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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 28.04.2004
Aktenzeichen: 8 C 10879/03.OVG
Rechtsgebiete: VwVfG, AEG


Vorschriften:

VwVfG § 74
VwVfG § 74 Abs 2
VwVfG § 74 Abs 2 S 2
VwVfG § 74 Abs 2
VwVfG § 74 Abs 1
VwVfG § 74 Abs 1 S 2
VwVfG § 74 Abs 5
VwVfG § 74 Abs 5 S 3
VwVfG § 70
VwVfG § 75
VwVfG § 75 Abs 2
VwVfG § 75 Abs 2 S 2
AEG § 20
AEG § 20 Abs 3
Zum Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gegen Körperschallimmissionen (sekundären Luftschall), die von der Nutzung einer ICE-Neubaustrecke ausgehen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 C 10879/03.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Planfeststellung für den Bau neuer Strecken von öffentlichen Eisenbahnen

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Verpflichtung der Beklagten, einen eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsbeschluss um Schutzauflagen zu ergänzen.

Unter dem 30. April 1998 erließ die Beklagte den Planfeststellungsbeschluss für den Planfeststellungsabschnitt ... - VG Asbach/Mitte - der ICE-Neubaustrecke Köln - Rhein/Main. Dieser Beschluss ist zum Zwecke der öffentlichen Bekanntmachung in der Zeit vom 08. Juni bis 23. Juni 1998 ausgelegt worden.

Der festgestellte Plan sieht den Bau des sogen. "A.tunnels" vor, der unterhalb des in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnhauses der Kläger verläuft.

Hinsichtlich der von der Bahnstrecke ausgehenden Erschütterungen und Körperschalleinwirkungen enthält der Planfeststellungsbeschluss im Entscheidungsteil folgende Regelung:

Ziff. A 3.2.5:

"Die Planfeststellung erfolgt mit dem Vorbehalt, dass nach der Inbetriebnahme der NBS die prognostizierten Erschütterungen auf der Grundlage der 'Erschütterungsgutachten' (Anl. 15.2) durch Messungen überprüft werden. Wenn sich dabei ergibt, dass die Anforderungen der DIN 4150 Teil 2 nicht eingehalten sind, hat der Vorhabenträger durch Maßnahmen am Gleis, zwischen Bahnlinie und Objekt oder ggf. durch den Einbau von schwingungsdämpfenden Systemen an den betroffenen Objekten aufgrund gutachterlicher Vorschläge die Immissionen entsprechend den Anforderungen der DIN 4150 Teil 2 zu mindern".

Im Begründungsteil des Planfeststellungsbeschlusses wird hierzu ausgeführt:

Ziff. C 2.3.1.2 Erschütterungsschutz:

".... Aufgrund der vorliegenden Verhältnisse im A.tunnel ist nachgewiesenermaßen eine Überschreitung der Anhaltswerte der DIN 4150 Teil 2 nicht zu erwarten. Es wird jedoch auf A 3.2.5 verwiesen.

Als sekundärer Luftschall werden die durch einwirkende Erschütterungen in den Gebäuden verursachten hörbaren Geräusche bezeichnet. Die Höhe des sekundären Luftschalls ist von den auftretenden Erschütterungen und raumspezifischen Faktoren abhängig. Die Beurteilung dieses Phänomens kann nur in Anlehnung an Richtlinien erfolgen, die sich mit Innenraumpegeln befassen, die durch von außen in die Räume eindringenden Schall verursacht werden (primärer Luftschall). Grenzwerte zur Beurteilung des sekundären Luftschalls liegen nicht vor.

Nach Auswertung der vorhandenen Verordnungen, Richtlinien und Veröffentlichungen kommt die Planfeststellungsbehörde zu dem Ergebnis, dass unabhängig von der Gebietsnutzung ein Mittelungspegel aus sekundärem Luftschall von 37 db(A) in Wohnräumen und von 27 dB(A) in Räumen, die überwiegend zum Schlafen genutzt werden, nicht überschritten werden sollte. Nach dem heutigen Erkenntnisstand der komplexen Zusammenhänge sieht die Planfeststellungsbehörde diese Pegel jedoch nur als Richtwerte an, deren Überschreitung nicht zwangsläufig zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung oder einer unzumutbaren Schmälerung der Eigentumsnutzung führt.

