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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 21.12.2005
Aktenzeichen: 2 W 28/05
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 11 I 1
AufenthG § 11 I 3
AufenthG § 53 Nr. 2
AufenthG § 56 I 2
AufenthG § 56 I 3
AufenthG § 56 I 4
VwGO § 146 IV 6
Einzelfall, in dem die Ausweisung eines marokkanischen Staatsangehörigen angesichts seiner familiären Situation unter Verhältnismäßigkeitsaspekten nicht zu beanstanden ist, obwohl sie nicht mit einer Entscheidung über die Befristung der Ausweisung verbunden wurde.
Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. August 2005 - 12 F 21/05 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und - unter Abänderung der erstinstanzlichen Festsetzung auch - für das erstinstanzliche Verfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30.8.2005 - 12 F 21/05 -, mit dem sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 19.5.2005 gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 15.4.2005 erlassene, für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung und die sofort vollziehbare Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wiederherzustellen bzw. anzuordnen, zurückgewiesen wurde, ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Tatsache, dass er nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 29.7.2005 mit der Erhebung der Anfechtungsklage - 2 K 188/05 - einen weiteren Aussetzungsantrag - 12 F 38/05 - beim Verwaltungsgericht gestellt hat, ist für die Zulässigkeit des vorliegenden Aussetzungsantrags ohne Bedeutung.

Zur Begründung seiner Beschwerde hat der Antragsteller im Wesentlichen ausgeführt, an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestünden ernstliche Zweifel. Er bemühe sich seit seiner Inhaftierung ernsthaft und intensiv um eine Therapie seiner Suchterkrankung, habe bisher aber nur an einer Alkoholiker-Selbsthilfegruppe teilnehmen können. Eine effiziente Therapie sei ihm nicht zugänglich, gleichwohl bemühe er sich seit Jahren darum. Dies allein belege bereits, dass er an sich arbeite und alles zu tun bereit sei, eine von ihm ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit zu bekämpfen. So habe er mit Schreiben seines ihn in Strafvollstreckungsfragen vertretenden Rechtsanwalts vom 14.9.2005 bei der Anstaltsleitung der JVA A-Stadt darum ersucht, ihm die Möglichkeit einer stationären Suchttherapie zu geben. Sein Vollzugsverhalten sei beanstandungslos. Demnach könne keine Rede davon sein, dass durch ihn neue Verfehlungen ernsthaft drohten und von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe. Vielmehr dokumentiere er seine ernsthafte Bereitschaft, sich in Therapie zu begeben, um seine Suchtproblematik anzugehen, dass er gewillt sei, in Zukunft ein straffreies Leben zu führen. Wenn man ihn dagegen keine Therapie durchlaufen lasse, dürfe man ihm andererseits nicht vorhalten, er habe wegen seiner hochgradigen Suchterkrankung eine schlechte Sozialprognose. Nach allem liege ein Ausnahmefall vor, der ein Abweichen von der gesetzlichen Regel im Hinblick auf § 56 I 2-4 AufenthG rechtfertige. Im Übrigen werde die ihm gegenüber ausgesprochene Ausweisung nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht. Zwar habe er den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht, bei dem regelmäßig ein schwerwiegender Grund im Sinne des § 56 I 2 AufenthG anzunehmen sei. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass er zwei Kinder in Deutschland habe, zu denen er entsprechend seiner Möglichkeiten einen intensiven emotionalen Kontakt pflege. Auch bestehe eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit Frau R. Damit sei aber Art. 8 II EMRK tangiert. Seitens des Antragsgegners habe keine ausreichende Interessenabwägung stattgefunden.

Dieses Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung, das nach § 146 IV 6 VwGO den Umfang der Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmt, rechtfertigt keine von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende rechtliche Bewertung seines Aussetzungsbegehrens. Zur Begründung kann daher vorab auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss vollinhaltlich Bezug genommen werden.

