Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 2 W 13/06
Rechtsgebiete: LBO 2004, BauNVO, VwGO, BauGB


Vorschriften:

LBO 2004 § 7
LBO 2004 § 8
BauNVO § 9
BauNVO § 15 I 1
VwGO § 146 IV 6
BauGB § 34 I
BauGB § 34 V 2
BauGB § 35
1. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist regelmäßig keine inzidente Normenkontrolle durchzuführen, sondern von der Verbindlichkeit planerischer Festsetzungen für das Baugrundstück auszugehen, es sei denn, die Unwirksamkeit der Satzung wäre evident.

2. Für das Aussetzungsbegehren von Nachbarn ist ohne Bedeutung, ob die erteilte Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist; allein entscheidend ist, ob sie in ihren Rechten verletzt werden.

3. Die besondere Lage eines Hauses zum Außenbereich hin mit "Blick in die freie Natur" bedeutet lediglich einen Lagevorteil, aus dem sich kein Schutz vor einer Verschlechterung der freien Aussicht oder vor Einsichtsmöglichkeiten von später genehmigten Gebäuden herleiten lässt.


Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 2. Mai 2006 - 5 F 9/06 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu je einem Drittel.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2.5.2006, mit dem ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 24.3.2006 gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20.2.2006 (Wohnhausneubau mit Garage) zurückgewiesen wurde, ist unbegründet.

Zur Begründung ihrer Beschwerde haben die Antragsteller im Wesentlichen vorgetragen, die erteilte Baugenehmigung sei mit ihren wehrfähigen Rechten nicht vereinbar. Es werde in Zweifel gezogen, dass das Bauvorhaben bei Gültigkeit der Abrundungssatzung zulässig wäre und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletze. Die Abrundungssatzung sei aber unwirksam, so dass das Vorhabengrundstück weiterhin im Außenbereich gelegen sei. Subjektive Nachbarrechte seien dann verletzt, wenn das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht nicht beachtet werde. Insoweit werde eine Verletzung der Abstandsflächen gemäß §§ 7, 8 LBO 2004 gerügt. Außerdem werde ein Anspruch auf "Quasi"-Planerhalt, dessen Verletzung zu einer nachbarrechtlichen wehrfähigen Position führe, geltend gemacht. § 15 I 1 BauNVO enthalte einen Anspruch auf Gebietserhaltung, auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets; dies müsse auch für die Abgrenzung eines unbeplanten Innenbereichs vom Außenbereich gelten. Da ein Baugebiet auch durch seine Grenzen geprägt werde, umfasse § 15 I 1 BauNVO den Anspruch auf Gebietserhaltung in Form eines Anspruchs auf Einhaltung der Grenzen der Bebauung. Dafür spreche auch die Entwicklung der neueren Rechtsprechung betreffend den sogenannten gebietsübergreifenden generellen Nachbarschutz, wonach Grundstücke im Bereich eines Bebauungsplans dagegen geschützt würden, dass im unmittelbar angrenzenden Bebauungsplangebiet gebietsfremde Nutzungen zugelassen würden. Nichts anderes könne für den unbeplanten Innenbereich gelten. Die Baugenehmigung sei aber auch bei Unwirksamkeit der Satzung offensichtlich rechtswidrig. Eine Rechtsprechung, die dem unmittelbar angrenzenden Nachbarn kein Recht zuerkennen wolle, sich gegen ein rechtwidriges Bauvorhaben im angrenzenden Außenbereich zu wehren, sei dem rechtssuchenden Bürger nicht zu vermitteln.

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, durch das gemäß § 146 IV 6 VwGO der gerichtliche Prüfungsrahmen festgelegt wird, hat es bei dem erstinstanzlich gefundenen, zutreffend begründeten Ergebnis zu bleiben. Wie in dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt ist, liegen die Voraussetzungen für eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 II 1 Nr. 3 VwGO, 212a I BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung hier nicht vor. Bei überschlägiger Rechtskontrolle sind gewichtige Zweifel an der nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung vom 20.2.2006 nicht feststellbar. Dieser Kontrollmaßstab entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes und trägt der eigentumsgrundrechtlichen Position sowohl des Nachbarn als auch des benachbarten Bauherrn angemessen Rechnung.