Die Bedingungen im Bereich der Ortschaft A. wurden überprüft und daraus abgeleitet, dass bei dem an ungünstigster Stelle liegenden Messort MO 42/3 (A. ...) die zu erwartenden Körperschallimmissionen sowohl den Richtwert für den Beurteilungspegel als auch das Spitzenpegelkriterium einhalten." Am 14. Oktober 2002 beantragten die Kläger eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um Auflagen, die die Einhaltung der unter Ziff. C 2.3.1.2 bezeichneten Innenpegel im Hinblick auf Körperschallimmissionen gewährleisten. Zur Begründung verwiesen sie auf eine erschütterungstechnische Stellungnahme des Sachverständigenbüros B./M./H. vom 25. April 2002, wonach im Rahmen des Probebetriebes Werte von mehr als 39 dB(A) gemessen worden seien.

Nachdem die Beklagte ein Einschreiten vorbehaltlich der Messergebnisse im Regelbetrieb mit Schreiben vom 07. Februar 2003 abgelehnt hatte, haben die Kläger am 03. April 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz erhoben. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21. Mai 2003 an das erkennende Gericht verwiesen.

Unter dem 30. Mai 2003 hat das Sachverständigenbüro B./M./H. eine erschütterungstechnische Stellungnahme zum Haus der Kläger unter den Bedingungen des Regelbetriebes der Neubaustrecke abgegeben. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen.

Die Kläger machen geltend, ihr Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen ergebe sich entweder aus § 75 Abs. 2 VwVfG oder aus der Vorbehaltsregelung in Ziff. A 3.2.5 des Planfeststellungsbeschlusses. Das Auftreten von Körperschallimmissionen sei als nicht voraussehbare Auswirkung des Vorhabens anzusehen, da sich erst jetzt herausgestellt habe, dass ihr Haus auf Felsen gebaut sei. Zumindest sei die Vorbehaltsregelung für Erschütterungsschutz entsprechend für die Frage des Schutzes vor Körperschallimmissionen heranzuziehen. Diese seien unzumutbar. In der letzten Stellungnahme der Sachverständigen seien Spitzenpegel von 39,1 dB(A) festgestellt worden. Deren Mittelung unter Heranziehung der 24. BImSchV sei unzulässig. Vielmehr seien zur Beurteilung der Zumutbarkeit die für Gewerbelärm geltenden technischen Regelwerke über Körperschallimmissionen heranzuziehen, deren Richtwerte nicht eingehalten seien. Auch die Richtwerte der für sekundären Luftschall im Schienenverkehr geltenden ÖNorm S 9012 seien überschritten. Schließlich enthalte der Planfeststellungsbeschluss zwar Richtwerte betreffend die Körperschallimmissionen, entscheide aber nicht, nach welchem Regelwerk diese zu beurteilen seien. Könne ein bestimmtes Regelwerk aber nicht in den Beschluss hineininterpretiert werden, so sei er insoweit wegen Unbestimmtheit nichtig.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Bescheides vom 07. Februar 2003 die Beklagte zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss vom 30. April 1998 für die Neubaustrecke Köln-Rhein/Main - Planfststellungsabschnitt ... - um nachträgliche Auflagen zum Schutz gegen unzumutbare Körperschallimmissionen im Haus A. ... in N. zu ergänzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Kläger seien mit ihren Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluss wegen dessen Bestandskraft präkludiert. Im Übrigen seien die von ihnen erwähnten Regelwerke auf Verkehrslärm, zu dem auch der durch die Züge verursachte Körperschall gehöre, nicht anwendbar. Vielmehr könnten die Werte der 24. BImSchV bei der Beurteilung von Körperschall als Anhalt herangezogen werden. Diese seien hier weit unterschritten, zumal auch der vorgesehene Schienenbonus in den sachverständigen Stellungnahmen noch nicht in Ansatz gebracht sei. Schließlich komme es nicht darauf an, dass das im Planfeststellungsbeschluss erwähnte Spitzenpegelkriterium überschritten werde. Denn der Planfeststellungsbeschluss stelle bestandskräftig auf die Beurteilung von Mittelungspegeln ab; die Erwähnung des Spitzenpegelkriteriums habe lediglich deklaratorische Bedeutung.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, die Kläger seien mit ihren Einwänden ausgeschlossen, weil sie bereits während des Verwaltungsverfahrens gewusst hätten, dass ihr Haus auf Felsen stehe und deshalb mit Erschütterungen zu rechnen sei. Zudem unterschritten auch die im Regelbetrieb gemessenen Werte die im Planfeststellungsbeschluss erwähnten Werte bei weitem. Die Zumutbarkeit der gemessenen Spitzenpegel könne wegen der spezifischen Besonderheiten des Bahnlärms nicht an den Regelwerken für Gewerbelärm gemessen werden. Die Richtwerte der in der Schweiz und Österreich geltenden Regelwerke für Körperschallimmissionen des Bahnverkehrs seien eingehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die der Senat wegen bindender Verweisung (§§ 83 VwGO, 17a Abs. 2 Satz 3 VwGO) ohne Prüfung seiner sachlichen Zuständigkeit zu entscheiden hat, ist trotz fehlenden Vorverfahrens zulässig.

