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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 13.01.2006
Aktenzeichen: 2 Q 71/05
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 6
GG Art. 6 Abs. 1
AufenthG § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
Die Aussetzung der Abschiebung eines "heiratswilligen" Ausländers unter dem Aspekt der Wahrung der Eheschließungsfreiheit setzt über das Bestehen ernsthafter Heiratsabsichten hinaus voraus, dass eine mögliche Bleiberechte vermittelnde Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen "unmittelbar bevorsteht". Für die Anerkennung solcher "Vorwirkungen" des Art. 6 Abs. 1 GG ist daher nur Raum, wenn einerseits die Verlobten alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um eine Eheschließung erreichen zu können, und andererseits keine durchgreifenden Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Eheschließung bestehen (ersteres hier verneint wegen der Erforderlichkeit der Beschaffung einer Urkunde im Heimatland).

Im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG sind bei der Bestimmung der Reichweite ausländerrechtlicher Schutzwirkungen des Art. 6 GG nicht formal-rechtliche familiäre Bindungen entscheidend; vielmehr kommt es auf die im konkreten Fall zu ermittelnde tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern an.


Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 3. November 2005 - 12 K 23/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Der Kläger, ein Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wendet sich gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis und seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.

Nachdem der Kläger, damals Obergefreiter in der US-Armee, am 8.4.1991 die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen hatte, wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach, zuletzt bis zum 18.7.1997 verlängert wurde. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die bei ihrer Mutter, der früheren Ehefrau des Klägers, leben. Ein von diesem im Jahre 1998 gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde mit Bescheid vom 7.2.2001 unter Verweis auf die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, den Aufenthalt der Kinder allein bei der Mutter, ein vielfaches und erhebliches strafrechtliches Inerscheinungtreten des Klägers und den jahrelangen Bezug von Sozialhilfe abgelehnt. Gleichzeitig wurde der Kläger zur Ausreise aufgefordert und für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung angedroht.

Mit Schreiben vom 14.10.2002 suchte der Kläger erneut um die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts nach. Zur Begründung verwies er auf die länger als vier Jahre währende Ehe und auf seine drei Kinder.

Mit Bescheid vom 4.6.2004 lehnte der Beklagte auch diesen Antrag ab, wies den Kläger gleichzeitig aus der Bundesrepublik aus und forderte ihn erneut unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf. In der Begründung ist ausgeführt, der Kläger habe kein eigenständiges Aufenthaltsrecht wegen seiner Ehe erworben, wie in dem bestandskräftigen Bescheid vom 7.2.2001 bereits mit Blick auf § 19 Abs. 3 AuslG festgestellt worden sei. Aufgrund zahlreicher Vorstrafen, lägen beim Kläger Ausweisungsgründe vor, so dass mangels Besonderheiten auch die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach Ermessen nicht in Betracht komme. Der Kläger sei bisher insgesamt zwölf Mal strafgerichtlich verurteilt worden, unter anderem wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Gegenwärtig laufe ein erneutes Ermittlungsverfahren. Der Verbleib in der Bundesrepublik beeinträchtige daher die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dem stünden nur "recht ungewichtige" private Interessen des Klägers gegenüber. Dieser habe nach der Scheidung keinerlei Kontakt mehr zu seinen Kindern. Wegen seiner Arbeitslosigkeit bestünden keine beruflichen Verpflichtungen. Besondere Integrationsprobleme in den USA seien nicht zu erwarten. Auch die Ausweisung sei angesichts der Vielzahl der begangenen Straftaten verhältnismäßig.

Der dagegen gerichtete Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger auf regelmäßige telefonische Kontakte mit den beiden älteren Kindern, die Verweigerung des Umgangs durch die frühere Ehefrau und seine - des Klägers - Beziehung mit einer neuen Partnerin verwiesen hatte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.2005 - WS 126/04 - zurückgewiesen. In den Gründen wurde insbesondere auf eine neuerliche Verurteilung durch das Amtsgericht Neunkirchen am 17.1.2005 verwiesen.

Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er arbeitswillig sei und "seit Jahren" mit seiner Verlobten C zusammen wohne. Durch eine Abschiebung werde es ihm ferner unmöglich, in besseren Kontakt zu seinen Kindern zu treten und sich ein Umgangsrecht zu erstreiten. Auch habe ihm das Landgericht A-Stadt eine günstige Sozialprognose gestellt, in dem es ihn erneut (nur) zu einer Bewährungsstrafe verurteilt habe. Ein Prozesskostenhilfeersuchen des Klägers blieb ohne Erfolg.

