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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 18.03.2003
Aktenzeichen: 1 W 7/03
Rechtsgebiete: VwGO, LBO 1996, NBauO


Vorschriften:

VwGO § 146
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
LBO 1996 § 6
LBO 1996 § 75
NBauO § 72
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 W 7/03

In dem Verfahren

wegen Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Baugenehmigung)

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes in Saarlouis durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Böhmer und die Richter am Oberverwaltungsgericht John und Bitz am 18. März 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 29. Januar 2003 - 5 F 94/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 VwGO statthafte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29.1.2003 - 5 F 94/02 -, durch den ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 15.10.2002 für den Umbau eines Einfamilienhauses zu einem Zweifamilienhaus und Neubau einer PKW-Garage" auf der Parzelle Nr. 514/17 in Flur 5 der Gemarkung H (als unzulässig) verworfen wurde, muss erfolglos bleiben.

Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren begrenzende Vorbringen in dem Schriftsatz vom 6.3.2003 rechtfertigt keine von der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts abweichende Beurteilung des Aussetzungsbegehrens der Antragsteller. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht eine Widerspruchsbefugnis der Antragsteller (§ 42 Abs. 2 VwGO entspr.) hinsichtlich der Baugenehmigung verneint und ist daher zutreffend von fehlenden Erfolgsaussichten ihres Rechtsbehelfs in der Hauptsache ausgegangen.

Eine solche Widerspruchs- beziehungsweise (gegebenenfalls) Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) lässt sich entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht aus dem Umstand herleiten, dass ihnen ein im Grundbuch von H (Blatt 1700) als beschränkt persönliche Dienstbarkeit eingetragenes Wohnungs-, Benutzungs- und Mitbenutzungsrecht" an dem durch die mit der angegriffenen Baugenehmigung zugelassene Grenzbebauung vgl. zur Rechtswidrigkeit der Praxis saarländischer Bauaufsichtsbehörden, den Rechtsverzicht des Eigentümers von Nachbargrundstücken zum Anlass für die Erteilung einer Befreiung (§ 75 LBO 1996) von der Pflicht zur Einhaltung der Abstandsflächenbestimmungen zu nehmen, beispielsweise OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.9.1998 - 2 W 8/98 -, SKZ 1999, 121, Leitsatz Nr. 56 = NJW 1999, 1348 betroffenen, ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten rechten Nachbargrundstück (Parzelle Nr. 514/20) zusteht.

Entgegen der Ansicht der Antragsteller kann in dem dinglichen Wohnrecht (§ 1093 BGB) kein im Sinne des öffentlichen Baunachbarstreits die Anfechtungsbefugnis hinsichtlich einer das Nachbargrundstück betreffenden Baugenehmigung begründendes eigentumsähnliches Recht" gesehen werden.

Hierbei ist zunächst davon auszugehen, dass sich der Begriff des anfechtungsbefugten Nachbarn" im öffentlichen Baunachbarrecht nicht abstrakt, etwa in Anlehnung an die umgangsprachliche Bedeutung des Nachbarbegriffs vgl. zu entsprechenden Konkretisierungsbemühungen im Bereich des Immissionsschutzrechts etwa BVerwG, Urteil vom 22.10.1982 - 7 C 50.78 -, NJW 1983, 1507, sondern vernünftiger Weise ausgehend von dem diese Frage regelnden Prozessrecht (§§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nur in Anlehnung an die gegebenenfalls in Rede stehende, potentiell Drittschutz vermittelnde Norm des materiellen öffentlichen Baurechts konkretisieren lässt.

Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht für den Bereich des Bauplanungsrechts stets hervorgehoben, dass dieses grundstücks- und nicht personenbezogen ist und darauf zielt, die einzelnen Grundstücke im Wege der Eigentumsinhaltsbestimmung (Art. 14 Abs. 1 GG) einer im Verhältnis untereinander verträglichen Nutzung zuzuführen. Deswegen beruht baurechtlicher Nachbarschutz in diesem Bereich im wesentlichen auf dem Gedanken eines wechselseitigen Austauschverhältnisses, weswegen im Bauplanungsrecht in aller Regel nur der Eigentümer des Nachbargrundstücks und die in eigentumsähnlicher Weise dinglich Berechtigten wie Nießbraucher oder der Inhaber eines Erbbaurechts und unter bestimmten Voraussetzungen der auflassungsvormerkungsberechtigte Käufer eine schutzwürdige Position in das Verfahren einzubringen vermögen vgl. statt vieler BVerwG, Beschluss vom 10.1.1988 - 4 CB 49.87 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 7, Urteil vom 11.5.1989 - 4 C 1.88 -, BRS 49 Nr. 184, und Beschlüsse vom 11.7.1989 - 4 B 33.89 -, BRS 49 Nr. 185, sowie vom 20.4.1998 - 4 B 22.98 -, BRS 60 Nr. 174.