Zwar haben die Kläger gegen das nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Schreiben der Beklagten vom 07. Februar 2003, das als Ablehnung ihres Antrages auf Anordnung von Schutzanlagen anzusehen ist, keinen Widerspruch eingelegt. Soweit indessen mit dem Schreiben über einen Antrag auf Planergänzung im Rahmen eines Vorbehaltes (§ 74 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 VwVfG) entschieden worden ist, findet gemäß §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 70 VwVfG kein Vorverfahren statt. Soweit die Beklagte einen Antrag auf nachträgliche Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG abgelehnt hat, ist auch dann, wenn hierauf §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 70 VwVfG nicht anwendbar sein sollte (s. Bay. VGH, Beschluss vom 29. Oktober 1998, UPR 1999, 276 m.w.N.), das fehlende Vorverfahren durch rügelose Sacheinlassung der Beklagten im Klageverfahren geheilt worden (s. BVerwG, Urteile vom 27. Februar 1963, BVerwGE 15, 306 <310> und vom 15. Januar 1982, BVerwGE 64, 325 <330>). Durch den Verzicht auf ein diesbezügliches Vorverfahren hat die Beklagte - anders als in Fällen der sachlichen Bescheidung eines verfristeten Widerspruchs (s. dazu Geis in Sodan/Ziekow: VwGO § 68 Rn 41 m.w.N.) - auch nicht in eine schutzwürdige Rechtsposition der Beigeladenen eingegriffen, die durch Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 07. Februar 2003 entstanden sein könnte. Denn mangels Rechtsbehelfsbelehrung war die Widerspruchseinlegung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe möglich, sodass die Klage vor Bestandskraft des Bescheides erhoben worden ist.

Die planbetroffenen Kläger sind auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus ihrem Klagevorbringen ergibt sich die Möglichkeit nicht offensichtlich präkludierter Planergänzungsansprüche.

Die Klage hat aber keinen Erfolg.

Den Klägern steht weder nach §§ 74 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 VwVfG (I) noch nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (II) ein Anspruch auf die begehrte Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses zu.

I. Ein Planergänzungsanspruch aus §§ 74 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 VwVfG kommt nicht in Betracht. Ein derartiger Anspruch setzt voraus, dass der Planfeststellungsbeschluss hinsichtlich der begehrten Planergänzung einen Vorbehalt enthält, mithin insoweit keine bestandskräftige Regelung trifft. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Vorbehaltsregelung in Ziff. A 3.2.5 des Planfeststellungsbeschlusses betrifft lediglich den Schutz vor Erschütterungen, nicht den vor Körperschallimmissionen. Dies folgt nicht nur daraus, dass die Vorbehaltsregelung derartige Immissionen nicht erwähnt, sondern wird auch durch die Begründung unter Ziff. C 2.3.1.2 bestätigt. Hier findet sich eine Bezugnahme auf den Vorbehalt nur bei der Erörterung von Erschütterungseinwirkungen nach Inbetriebnahme der Neubaustrecke; die in einem gesonderten Abschnitt dargestellten Erwägungen zum Körperschall enthalten eine solche Bezugnahme nicht. Hier wird vielmehr ausgeführt, dass die Einhaltung der Innenraummittelungspegel von 27 dB(A) nachts und 37 dB(A) tags sowie des "Spitzenpegelkriteriums" gesichert erscheint. Erstreckt sich demnach der Vorbehalt nicht auf Körperschallimmissionen, so regelt der Planfeststellungsbeschluss, dass Schutzauflagen hinsichtlich dieser Immissionen nicht erforderlich sind (s. Bonk/Neumann in Stelkens/Bonk/Sachs: VwVfG, 6 Aufl. 2001, § 74 Rn 76).