Nach entsprechendem Verzicht hat das Verwaltungsgericht die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 3.11.2005 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die angefochtene Entscheidung des Beklagten vom 4.6.2004 sei ohne Rechtsfehler ergangen, wobei insoweit auf die im Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Entscheidungen Bezug genommen werden könne. Daran sei auch in Ansehung des vom Kläger angeführten Urteils des Landgerichts vom 16.6.2005 und seiner ansonsten angeblich geänderten Lebensverhältnisse festzuhalten.

Gegen die ihm am 7.11.2005 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 7.12.2005 beantragt, die "Berufung zuzulassen" und mit Eingang am 6.1.2006 die "am 7.12.2005 eingelegte Berufung" damit begründet, dass die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen nicht frei von Rechtsfehlern seien. Das Verwaltungsgericht komme in der "Klagebegründung" zu dem Ergebnis, dass ihm - dem Kläger - kein besonderer Ausweisungsschutz zustehe. Seit Ergehen der Prozesskostenhilfeentscheidungen habe sich seine Situation verbessert. Er stehe vor der Hochzeit mit seiner deutschen Lebenspartnerin C. Der Heirat stehe nur entgegen, dass eine Geburtsurkunde in Houston/Texas angefordert werden müsse "beziehungsweise bereits angefordert worden sei". Inzwischen gebe es auch regelmäßige Kontakte mit seinen Kindern. Er bemühe sich, für diese da zu sein und habe ihnen in den letzten Wochen zum Beispiel Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke gemacht. Sein Prozessbevollmächtigter sei beauftragt, beim Familiengericht abklären zu lassen, in welcher Art und Weise in den kommenden Wochen und Monaten persönliche Kontakte mit den Kindern möglich seien. Ferner habe er sich als US-Soldat jahrelang rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, wo er verwurzelt sei und das er als seine Heimat betrachte. Kontakte in die USA, etwa zu seinem Bruder oder einer dort lebenden Cousine, habe er nicht mehr, so dass er bei einer Rückkehr obdachlos würde. Auch sei er bereits nach 2/3 der zu verbüßenden Haftstrafe aus der JVA entlassen worden. Ingesamt sei ihm daher eine "positive Gefahrenprognose" zu stellen.

II. Der im Schriftsatz vom 6.12.2005 enthaltene Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124 Abs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3.11.2005 - 12 K 23/05 -, mit dem seine Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 4.6.2004 und des Widerspruchsbescheids vom 26.1.2005 abgewiesen wurde, muss erfolglos bleiben.

Hierbei kann und soll dahinstehen, ob das weder einen Zulassungsgrund noch eine der diese abschließend regelnden gesetzlichen Bestimmungen ansprechende, vielmehr ausdrücklich als Begründung einer "eingelegten Berufung" bezeichnete und auch (nur) so formulierte Antragsvorbringen den Erfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt, wonach - über den reinen Antrag hinaus - die Gründe, aus denen "die Berufung zuzulassen ist", dargelegt werden müssen.

Wollte man - was vorliegend einzig ernsthaft in Betracht käme - die "Berufungsbegründung" des Klägers dahin interpretieren, dass zur Begründung des mit Eingang am 7.12.2005 (zunächst) gestellten, hier einzig statthaften, Berufungszulassungsantrags "ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden, so könnte jedenfalls dem den gerichtlichen Prüfungsumfang mit Blick auf das Darlegungserfordernis (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) begrenzenden Antragsvorbringen des Beklagten im Schriftsatz vom 5.1.2006 vom Inhalt her das Vorliegen dieses Zulassungsgrundes nicht entnommen werden. Der Sachvortrag des Klägers begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt des Ergehens der Widerspruchsentscheidung bereits in Kraft getretenen Bestimmungen der hier maßgeblichen §§ 55 Abs. 1 und 2 Nr. 2, 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zutreffend festgestellt, dass hinsichtlich des in der Vergangenheit vielfach und zum Teil gravierend strafrechtlich in Erscheinung getretenen Klägers die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von dem Beklagten verfügte Ausweisung vorliegen (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, früher § 46 Nr. 2 AuslG), dass ein besonderer Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG, früher § 48 AuslG) zugunsten des Klägers nicht angenommen werden kann, dass gerade mit Blick hierauf eine Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung (auch) unter Ermessensgesichtspunkten nicht bejaht werden kann und dass schließlich § 11 AufenthG die Erteilung der vom Kläger beantragten Aufenthaltsgenehmigung ausschließt. Diese bereits im Beschluss des Senats vom 30.6.2005 - 2 Y 5/05 - bestätigte Einschätzung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers, an der für das Hauptsacheverfahren festgehalten wird, wird durch sein nunmehriges Vorbringen im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Was den Hinweis des Klägers anlangt, dass es ihm gelungen ist, das Landgericht A-Stadt in der Berufungsverhandlung am 16.6.2005 zu bewegen, die Vollstreckung der verhängten zweijährigen Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung - abweichend von der Vorinstanz - "noch einmal" zur Bewährung auszusetzen, so hat bereits das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass diesem Umstand angesichts der Vielzahl der von dem Kläger über Jahre hinweg während des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland begangenen Straftaten bei der aufenthaltsrechtlichen Bewertung keine durchschlagende Bedeutung beigemessen werden kann. Diese Einschätzung ist zutreffend. Da der Kläger in seiner Antragsbegründung vom 5.1.2006 selbst darauf hinweist, dass ihm der Unterschied zwischen einer strafrechtlichen Sozialprognose (hier § 56 Abs. 2 StGB) und der aufenthaltsrechtlichen Gefahrenprognose (§ 55 Abs. 1 AufenthG) "bekannt" sei, braucht darauf vorliegend nicht weiter eingegangen zu werden.