Grundlage für die Erteilung der angefochtenen Baugenehmigung ist die am 15.9.2005 vom Gemeinderat der Gemeinde A-Stadt beschlossene und am 29.9.2005 bekannt gemachte Ortsabrundungssatzung "H.straße", die das bisher im Außenbereich gelegene Baugrundstück der Beigeladenen zu 1. in den im Zusammenhang bebautenOrtsteil einbezogen hat; diese Satzung halten die Antragsteller, die sie auch mit einem Normenkontrollantrag bekämpfen, für unwirksam . In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist indes regelmäßig keine inzidente Normenkontrolle durchzuführen, sondern vielmehr von der Verbindlichkeit planerischer Festsetzungen für das Baugrundstück auszugehen, es sei denn, die Unwirksamkeit der Satzung wäre evident. Vorliegend kann aber die Wirksamkeit der Ortsabrundungssatzung dahinstehen, da der Aussetzungsantrag der Antragsteller in jedem Fall keinen Erfolg haben kann.

Ausgehend von einer wirksamen Abrundungssatzung gibt es nach den gegenwärtigen Erkenntnismöglichkeiten keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das Bauvorhaben mit nachbarschützenden Festsetzungen der Satzung im Sinne des § 34 V 2 BauGB nicht im Einklang stünde. Die Antragsteller erleiden durch das genehmigte Vorhaben offensichtlich auch keine unzumutbaren Beeinträchtigungen. Das Bauvorhaben würde sich ohnehin nach Art und Maß seiner baulichen Nutzung, Bauweise und Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung im Sinne des § 34 I BauGB einfügen, wenn die Abrundungssatzung wirksam wäre; dies wird auch von den Antragstellern nicht in Abrede gestellt. Bereits dies spricht vehement dafür, dass das Vorhaben selbst nicht rücksichtslos ist.

Auch wenn die Unwirksamkeit der Abrundungssatzung sowie eine daraus von den Antragstellern hergeleitete Belegenheit des Grundstücks der Beigeladenen zu 1. im Außenbereich unterstellt wird, ist mit Blick auf den dann als Beurteilungsmaßstab zugrunde zu legenden § 35 BauGB nicht feststellbar, dass die Antragsteller durch das genehmigte Bauvorhaben in nachbarschützenden Rechten verletzt würden. Wie das Verwaltungsgericht bereits eingehend unter Darstellung der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt hat, ist für das Aussetzungsbegehren der Antragsteller ohne Bedeutung, ob die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nach diesem Maßstab objektiv rechtswidrig wäre. Allein entscheidend ist nach dem einschlägigen Prozessrecht, ob die Antragsteller dadurch in ihren Rechten verletzt werden. Dies ist schon nach den diesbezüglichen erstinstanzlichen Darlegungen, die durch die Beschwerdebegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt werden, nicht der Fall.

Gemessen an § 35 BauGB ist das Bauvorhaben nicht deshalb für die Antragsteller unzumutbar, weil es den Charakter des an deren Grundstück angrenzenden, bislang allenfalls landwirtschaftlich genutzten Teils des Außenbereichs verändert. Wie sie in ihrer Antragsschrift vorgetragen haben, ergebe sich ihre Störung aus der besonderen Empfindsamkeit der Nutzungsweise ihres Wohnhauses gegenüber dem Hinzutreten einer Bebauung auf dem Nachbargrundstück, da das Haus so gestaltet sei, dass es den Blick in die Natur freigebe. Die besondere Lage zum Außenbereich mit "Blick in die freie Natur" bedeutet für das Grundstück der Antragsteller jedoch keine rechtlich gesicherte Position, sondern einen bloßen Lagevorteil. Aus der ihnen erteilten Baugenehmigung, die zwar Gelegenheit zur Ausnutzung dieses bloß augenblicklichen Lagevorteils am Rande des Außenbereichs bot, lässt sich aber kein Schutz vor einer Verschlechterung der freien Aussicht oder vor Einsichtsmöglichkeiten von später genehmigten Gebäuden herleiten. Daher stellt der Entzug dieses Lagevorteils - selbst wenn er durch eine objektiv rechtswidrige Maßnahme erfolgt sein sollte - keinen Eingriff in eine Rechtsposition dar.