Diese Regelung ist auch gegenüber den Klägern in Bestandskraft erwachsen. Ihnen gilt der öffentlich bekannt gemachte Planfeststellungsbeschluss gemäß §§ 20 Abs. 3 AEG, 74 Abs. 5 Satz 3 VwVfG mit Ablauf des 23. Juni 1998 als zugestellt. Zwar ist nach § 20 Abs. 3 AEG der Planfeststellungsbeschluss denjenigen, über deren Einwendungen entschieden worden ist, gegen Rechtsbehelfsbelehrung zuzustellen. Diese Regelung ändert indessen lediglich im Verhältnis zu § 74 Abs. 4 Satz 3 VwVfG den Kreis derer, denen zugestellt werden muss; die durch § 74 Abs. 5 VwVfG eröffnete Möglichkeit, bei mehr als fünfzig notwendigen Einzelzustellungen diese durch öffentliche Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses zu ersetzen, bleibt hingegen nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 3 AEG unberührt.

II. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Hiernach kann ein Betroffener, wenn nicht vorhersehbare Wirkungen des Vorhabens auf seine Rechte erst nach Unanfechtbarkeit des Planes auftreten, Vorkehrungen verlangen, die die nachteiligen Auswirkungen ausschließen. Voraussetzung des Anspruchs ist, dass die unvorhersehbaren Auswirkungen unzumutbar sind (s. Bonk/Neumann, a.a.O., § 75 Rn 53 und Kögel in Obermayer: VwVfG, 3. Aufl 1999, § 75 Rn 84). Daran fehlt es hier.

Zwar haben die Kläger nach Bestandkraft des Planfeststellungsbeschlusses aufgetretene nachteilige Auswirkungen dargelegt, die unvorhersehbar waren. Denn bei den am 04. März 2003 durchgeführten Messungen der Körperschallimmissionen in ihrem Wohnhaus haben sich ausweislich des Gutachtens vom 30. Mai 2003 Spitzenpegel (bis zu 38,6 dB(A) im Erdgeschoss) ergeben, die den in der Planfeststellung prognostizierten Spitzenpegel überschreiten. Entgegen der Auffassung der Beklagten nimmt die Beurteilung des Körperschalls anhand eines Spitzenpegelkriteriums auch an der Regelungswirkung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses teil. Dies folgt nicht nur aus der Erwähnung dieses Kriteriums zusätzlich zum Beurteilungspegel im Planfeststellungsbeschluss (S. 56), sondern auch aus den Planunterlagen (s. Schreiben des Ingenieurbüros B.M./H. an die Beigeladene vom 22. und 23. April 1998 mit anliegender Stellungnahme vom 28. Oktober 1996, Bl. 143ff. GA). Hiernach ist von einem Maximalpegel des Körperschalls von 31 dB(A) ausgegangen worden. Die Überschreitung dieses im Planfeststellungsverfahren prognostizierten Maximalpegels war für die Kläger auch im Rechtssinne unvorhersehbar. Dies ist der Fall bei Nachteilen, mit denen der Betroffene im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses verständigerweise nicht zu rechnen brauchte; insoweit gilt ein objektiver Maßstab (s. BVerwG, Urteil vom 01. Juli 1988, BVerwGE 80, 7, 13; Kopp/Ramsauer: VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 75 Rn 25). Nachteile, die der Träger der Planfeststellung selbst nicht vorhergesehen hat, sind bei objektiver Betrachtung regelmäßig auch für den Betroffenen nicht vorhersehbar gewesen.

