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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.07.2003
Aktenzeichen: 2 L 206/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 I
VwGO § 60 II
VwGO § 124 IV
1. Hat das Verwaltungsgericht den Zulassungsantrag dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt und hat dieses dem Rechtsmittelführer gegenüber den Eingang bestätigt sowie das Rechtsmittel-Aktenzeichen mitgeteilt, so kann die Antragsbegründung gleichwohl nur beim Verwaltungsge-richt eingelegt werden.

2. Der "Grundsatz der Meistbegünstigung" ist nicht anwendbar, wenn weder das Verwaltungsgericht durch seine Rechtsmittelbelehrung noch das Oberverwaltungsgericht den Rechtsmittelführer belehrt haben, die Begründung könne (auch) beim Rechtsmittelgericht eingelegt werden.

3. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht durch den "Grundsatz der gerichtlichen Fürsorgepflicht" gehalten, einen eindeutig an ihn gerichteten Schriftsatz dem Verwaltungsgericht zuzuleiten.

4. Bei richtiger Rechtsmittelbelehrung scheidet eine Wiedereinsetzung wegen Verschuldens aus.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 206/03

Datum: 09.07.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 124a Abs. 4-6, 60 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Der Antrag ist zu verwerfen; denn die Klägerin hat die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, nicht fristgerecht beim Verwaltungsgericht dargelegt (1.).

Ihr ist nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Darlegungsfrist zu gewähren; denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, diese gesetzliche Frist (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO) einzuhalten (2.).

1. Nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung der Berufung, wenn sie - wie hier - nicht durch das Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, sind nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO binnen zwei Monaten nach Zustellung des Urteils darzulegen. Die Begründung ist bei dem Verwaltungsgericht einzureichen (Satz 5).

Die Zwei-Monats-Frist für die Begründung des Zulassungsantrags ist durch die Zustellung des Urteils am 11. April 2003 wirksam in Lauf gesetzt worden. Die dem Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung enthielt insbesondere den Hinweis, dass die Begründung bei dem Verwaltungsgericht Halle einzureichen ist. Die Klägerin hat den Antrag auf Zulassung der Berufung zwar unter dem 12. Mai 2003 form- und fristgerecht bei dem Verwaltungsgericht Halle beantragt, den nachfolgenden Begründungsschriftsatz vom 11. Juni 2003 jedoch an das Oberverwaltungsgericht adressiert und diesen auch dort per Fax am selben Tag eingereicht.

In § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO hat der Gesetzgeber eindeutig und unmissverständlich bestimmt, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung zum Zwecke der Fristwahrung beim Verwaltungsgericht einzureichen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2003 - 1 BvR 310/03 -, NVwZ 2003, 728). Hierbei handelt es sich nicht nur um eine bloße Formvorschrift, sondern um eine vom Rechtsmittelführer zwingend zu beachtende Regelung (vgl. VGH BW, Beschl. v. 20.08.2002 - 5 S 1484/02 -, NVwZ-RR 2003, 156 [157]).

Die von der Beklagten vorgebrachten Gründe vermögen diesen rechtlichen Befund nicht zu entkräften.

Der geltend gemachte Umstand, das Oberverwaltungsgericht habe doch der Klägerin den Eingang der Rechtsmittelschrift beim Verwaltungsgericht Halle bestätigt, ein Aktenzeichen mitgeteilt und gebeten, Schriftsätze und Anlagen für die Unterrichtung der anderen Verfahrensbeteiligten stets mit zwei Abschriften einzureichen, gebietet kein anderes Verständnis des § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO (vgl. BVerfGE, 129 [225]), wobei dahinstehen mag, ob der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, der in der Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts zutreffend wiedergegeben wurde und über deren Auslegung die anwaltlich vertretene Klägerin nicht im Unklaren sein konnte, eine abweichende Auslegung überhaupt zuließe (BVerfG, a. a. O., unter Hinweis auf obergerichtliche Rechtsprechung).

Auch der unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 10.12.1998 - III ZR 2/98 - (NJW 1999, 1113) zitierte "Grundsatz der Meistbegünstigung", führt nicht zu einer anderen Auslegung der Norm; denn die Klägerin wurde hier nicht durch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung auf einen falschen gerichtlichen Weg verwiesen.

Selbst der Einwand der Praktikabilität, der sich ohnehin gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes nicht durchzusetzen vermag, geht fehl; denn Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, den Beteiligten innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist für den Zulassungsantrag eine Akteneinsicht bei dem ortsnahen Verwaltungsgericht zu ermöglichen (vgl. BVerfG, a. a. O.).

2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist zu gewähren; denn es ist nicht ersichtlich, dass sie ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO).

Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung des Verschuldens ist die der Entscheidung beigefügte Rechtsmittelbelehrung. Werden die darin enthaltenen Angaben - soweit sie wie hier eindeutig und zutreffend sind - nicht beachtet, so ist die dadurch verursachte Versäumung einer Frist regelmäßig verschuldet (vgl. Kopp/Schenke, VwGO § 60 RdNrn. 17, 20), und eine Wiedereinsetzung scheidet grundsätzlich aus.

Geringere Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten lassen sich auch nicht aus dem Inhalt der Eingangsverfügung des Oberverwaltungsgerichts herleiten; denn diese enthielt keine in die Irre führende oder gar anderslautende Information im Hinblick auf den Ort der einzulegenden Begründungsschrift als die durch das Verwaltungsgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung.

Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ebensowenig deshalb zu gewähren, weil nach Auffassung der Klägerin der am 11.06.2003 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangene Begründungsschriftsatz von diesem im normalen Geschäftsgang an das Verwaltungsgericht noch fristwahrend hätte weitergeleitet werden können; denn einen Rechtsgrund, der das Gericht zur Weiterleitung eines eindeutig an es gerichteten Schriftsatzes verpflichtet, ist nicht erkennbar. Ein solcher lässt sich auch nicht dem bereits zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 03.03.2003 entnehmen, der zur Begründung lediglich auf seinen Beschluss vom 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 - (BVerfGE 93, 99 [115]) verweist; denn die ausgesprochene Pflicht zur Weiterleitung eines Rechtsmittelschriftsatzes als Bestandteil einer sog. nachwirkenden Fürsorgepflicht des vorinstanzlichen Gerichts, wurde lediglich für den dort zu beurteilenden Fall eines Zivilrechtsstreits bejaht, in dem keine Rechtsmittelbelehrung erteilt und die Berufungsbegründung beim unzuständigen Eingangsgericht statt beim zuständigen Berufungsgericht eingelegt worden war.

Ende der Entscheidung

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