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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 19.12.2006
Aktenzeichen: 1 L 319/04
Rechtsgebiete: AsylVfG, EMRK, EUR2004/83/EG, GFK, VwVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 28 Abs. 2
AsylVfG § 60 Abs. 1
AsylVfG § 60 Abs. 2
AsylVfG § 60 Abs. 5
AsylVfG § 60 Abs. 6
AsylVfG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylVfG § 77 Abs. 1 S. 1
EMRK Art. 3
EUR2004/83/EG Art. 5 Abs. 3
GFK Art. 33
VwVfG § 51
1. § 28 Abs. 2 AsylVfG ist im Berufungsverfahren auch dann anwendbar, wenn die geltend gemachten Nachfluchtgründe bereits vor dem In-Kraft-Treten dieser Regelung entstanden sind. Hierdurch werden verfassungsrechtliche Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht verletzt.

2. § 28 Abs. 2 AsylVfG steht mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang und entspricht der sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG.

3. Gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG soll die Gewährung von Abschiebungsschutz in der Regel entfallen, wenn nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vom Betroffenen aus eigenem Entschluss geschaffene Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht - der Regel entsprechend - asylrechtlich unbeachtlich bleiben müssen.

4. Von der "Regel" des § 28 Abs. 2 AsylVfG ist nicht bereits dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Ausländer schon im Erstverfahren oder dem letzten vorangegangenen Asylfolgeverfahren exilpolitisch aktiv gewesen ist und dieses Verfahren lediglich deshalb erfolglos geblieben ist, weil seine damals gezeigte exilpolitische Betätigung ein niedrigeres Profil auswies und er nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens diese Betätigung fortgesetzt und mit der Folge gesteigert hat, dass nunmehr eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr politischer Verfolgung besteht.

5. § 60 Abs. 6 AufenthG ist für eine auf politischen Gründen beruhende Bestrafung nicht anwendbar.

6. Wegen exilpolitischer Aktivitäten besteht bei einer Rückkehr nach Vietnam begründeter Anlass für die Befürchtung, verfolgt zu werden, nur wenn die exilpolitischen Aktivitäten besonders hervorgetreten sind, ihre Wirkung im Wesentlichen nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist und sie von Seiten vietnamesischer Behörden als Ausdruck ernstzunehmender, nicht bloß asyltaktisch motivierter Opposition gewertet werden kann.

7. Einzelfall der Annahme einer Verfolgungsgefahr bei einem Vietnamesen, dessen exilpolitische Tätigkeiten mehrfach massiv in einem Zentralorgan des Polizei- und Sicherheitsapparates angeprangert wurden.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 1 L 319/04

Datum: 19.12.2006

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wege eines weiteren Folgeantrags die Gewährung von Abschiebungsschutz.

Der am (...) geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Eigenen Angaben zufolge reiste er im (...) 1995 in die E. ein. Am (...) stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung beim damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge trug er vor, Vietnam verlassen zu haben, weil das Leben dort sehr schwer sei und es keine Menschenrechte gebe. Er habe keine Schwierigkeiten mit den vietnamesischen Behörden gehabt und sich nicht politisch betätigt. Mit Bescheid vom 31.08.1995 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag und die Feststellung von Abschiebungshindernissen ab. Die dagegen gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 30.01.1996 - 5 A 448/95 MD - abgewiesen. Einen Asylfolgeantrag vom 10.07.1998, den der Kläger auf exilpolitische Aktivitäten stützte, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 18.08.1998 ab. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 10.05.1999 - A 7 K 485/98 - abgewiesen. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte der Senat mit Beschluss vom 06.10.1999 - A 1 S 166/99 - ab.

Am 27.04.2004 stellte der Kläger einen weiteren Asylfolgeantrag. Der Kläger legte einen Artikel aus der Zeitung "(...)" ("Volkspolizei") vom 22.05.2003 vor, in dem die politischen Aktivitäten des Klägers kritisiert wurden. In dem Artikel heißt es unter anderem:

"Allerdings gibt es auch gewisse Fälle von vietnamesischen Emigranten, die des Tadels und der Bestrafungen würdig sind. Diese Gewissenlosen hassen die Nation immer und verleugnen die Pflichten als Bürger; sie folgen dem genussvollen verdorbenen Leben wie ..., C. und ... ."

Der Kläger gab an, diesen Artikel Mitte April 2004 von einem Freund erhalten zu haben. Außerdem habe er an Kundgebungen und Demonstrationen gegen die vietnamesische Regierung teilgenommen. Bei einer der Veranstaltungen sei er fotografiert und gefilmt worden. Ein Mann habe ihn angesprochen und aufgefordert, seine Aktivitäten gegen die Regierung einzustellen.