Die im Gutachten vom 30. Mai 2003 ermittelten Maximalpegel des Körperschalls im Anwesen der Kläger erweisen sich indessen nicht als unzumutbar. Die Zumutbarkeit von Körperschallimmissionen des Schienenverkehrs ist in Deutschland weder durch Rechtsnormen noch durch Verwaltungsvorschriften geregelt (s. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Januar 2001, BImSchG-Rspr § 41 Nr. 67). Daraus folgt, dass die Bestimmung des Grenzwerte für die Zumutbarkeit solcher Immissionen von den Behörden und Gerichten anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der speziellen Schutzwürdigkeit des betroffenen Immissionsortes zu bestimmen sind. Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung können zwar auch - soweit vorhanden - technische Regelwerke oder an sich nicht einschlägige, normative Regelungen als Orientierungshilfe oder "grober Anhalt" herangezogen werden. Eine schematische Anwendung darin enthaltener Mittelungspegel oder Grenzwerte ohne umfassende Würdigung des Einzelfalles ist hingegen unzulässig (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 22. März 1991, - 4 B 31.91 - <juris>).

Hiervon ausgehend kann zunächst offen bleiben, ob hinsichtlich des vom Schienenverkehr ausgehenden Körperschalls überhaupt Spitzenpegel für die Zumutbarkeitsbeurteilung herangezogen werden müssen. Nach Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen (aaO.) reicht es grundsätzlich aus, wenn die Zumutbarkeit unter Heranziehung der in Tabelle 1 zur 24. BImSchV genannten Werte, bei denen es sich um Mittelungspegel in Innenräumen handelt, beurteilt wird. Diese Auffassung begegnet allerdings Bedenken. Regelungsgegenstand der 24. BImSchV sind Maßnahmen passiven Schallschutzes gegen primäre Schallimmissionen. Dass der durch solche Maßnahmen sicher zu stellende Mittelungspegel primären Luftschalls in Innenräumen auch für die Zumutbarkeit von Körperschallimmissionen allein aussagekräftig sein soll, leuchtet zumindest nicht ohne weiteres ein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei Körperschall häufig - und auch im vorliegenden Fall - um tieffrequente Geräuschimmissionen handelt, die in ihrer Wahrnehmung und Wirkung deutlich von mittel- oder hochfrequenten Geräuschen abweichen (vgl. hierzu die Einleitung zu der den Beteiligten bekannten DIN 45680).

Selbst wenn man deshalb auch die Betrachtung eines Spitzenpegelkriteriums zur Zumutbarkeitsbeurteilung für erforderlich erachtet, halten sich allerdings die im Anwesen der Kläger gemessenen Spitzenpegel nach Auffassung des Senats im Rahmen des Zumutbaren.

Entgegen der Auffassung der Kläger kann für die Zumutbarkeit von Spitzenpegeln der Körperschallimmissionen des Schienenverkehrs nicht auf Anhaltswerte abgestellt werden, die in der von ihnen in Bezug genommenen DIN 45680 betreffend Körperschallimmissionen gewerblicher Anlagen enthalten sind. Die Immissionscharakteristik von gewerblichen Anlagen und Schienenverkehrsanlagen unterscheidet sich erheblich. So zeichnen sich die in Anlage A zum Beiblatt 1 der DIN 45680 beispielhaft aufgeführten gewerblichen Anlagen regelmäßig sowohl durch Ortsfestigkeit als auch Kontinuität der Immissionen über die Beurteilungszeit aus. Dies hat - worauf der Gutachter der Beigeladenen zutreffend hinweist (Bl. 179 GA) - zur Folge, dass der Mittelungspegel das maßgebliche Beeinträchtigungselement zum Ausdruck bringt und der lediglich um 10 dB(A) erhöhte Spitzenpegel nur eine zusätzliche Korrektur bewirkt. Demgegenüber wird die Benutzung von Schienenverkehrsanlagen im Hinblick auf die kurze Dauer der Zugvorbeifahrten durch geringe Mittelungspegel und stark erhöhte Spitzenpegel geprägt, was bei der Zumutbarkeitsbeurteilung zu berücksichtigen ist.

