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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 28.09.2007
Aktenzeichen: 1 A 119/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BGB


Vorschriften:

VwGO § 57 Abs. 2
VwGO § 60
VwGO § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO § 173
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 222 Abs. 1
BGB § 187
BGB § 188
1. Wird eine Frist versäumt, weil ein Rechtsanwalt am letzten Tag der Frist den fristwahrenden Schriftsatz infolge des Gebrauchs einer veralteten Telefonbuch-CD nicht an die aktuelle Telefax-Nr. des Gerichts faxt oder faxen lässt, liegt ein Anwaltsverschulden vor.

2. Dasselbe gilt, wenn entsprechend anwaltlicher Weisung eine Frist im Fristkalender bereits zu dem Zeitpunkt gelöscht wird, an dem ein fristgebundener Schriftsatz mit der Weisung, ihn unverzüglich an das Gericht zu faxen, einer Auszubildenden übergeben wird, selbst wenn die Auszubildende ermahnt wird, beim Scheitern der Fax-Übertragung den Anwalt oder dessen Sekretärin zu informieren, aber eine Kontrolle unterbleibt und die Auszubildende den Schriftsatz zur Seite legt und vergisst.


Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 9. Februar 2007 - 11 K 300/05 - wird verworfen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 30.169,33 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung des Klägers eines Gewerbebetriebes zu Niederschlagswassergebühren für ein in der Gemeinde C-Stadt gelegenes Betriebsgelände für die Jahre 1996 bis 1999 in einer Gesamthöhe von 30.169,33 EUR. Die gegen die einschlägigen Gebührenbescheide nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 9.2.2007 abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Kläger am 23.02.2007 zugestellt worden; am 21.03.2007 hat dieser um die Zulassung der Berufung nachgesucht und seinen Antrag mit Schriftsatz vom 23.04.2007, der per Telefax am 24.04.2007 beim 0berverwaltungsgericht einging, begründet.

Auf den Hinweis des Senats, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung verspätet eingegangen ist, beantragt der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führt aus, der Schriftsatz mit der Begründung sei am 23.04.2007 geschrieben worden. Zur Fristwahrung habe er per Telefax versandt werden sollen. Es sei aber übersehen worden, dass das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes seinen Sitz verlegt und sich deshalb die Telefax-Nummer geändert hat. Die Sekretärin des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten des Klägers, Frau A, habe der Auszubildenden R den Schriftsatz zur Übersendung an das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes gegeben. Diese sei angewiesen, für den Fall, dass ein Schriftstück nicht per Telefax versandt werden könne, mit dem zuständigen Rechtsanwalt oder mit der Sekretärin Rücksprache zu nehmen. Die Auszubildende habe am 23.04.2007 um 16.34 Uhr und 16.44 Uhr versucht, die Begründung per Telefax an die frühere Fax-Nummer des Gerichts zu senden. Als dies nicht möglich gewesen sei, habe sie jedoch nicht bei der zuständigen Sekretärin nachgefragt, ob die Fax-Nummer richtig sei, sondern den Schriftsatz beiseite gelegt und erst am 24.04.2007 die Sekretärin hiervon in Kenntnis gesetzt. Es sei dann die falsche Nummer festgestellt und der Schriftsatz um 8.30 Uhr per Telefax versandt worden. Die falsche Nummer sei aus einer Telefonbuch-CD vom Mai 2005 herausgesucht worden.

Der Beklagte ist dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen getreten.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 09.02.2007 ist unzulässig, da er nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO begründet wurde. Danach sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des angegriffenen Urteils darzulegen. Hierauf wurde in einer der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung beigefügten Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hingewiesen.

Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Kläger am 23.02.2007 zugestellt; die Begründungsfrist von zwei Monaten ist daher nach Maßgabe der §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187, 188 BGB am 23.04.2007 abgelaufen. Die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung ist jedoch erst am 24.04.2007, also verspätet beim Oberverwaltungsgericht des Saarlandes eingegangen.