Mit Bescheid vom 07.06.2004 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auch diesen Asylfolgeantrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Teilnahme an Kundgebungen und Demonstrationen begründet keine andere Einschätzung der Verfolgungsgefahren als in dem vorangegangenen Folgeantragsverfahren. Das gelte auch für das Vorbringen hinsichtlich des Artikels in der Zeitschrift "(...)". Es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Artikel um ein lanciertes Gefälligkeitsschreiben oder eine Fälschung handele.

Am 14.06.2004 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Er hat beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 07.06.2004 aufzuheben.

die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG in der Person des Klägers bezüglich Vietnams vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Mit Urteil vom 16.08.2004 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Behauptung des Klägers, er sei anlässlich einer Demonstration von einer vietnamesischen Sicherheitskraft angesprochen und bedroht worden, sei unglaubhaft und verspätet vorgetragen, so dass sie ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht rechtfertige. Der weitere Vortrag des Klägers stelle die bloße Fortsetzung exilpolitischer Aktivitäten dar, die vom Gericht in dem vorangegangenen Asylfolgeverfahren bereits zutreffend gewürdigt worden seien.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Er habe die Angaben zu der Demonstration unmittelbar nach der Stellung des Asylfolgeantrags und damit nicht verspätet vorgetragen. Der Zeitungsartikel und die Geschehnisse während der Demonstration belegten, dass seine exilpolitischen Aktivitäten in Vietnam bekannt seien und er deshalb im Falle seiner Rückkehr mit einer erheblichen Bestrafung zu rechnen habe. Es sei nicht möglich, gegen Zahlung eines Geldbetrags die Veröffentlichung von Artikeln in der Zeitung "(...)" zu bewerkstelligen, denn bei dieser Zeitung handele es sich um ein Organ des Sicherheitsministeriums. Im Übrigen habe er sich weiter mit Flugblattaktionen sowie der Organisation von Demonstrationen und Seminaren exilpolitisch betätigt. Die Demonstrationen seien von vietnamesischen Sicherheitsbeamten beobachtet und fotografiert worden. Anlässlich eines Kongresses habe er für den Radiosender "Freies Vietnam" aus den USA ein Interview abgegeben, das nach Vietnam ausgestrahlt und im Internet veröffentlicht worden sei.

Ferner hat er drei weitere Artikel der Zeitschrift "(...)" aus dem Internet vorgelegt, in denen jeweils sein Name und sein Bild veröffentlicht sind. In den Artikeln heißt es unter anderem:

"In neuester Zeit paktiert Binh mit gewissen Emigranten, um die Reformpolitik der Partei und des Staats Vietnam zu verdrehen. Binh spiele eine Zwischenrolle bei der Übermittlung von gegen den vietnamesischen Staat gerichteten Dokumenten, die beschlagnahmt wurden. ... Er bewies, dass er zu einem der Führer in Deutschland gehört, die sich gegen das vietnamesische Volk verhalten. Wir rufen Sicherheits- und Justizbehörden eindringlich auf, Maßnahmen gegen die feindlichen Handlungen von Binh und Gleichgesinnten rechtzeitig zu ergreifen." (Artikel vom 29.04.2005)

"In letzter Zeit verhält sich C. Than Binh heftig und aktiv beim Vorgehen gegen das System, was den Rechten des Volkes schadet. Binh machte Äußerungen in einem Interview des Senders 'Freies Vietnam' und rief dabei Jugendliche und Studenten wie Bürger im Inland zum Aufstand zwecks Umstürzen der Volksregierung auf. ... Viele Vietnamesen in der E. wollen den zuständigen Behörden vorschlagen, C. Than Binh schnell vor Gericht zu stellen, um die abscheulichen Absichten von ihm und dessen Gleichgesinnten zu entlarven ..." (Artikel vom 22.09.2005)

"Binh schickt viele Dokumente mit feindlichem Inhalt, der den Sozialismus sowie die Situation Vietnams verdreht, in die Heimat. ... Diese Machenschaften von Binh wurden von Sicherheitsorganen unseres Staates entdeckt." (Artikel vom 11.09.2006).

Schließlich, so der Kläger weiter, sei er bei einem von der Ausländerbehörde initiierten Treffen mit Vertretern des vietnamesischen Staates am 17.10.2006 von einem Angehörigen des vietnamesischen Polizeiministeriums bedroht worden. Man habe ihm vorgehalten, in Deutschland Straftaten begangen zu haben.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 7. Kammer - vom 16.08.2004 im Falle des Klägers die Voraussetzungen der §§ 51, 53 AuslG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie wegen der der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnismittel auf die Erkenntnismittelliste des Senats "Herkunftsland Vietnam - Stand: 16.10.2006", die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der vom Kläger gestellte Antrag, "die Voraussetzungen der §§ 51, 53 AuslG festzustellen" ist - nach In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes - so auszulegen (§§ 88 VwGO), dass der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AuslG, hilfsweise des § 60 Abs. 2 bis 7 AuslG vorliegen. § 60 ist mit Wirkung vom 01.01.2005 an die Stelle der bisherigen Regelungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG getreten. Diese Rechtsänderung hat das Berufungsgericht mangels Übergangsregelungen (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) zu beachten (BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29/03 -, BVerwGE 122, 376).