Auch die von den Klägern in Bezug genommenen Anhaltswerte der Tabelle 4 zu Ziff 4 der DIN 4109 ("Schallschutz im Hochbau") sind für die Beurteilung von Körperschallimmissionen des Schienenverkehrs unbrauchbar. Sie dienen dem Schutz gegen Geräusche aus haustechnischen Anlagen und Betrieben, die mit der Immissionscharakteristik des Schienenverkehrs ebenfalls nicht vergleichbar sind.

Da es in Deutschland keine technischen Regelwerke gibt, die sich speziell mit der Zumutbarkeit von Körperschallimmissionen des Schienenverkehrs beschäftigen, bietet sich im Rahmen der tatrichterlichen Einzelfallwürdigung ein orientierender Rückgriff auf diesbezügliche technische Regelwerke im deutschsprachigen Ausland an, die ihrerseits unter maßgeblicher Mitberücksichtigung deutscher wissenschaftlicher Veröffentlichungen und technischer Normen erarbeitet worden sind. Den Anforderungen solcher Regelwerke an die Zumutbarkeit von Körperschallimmissionen genügen die im Haus der Kläger festgestellten Werte.

Nach der "Weisung für die Beurteilung von Erschütterungen und Körperschall bei Schienenverkehrsanlagen" des Eidgenössischen Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (www.umwelt-schweiz.ch/buwal/shop/files/pdf/php8XZ2zh.pdf) vom 20. Dezember 1999 beurteilt sich die Zumutbarkeit derartiger Immissionen nicht nach Spitzenpegeln, sondern nach dem Mittelungspegel der lautesten Nachtstunde. Dieser darf als Planungsrichtwert selbst in reinen Wohnzonen bis zu 25 dB(A) betragen. Der Richtwert würde hier selbst dann weit unterschritten, wenn - wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung am 28. April 2004 behauptet haben - zwischen 22.00 und 24.00 Uhr bis zu neun Züge pro Stunde fahren würden. Denn sogar der im Gutachten vom 30. Mai 2003 für den Tag berechnete Mittelungspegel, der nach den Erläuterungen des Gutachters der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2003 (Bl. 155 GA) von 10 Zügen pro Stunde ausgeht, beträgt lediglich 17,3 dB(A) in dem am stärksten betroffenen Erdgeschoss.

Auch nach dem - in seiner Auslegung zwischen den Beteiligten umstrittenen - österreichischen Regelwerk ÖNorm S 9012 ("Beurteilung der Einwirkungen von Schienenverkehrsimmissionen auf den Menschen in Gebäuden - Schwingungen und sekundärer Luftschall") spricht alles dafür, dass die gemessenen Maximalpegel zumutbar sind. Gemäß Ziff. 7.2 dieser Norm darf "der mittlere A-bewertete Maximalpegel der lautesten Zugtype den Grundgeräuschpegel nicht mehr übersteigen, als in Tabelle 3 für ausreichenden Schallschutz und in Tabelle 4 für guten Schallschutz angegeben ist". Der Grundgeräuschpegel ist mindestens mit 15 dB(A) nachts und 25 dB(A) tags anzusetzen. Nach den von den Klägern nicht substantiiert angegriffenen und auch ansonsten überzeugenden Erläuterungen des Gutachters der Beigeladenen im Schreiben vom 01. März 2004 (Bl. 215 GA) und in der mündlichen Verhandlung (Bl. 154f. GA) entspricht der mittlere A-bewertete Maximalpegel im Sinne der ÖNorm S 9012 dem Wert, der auf S. 20 des Gutachtens vom 30. Mai 2003 als Mittelwert über alle Zugvorbeifahrten bezeichnet wird.

