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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 30.05.2007
Aktenzeichen: 1 M 34/07
Rechtsgebiete: FeV, StVG


Vorschriften:

FeV § 11 Abs. 8 S. 1
FeV § 14 Abs. 1 Nr. 2
StVG § 3 Abs. 1
Von einer die Trennungsfähigkeit in Frage stellenden Verkehrsteilnahme lässt sich ausgehen, wenn der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen erhöht, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Auf der Grundlage der mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, hat die Beschwerde Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte dem Antrag des Antragstellers, ihm nach Maßgabe von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, entsprechen und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherstellen müssen.

Das Interesse des Antragstellers, die ihn belastenden Auswirkungen der Fahrerlaubnisentziehung vorläufig abzuwenden, überwiegt gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der Verfügung. Denn nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die angegriffene Fahrerlaubnisentziehung vom 22. Januar 2007 als offensichtlich rechtswidrig.

Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV liegen nicht vor. Weigert sich der Betroffene, ein von ihm gefordertes Gutachten zur Aufklärung von Eignungszweifeln beizubringen, darf die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zwar grundsätzlich auf dessen Nichteignung schließen. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen ist dabei aber nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 -, NJW 2005, 3081 f. m. w. N.). Hieran fehlt es im konkreten Fall.

Als Rechtsgrundlage für die Anordnung der Beibringung eines toxikologischen Gutachtens kommt hier nur § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV in Betracht, wonach ein ärztliches Gutachten einzuholen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Abhängigkeit oder Einnahme von Betäubungsmitteln vorliegt. Bei Eignungszweifeln wegen der Einnahme von Cannabis ist zwischen regelmäßiger und gelegentlicher Einnahme in der Weise zu unterscheiden, dass nur bei regelmäßiger Einnahme in der Regel die Eignung ausgeschlossen, bei gelegentlicher Einnahme die Eignung aber in der Regel gegeben ist, wenn nicht weitere Umstände - wie insbesondere ein Konsum im Zusammenhang mit dem Fahren - hinzutreten, die die Eignung ausschließen (vgl. Ziffer 9.2. der Anlage 4 zur FeV). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die mit der Verpflichtung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens über den eigenen Drogenkonsum und der an die Nichtvorlage anknüpfenden Entziehung der Fahrerlaubnis verbundene Grundrechtsbeeinträchtigung nur verhältnismäßig, wenn die Fahrerlaubnisbehörde hinreichend konkrete Verdachtsmomente feststellt, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen (vgl. Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378, 2379 f.). Ein einmaliger oder der nur gelegentliche Cannabiskonsum ohne Bezug zum Straßenverkehr begründet hiernach keinen hinreichenden Gefahrenverdacht, der eine Überprüfung der Fahreignung rechtfertigt (vgl. a. a. O.). Aufklärungsmaßnahmen sind vielmehr nur gerechtfertigt, wenn Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Konsum vorliegen oder wenn hinreichende Verdachtsmomente für einen gelegentlichen Konsum und dem für die Annahme eines der in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV genannten zusätzlichen Gesichtspunktes gegeben sind (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4. Juli 2003 - 10 S 2270/02 -, juris).

Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Rechtmäßigkeit der Anforderung eines toxikologischen Gutachtens bejaht. Es gibt weder hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen eignungsausschließenden regelmäßigen Cannabiskonsum des Antragstellers noch dafür, dass dem Antragsteller die Fähigkeit oder der Wille fehlt, (gelegentlichen) Cannabiskonsum und Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen. Der Antragsteller macht mit der Beschwerde zu Recht geltend, dass der Vorfall vom 1. Juli 2006 weder für sich genommen noch - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - in Verbindung mit dem von ihm zunächst erklärten, später aber widerrufenen Einverständnis mit der ärztlichen Untersuchung derartige aufklärungsbedürftige Eignungszweifel begründet. Der bloße Umstand, dass sich ein Fahrerlaubnisinhaber mit der Beibringung eines behördlich angeforderten Gutachtens (zunächst) einverstanden erklärt, rechtfertigt keine Zweifel an seiner Fahreignung. Unter welchem Gesichtspunkt das Verwaltungsgericht aus dem zunächst erklärten Einverständnis des Antragstellers Eignungszweifel ableitet, lässt die Entscheidung nicht erkennen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass die Gutachtensanforderung nicht selbständig anfechtbar ist und der Fahrerlaubnisinhaber ihre Nichtberechtigung daher erst mit einem Rechtsbehelf gegen die bei Weigerung verfügte Fahrerlaubnisentziehung geltend machen kann, lässt sich in dem Einverständnis aber jedenfalls nicht das Eingeständnis eines die Fahreignung in Zweifel stellenden Cannabiskonsums sehen.