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich aus dem Vorbringen im Schriftsatz vom 5.1.2006 weder mit Blick auf die darin angesprochene Heiratsabsicht noch im Hinblick auf seine angeblich gewandelte Einstellung zu seinen drei Kindern ein besonderer Abschiebungsschutz im Verständnis des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zu seinen Gunsten herleiten. Die Bestimmung verlangt nach dem klaren Wortlaut, dass ein von der Ausweisung betroffener Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner (§§ 1, 2 LPartG) in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen.

Die Nichtberücksichtigung seiner Heiratsabsichten im Ausweisungsverfahren verletzt den Kläger auch nicht in seiner nach allgemeiner Auffassung vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG bereits mit umfassten Eheschließungsfreiheit. Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Aussetzung der Abschiebung eines "heiratswilligen" Ausländers unter diesem Aspekt über das Bestehen ernsthafter Absichten hinaus voraus, dass eine mögliche Bleiberechte vermittelnde Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen "unmittelbar bevorsteht". Im vorliegenden rechtlichen Zusammenhang kann für die Anerkennung solcher "Vorwirkungen" des Art. 6 Abs. 1 GG nichts anderes gelten. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung ist auszugehen, wenn einerseits die Verlobten alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um eine Eheschließung erreichen zu können, und andererseits keine durchgreifenden Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Eheschließung bestehen.Letzteres mag dahinstehen. Nach dem Vortrag des Klägers kann die Eheschließung jedenfalls nicht vorgenommen werden, weil dazu erforderliche Unterlagen in seiner Heimat beschafft oder gar zuerst einmal "angefordert" werden müssen. Das schließt es aus, in dem konkreten Fall von einer "unmittelbar bevorstehenden" Eheschließung in dem eingangs genannten Sinne zu sprechen.

Was die Behauptungen des Klägers anbelangt, er wolle sich in Zukunft mehr um seine bei der früheren Ehefrau lebenden Kinder kümmern und einen - von der Mutter offenbar bisher verweigerten - Umgang erreichen, so belegt schon diese Schilderung des Verhältnisses zu seinen drei Kindern, dass bis auf den heutigen Tag von einer im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG beachtlichen Gemeinschaft mit diesen nicht ausgegangen werden kann. Entscheidend sind bei der Bestimmung der Reichweite ausländerrechtlicher Schutzwirkungen des Art. 6 GG nicht formal-rechtliche familiäre Bindungen; vielmehr kommt es auf die im konkreten Fall zu ermittelnde tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern an. Eine dahingehende Substantiierung des insoweit völlig im Allgemeinen bleibenden Vortrags erfolgt nicht; es bleibt völlig unklar, ob es sich bei den nun behaupteten "immer besser werdenden Kontakten" um eine Intensivierung der erstinstanzlich geschilderten telefonischen Kontakte handelt, oder um mehr. Auch der Kauf von Weihnachtsgeschenken ist als solcher nicht geeignet, die Annahme einer tatsächlich praktizierten Eltern-Kind-Gemeinschaft zu rechtfertigen,auch wenn insoweit wesentlich auf die Perspektive der Kinder abzustellen ist. Inwieweit die offenbar in jüngerer Zeit unternommenen angeblichen Bemühungen des Klägers um seine inzwischen 10, fast 9 beziehungsweise 7 Jahre alten Kinder im Zusammenhang mit der vom Beklagten betriebenen Aufenthaltsbeendigung stehen, mag daher dahinstehen.

Das sonstige Vorbringen, etwa dass der Kläger Deutschland als seine Heimat betrachte und befürchtet, er werde bei einer Rückführung in die USA der Obdachlosigkeit anheim fallen, rechtfertigt im Ergebnis keine andere Beurteilung im Rahmen des § 55 Abs. 1 AufenthG und damit keine von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts abweichende Prognose des Verfahrensergebnisses.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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