Wollte man mit dem Gutachter der Beigeladenen davon ausgehen, dass zur Ermittlung des zumutbaren Maximalpegels der Grundgeräuschpegel zu den in den Tabellen 3 und 4 der ÖNorm genannten Werten zu addieren ist, ergäbe sich im Bereich des guten Schallschutzes für ländliche Wohngebiete ein maximaler Innenpegel von 45 dB(A), bei ausreichendem Schallschutz für die gleiche Gebietskategorie von 50 dB(A). Beide Werte unterschreitet der mit 34,4 dB(A) errechnete mittlere Spitzenpegel aller Zugvorbeifahrten. Allerdings neigt der Senat der Auffassung der Kläger zu, wonach Ziff. 7.2 der ÖNorm S 9012 so auszulegen ist, dass der mittlere A-bewertete Maximalpegel einschließlich des Grundgeräuschpegels die Tabellenwerte nicht überschreiten darf. Für diese nach dem Wortlaut des Regelwerks mögliche Auslegung spricht vor allem, dass sich bei dem vom Gutachter der Beigeladenen befürworteten Additionsverfahren zulässige maximale Innenpegel für Wohngebiete ergeben, die sich den Werten für gesundheitsschädliche Aufwachreaktionen annähern. Dies dürfte wohl kaum der Intention eines derartigen Regelwerks entsprechen. Indessen lässt auch die vorstehend beschriebene Auslegung der ÖNorm für ausreichenden Schallschutz in ländlichen Wohngebieten mittlere A-bewertete Maximalpegel bis 35 dB(A) zu, die nach dem Ergebnis des vorliegenden Gutachtens unterschritten werden.

Bei Auswertung der sich aus all diesen Regelwerten ergebenden Anhaltspunkte für die Zumutbarkeitsbeurteilung vermag der Senat im Rahmen der gebotenen Einzelfallwürdigung keine Unzumutbarkeit der unvorhersehbar auftretenden Spitzenpegel zu erkennen. Zum einen erscheint fraglich, ob die Lärmbelastung des Hauses der Kläger nicht ungeachtet auftretender Spitzenpegel schon allein wegen des niedrigen Niveaus der Mittelungspegel als zumutbar angesehen werden muss. Diese unterschreiten nicht nur die Werte der 24. BImSchV, sondern auch die des schweizerischen Regelwerks, das einer deutschen Verwaltungsvorschrift vergleichbar ist. Verzichtet aber ein dicht besiedeltes Land wie die Schweiz, das bekanntlich über ein umfangreiches und hochfrequentiertes Schienennetz verfügt, bei der Zumutbarkeitsbeurteilung von Körperschall des Schienenverkehrs auf eine isolierte Maximalpegelbetrachtung, so spricht dies dagegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft eine solche unabweisbar ist. Genügen die im Anwesen der Kläger ermittelten Werte zudem noch nach jeder möglichen Betrachtungsweise den Anforderungen an ausreichenden Schallschutz in dem österreichischen Regelwerk, das die Zumutbarkeit der Körperschallimmissionen des Bahnverkehrs (auch) nach den mittleren Maximalpegeln beurteilt, so ist von einer Zumutbarkeit dieser Immissionen auszugehen. Vor diesem Hintergrund bleibt auch der Einwand der Kläger, die Werte genügten bei der von ihnen favorisierten Auslegung der ÖNorm S 9012 nicht den dortigen Anforderungen an guten Schallschutz, ohne Erfolg. Denn der Spitzenpegel, dessen Einhaltung die ÖNorm S 9012 nach der von den Klägern vertretenen Auslegung für guten Schallschutz zur Nachtzeit verlangt (30 dB(A)), liegt um 5 dB(A) unter dem nach Tabelle 2 des Beiblattes 1 zur DIN 45680 zulässigen nächtlichen Maximalpegel für Körperschallimmissionen gewerblicher Anlagen. Auch dies zeigt, dass das von den Klägern geforderte Schutzniveau nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Zumutbarkeitsbeurteilung sein kann, zumal auch im Bereich des Schutzes vor primären Schallimmissionen das Schutzniveau für Verkehrslärm nicht über, sondern unter dem für Gewerbelärm liegt (vgl. z.B. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV einerseits und Ziff. 6.1 Buchst. d und e der TA-Lärm andererseits).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten aus §§ 167 VwGO, 708ff. ZPO.

Die Revision kann nicht zugelassen werden, weil Revisionsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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