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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 04.03.2005
Aktenzeichen: 1 M 279/04
Rechtsgebiete: WaffG


Vorschriften:

WaffG § 5 I Nr. 1
WaffG § 45 II 1
WaffG § 58 I
Bei der Beurteilung der Frage, ob nachträglich eingetretene Tatsachen zur Versagung der Erlaubnis im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG hätten führen müssen, ist allein auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf abzustellen. Auch rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen vor dem Inkrafttreten der Neufassung des Waffengesetzes, welche vor der Verschärfung der Zuverlässigkeitsanforderungen in § 5 Abs. 1 und 2 WaffG die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nicht auslösten, sind - sofern einschlägig - bei Entscheidungen über den Widerruf einer Waffenbesitzkarte seit dem 01.04.2003 zu berücksichtigen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 1 M 279/04

Datum: 04.03.2005

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Darlegungen des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern.

Die Beschwerde hält es insbesondere für verfassungsrechtlich unzulässig, die nach dem neuen Waffenrecht geltenden strengeren Bestimmungen über die Zuverlässigkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b WaffG i. d. F. vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, berichtigt S. 4592 - WaffG 2002 - ) auf die noch unter Geltung des vor dem 01. April 2003 geltenden Waffenrechts erteilten Erlaubnisse zu übertragen.

Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht angenommen, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen Widerruf der Waffenbesitzkarte nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 gegeben sind. Mit der Rechtskraft der Verurteilung des Antragstellers wegen sexuellem Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung am 06. Mai 2002 ist nachträglich eine Tatsache eingetreten, die zum Widerruf der am 15. Februar 1991 ausgestellten Waffenbesitzkarte führen muss. Der Umstand, dass die Verurteilung des Antragstellers nach der vormals geltenden Rechtslage (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG i. d. F. der Bekanntmachung v. 08.03.1976, BGBl. I S. 432 - WaffG 1976 -) die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nicht begründet hat, steht dem Widerruf nicht entgegen. Auch dann, wenn - wie hier - die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Tatsachen bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung des Waffengesetzes eingetreten sind, ist für die Frage, ob nachträglich eingetretene Tatsachen zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen, allein auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf abzustellen (vgl. VGH Mannheim, B. v. 19.08.2004 - 1 S 976/04, juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soll nämlich der zwingend vorgeschriebene Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Eintritts von Versagungstatsachen nicht einer vergangenen, sondern der im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf gegebenen Rechtslage hinsichtlich der Voraussetzungen für die weitere Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Schusswaffen Rechnung tragen (vgl. BVerwG, U. v. 30.04.1985 - 1 C 12.83 - BVerwGE 71, 234 <243> zu § 47 Abs. 2 Satz 1 WaffG 1976 m. w. N.).

Der Neuregelung des Waffengesetzes kann auch nicht entnommen werden, dass im Falle einer vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung gegebenen, nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG 1976 die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit nicht auslösenden strafrechtlichen Verurteilung, die weitere Innehabung der Waffenbesitzkarte von der durch das Waffengesetz 2002 erfolgten Verschärfung der Zuverlässigkeitsanforderungen freigestellt werden sollte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers enthält das Waffengesetz 2002 keine für ihn günstige Übergangsregelung, mit der die Möglichkeit des Widerrufs in diesen Fällen ausgeschlossen wird. Ein solche Bestimmung ist insbesondere auch nicht in der Vorschrift des § 58 Abs. 1 WaffG 2002 zu sehen. Nach dieser Regelung gelten Erlaubnisse im Sinne des Waffengesetzes 1976 zwar fort. Die Bedeutung dieser Regelung erschöpft sich aber darin, dass die waffenrechtlichen Erlaubnisse mit dem Inkrafttreten des Waffengesetzes 2002 nicht ihre Gültigkeit verloren haben und nicht nach neuem Recht erneut hätten beantragt werden müssen. Ferner sollte der Umfang und die Gültigkeitsdauer der Erlaubnisse durch das neue Recht unmittelbar nicht verändert werden. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kommt § 58 Abs. 1 WaffG 2002 nicht zu, so dass der weitere Bestand einer nach § 58 Abs. 1 Satz 1 WaffG 2002 fortgeltenden Erlaubnis allein von den Voraussetzungen abhängt, die die seit dem 01. April 2003 geltende Neuregelung für die Innehabung der tatsächlichen Gewalt über Schusswaffen aufstellt (vgl. VGH Mannheim, a. a. O.).

Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des Waffengesetzes ausdrücklich die Intention verfolgt, die Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Waffenbesitzer zu verschärfen. Nach Sinn und Zweck des § 5 WaffG 2002 soll das mit jedem Waffenbesitz vorhandene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Den Fall der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Straftat sieht der Gesetzgeber dabei nunmehr als so gravierende Verletzung der Rechtsordnung an, dass das Vertrauen in die Zuverlässigkeit im Umgang mit Waffen für die Dauer von zehn Jahren nach Rechtskraft der Verurteilung ausgeschlossen ist (vgl. BT-Drucksache 14/7758, S. 54). Angesichts dieser Zielsetzung hätte sich dem Gesetzgeber, wenn er die Betroffenen von den mit der Gesetzesänderung eintretenden materiell-rechtlichen Verschärfungen hätte befreien wollen, aufdrängen müssen, eine Übergangsregelung für die rechtskräftigen Verurteilungen vor dem 01. April 2003 vorzusehen (vgl. VGH Mannheim, a. a. O.).

Diesem Verständnis des § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 steht entgegen der Auffassung des Antragstellers auch das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot nicht entgegen. Die Regelung des Widerrufs in § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 wirkt nicht auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der Änderung des Waffengesetzes zurück, weil die mit ihrer Anwendung verbundenen Rechtsfolgen erst nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung eintreten sollen. Die Vorschrift entfaltet daher keine echte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es handelt sich deshalb vielmehr um einen Tatbestand, der den Eintritt seiner Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor seiner Verkündung abhängig macht, und deshalb um einen Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, U. v. 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133 <181>). In diesen Fällen wird den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit kein genereller Vorrang vor dem jeweils verfolgten gesetzgeberischen Anliegen eingeräumt. Die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Vielmehr ergeben sich die Grenzen der gesetzgeberischen Regelungsbefugnis aus einer Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl (BVerfG, a. a. O., 182). Die überragende Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens bei der Neuregelung des Waffengesetzes für das Wohl der Allgemeinheit überwiegt das Vertrauen der betroffenen Waffenbesitzer auf den Fortbestand der Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG 1976. Mit der Verschärfung der Vorschriften über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit kommt der Gesetzgeber seiner aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Pflicht nach, sich schützend vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Bürger zu stellen (vgl. zu dieser Schutzpflicht: BVerfG, U. v. 28.05.1993 - 2 BvF 2/90 und 4,5/92 - BVerfGE 88, 203 <262>) und diese auch vor Gefährdungen durch Personen zu bewahren, die nach geltendem Recht unzulässigerweise im Besitz von Waffen sind. Im Hinblick auf dieses herausragende öffentliche Interesse werden die grundrechtlichen Belange der von einer tatbestandlichen Rückanknüpfung im vorgenannten Sinne erfassten Waffenbesitzer nicht unverhältnismäßig betroffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. In Anlehnung an Ziffer 50.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) bemisst der Senat den Streitwert auf 7.250,00 € (Auffangwert zzgl. 750,00 € je weitere Waffe). Dieser Betrag war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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