Das Bauvorhaben verletzt entgegen der Ansicht der Antragsteller insbesondere keinen "Anspruch auf Quasi-Planerhalt". Es ist nicht ersichtlich, woraus sich der von den Antragstellern geltend gemachte Anspruch auf unveränderte Nutzung des angrenzenden Grundstücks der Beigeladenen zu 1. ergeben soll. Die Ansicht der Antragsteller, dass ein Baugebiet auch durch seine Grenze zu anderen Gebieten geprägt werde, vermag nicht zu überzeugen. Die in der Beschwerdebegründung angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betrifft nachbarliche Abwehransprüche im Verhältnis der Eigentümer verschiedener Grundstücke in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet, dort konkret einem Industriegebiet im Sinne des § 9 BauNVO. Grundlage des Nachbarschutzes in dem Bereich bildet nach der Rechtsprechung ein durch die Planung begründetes rechtliches Austauschverhältnis ("Schicksalsgemeinschaft"). Hiervon kann vorliegend keine Rede sein. Der Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in Ortsandlage hat keinen Anspruch darauf, dass die Grenze der Ortsrandlage unverändert und damit seinem Grundstück der Genuss angrenzender Freiflächen mit entsprechenden "optischen Vorzügen" erhalten bleibt. Schließlich spricht nach Aktenlage vieles dafür, dass das nach den Fotos offenbar auch erst vor kürzerem errichtete Wohngebäude der Antragsteller (Hstr. 61a) seinerseits mit eben diesen von ihnen nunmehr reklamierten Nachteilen für das sich nördlich anschließende Gebäude auf der Parzelle Nr. .../4 (Hstr. 61) verbunden ist.

Zu Unrecht berufen sich die Antragsteller schließlich in bauordnungsrechtlicher Hinsicht ganz pauschal auf eine Verletzung der - nachbarschützenden - Vorschriften über die Abstandsflächen (§§ 7, 8 LBO 2004). Insofern könnten sie allenfalls durch die ihrem Anwesen zugewandte Abstandsfläche T 4 in ihren Rechten verletzt sein. Die Abstandsflächenberechnung ist jedoch in ihrem Ergebnis mit 2,80 m - bis auf eine Abweichung von 2 cm (2,82 m) - richtig. Der damit erforderliche Mindestabstand zwischen rechter Hausseite der Beigeladenen und Grundstücksgrenze von mindestens 3 m (§ 7 V 4 LBO 2004) ist nach den genehmigten Planunterlagen eingehalten. Es bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der nach Plan 7 m langen und 2,70 m hohen Garage in der Abstandsfläche (§ 8 II 1 Nr. 7, 4 LBO 2004).

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 II, 159 VwGO, 100 ZPO zurückzuweisen, wobei sich der Ausspruch hinsichtlich der Beigeladenen, die einen Antrag gestellt haben und damit ein Kostenrisiko eingegangen sind (vgl. § 154 III VwGO), aus § 162 III VwGO rechtfertigt.

Der Streitwert folgt für das Beschwerdeverfahren aus §§ 63 II, 47, 53 III Nr. 2 i.V.m. 52 I GKG 2004, wobei der Senat hauptsachebezogen von einem Streitwert in Höhe von 7.500,- EUR ausgeht und diesen wegen der Vorläufigkeit der vorliegenden Entscheidung halbiert.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück