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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.07.2007
Aktenzeichen: 1 O 46/07
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 94
Im Rahmen der nach § 94 VwGO vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung muss die mit einer Aussetzung bis zur Rechtskraft eines Strafverfahrens etwaig verbundene gravierende Verfahrensverzögerung im Verwaltungsprozess abgewogen werden mit dem durch ein rechtskräftiges Strafurteil voraussichtlich einhergehenden Gewinn für die Sachverhaltsfeststellung. Die Aussetzung muss im Interesse einer Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen und ggfs. aus verfahrensökonomischen Gründen auch angesichts der einer Verzögerung entgegenstehenden Interessen der Beteiligten und/oder der Allgemeinheit gerechtfertigt sein.
Gründe:

Da es sich bei der Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO nicht lediglich um eine prozessleitende Verfügung handelt, ist die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO zulässig (vgl. BayVGH, Beschluss vom 20. Oktober 2003 - 24 C 03.1836 -, juris).

Die hiernach statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Nach § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Ob bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ausgesetzt wird, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Überprüfung durch das Beschwerdegericht beschränkt sich insoweit darauf, ob das Gericht die Grenzen des Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 22. November 2001 - 3 O 457/01 -, juris m. w. N.).

Hiervon ausgehend hat die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das Verfahren über den Widerruf der Approbation des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Strafverfahrens (Landgericht Halle 21 Ks 10/05 - Bundesgerichtshof 4 StR 549/06) auszusetzen, Erfolg.

Dass die Beteiligten vor der Aussetzungsentscheidung nicht - wie geboten - angehört wurden (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 94 RdNr. 6; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Stand Februar 2007, § 94 RdNr. 19), mag durch die auf die Beschwerde hin ergangene Nichtabhilfeentscheidung des Verwaltungsgerichts zwar "geheilt" sein. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 94 VwGO mögen - ungeachtet des Umstandes, dass sich der Begründung des angegriffenen Beschlusses, wonach "weitere Erkenntnisse im Strafverfahren Auswirkung auch auf dieses Verfahren haben" können, auch nicht ansatzweise entnehmen lässt, unter welchem - rechtlichen oder tatsächlichen - Gesichtspunkt das Verwaltungsgericht eine Vorgreiflichkeit des Strafurteils angenommen hat - grundsätzlich vorliegen. Das strafgerichtliche Urteil entfaltet für das Verwaltungsgericht zwar keine Bindungswirkung (vgl. zum Widerruf der Approbation OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 30. Januar 1997 - 13 A 2587/94 -, juris). Die strafrechtliche Entscheidung mit ihrem dort festgestellten Sachverhalt kann aber Einfluss auf die Beweiswürdigung hinsichtlich des dem Widerruf zugrunde liegenden tatsächlichen Geschehens haben, so dass Vorgreiflichkeit grundsätzlich bejaht werden kann (Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 94 RdNr. 4; Kopp/Schenke, VwGO, a. a. O., § 94 RdNr. 4; a. A. Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 94 RdNr. 19 für analoge Anwendung des § 149 ZPO; vgl. auch zur Verwendbarkeit der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen eines - rechtskräftigen - Strafurteils bei der Beurteilung der Unwürdigkeit eines Arztes zur Berufsausübung BVerwG, Beschluss vom 6. März 2003 - 3 B 10/03 -, juris).

Die hier zugrunde liegende Aussetzungsentscheidung des Verwaltungsgerichts ist indes ermessensfehlerhaft. Denn das Verfahren über den Widerruf der Approbation des Klägers wird mit der Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens auf unbestimmte Zeit verzögert, wie sich nicht zuletzt durch die nunmehr ergangene Revisionsentscheidung des BGH vom 5. Juli 2007 zeigt, mit der das Urteil des LG Halle aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen wurde (vgl. Pressemitteilung des BGH Nr. 90/2007). Im Rahmen der nach § 94 VwGO vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung muss aber die mit einer Aussetzung bis zur Rechtskraft eines Strafverfahrens etwaig verbundene gravierende Verfahrensverzögerung im Verwaltungsprozess abgewogen werden mit dem durch ein rechtskräftiges Strafurteil voraussichtlich einhergehenden Gewinn für die Sachverhaltsfeststellung (vgl. zu § 149 ZPO Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 149 RdNr. 2). Die Aussetzung muss im Interesse einer Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen (vgl. zu diesem Gesetzeszweck Kopp/Schenke, VwGO, a. a. O., § 94 RdNr. 1) und ggfs. aus verfahrensökonomischen Gründen (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 24. Mai 2004 - 24 C 04.2004 -, juris) auch angesichts der einer Verzögerung entgegenstehenden Interessen der Beteiligten und/oder der Allgemeinheit gerechtfertigt sein. Diese Interessen sind insbesondere dann in den Blick zu nehmen, wenn die zuständige Behörde - wie hier - die Rechtskraft des Urteils gerade nicht abgewartet, sondern - ersichtlich im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung - die im Strafverfahren bisher gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Würdigung unterzogen und hierauf den Widerruf der Approbation verfügt hat. Hierzu lässt der Aussetzungsbeschluss indes jegliche Ausführungen vermissen. Der vom Beklagten mit der Beschwerde geltend gemachte Gesichtspunkt, der Kläger habe bei ihm die Ausstellung eines "certificate of good standing" beantragt, so dass die Gefahr bestehe, dass er - solange er sich durch die Approbationsurkunde legitimieren könne - in einem Land als Arzt tätig werden könnte, in dem diese Bescheinigung nicht gefordert werde, ist zwar im Hinblick auf die weitere ärztliche Tätigkeit des Klägers im Inland eher unerheblich. Gleichwohl ist dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen, dass der Beklagte einen zügigen Abschluss des Widerrufsverfahrens anstrebt, damit die - mangels sonstiger, vorläufiger Maßnahmen - gerade weiterhin zulässige ärztliche Tätigkeit des von ihm als unwürdig und unzuverlässig im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO erachteten Klägers zeitnah beendet wird. Hiermit macht er der Sache nach mit Recht ein erhebliches öffentliches Interesse geltend. Dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung dieses einer Aussetzung des Verfahrens - erst recht auf unbestimmte Zeit - entgegenstehende Interesse berücksichtigt und es mit dem durch ein rechtskräftiges Strafurteil zu erwartenden Gewinn für die Sachverhaltsfeststellung abgewogen hat, ist dem Beschluss nicht zu entnehmen. Es ist im Übrigen aber auch nicht ersichtlich, dass die Feststellung des Sachverhalts im konkreten Fall Schwierigkeiten aufwirft, die ein Zuwarten auf die Rechtskraft einer strafgerichtlichen Entscheidung - ohne jegliche Förderung des Verwaltungsrechtsstreits - im Ergebnis rechtfertigen würden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, weil für die Beschwerde nach der Ziffer 5502 der Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr erhoben wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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