Die Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerde rechtfertigen nicht die Annahme einer Ausnahme von der gesetzlichen Regel der §§ 53, 56 I 2-4 AufenthG. Diese Regel des Vorliegens eines schwer wiegenden Grundes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die spezial- und generalpräventiven Zwecke der zwingenden Ausweisung oder der bestimmten regelhaften Ausweisungsgründe nicht in dem erforderlichen Ausmaß zum Tragen kommen. Entgegen der Meinung des Antragstellers kann vorliegend nicht angenommen werden, dass in spezialpräventiver Hinsicht eine gesteigerte Wiederholungsgefahr nicht (mehr) feststellbar wäre. Es ist anzuerkennen, dass sich der Antragsteller um eine Therapierung seiner Suchterkrankungen, die nach der Sozialanamnese der JVA A-Stadt "mit ausschlaggebend für seine delinquenten Handlungen" waren, seit Beginn seiner Inhaftierung und noch immer bemüht, wobei aber nicht einzuschätzen ist, ob dieses Bemühen möglicherweise weniger auf seinem Wunsch nach einem straffreien, rechtschaffenen Lebenswandel als vielmehr auf der Einsicht beruht, dass ohne eine Therapie für ihn als Wiederholungstäter und angesichts der Schwere der zuletzt abgeurteilten Straftaten keine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft in Betracht kommt. Er hat sich in der JVA bisher auch beanstandungsfrei verhalten und nicht nur "grundsätzlich Interesse an jeder Form von Arbeit innerhalb des Vollzugs" geäußert, sondern ist zwischenzeitlich wohl auch zum Beispiel als Ausspeiser und Hofreiniger tätig geworden. Auch dies hält sich allerdings aus der Sicht des Senats im Rahmen des - ordnungsgemäßen - Verhaltens, das jemand zeigt, der vorzeitig entlassen werden will. Demgegenüber hat er außer diesem Bemühen um Therapie und seinem Vollzugsverhalten sowie seinen Ankündigungen, nach einer Entlassung für seinen Unterhalt und den seiner Lebensgefährtin sowie seiner beiden Kinder nun - und zwar erstmals in Deutschland - arbeiten zu wollen, nichts aufzuweisen, was gegen eine Wiederholungsgefahr sprechen könnte. Es ist zu sehen, dass alle vorherigen Verurteilungen offensichtlich keine nachhaltige Wirkung erzielt haben. Auch seine Familie hat ihn in der Vergangenheit - trotz dargelegter Zuneigung zu seinen Kindern - nicht von erneuten Straftaten abhalten können. Ob eine Therapie gegen seine Alkoholsucht und seine Spielsucht erfolgreich wäre, ist nicht abzusehen. Soweit er behauptet, er sei mittlerweile suchtfrei, fehlt jegliche bestätigende Aussage Fachkundiger; im Übrigen konnte er seine angebliche, ohne Therapie erreichte Suchtfreiheit bisher noch nicht außerhalb der JVA erproben.

Abgesehen davon, dass eine Ausnahme von der Regel-Ausweisung in spezialpräventiver Hinsicht somit nicht wegen nicht mehr feststellbarer Wiederholungsgefahr angenommen werden kann, hat der Antragsteller seine Ausweisung, soweit sie auch auf generalpräventive Gründe gestützt ist, in seiner Beschwerde nicht angegriffen.

Entgegen der Meinung des Antragstellers ist die Ausweisung auch mit seinem Recht auf Achtung seines Familienlebens nach Art. 8 EMRK vereinbar. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR -muss eine Ausweisung nach Art. 8 II EMRK gesetzlich vorgesehen sein, eines oder mehrere der in dieser Bestimmung aufgezählten, legitimen Ziele verfolgen und notwendig in einer demokratischen Gesellschaft, d.h. verhältnismäßig sein. Dies ist vorliegend der Fall. Die Ausweisung des Antragstellers, der

- wegen fortgesetzten gemeinschaftlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in Tateinheit mit fortgesetztem gemeinschaftlichem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen mit Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 29.7.1991 zu 18 Monaten Freiheitsstrafe - ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung- ,

- wegen fortdauernden unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen vom Amtsgericht A-Stadt mit Urteil vom 7.12.1995 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten

- wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vom Landgericht A-Stadt mit Urteil vom 11.6.2002 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, dient der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung und der Verhütung von Straftaten und verfolgt mithin legitime Ziele. Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Familienleben des Antragstellers, den die Ausweisung darstellt, kommt es nach der Rechtsprechung des EGMR auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Die allein vorgetragene Tatsache, dass der Antragsteller zwei Kinder hat, zu denen er seiner Aussage nach entsprechend seiner Möglichkeiten einen intensiven emotionalen Kontakt pflegt und um die er sich danach immer gekümmert hat, und vor seiner Inhaftierung eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit Frau R führte, genügt vorliegend angesichts der durch die verwirklichten Straftaten offenbarten Gefährlichkeit des Antragstellers nicht, die Ausweisungsverfügung, die zwischenzeitlich in der Fassung des Widerspruchsbescheids vorliegt, als unverhältnismäßig erscheinen zu lassen. Dies gilt auch bei Berücksichtigung seiner gesamten Familiensituation.

Der Antragsteller reiste im Alter von rund 29 Jahren in die Bundesrepublik ein und betrieb erfolglos ein Asylverfahren. Seine 1993 mit einer Deutschen geschlossene Ehe, mit der er eine 1992 geborene Tochter hat, wurde 1998 geschieden. Der Antragsteller besitzt zusammen mit der geschiedenen Ehefrau das gemeinsame Sorgerecht für die Tochter mit Ausnahme des Rechts der erforderlichen Heilbehandlung, das der Mutter übertragen wurde, bei der sie lebt. Die Tochter besuchte ihn in den vergangenen Jahren seiner Inhaftierung drei- bis viermal jährlich in der JVA. Aus einer eheähnlichen Gemeinschaft mit einer marokkanischen Staatsangehörigen, die am 5.7.2002 die deutsche Staatsangehörigkeit erhielt, ging das Kind Jassin hervor, das am 30.6.2001 geboren wurde. Dieses Kind, das erst rund zwei Monate alt war, als der Antragsteller inhaftiert wurde, besucht ihn mit seiner Mutter regelmäßig - wohl zwei- bis dreimal pro Monat - in der JVA. Unterhalt hat der Antragsteller seinen Kindern nie gezahlt, will ihnen aber ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung Kleidung gekauft und Geld gegeben haben. Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass er während seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nie einer Arbeit nachgegangen ist, aber in den letzten Jahren vor seiner letzten Verhaftung in Spielhallen monatlich zwischen 500,- DM und 2.000,- DM, drei- bis viermal sogar in einer Woche 1.000,- bis 2.000,- DM verspielt hat, Geld, das aus der bezogenen Sozialhilfe, dem Verdienst der Lebensgefährtin, aus Autoverkäufen sowie aus den begangenen Straftaten gestammt habe. Die letzten eineinhalb Jahre vor der Inhaftierung war ihm die Sozialhilfe gestrichen worden, weil er sich geweigert hatte, die verlangte Sozialarbeit abzuleisten.

Bei Abwägung einerseits der familiären Situation des Antragstellers und andererseits der Schwere seiner Straftaten und der insoweit bestehenden erheblichen Wiederholungsgefahr gebührt dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Verhütung weiterer durch den Antragsteller drohender schwerwiegender Straftaten gegenüber dem Interesse des Antragstellers an Fortsetzung seines Familienlebens in Deutschland eindeutig der Vorrang.

Die Ausweisung ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Antragsgegner seine Ausweisungsverfügung nicht mit einer Entscheidung über die Befristung der Ausweisung gemäß § 11 I 1, 3 AufenthG - verbunden hat. Die besondere Familiensituation - insbesondere die Tatsache, dass der Antragsteller bisher noch nicht über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügte - ist nicht in einer Weise geprägt, dass über die Wirkungen der Ausweisung schon in der Ausweisungsverfügung hätte entschieden werden müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 II VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht für das Beschwerdeverfahren auf den §§ 63 II, 47, 53 III, 52 I, II GKG 2004 und trägt dem Umstand Rechnung, dass eine Aussetzung sowohl bezüglich der Ausweisungsverfügung als auch bezüglich der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis begehrt wurde.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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