-Augen-Prinzip). Diese gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden (gewesen), die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht haben (vgl. EuGH, InfAuslR 2005, 289; BVerwGE 124, 217).

Die Richtlinie 64/221/EWG ist jedoch durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben worden. Die Verfahrensgarantie der Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen durch Einschaltung einer zweiten Verwaltungsinstanz nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG wurde in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG durch eine Erweiterung des gerichtlichen Rechtsschutzes ersetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2007 - 1 C 47/06 -, juris, Rn. 27 = BVerwGE 129, 162). So hat das Gericht nunmehr in Rechtsbehelfsverfahren nicht nur die Rechtmäßigkeit der ausländerbehördlichen Entscheidung zu überprüfen, sondern auch die Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht (Art. 31 Abs. 3) - was in mehreren EG-Mitgliedstaaten bisher nicht gewährleistet war. Ferner darf die Entscheidung grundsätzlich solange nicht erfolgen, bis das Gericht über einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entschieden hat (Art. 31 Abs. 2). Da für das Vorliegen von behördlichen Verfahrensfehlern auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2007, a.a.O., juris, Rn. 28 bis 30), findet der zum 30. April 2006 aufgehobene Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG auf die angegriffene Ausweisungsverfügung vom 24. Juli 2008 keine Anwendung. Ein Verstoß gegen die nunmehr in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensgarantien ist weder dargetan noch ersichtlich.

Die Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aufgrund der so genannten Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 weiterhin anzuwenden, wonach die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß ist, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen. Eine weitere Anwendung käme allenfalls in Betracht, wenn sich durch das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG der Ausweisungsschutz für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige vermindern würde (vgl. Gutmann, InfAuslR 2006, 271). Eine nachträgliche Herabsetzung des Ausweisungsschutzes lässt sich jedoch nicht feststellen, weil die Verfahrensgarantie des so genannten VierAugen-Prinzips nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG durch eine Erweiterung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG ersetzt wurde, wie oben bereits ausgeführt. Außerdem darf der Türkei gemäß Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden, als sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 kann daher nach Art. 59 des Zusatzprotokolls nicht dazu führen, dass türkische Staatsangehörige besser gestellt werden als Unionsbürger (vgl. Gutmann, in: GK-Aufenthaltsgesetz, Stand März 2005, IX Art. 13 ARB 1/80, Rdnr. 79). Für Unionsbürger gelten aber seit 1. Mai 2006 nicht mehr die Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, sondern die des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG. Für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige kann nichts Günstigeres gelten.

Liegt ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG demnach selbst dann nicht vor, wenn der Antragsteller sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem Ausscheiden aus seinem Arbeitsverhältnis im Jahre 2003 nicht verloren haben sollte, kann deshalb nach alledem offen bleiben, ob dies der Fall ist.

Soweit das Verwaltungsgericht schließlich angenommen hat, die von der Antragsgegnerin hilfsweise getroffene Verlustfeststellung nach § 6 Freizügigkeitsgesetz/EU gehe ins Leere, hat der Antragsteller dies mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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