Die mit dem dergestalt auszulegenden Klagebegehren zulässige Berufung hat teilweise Erfolg; der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Im Übrigen ist die Berufung jedoch unbegründet; der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 5 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG - nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG - im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Nach dieser Bestimmung darf in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Ein Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist bereits dem Grunde nach ausgeschlossen, weil es sich bei den Umständen, auf die der Kläger seinen Folgeantrag stützt, um Nachfluchtgründe handelt, auf die er sich gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht berufen kann. Nach dieser Vorschrift kann die Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, in der Regel nicht mehr getroffen werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und sein Vorbringen auf Umstände i. S. des Abs. § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrages entstanden sind und im Übrigen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen.

Diese erst im Laufe des Berufungsverfahrens nach Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgestezes zum 01.01.2005 in Kraft getretene Regelung ist im Berufungsverfahren anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob die geltend gemachten Nachfluchtgründe bereits vor oder nach dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes entstanden sind (ebenso: OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 05.01.2006 - 6 A 10761/05 -, AuAS 2006, 102; OVG Bremen, Beschluss vom 20.07.2006 - 2 A 215/05.A -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 16.06.2006 - 9 LB 104/06 -, juris; OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 12.07.2005 - 8 A 780/04.A -). Denn gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist in asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Das Asylverfahrensgesetz enthält keine Übergangsregelung, die etwas hiervon Abweichendes bestimmt.

Verfassungsrechtliche Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes werden hierdurch nicht verletzt. Die Regelungen stehen in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben, die nach der Rechtsprechung für die Rückwirkung und die tatbestandliche Rückanknüpfung von Rechtsnormen maßgeblich sind. Bei der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG für Sachverhalte, die bereits vor In-Kraft-Treten der Regelung "ins Werk gesetzt" sind, handelt es sich nicht um eine echte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn die Regelung greift nicht nachträglich ändernd in einen abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden Tatbestand ein (vgl. dazu: BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 - 1 BvF 1/94 -, BverfGE 101, 239). Ihr zeitlicher Anwendungsbereich liegt nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Vielmehr wird in der vorliegenden Fallkonstellation der Eintritt der Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2 AsylVfG von Gegebenheiten aus der Zeit vor seiner Verkündung abhängig macht, so dass ein Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung bzw. "unechter Rückwirkung" vorliegt (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133). Diese ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignet oder erforderlich ist und nicht die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG, Urteil vom 23.11.1999, a. a. O.). Unter diesen Voraussetzungen unterliegt die Geltung des § 28 Abs. 2 AsylVfG auch für Umstände, die bereits vor der Verkündung der Regelung entstanden sind, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die gesetzliche Regelung ist zur Erreichung der Zielsetzung des Gesetzgebers, "den bislang bestehenden Anreiz zu nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenen Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen" und "die hohe Zahl der beim Bundesamt anhängigen Folgeverfahren langfristig" zu "reduzieren" (BT-Drucks. 15/420, S. 109 f.), geeignet und erforderlich. Denn die Zielsetzungen des Gesetzgebers werden in ihrer Wirkung gesteigert, wenn sich die Regelung auch auf bereits vor der Verkündung des Zuwanderungsgesetzes entstandene Umstände erstreckt (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 05.01.2006, a. a. O.; OVG Bremen, Beschluss vom 20.07.2006, a. a. O.). Demgegenüber ist ein überwiegendes Interesse der Betroffenen am Bestand der bisherigen Regelung nicht festzustellen. Die betroffenen Ausländer werden durch das Eingreifen des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht schutzlos gestellt. Denn der erforderliche Schutz ist - insbesondere bei Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit - jedenfalls durch das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährleistet.

Die Neuregelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG steht ebenso mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang. Die Genfer Flüchtlingskonvention schreibt den Mitgliedsstaaten nicht die Zuerkennung des uneingeschränkten Flüchtlingsstatus, sondern nur die Beachtung des Refoulement-Verbots des Art. 33 GFK vor (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 28 Rdnr. 48.1), dem durch den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG Rechnung getragen wird (OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 05.01.2006, a. a. O.). § 28 Abs. 2 AsylVfG entspricht auch der sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG. Denn gemäß Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat (vgl. dazu Nds. OVG, Urteil vom 16.06.2006, a. a. O.).