Die Grundstücke werden daher insoweit grundsätzlich durch ihre Eigentümer repräsentiert. Könnten darüber hinaus auch andere, etwa lediglich obligatorisch Berechtigte wie Mieter und Pächter des Nachbargrundstücks, selbständig, das heißt - wie hier, da die Eigentümerin der Parzelle Nr. 514/20 sich durch Unterzeichnung der Bauvorlagen mit dem Vorhaben ausdrücklich einverstanden erklärt hat - gegen den erklärten Willen des Eigentümers, mit Erfolg Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung für ein benachbartes Grundstück geltend machen, würden sie danach aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts (zu Unrecht) auf den durch das Bodenrecht vermittelten Interessenausgleich der unmittelbar berechtigten Grundstückseigentümer einwirken.

Von daher hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass auf dieser grundstücksbezogenen planungsrechtlichen Ebene familienrechtliche Bindungen keine eigenständigen Rechtspositionen vermitteln können vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 26.7.1990 - 4 B 235.89 -, BRS 50 Nr. 179, und dass auch ein (privates) Wohnrecht, selbst wenn dieses - wie im Falle der Antragsteller - dinglich gesichert ist, seinem Inhaber keine derjenigen des Grundstückseigentümers vergleichbare Rechtsposition verschafft vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 9.90 -, BRS 55 Nr. 163, wobei diese Entscheidung zu dem - ebenfalls grundstücksbezogenen - Fernstraßenrecht (Fachplanung) ergangen ist, das einen gegenüber dem Bauplanungsrecht vergleichsweise weiteren Kreis von Anfechtungsberechtigten kennt, vgl. hierzu das Urteil vom 1.9.1997 - 4 A 36.96 -, BauR 1998, 99; vgl. auch OVG des Saarlandes, Urteil vom 7.11.1995 - 2 R 43/93 -.

Entsprechend hat das OVG Lüneburg dem Inhaber eines dinglich gesicherten Wohnrechts auf der Basis einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit keine Klagebefugnis zur selbständigen Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte gegenüber einer Außenbereichsbebauung (Windenergieanlagen) zuerkannt vgl. den Beschluss vom 20.4.1999 - 1 L 1347/99 -, BRS 62 Nr. 179, wo insbesondere eine Abgrenzung zu dem umfassende Nutzungsrechte gegenüber dem Eigentümer begründenden Nießbrauch vorgenommen wird.

Von daher vermag allein die Eintragungsfähigkeit des Wohnrechts, das, wie das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt hat, als abgeleitetes Benutzungsrecht keine Verfügungsbefugnis über das Grundstück begründet, dem Berechtigten - hier den Antragstellern - entgegen deren Auffassung in der Beschwerdebegründung noch nicht die Stellung eines Nachbarn im Verständnis des öffentlichen Bauplanungsrechts zu vermitteln. Eine erfolgreiche Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Abwehrrechte gegenüber der vorgesehenen, nach ihren Angaben die Belichtung der von ihnen benutzten Wohnung erheblich beeinträchtigenden Grenzbebauung über das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) enthaltene Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme, das nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in jedem Fall unter diesem Aspekt inhaltlich abschließend durch die landesrechtlichen Bestimmungen über die Abstandsflächen (§ 6 LBO 1996, Grenzabstände) konkretisiert wird vgl. dazu den Beschluss vom 11.1.1999 - 4 B 128.98 -, BRS 62 Nr. 102, kommt vor diesem Hintergrund vorliegend nicht in Betracht. Auch der Frage, welche Bedeutung in dem Zusammenhang (bundesrechtlich) einer mit den landesrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbarenden Befreiung im Einzelfall (§ 75 LBO 1996) zukommt, muss daher hier nicht nachgegangen werden.

Mit dem Verwaltungsgericht ist ferner davon auszugehen, dass hinsichtlich der Geltendmachung von Abwehrrechten auf der Grundlage der anerkannt nachbarschützenden landesrechtlichen Bestimmungen über die vor Gebäudeaußenwänden frei zu haltenden Abstandsflächen (§ 6 LBO 1996) unter Berücksichtigung der damit verfolgten, von denen des Bauplanungsrechts des Bundes abweichenden Regelungsziele im Ergebnis nichts anderes zu gelten hat.

Das Bauordnungsrecht wird im Rahmen des öffentlichen Nachbarstreits - sofern solche Differenzierungen überhaupt vorgenommen werden - wie das Planungsrecht regelmäßig mit den sich aus dem Vorstehenden ergebenden Konsequenzen einer Einschränkung des Kreises der Klageberechtigten ausschließlich grundstücks- und nicht personenbezogen interpretiert. Ob dem in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann kritisch dazu beispielsweise Seidel, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Nachbarschutz, 1. Auflage 2000, RNrn. 335 ff., der insbesondere auf bauordnungsrechtliche Verbotsnormen mit immissionsbezogenem Schutzzweck verweist, bedarf aus Anlass dieses Verfahrens keiner abschließenden Klärung, da jedenfalls die als Grundlage nachbarlicher Abwehrrechte hier nach dem Vortrag der Antragsteller in Betracht kommenden Abstandsflächenbestimmungen des § 6 LBO 1996 (rein) grundstücksbezogen sind, deswegen hinsichtlich der hierdurch geschützten privaten Dritten nicht über den von der Rechtsprechung zum Bauplanungsrecht gezogenen Personenkreis hinausgehen und daher den Antragstellern auch mit Blick auf ihr dingliches Wohnrecht an der Parzelle Nr. 514/20 ebenfalls keine selbständigen Abwehrrechte gegen das auf dem Nachbargrundstück zu verwirklichende Bauvorhaben der Beigeladenen einräumen.