Auch der Vorfall vom 1. Juli 2006 begründet keinen hinreichend konkreten Verdacht auf einen Eignungsmangel des Antragstellers.

Die Feststellungen anlässlich der allgemeinen Verkehrskontrolle und der anschließenden Blutentnahme ergeben zunächst keinen hinreichend konkreten Verdacht eines regelmäßigen Cannabiskonsums des Antragstellers. Zwar belegt die Blutuntersuchung durch das Brandenburgische Landesinstitut für Rechtsmedizin vom 7. Juli 2006 den zurückliegenden Konsum von Cannabis, denn es wurde der inaktive Metabolit THC-COOH (THC-Carbonsäure) nachgewiesen. Die festgestellte Konzentration von 8 ng/ml deutet aber allenfalls auf einen gelegentlichen Konsum von Cannabis. Während der Wirkstoff THC sich im Blut relativ schnell abbaut (4 bis 6 Stunden, vgl. BayVGH, Beschluss vom 9. Oktober 2006 - 11 CS 05.2819 -, juris m. w. N., vgl. zum längeren Nachweis von THC im Spurenbereich BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, NJW 2005, 349 ff.), sind die sich nur langsam abbauenden Stoffwechselprodukte 11-OH-TC und THC-COOH abhängig von der Konsumpraxis mehrere Tage feststellbar und können Aufschluss über die Konsumgewohnheiten ergeben (OVG Saarlouis, Beschluss vom 30. September 2002 - 9 W 25/02 -, juris m. w. N.). Dabei werden aber erst Carbonsäurewerte ab 75 ng/ml bzw. 150 ng/ml als Indiz für einen regelmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Konsum gewertet (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 30. September 2002 - 9 W 25/02 -, juris [75 ng/ml]; Nds. OVG, Beschluss vom 11. Juli 2003 - 12 ME 287/03 -, NVwZ-RR 2003, 899 [150 ng/ml]; s. a. OVG Berlin, Beschluss vom 15. Januar 2004 - 1 S 16.03 -, juris), hinter denen der beim Antragsteller festgestellte Wert weit zurückbleibt. Konkrete Verdachtsmomente für einen regelmäßigen Cannabiskonsum ergeben sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller - was er im Übrigen bestreitet - bei seiner persönlichen Vorsprache am 5. Januar 2007 eingeräumt haben soll, dass er konsumiere, denn zur Häufigkeit des Konsums finden sich in dem über das Gespräch gefertigten Vermerk keine Anhaltspunkte. Dahin stehen kann auch, ob die Einlassung des Antragstellers bei der Polizei glaubhaft ist, wonach er am Vorabend Cannabis nur passiv konsumiert haben will. Denn es fehlt angesichts des relativ niedrigen Carbonsäurewertes jedenfalls an hinreichenden Verdachtsmomenten für einen regelmäßigen Cannabiskonsum.

Es besteht auch kein hinreichend konkreter Verdacht dafür, dass der Antragsteller nicht willens oder in der Lage wäre, Cannabiskonsum und Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen. Die Fahrt am 1. Juli 2006 nach zurückliegendem Cannabiskonsum begründet einen derartigen Verdacht nicht. Denn von einer die Trennungsfähigkeit in Frage stellenden Verkehrsteilnahme lässt sich regelmäßig nur ausgehen, wenn der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen erhöht, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1711 -, juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, NJW 2005, 349 ff.) muss bei verfassungskonformer Auslegung des § 24 a Abs. 2 StVG für eine Verkehrsteilnahme unter der Wirkung von Cannabis eine Konzentration festgestellt werden, die es als möglich erscheinen lässt, dass der Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 2062/96 (vgl. Beschluss vom 20. Juni 2002, a. a. O.) geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass diese Voraussetzungen erst ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml vorliegen. Ab diesem Wert ist auch die zureichende Trennungsbereitschaft bzw. -fähigkeit zumindest zweifelhaft (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 3 Bs 214/05 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 11. Juli 2003 - 12 ME 287/03 -, NVwZ-RR 2003, 899; BayVGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1711 -, juris). Im Blut des Antragstellers war der aktive Wirkstoff THC aber nicht mehr, auch nicht in geringster Konzentration nachweisbar, so dass ein zeitnaher Cannabiskonsum und eine Verkehrsteilnahme unter drogenbedingt eingeschränkter Fahrtüchtigkeit nicht angenommen werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der bei der Verkehrskontrolle des Antragstellers festgestellten "Ausfallerscheinungen". Zwar mögen Zweifel am Trennungsvermögen auch dann bestehen, wenn ein gelegentlicher Cannabiskonsument mit einer noch nicht risikoerhöhenden THC-Konzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, aber (körperliche) Symptome einer postakuten Phase vorliegen, wie z.B. gerötete Augen, geweitete Pupillen, riskante Fahrweise, leichte Ablenkbarkeit und Konzentrationsschwächen (VG Augsburg, Urteil vom 17. Februar 2004 - Au 3 K 04.20 -, juris). Hier ist aber eine THC-Konzentration selbst im Spurenbereich nicht festgestellt worden. Vor dem Hintergrund des völligen Abbaus des Wirkstoffs THC fehlt es bei summarischer Prüfung auch an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die fraglichen "Ausfallerscheinungen" drogenbedingte und die Verkehrssicherheit gefährdende Beeinträchtigungen waren. Das festgestellte starke Körperzittern, die kleineren Gleichgewichtsstörungen und die von der Aufforderung der Polizei abweichende Zählweise hat der Antragsteller plausibel damit begründet, dass er sich aufgrund der schriftlichen Abiturarbeiten, die er ausweislich der vorgelegten Bescheinigung der Kreisvolkshochschule des Landkreises Oberhavel (Zweiter Bildungsweg) an diesem Tag zu schreiben hatte, bei der Verkehrskontrolle in einer besonderen Stresssituation befunden habe. Dem entspricht, dass in dem Protokoll über die Verkehrskontrolle festgestellt wird, dass der Antragsteller aufgeregt war. Die Beeinträchtigungen wurden auch erst bei Koordinierungstests festgestellt, denen sich der Antragsteller freiwillig unterzog, ohne dass zuvor Auffälligkeiten bestanden. Soweit das Protokoll eine langsame Fahrweise festhält, ist nicht ersichtlich, dass insoweit die Verkehrssicherheit gefährdet wurde, zumal die Fahrweise im Übrigen ausdrücklich als sicher bezeichnet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren und von Amts wegen zugleich für das erstinstanzliche Verfahren folgt aus §§ 63 Abs. 3, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. In Anlehnung an Nr. 46.2, 46.5 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 07./08.07.2004 (NVwZ 2004, 1327), bemisst der Senat das Interesse des Antragstellers am Gebrauch der Fahrerlaubnis der Klassen A1, BE, C1E, M, L und S insgesamt in Höhe des 2-fachen Auffangwertes. Bei Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Klassen bestimmt sich der Streitwert grundsätzlich nach der höchsten Klasse, sofern nicht die Klassen jeweils eine selbständige Bedeutung haben (st. Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 22.02.2004 - 1 L 103/05 - und vom 13.10.2005 - 1 M 384/05 -). Nach diesem Maßstab war für die Fahrerlaubnis der Klasse C1 der 1-fache Auffangwert (Ziffer 46.5) anzusetzen und für die der Klassen A1 und E, die selbständige Bedeutung als Fahrerlaubnis für Krafträder bzw. für Fahrzeuge mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg haben, jeweils ein halber Auffangwert (Ziffer 46.2 und 46.8) hinzuzurechen. Der sich aus der Addition ergebende Betrag wurde im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, halbiert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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