Die Regelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG greift im vorliegenden Fall ein. Die Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AsylVfG kann nicht auf die in dem Asylfolgeverfahren vom Kläger geltend gemachten Umstände gestützt werden. § 28 Abs. 2 AsylVfG nimmt Bezug auf Abs. 1 dieser Vorschrift, mit der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Asylerheblichkeit von Nachfluchtgründen aufgegriffen wurde. Danach setzt das Asylgrundrecht (Art. 16a GG) grundsätzlich eine Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Bei subjektiven Nachfluchtgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatlandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, kann eine Asylanerkennung nur dann in Betracht kommen, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen (BVerfG, Beschluss vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51). An dieses Regel-Ausnahmeverhältnis knüpft auch § 28 Abs. 2 AsylVfG an und übernimmt die im Rahmen des § 28 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Abgrenzungskriterien für die Fälle, in denen in einem Folgeverfahren über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu entscheiden ist. Gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG soll die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG in der Regel entfallen, wenn nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vom Betroffenen aus eigenem Entschluss geschaffene Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht - der Regel entsprechend - asylrechtlich unbeachtlich bleiben müssen. Eine Ausnahme gilt, wenn der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht (OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 12.07.2005 - 8 A 780/04.A -; diesem folgend: OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 05.01.2006 - 6 A 10761/05 -, AuAS 2006, 102; OVG Bremen, Beschluss vom 20.07.2006 - 2 A 215/05.A -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -, juris), oder ein Fall des § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, vorliegt.

Von der "Regel" des § 28 Abs. 2 AsylVfG ist nicht bereits dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Ausländer schon im Erstverfahren oder dem letzten vorangegangenen Asylfolgeverfahren exilpolitisch aktiv gewesen ist und dieses Verfahren lediglich deshalb erfolglos geblieben ist, weil seine damals gezeigte exilpolitische Betätigung lediglich ein niedrigeres Profil aufwies und er nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens diese Betätigung fortgesetzt und mit der Folge gesteigert hat, dass nunmehr eine beachtliche wahrscheinliche Gefahr politischer Verfolgung besteht (so aber VG Göttingen, Urteil vom 02.03.2005 - 4 A 38/03 -; VG Magdeburg, Urteil vom 11.06.2005 - 9 A 272/04 MD -; VG Mainz, Urteil vom 05.10.2005 - 7 K 282/05.MZ -, juris). Wie oben ausgeführt, wollte der Gesetzgeber den Anreiz nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen. In der Gesetzesbegründung wurde gerade die "herausgehobene exilpolitische Tätigkeit in der E." als Beispiel eines selbstgeschaffenen Nachfluchtsgrundes angesprochen (BT-Drucks. 15/420, S. 110). Die quantitative oder qualitative Steigerung einer erst nach der Einreise begonnenen exilpolitischer Aktivität ist keineswegs ein atypischer Sonderfall. Gerade in diesen Fällen entspricht es der Zielsetzung des Gesetzes, den Anreiz zu nehmen, exilpolitische Aktivitäten, die bislang (noch) nicht zur Flüchtlingsanerkennung ausgereicht haben, allein mit dem Ziel der Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu steigern.

Bei den vom Kläger im vorliegenden Asylfolgeverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten handelt es sich um subjektive Nachfluchtgründe, die keine bereits in Vietnam erkennbar betätigte Überzeugung fortsetzen. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ausdrücklich angegeben, sich nicht in Vietnam politisch betätigt zu haben. Für eine "erkennbar betätigte Überzeugung" reicht es nicht aus, dass der Kläger - wie er bei seiner Anhörung angedeutet hat - bereits vor seiner Ausreise eine ablehnende (innere) Haltung zur politischen Führung hatte. Auch wenn sich der Kläger nach seinen Angaben bei der Anhörung "noch zu jung" für politische Betätigung gehalten hat, war er vor seiner Ausreise in einem Alter von über 30 Jahren keineswegs aufgrund seines Alters oder Entwicklungsstandes gehindert, eine feste politische Überzeugung zu bilden. Gegenteiliges legt der Kläger jedenfalls nicht substantiiert dar. Auch soweit der Kläger seinen Asylfolgeantrag auf in der Zeitschrift "(...)" veröffentlichte Artikel stützt, bezieht sich der Vortrag auf subjektive Nachfluchtgründe, die nach "nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden" sind. Denn die vom Kläger genannten Artikel stammen aus der Zeit nach den vorangegangenen - abgeschlossenen - Asylverfahren und greifen - im jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung - aktuelle exilpolitische Aktivitäten des Klägers auf. Dies ergibt sich aus den Formulierungen "in neuester Zeit" und "in letzter Zeit" sowie aus der Bezugnahme auf bestimmte Handlungen des Klägers, wie etwa die Veranstaltung von Seminaren, die Übersendung von Dokumenten in sein Herkunftsland und ein Rundfunkinterview.

Die Klage hat jedoch mit ihrem Hilfsantrag Erfolg. Allerdings liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor.

Es besteht insbesondere keine konkrete Gefahr für den Kläger, der Folter unterworfen zu werden (§ 60 Abs. 2 AufenthG). Nach Art. 71 der vietnamesischen Verfassung ist Folter verboten. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes gibt es zwar zahlreiche Berichte über vereinzelte Übergriffe von Sicherheitsorganen bei der Festnahme, in der Untersuchungshaft und während der Vernehmung. Jedoch liegen über eine systematische oder weit verbreitete Anwendung von Folter keine Informationen vor (Lagebericht vom 31.03.2006).