Dies hat der früher für das Baurecht zuständige 2. Senat für eine der Vorläuferregelungen des Grenzabstandsrechts (§ 7 Abs. 4 LBO 1965) im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift entschieden und dabei wesentlich auf die Gemeinsamkeit und Wechselbezüglichkeit der durch die Vorschriften für die Normunterworfenen begründeten Vor- und Nachteile abgestellt vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 13.7.1977 - II R 74/76 -, BRS 32 Nr. 161.

Für die heutige Regelung in § 6 LBO 1996 gilt insofern nichts anderes vgl. zur Entwicklung des Grenzabstandsrechts im Saarland allgemein Bitz, Vom Bauwich zu den Abstandsflächen, SKZ 2002, 15 und 34.

Auch insoweit erstreckt sich ein Nachbarschutz nur auf Rechtsinhaber, die an dem durch die Vorschriften begründeten Austauschverhältnis teilhaben, denen das Gesetz mithin nach der Natur der ihnen privatrechtlich zustehenden Rechtsposition ein Opfer in Gestalt einer Einschränkung baulicher Ausnutzbarkkeit ihres Grundstücks zumute so auch Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Band I, Loseblatt, Stand September 2002, Art. 6 BayBO, RNr. 293, wonach das den Abstandsflächenvorschriften zu entnehmende Konfliktschlichtungsprogramm" vor dem Hintergrund des Verfassungsauftrags zur sozialgerechten Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG) zu sehen ist und in gleicher Weise wie das Bauplanungsrecht dem Schutz der betroffenen Eigentümer dient; ebenso Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wie- chert, Niedersächsische Bauordnung, 6. Auflage 1996, § 72 NBauO, RNr. 8, wonach die Verletzung der Abstands- (dort : Bauwich-) Vorschriften nach deren Schutzzweck als grundstücksbezogene Regelung nur der Eigentümer geltend machen kann, unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Urteil vom 9.1.1987 - 1 A 139/85 -, BRS 47 Nr. 159; dazu auch Moog/Schmidt, LBauO Rheinland-Pfalz, Abstandsflächen und Abstände, 3. Auflage 1997, RNr. 211 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OVG Koblenz; nichts wesentlich anderes ergibt sich aus dem von den Antragstellern - für ihre Ansicht - angeführten, sich ohnedies schwerpunktmäßig mit dem Planungsrecht befassenden Aufsatz von Ziekow, NVwZ 1989, 231, 232, wo es lediglich heißt, dass zu den dem Eigentümer gleichzustellenden Personen möglicherweise dinglich Wohnberechtigte" zu zählen seien.

Eine Befugnis zu einer baulichen Nutzung der Parzelle Nr. 514/20, die dann ungeachtet des § 75 LBO 1996 jedenfalls grundsätzlich nur unter Einhaltung der Abstandsflächen auf dem eigenen Grundstück (§ 6 Abs. 2 Satz 1 LBO 1996) realisierbar wäre, steht den Antragstellern auf der Grundlage allein der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit und des durch sie vermittelten Wohn- und Nutzungsrechts jedenfalls nicht zu. Werden ihnen aber insofern einerseits vom Gesetzgeber keine Opfer" abverlangt, so gehören sie andererseits auch nicht zu dem Kreis der berechtigten Privaten, denen auf der Grundlage dieser Vorschriften subjektiv-öffentliche Abwehrrechte gegen ein unter Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften auf dem Nachbargrundstück zugelassenes Bauvorhaben zustehen können.

Wollte man hingegen - wie die Antragsteller dies offenbar tun - wesentlich auf eine durch das Bauvorhaben hervorgerufene negative Veränderung der Belichtungsverhältnisse auf dem Nachbargrundstück abstellen, so ließe sich kein durchschlagender Grund mehr anführen, einen entsprechenden Nachbarschutz einem (Unter-) Mieter oder dem mit einer sonstigen bloß vom Eigentümer abgeleiteten Befugnis zum dauerhaften Aufenthalt auf dem Grundstück Ausgestatteten zu versagen. Diese Zielrichtung hat indes das Abstandsflächenrecht auf der Ebene selbständig durchsetzbaren subjektiv-öffentlichen Nachbarrechts nicht.

Von daher gibt das Beschwerdevorbringen der Antragsteller keine Veranlassung zur Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Mit der vorliegenden Entscheidung entfällt gleichzeitig ein Bedürfnis für die mit Schriftsatz vom 18.3.2003 beantragte Zwischenverfügung.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Für einen Ausspruch nach § 162 Abs. 3 VwGO zugunsten der Beigeladenen besteht kein Anlass.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3, 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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