Die Voraussetzungen für die mit Schriftsatz vom 30.04.2007 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO liegen nicht vor. Denn der Kläger war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten. Die Versäumung der Frist beruht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass dieser sich nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss.

Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers besteht vorliegend darin, dass diese - erstens - keine zweckmäßige Büroorganisation besitzen und - zweitens - die von ihnen eingesetzten Hilfspersonen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, angeleitet und überwacht haben vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 60 Rdnr. 21.

Zwar ist das Verschulden von Hilfspersonen, insbesondere von Büropersonal, einem Beteiligten nicht zuzurechnen. Zurechenbar ist aber das Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das darin bestehen kann, dass dieser nicht durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere auch hinsichtlich der Fristen, der Terminüberwachung und der Ausgangskontrolle, das Erforderliche zur Vermeidung von Fristversäumnissen getan oder die Hilfsperson nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, angeleitet und überwacht hat vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 04.08.2000 - 3 B 75.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 235 und vom 23.05.2006 - 7 B 36.06 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 258.

Insbesondere muss der Abgang fristwahrender Schriftsätze so kontrolliert und vermerkt werden, dass er zweifelsfrei nachweisbar ist BVerwG, Beschlüsse vom 14.07.1988 - 2 C 6.88 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 156 und vom 23.05.2006, a.a.O..

Dabei ist auch zu beachten, dass einen Rechtsanwalt in den Fällen, in denen der fristwahrende Schriftsatz erst am letzten Tag der Frist übermittelt werden soll, eine besondere Sorgfaltspflicht trifft vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rdnr. 17.

Im vorliegenden Fall beruht unter Berücksichtigung des Vortrags der Prozessbevollmächtigten des Klägers der verspätete Eingang des Begründungsschriftsatzes beim Oberverwaltungsgericht des Saarlandes auf einem Organisationsverschulden in deren Kanzlei.

Ein solches Verschulden ist zunächst darin zu sehen, dass keine ausreichende Vorsorge dafür getroffen worden ist, dass der an das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes gerichtete Schriftsatz vom 23.04.2007 an die richtige Fax-Nummer gesendet wurde. Ein Anwalt ist grundsätzlich verpflichtet, für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleistet vgl. BGH, Beschlüsse vom 01.03.2005 - VI ZB 65/04, NJW-RR 2005, 862, vom 10.05.2006 - XII ZB 267/04, NJW 2006, 2412 und vom 17.04.2007 - XI ZB 39/06 -, FamRZ 2007, 1095.

Diesen Anforderungen wird die Organisation der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht gerecht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein Rechtsanwalt im Saarland nicht unbedingt wissen muss, dass das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes bereits im April 2005 umgezogen ist und sich deshalb seine Fax-Nummer geändert hat, so ändert dies vorliegend nichts am Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers. So ergibt sich aus deren Vortrag sowie der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Sekretärin A, dass die Nummer des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes aus einer Telefonbuch-CD herausgesucht worden ist, die bereits vom Mai 2005 stammte und damit fast zwei Jahre alt war. Ein Rechtsanwalt muss aber Vorsorge dafür treffen, dass in seinem Büro immer Zugriff auf die aktuellen Fax-Nummern der Rechtsmittelgerichte besteht, sofern er beabsichtigt, fristwahrende Schriftsätze per Telefax dem Gericht zuzusenden. Dies wird jedoch durch das Vorhalten einer mehr als zwei Jahre alten Telefonbuch-CD nicht gewährleistet. In der Kanzlei hätte vielmehr Sorge dafür getragen werden müssen, dass entweder stets eine aktuelle Telefonbuch-CD vorhanden ist und auch von den Hilfskräften genutzt wird oder dass vor Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes im Internet nach der aktuellen Fax-Nummer gesucht wird. Letzteres wurde im vorliegenden Fall erst getan, nachdem man - verspätet - festgestellt hatte, dass die Sendung des Telefaxes an die frühere Fax-Nummer des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes gescheitert war.