Auch das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG greift nicht ein. Insbesondere ist eine Abschiebung nicht im Hinblick auf Art. 3 EMRK ausgeschlossen, nach dem niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Es liegen keine konkreten und ernsthaften Gründe (vgl. dazu Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG, Rdnr. 112, m. w. N.) für die Annahme einer solchen Behandlung oder Strafe vor. Eine Bestrafung oder Behandlung kann nur dann mit den Begriffen "unmenschlich" oder "erniedrigend" verbunden werden, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in rechtmäßigen Bestrafungsmethoden enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungsmoment hinausgehen (EGMR, Urteil vom 07.07.1989 - Nr. 1/9189/161/217 -, NJW 1990, 2183). Im Falle einer Inhaftierung wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten wäre der Kläger den in Vietnam bestehenden Haftbedingungen ausgesetzt. Aus den Erkenntnismitteln (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.06.2006), die auf den geringen Standard, aber auch auf die Unterschiede zwischen Hanoi und den Gefängnissen außerhalb hinweisen, ergibt sich jedoch nicht, dass diese Bedingungen generell - etwa durch besonders harte Haftbedingungen wie Isolierung, mangelnde Ernährung oder Vorenthaltung medizinischer Betreuung - als unmenschlich oder erniedrigend i. S. des Art. 3 EMRK anzusehen sind. Im Übrigen ist eine politisch motivierte Haft nicht ohne weiteres als unmenschlich i. S. des Art. 3 EMRK verstehen. Der Schutz nach Art. 3 EMRK setzt - anders als nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder Art. 16a GG - eine besonders schwere politische Verfolgung, etwa durch besonders lange und schwere Freiheitsstrafen voraus (vgl. Treiber, in: GK-AuslR, § 53 Rdnr. 210). Hierfür bestehen im Fall des Klägers keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Vietnam vorliegt.

Diese Feststellung ist nicht bereits aufgrund der Regelung des § 60 Abs. 6 AufenthG ausgeschlossen, nach der unter anderem die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung der Abschiebung nicht entgegensteht. Unabhängig davon, ob eine Bestrafung nach den - hier in Betracht kommenden - Art. 79 und 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs als "gesetzmäßig" i. S. des § 60 Abs. 6 AufenthG angesehen werden kann, ist diese Regelung für eine auf politischen Gründen beruhende Bestrafung nicht anwendbar (ebenso: Treiber, in: GK-AuslR, a. a. O., Rdnr. 225). Dies stände mit Art. 33 GFK und dem grundsätzlichen Verbot der Abschiebung bei politischer Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht in Einklang. Sofern die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausscheidet, etwa weil in einem Asylfolgeverfahren gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen oder - wie hier - das Vorbringen nach § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen ist, würde eine der Zielsetzung des § 60 AufenthG widersprechende Lücke im Schutz vor politischer Verfolgung entstehen, wenn durch die Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG bei politischer Verfolgung jeglicher Abschiebungsschutz versagt werden müsste.

Ist mithin - wie hier - bereits unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG bzw. des an die Stelle dieser Regelung getretenen Vorschrift des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, so ist in einem Folgeverfahren zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind. Ist dies der Fall, so ist das Verfahren wiederaufzugreifen und eine neue Entscheidung in der Sache zu treffen. Das Verwaltungsgericht darf die Sache nicht zur Entscheidung an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge "zurückverweisen", sondern muss auch hierüber selbst entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 - BverwGE 106, 171; OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 26.02.2002 - 8 A 2664/00.A -, AuAS 2002, 142). Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen dagegen nicht vor, so hat die Behörde gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen und widerrufen wird (BVerwG, Urteil vom 21.03.2000 - 9 C 41.99 -, BverwGE 111, 77). Dabei ist das Ermessen zugunsten des Ausländers regelmäßig auf Null reduziert, wenn er im Zielstaat der drohenden Abschiebung einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 20.10.2004 - 1 C 15.03 -, BverwGE 122, 103).

Hiervon ausgehend hat der Kläger einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gemäß § 51 VwVfG. Nach Abschluss des vorangegangenen Asylfolgeverfahrens, in dem ein Anspruch des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG bestandskräftig abgelehnt worden ist, hat sich die Sachlage nachträglich zugunsten des Klägers geändert. Aufgrund der vom Kläger vorgelegten Artikel aus der Zeitung "(...)" ist davon auszugehen, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Vietnam einer konkreten Gefahr i. S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für das Rechtsgut "Freiheit" ausgesetzt ist.

