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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 09.02.2004
Aktenzeichen: 8 A 10266/03.OVG
Rechtsgebiete: GG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 16 a
AuslG § 51
AuslG § 51 Abs. 1
Der Stand der politischen Veränderungen im Irak lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass in absehbarer Zukunft eine neue Staatsgewalt entsteht, die an die Traditionen des Saddam-Regimes anknüpft und diesem Regime verdächtig gewesene Staatsbürger (erneut) verfolgt.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

8 A 10266/03.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Irak)

hier: Zulassung der Berufung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 9. Februar 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beigeladenen, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 10. Januar 2003 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Beigeladene. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die hierfür in § 78 Abs. 3 AsylVfG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob irakischen Staatsangehörigen bereits wegen ihrer Asylantragstellung in Deutschland politische Verfolgung droht, ist nicht mehr grundsätzlich klärungsbedürftig. Denn sie zielt auf tatsächliche Verhältnisse, die mittlerweile durch Zeitablauf überholt sind. Die Frage lässt sich aus heutiger Sicht eindeutig verneinen, ohne dass es dafür der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:

§ 51 Abs. 1 AuslG verbietet die Abschiebung eines Ausländers in einen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht. Politische Verfolgung ist nur staatliche Verfolgung oder solche durch eine Organisation mit staatsähnlicher Herrschaftsgewalt (s. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996, BVerwGE 101, 328). Sie droht einem unverfolgt ausgereisten Ausländer, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er bei Rückkehr politisch verfolgt wird. Ist der Ausländer hingegen vor der Ausreise von politischer Verfolgung betroffen oder unmittelbar bedroht gewesen, darf er bereits dann nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben werden, wenn erneute Verfolgung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sich die nicht auszuschließende Verfolgung als Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung oder doch gleichartige Verfolgung darstellt (s. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997, NVwZ 1997, 1134). Eine andersartige Verfolgung muss auch vorverfolgt Ausgereisten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.

Demnach sind Personen, die vor dem Regime Saddam Husseins nach Deutschland geflohen sind, wegen dieses Auslandsaufenthaltes und der Asylantragstellung im Falle einer Rückkehr nicht (mehr) von politischer Verfolgung bedroht. Dabei mag dahinstehen, ob dort gegenwärtig überhaupt eine zu politischer Verfolgung im o.g. Sinne erforderliche Staatsgewalt oder staatsähnliche Gebietsgewalt besteht (verneinend: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. August 2003 - 20 A 430/02.A -, S. 6 f. UA; bejahend im Blick auf die Besatzungsverwaltung VG Aachen, Urteil vom 11. September 2003 - 4 K 2360/01.A -). Jedenfalls - und dies ist entscheidend - hat sich die politische Situation im Irak durch die am 20. März 2003 begonnenen und am 2. Mai 2003 weitgehend beendeten Militäraktionen einer Koalition unter Führung der USA grundsätzlich verändert. Das Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Macht über den Irak verloren. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden Organisationen und Institutionen dieses Regimes wie beispielsweise der Baath-Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Saddam Hussein, seine Söhne Udai und Kusai sowie viele Angehörige der früheren Staatsführung sind, wenn nicht getötet, so durch Verhaftung seitens der Besatzungsmächte unschädlich gemacht worden. Damit ist der weitaus größte Teil der früheren Regierungsmitglieder und der maßgebenden Träger staatlicher Gewalt aktionsunfähig.

Wie allgemein bekannt, steht der Irak derzeit landesweit unter Besatzungsrecht und wird von einer "Zivilverwaltung" (Coalition Provisional Authority - CPA -) regiert, die sich auf Truppenkontingente v.a. aus den USA und Großbritannien stützen kann. Der Neuaufbau der Verwaltungsstrukturen wird maßgebend vom Leiter der CPA bestimmt. Als erster Schritt zum Aufbau einer Übergangsregierung wurde ein provisorischer 25-köpfiger Regierungsrat berufen, der sich aus Vertretern aller Bevölkerungsschichten, Ethnien und Glaubensrichtungen zusammensetzt und von einer unter den Ratsmitgliedern rotierenden Präsidentschaft geführt wird. Der US-Zivilverwalter hat sich ein Veto-Recht gegenüber allen Entscheidungen dieses Gremiums vorbehalten; es hat u.a. die Aufgabe, eine neue Verfassung auszuarbeiten sowie allgemeine und freie Wahlen vorzubereiten. Demgegenüber erscheint es insbesondere nach der Verhaftung Saddam Husseins und dem Tod seiner Söhne Udai und Kusai mehr denn je unmöglich, dass er oder Angehörige seines früheren Regimes in der Lage sein könnten, sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen (vgl. in diesem Sinne auch Nds. OVG, Urteil vom 14. August 2003 - 20 A 430/02.A -; Sächs. OVG, Urteil vom 28. August 2003, AuAS 2003, 250; OVG Schl.-Holst., Beschluss vom 28. Oktober 2003 - 1 LB 41/03 -; Bay. VGH, Urteile vom 13. November 2003 - 15 B 02.31751- und - 15 B 01.30114 -).

Der Stand der politischen Veränderungen im Irak lässt es darüber hinaus aber auch ausgeschlossen erscheinen, dass in absehbarer Zukunft eine neue irakische Staatsgewalt entsteht, die an die Traditionen des Saddam-Regimes anknüpft und diesem Regime verdächtig gewesene Staatsbürger (erneut) verfolgt. Wie immer eine künftige irakische Regierung zusammengesetzt sein mag, wird sie aller Voraussicht nach keine Ähnlichkeit mit dem bisherigen Regime haben. Damit fehlt jede Grundlage für die Prognose einer politischen Verfolgung als Reaktion auf Verhaltensweisen, die - wie die Asylantragstellung und der unerlaubte Auslandsaufenthalt des Beigeladenen - tatsächlich oder möglicherweise als Infragestellen des Machtanspruchs der seinerzeit herrschenden Clique gewertet wurden bzw. werden konnten.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass auch die weitere Frage, ob irakische Staatsangehörige im Nordirak eine inländische Fluchtalternative haben, keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren mehr bedarf. Wer - wie es der Beigeladene für sich in Anspruch nimmt - aus dem Zentralirak stammt und dort eine Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins befürchtete, bedarf einer solchen Fluchtalternative grundsätzlich nicht mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Ende der Entscheidung

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