Als weiteres Organisationsverschulden kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Sendung des Telefaxes nicht von der Sekretärin des bearbeitenden Prozessbevollmächtigten selbst durchgeführt wurde, sondern von einer Auszubildenden. Dabei ist zu beachten, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Rechtsanwalt seine Verpflichtung, für eine genaue Ausgangskontrolle zu sorgen, bei Einsatz eines Telefaxgerätes nur dann erfüllt, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich bei der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach der Kontrolle des Sendeberichtes zu löschen vgl. BGH, Beschluss vom 10.06.1998 - XII ZB 47/98 - NJW-RR 1998, 1361; BVerwG, Beschluss vom 04.08.2000, a.a.O..

Hat ein Rechtsanwalt dieser Verpflichtung genügt, so darf er sich bei Angestellten, die sich über längere Zeit hinweg als zuverlässig erwiesen haben, darauf verlassen, dass seine allgemein erteilten Anweisungen im Einzelfall befolgt werden. Er ist nicht gehalten, das Absenden des Telefaxes selbst auszuführen, da es sich dabei um eine "einfache technische Verrichtung" handelt. Er muss aber ausreichende organisatorische Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Absendung von Telefaxsendungen treffen und das jeweilige Absenden einem hinreichend geschulten und ansonsten zuverlässigen Mitarbeiter übertragen vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1993 - VII ZB 22/93 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 7; BVerwG, Beschluss vom 04.08.2000, a.a.O..

Daher hat er, wenn er die Absendung Hilfskräften überlässt, die, ohne über eine einschlägige Vorbildung zu verfügen, erst seit kurzem eingearbeitet und mit der Erledigung von Fristsachen befasst sind, ggf. gezielt nachzufragen, ob der am gleichen Tag zu sendende Schriftsatz tatsächlich versandt worden ist. Dies gilt insbesondere, wenn er die Frist zur Begründung bis zum letzten Tag ausgenutzt hat vgl. BGH, Beschluss vom 01.04.1993 - III ZB 33/92 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 6; BVerwG, Beschluss vom 04.08.2000, a.a.O..

Vorliegend hat der sachbearbeitende Rechtsanwalt weder das Absenden des Telefaxes selbst durchgeführt noch ausdrücklich seine Sekretärin damit beauftragt, so dass das Absenden von einer Auszubildenden durchgeführt wurde, die sich erst seit dem 01.08.2006 in der Kanzlei in Ausbildung befand. Da jedoch von Auszubildenden generell keine derartige Arbeitsgenauigkeit und Fehlerfreiheit zu erwarten ist wie von bereits langjährig in der Kanzlei beschäftigten Kräften, hätte er dafür Sorge tragen müssen, dass eine ausreichende Überwachung der Absendung des Telefaxes besteht, da die verspätete Absendung die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist zur Folge hatte. Wie jedoch der von den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragene Sachverhaltsablauf zeigt, bestand eine derartige Kontrolle nicht, da die fehlgeschlagenen Sendungsversuche am 23.04.2007 ebenso wie die beiden Fehlversuche am 24.04.2007 vgl. Journal des Telefaxes der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.04.2007

weder der Sekretärin noch einem der in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte auffielen. Insofern konnte es im vorliegenden Fall nicht ausreichen, die Auszubildende nur darüber zu belehren, dass im Fall einer fehlerhaften oder nicht durchführbaren Sendung eines Telefaxes bei der Sekretärin bzw. dem zuständigen Sachbearbeiter nachzufragen sei, sondern es hätte auch eine wirksame Kontrolle zumindest durch eine gewissenhafte, erfahrene und ausreichend belehrte Hilfskraft darüber erfolgen müssen, ob der entsprechende Schriftsatz tatsächlich durch die Auszubildende fristgerecht gesendet worden ist. Nach dem unterbreiteten Sachverhalt wurde die dringende Fristsache stattdessen mit der Übergabe des Schriftsatzes an die Auszubildende als erledigt angesehen.

Auf Grund des dem Kläger zuzurechnenden Organisationsverschuldens seiner Prozessbevollmächtigten kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Sein Antrag auf Zulassung der Berufung muss daher als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung rechtfertigt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3, 47 Abs. 3, 39 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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