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG sind hinsichtlich der im Hinblick auf die Zeitungsartikel geltend gemachten Verfolgungsgefahren erfüllt. Die Zeitungsartikel sind erst nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens erschienen. Der Kläger hat zudem glaubhaft erklärt, dass der den am 22.05.2003 veröffentlichen Zeitungsartikel erst im April 2004 erhalten hat. Unmittelbar danach hat er den Asylfolgeantrag gestellt und den Artikel dem damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vorgelegt. Die drei weiteren Artikel hat der Kläger im Berufungsverfahren jeweils innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach deren Erscheinen vorgelegt.

Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sind auch in der Sache erfüllt. Unter Einbeziehung der vorgelegten Artikel in der Zeitung "(...)" hat der Kläger einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (OVG LSA, Urteil vom 22.02.2001 - 1 L 192/00 - und vom 02.08.2001 - 1 L 32/01 -) besteht allerdings begründeter Anlass für die Befürchtung, verfolgt zu werden nur, wenn die exilpolitischen Aktivitäten besonders hervorgetreten sind, ihre Wirkung im Wesentlichen nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist und sie von Seiten vietnamesischer Behörden als Ausdruck ernstzunehmender, nicht bloß asyltaktisch motivierter Opposition gewertet werden. Der Betroffene muss aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung oder durch seine exilpolitischen Aktivitäten in Vietnam einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben, so dass sein Wirken im Ausland geeignet ist, eine aus Sicht der Sicherheitsbehörden unerwünschte Vorbildwirkung zu erzeugen und damit Sympathie für Bemühungen zu wecken, den Alleinherrschaftsanspruch der KPV in Frage zu stellen (ähnlich: Nds. OVG, Urteil vom 16.06.2006 - 9 LB 104/96 -, juris; Hess. VGH, Urteil vom 03.09.2003 - 11 UE 1011/01.A, juris; BayVGH, Beschluss vom 14.12.2005 - 8 ZB 05.31098 -, juris; Thür. OVG, Urteil vom 06.03.2002 - 3 KO 428/99 -, NVwZ 2003, Beil. Nr. I 3, 19).

Auch unter Einbeziehung der aktuellen Erkenntnismittel hält der Senat an dieser Einschätzung fest. Das vietnamesische Strafgesetzbuch bietet in Art. 79 und 88 zwar weiterhin eine rechtliche Handhabe zur Verfolgung regimekritischer Aktivitäten (vgl. Weggel, Auskunft an das VG Darmstadt vom 20.07.2002). Nach Art. 6 können auch im Ausland begangene Verstöße gegen das vietnamesische Strafrecht in Vietnam strafrechtlich geahndet werden (vgl. Will, Auskunft an das VG Potsdam vom 14.10.2001).

Das Auswärtige Amt geht jedoch davon aus, dass die Ahndung vom Charakter der politischen Betätigung abhängt. Auslandsaktivitäten der vietnamesischen Exilgruppen in den westlichen Staaten würden trotz weiterhin bestehender Kontakte nach Vietnam von der breiten vietnamesischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die unversöhnliche Kritik von Auslandsvietnamesen finde im heutigen Vietnam oftmals keinen Resonanzboden. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes wurden bis zum 31.12.2005 auf der Grundlage des zwischen der E. und Vietnam geschlossenen Rückführungsabkommens 11.773 Personen nach Vietnam zurückgeführt. Weitere 4.115 Personen sind freiwillig ausgereist. Gleichwohl ist kein Fall nachträglich in Vietnam erfolgter Bestrafung für in Deutschland begangene exilpolitische Aktivitäten bekannt geworden. Es wird lediglich von einem Fall der Einreiseverweigerung wegen exilpolitischer Betätigung berichtet, der vom Auswärtigen Amt jedoch als Einzelfall angesehen wird (Lagebericht vom 31.03.2006 und Auskunft an das VG Magdeburg vom 21.10.2003).

Auch amnesty international sind aus eigener Ermittlungstätigkeit keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer wegen exilpolitischer Aktivitäten Repressalien der vietnamesischen Behörden ausgesetzt waren. Die Organisation benennt lediglich einen von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte gemeldeten Fall eines Arztes, der am Flughafen beschimpft und herabwürdigend behandelt und in der Wahl seiner Arbeitsstelle erheblich eingeschränkt worden sei (Auskunft an das VG Darmstadt vom 22.11.2003). Die Organisation geht davon aus, dass bei einer Rückkehr nach Vietnam Personen, die namentlich und prominent im Ausland als Regimekritiker aufgetreten sind, mit Verfolgung rechnen müssen (Auskunft an das VG Darmstadt vom 22.11.2003).

