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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 11.05.2006
Aktenzeichen: 3 Q 11/06
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Die Frage, ob ein bestimmtes Verfolgungsgeschehen eine Rückkehr in das Heimatland unzumutbar macht und einem Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter entgegensteht (hier Tötung eines Sohnes beziehungsweise Bruders durch serbische Polizisten im Kosovo), kann nicht "abstrakt" für eine Vielzahl von Fällen vorab, sondern nur im Einzelfall beurteilt werden. Es handelt sich daher nicht um eine grundsätzlich klärungsfähige Frage im Verständnis von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG.
Tenor:

Die Anträge auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 11 K 102/05.A - werden zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe:

Den Anträgen der im Rechtsstreit verbliebenen Kläger, serbisch-montenegrinische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo, auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 30.6.2005, mit dem das Verwaltungsgericht ihre Klagen gegen die unter anderem ihre Anerkennung als Asylberechtigte widerrufenden Bescheide der Beklagten vom 23.7.2003 abgewiesen hat, kann nicht entsprochen werden.

Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - soweit hier wesentlich - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG verneint und unter anderem ausgeführt, es sei von den insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägern zu 1. bis 8. nichts dafür substantiiert vorgetragen, dass sie mit Blick auf den im Jahre 1990 im Kosovo von serbischen Polizisten erschossenen Sohn (beziehungsweise Bruder) heute bei einer Rückkehr in eine für sie nicht mehr beherrschbare psychische Sondersituation gerieten; allein der Hinweis auf die der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6.11.1998 - 3 R 132/96 - zugrunde liegende Sachlage reiche hierfür nicht aus.

Mit ihren Anträgen auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil machen die Kläger der Sache nach den Zulassungstatbestand des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG geltend und bezeichnen in ihrer Antragsbegründung, die den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung in dem vorliegenden Verfahren begrenzt, als grundsätzlich bedeutsam die Frage, ob es den Eltern und Geschwistern eines aufgrund politischer Verfolgung ermordeten Kindes zumutbar im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG sei, in einen Staat zurückzukehren, in dem ein solches Verfolgungsschicksal erlitten worden sei. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf den dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes in dem Verfahren 3 R 132/96 zugrundegelegten Sachverhalt und führen aus, es habe sich um einen Schicksalsschlag erheblicher Intensität mit lebenslangen Nachwirkungen gehandelt.

Dieses Vorbringen rechtfertigt indes nicht die erstrebte Rechtsmittelzulassung auf der Grundlage von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Zweifelhaft ist bereits, ob den Anforderungen an die Darlegungen einer Grundsatzfrage vorliegend Genüge getan ist, da den Ausführungen in der Begründung des Zulassungsantrages nichts zu einer über den konkreten Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der aufgeworfenen Frage zu entnehmen ist vgl. zum Beispiel Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, § 78 Rdnr. 603, wonach es der schlüssigen Darlegung der fallübergreifenden Bedeutung der aufgeworfenen Frage bedarf; außerdem Renner, AuslR 8. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 15, Bader u.a., VwGO, 3. Auflage 2005, § 124 a VwGO Rdnr. 84 zur Darlegungspflicht bei einem auf grundsätzliche Bedeutung gestützten Berufungszulassungsantrag nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Allgemeinverfahren.

Das bedarf indes hier keiner abschließenden Beurteilung, denn für eine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der von den Klägern aufgeworfenen Frage ist vorliegend jedenfalls deshalb kein Raum, weil es sich hierbei nicht um eine über den konkreten Einzelfall hinausweisenden, im Interesse der Rechtseinheit oder Fortentwicklung des Rechts allgemein klärungsfähige Frage grundsätzlicher Art im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG handelt.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist vom Widerruf der Flüchtlingsanerkennung trotz Fortfalls der Anerkennungsvoraussetzungen (Satz 1) abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf der früheren Verfolgung beruhende Gründe berufen kann, die ihm eine Rückkehr in die Heimat unzumutbar machen. Diese Regelung ist Ausdruck eines weitreichenden humanitären Grundsatzes und trägt der Sondersituation Rechnung, in der sich ein Verfolgter befindet, der eine besonders schwere, nachhaltig wirkende Verfolgung erlitten hat, und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse nicht zuzumuten ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren vgl. Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 73 Rdnr. 127 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 - zitiert nach Juris

Werden - wie hier - zwingende Gründe aus traumatisierenden Erlebnissen, die zur Flucht geführt haben, hergeleitet, so liegt der Schwerpunkt der Beurteilung auf der psychischen Situation des Flüchtlings. Die Entscheidung kann dabei je nach dessen besonderer individueller Situation unterschiedlich ausfallen Marx, a.a.O., § 73 Rdnr. 130, 132, sowie Rdnr. 134 zum Kausalitätserfordernis; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21/04 - zitiert nach Juris.

Sind danach das individuelle Verfolgungsschicksal und dessen konkrete Auswirkungen auf den psychischen Zustand des Flüchtlings ausschlaggebend, so kann die Frage, ob ein bestimmtes Verfolgungsgeschehen eine Rückkehr unzumutbar macht, nicht "abstrakt" für eine Vielzahl von Fällen vorab beantwortet werden. Das zeigt nicht zuletzt der vorliegende Sachverhalt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Eltern und Kinder eine Traumatisierung wegen eines von serbischer Polizei getöteten Kindes beziehungsweise Bruders geltend machen. Die Auswirkungen dieser Tat auf den psychischen Zustand der Kläger können sich bei den Eltern und den älteren Geschwistern durchaus anders darstellen als bei denjenigen Kindern, die wie die Kläger zu 2., 5. und 3., geboren in den Jahren 1987 bis 1990, im Zeitpunkt des Vorfalls im Jahre 1990 noch sehr klein oder wie der Kläger zu 4. überhaupt noch nicht geboren waren.

Ob der hier gegebene Einzelfall vom Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend beurteilt worden ist, hat Bedeutung nur für diesen, was nach der Gesetzeslage die Zulassung der Berufung in Asylstreitigkeiten nicht rechtfertigen kann. Die Rechtsmittelbeschränkung in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz (§ 78 AsylVfG) verdeutlicht vielmehr, dass - anders als in Allgemeinverfahren (vgl. insoweit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - nicht jedem beim Verwaltungsgericht unterlegenen Asylbewerber allein unter Geltendmachung der angeblichen "Unrichtigkeit" der erstinstanzlichen Entscheidung die Berufungsmöglichkeit eröffnet werden und dass damit gerichtlicher Rechtsschutz in diesem Bereich grundsätzlich auf eine Instanz beschränkt bleiben soll.

Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG, 100 Abs. 1 ZPO.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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