Der Sachverständige (...) sieht nur in besonderen Fällen Verfolgungsgefahren wegen exilpolitischer Betätigung. Nach seiner Einschätzung erscheine den vietnamesischen Behörden regimekritisches Verhalten nur noch dann verfolgungswert, wenn eine offensichtliche Beteiligung an "terroristischen" Aktionen vorliege oder die betroffene Person wegen ihres politischen Verhaltens in Zeitschriften der Sicherheitsorgane namentlich kritisiert werde. Denn in Vietnam gehe man davon aus, dass jeder im Ausland lebende Vietnamese gelegentlich mit Oppositionsgruppen Kontakt gehabt habe und aus asyltaktischen Gründen auch regimekritische Bemerkungen fallen lasse (Auskünfte an das VG Darmstadt vom 10.08.2003 und 20.05.2002 und an das VG Göttingen vom 04.04.2003).

Dagegen müssen nach Auffassung des Sachverständigen (...) (Auskunft an das VG Darmstadt vom 12.01.2004) davon ausgegangen werden, dass die Regelungen des vietnamesischen Strafgesetzbuchs auf exilpolitische Aktivitäten Anwendung finden, solange keine konkreten Fälle vorliegen, in denen vietnamesische Staatsbürger trotz ihrer im Ausland unternommenen regimekritischen Aktivitäten nach ihrer Rückkehr in die Heimat keinen Repressalien der vietnamesischen Behörden ausgesetzt waren. Die Aktivitäten und Publikationen der im Ausland lebenden Vietnamesen würden von den Mitarbeitern der vietnamesischen Auslandsvertretungen sehr genau verfolgt und dokumentiert. Das Risiko einer Bestrafung sei nicht davon abhängig, ob regimekritische Äußerungen von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen würden; maßgeblich sei vielmehr, wie vehement man in diesen Meinungsäußerungen die politischen Verhältnisse in Vietnam kritisiert habe und ob die Regierung öffentlich desavouiert worden sei (Auskünfte an das VG Potsdam vom 14.05.2003, an das VG Braunschweig vom 02.05.2003 und an das VG Darmstadt vom 30.03.2002).

Die Auskünfte des Sachverständigen (...) geben jedoch keine Veranlassung zu der Annahme, dass Auslandsaktivisten, die nicht öffentlichkeitswirksam hervorgetreten sind, im Falle ihrer Rückkehr nach Vietnam mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Als Referenzfall für seine Auffassung, dass es für die Verfolgungspraxis nicht auf die öffentliche Verbreitung der regimekritischen Information ankomme, nennt Will lediglich den - schon mangels exilpolitischen Bezugs - nicht vergleichbaren Fall einer kritischen Berichterstattung über das vietnamesisch-chinesische Grenzabkommen über das Internet. Angesichts des breiten Spektrums exilpolitischer Organisationen und der hohen Zahl von Rückkehrern ist dieser Fall jedoch nicht geeignet, eine allgemeine Verschärfung der Repressionen gegen politische Gegner in Vietnam zu belegen (so auch Nds. OVG, Urteil vom 16.06.2006, a. a. O.).

Unter Würdigung der vorliegenden Erkenntnismittel besteht angesichts der mehrfachen Berichte über den Kläger in der Zeitung "(...)" ("Volkspolizei") in der Zeit von Mai 2003 bis September 2006 jedoch die konkrete Gefahr, dass dieser bei einer Rückkehr aufgrund seiner - vermeintlichen - politischen Betätigung in Deutschland zu einer Haftstrafe verurteilt würde.

Die Zeitschrift "(...)" ist das Zentralorgan des staatlichen Polizei- und Sicherheitsapparates (Will, Auskunft vom 14.10.2001 an das VG Potsdam). Sie gehört zu den meistgelesenen Publikationen in Vietnam (Weggel, Auskunft vom 20.05.2002 an das VG Darmstadt). Während nach Auskunft des Auswärtigen Amts die Kritik an exilpolitischen Tätigkeiten eines Exil-Vietnamesen in der Zeitschrift "(...)" für sich genommen nichts über ein bestimmtes Interesse vietnamesischer Behörden im Falle der Rückkehr des Betroffenen besagen soll (vom 20.08.2002 an das VG Darmstadt), gehen die Sachverständigen (...) und (...) sowie amnesty international davon aus, dass bei solchen Veröffentlichungen erhebliche Verfolgungsgefahren bestehen. Will vertritt sogar die Auffassung, dass Artikel in dieser Zeitschrift, in dem regimekritische exilpolitische Aktivitäten publiziert und kritisiert würden, von den vietnamesischen Behörden nicht mehr "unter den Teppich gekehrt" werden könnten, selbst wenn dies möglicherweise dem politischen Opportunitätskalkül entspräche. Die vietnamesischen Behörden würden nach Ansicht des Sachverständigen nicht nur ihr Gesicht, sondern schlicht ihre Autorität verlieren, wenn sie jemanden einerseits offen des Verstoßes gegen elementare Teile des vietnamesischen Strafgesetzbuchs bezichtigten und dann von einer strafrechtlichen Verfolgung absähen (Will, Auskunft vom 01.08.2002 an das VG Darmstadt). Auch der Sachverständige (...) sieht Publikationen aus dem Umfeld des Innenministeriums, insbesondere den "(...)"-Zeitschriften neben dem Verdacht der Beteiligung an einer "terroristischen" Vereinigung als einen der beiden Gesichtspunkte, unter denen Rückkehrer mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben (Auskunft vom 20.07.2002 an das VG Darmstadt). Werde ein Vietnamese von der Zeitschrift "(...)" beobachtet und wegen seines Verhaltens namentlich kritisiert, so könnten Staatsanwaltschaften in aller Regel nicht mehr einfach zu Seite sehen, sondern müssten zur Anklage schreiten (Auskunft vom 04.04.2003 an das VG Göttingen). Nach seiner Ansicht kann "die Sichtweise des Sicherheitsapparats für kein vietnamesisches Gericht gleichgültig sein". Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit würden in der Praxis nicht respektiert. Es gelte der leninistische Grundsatz des "demokratischen Zentralismus", zumal Richter in aller Regel auch KPV-Mitglieder seien und damit zu einer zweiten Befehlskette gehörten, in der die Unabhängigkeit von Gerichten wenig zähle. Auch amnesty international ist der Auffassung, dass ein in Deutschland lebender Vietnamese, über dessen exilpolitische Tätigkeit in der Zeitschrift "(...)" berichtet worden ist, mit einer strafrechtlichen Verfolgung und einer mehrjährigen Haftstrafe zu rechnen habe (Auskunft an das VG Darmstadt vom 22.11.2003).

Unter Berücksichtigung dieser Auskünfte geht der erkennende Senat davon aus, dass angesichts der zunehmend massiven und wiederholten Anprangerung des Klägers in der Zeitung "(...)" die konkrete Gefahr einer längeren Haftstrafe besteht (vgl. auch Thür. OVG, Urteil vom 06.03.2002, a. a. O.). In den Auskünften werden zwar keine Referenzfälle für Bestrafungen nach entsprechenden Publikationen in dieser Zeitschrift benannt. Die Sachverständigen (...) und (...) haben jedoch plausibel begründet, warum bei derartigen Veröffentlichungen mit einer massiveren Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft und der Strafgerichte zu rechnen ist. Sie haben dargelegt, dass es angesichts der offenen Kritik in einem Zentralorgan des staatlichen Polizei- und Sicherheitsapparates kaum möglich ist, aus Opportunitätsgründen auf eine Verfolgung zu verzichten und eine Unabhängigkeit der Gerichte nicht besteht. Es ist nachvollziehbar, dass es als Autoritätsverlust des Staates angesehen würde, wenn der Betroffene in einem staatlichen Organ angeprangert und seine Bestrafung gefordert würde, aber andererseits sein Handeln sanktionslos bliebe.

Angesichts der nicht geringen Anzahl von Artikeln in der Zeitschrift "(...)" über die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers, die in ihrer Wortwahl massiver geworden sind und in denen auch ausdrücklich seine Bestrafung gefordert wird, ist in besonderem Maße die Aufmerksamkeit auf den Kläger gerichtet. Auch unter Berücksichtigung der - nicht näher begründeten - Einschätzung des Auswärtigen Amtes, dass die Veröffentlichung (lediglich) eines Artikels in der Zeitschrift "(...)" für sich genommen noch nicht für ein bestimmtes Verfolgungsinteresse spreche, geht der Senat davon aus, dass jedenfalls bei einer wiederholten und massiven Anprangerung exilpolitischer Tätigkeiten innerhalb eines nicht zu großen Zeitraumes in dieser Zeitschrift mit einer strafrechtlichen Verfolgung und einer Verurteilung mit großer Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.

Es kann letztlich dahinstehen, ob es - wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid ausführt - möglich ist, überhaupt Artikel in der Zeitschrift "(...)" gegen Bestechungsgelder "unterzubringen". Dies dürfte angesichts der Tatsache, dass es sich bei dieser Zeitschrift um ein staatliches Zentralorgan handelt, bereits dem Grunde nach zweifelhaft sein (vgl. Will Auskunft an das VG Potsdam vom 14.10.2001). Angesichts der mehrfachen Nennung des Klägers sieht der erkennende Senat vorliegend zumindest keinen Anlass für die begründete Annahme, dem Kläger sei eine solche "Platzierung" gleich mehrfach gelungen. Gegenteiliges legt auch die Beklagte nichat näher dar. Jedenfalls besteht unabhängig davon, wer die Zeitungsartikel letztlich initiiert hat, die Gefahr, dass diese von den vietnamesischen Behörden zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger wegen seiner - tatsächlich erfolgten - exilpolitischen Tätigkeiten genommen werden.

Besteht demnach im Hinblick auf die Veröffentlichungen in der "(...)" ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und liegen in der Sache die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, so kann dahinstehen, ob die vom Kläger vorgetragenen weiteren exilpolitischen Betätigungen für sich genommen Verfolgungsgefahren begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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