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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.10.2004
Aktenzeichen: 2 L 219/03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 125 II
BauGB § 242 IX 1
1. Bestand eine Anlage am 03.10.1990 aus mehreren Teil-Einrichtungen und war von diesen min-destens eine noch nicht vollständig hergestellt, so ist die Anlage nur mit der hergestellten Teil-Einrichtung aus dem Erschließungsbeitragsrecht entlassen, nicht aber auch mit später hergestellten (wie BVerwG, Urt. v. 18.11.2002 - BVerwG 9 C 2.02 -, BVerwGE 117, 200).

2. Endgültig hergestellt ist die (Teil-)Einrichtung nur, wenn und soweit sie nach einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten fertiggestellt war. Für diese Beurteilung kommt es auf die volle Länge der (Teil-)Einrichtung an.

3. Diesen Anforderungen ist nicht entsprochen, wenn ein Gehweg zwar auf der ganzen Länge der Straße besteht, er aber teils auf der rechten und teils auf der linken Seite angelegt ist, und wenn das Ausbauprogramm die Herstellung eines Gehwegs (auf voller Länge) verlangt.

4. Fehlt es an einem Bebauungsplan, so ist § 125 Abs. 2 BauGB auch dann genügt, wenn keine be-sondere Abwägung durch einen Ratsbeschluss vorgenommen worden ist; es reicht aus, dass die Maßnahme materiell mit § 1 Abs. 4-6 BauGB vereinbar ist, dass dies als interner Vorgang geprüft wird und dass das Ergebnis in irgendeiner Form dokumentiert ist.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 219/03

Datum: 21.10.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.

Der Kläger hat in seiner Antragsbegründung geltend gemacht, die Beklagte hätte den streitgegenständlichen, südlichen Gehweg in einem Abschnitt des "H-Wegs" nicht nach Erschließungsbeitragsrecht abrechnen dürfen, weil der im "H-Weg" bereits vor der abgerechneten Maßnahme vorhandene, teils links- und teils rechtsseitig verlaufende Gehweg einem Ausbauprogramm aus dem Jahre 1931 entsprochen habe und damit am 03.10.1990 bereits hergestellt gewesen sei. Diesem Ausbauprogramm lasse sich nämlich lediglich das Erfordernis eines einseitigen, nicht aber eines auf ausschließlich einer Straßenseite durchlaufenden Gehwegs entnehmen.

Dieser Einwand bleibt ohne Erfolg. Nach § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB ist die Erhebung eines Erschließungsbeitrags im Beitrittsgebiet nur ausgeschlossen, soweit "Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen ... vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind". Bestand eine Anlage - wie hier der "H-Weg" - am 03.10.1990 aus mehreren (mindestens zwei) Teileinrichtungen und war von diesen mindestens eine noch nicht vollständig hergestellt, ist das Erschließungsbeitragsrecht nach § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB nur für die hergestellte(n) Teileinrichtung(en) ausgeschlossen, nicht aber für die noch nicht hergestellte(n) sowie für weitere, später hinzukommende Teileinrichtungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2002 - BVerwG 9 C 2.02 -, DVBl 2003, 338; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 2 RdNr. 38). In Anwendung dieses Maßstabs ist das Erschließungsbeitragsrecht hier nicht ausgeschlossen, weil der "H-Weg" am 03.10.1990 über mehrere Teileinrichtungen verfügte, von denen jedenfalls die streitgegenständliche Teileinrichtung, d. h. der abgerechnete Gehweg, noch nicht hergestellt war. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind nämlich nach § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB nur die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen. Unter Teilen von Erschließungsanlagen sind hierbei Teileinrichtungen wie Fahrbahn, Gehwege, Radwege, Beleuchtung und Entwässerung zu verstehen, die sich regelmäßig durch die ganze Länge der Erschließungsanlage ziehen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 18.01.2000 - A 2 S 525/99 -, VwRR MO 2000, 324; Driehaus, Erschließungsbeiträge, 7. Aufl., § 2 RdNr. 37 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Das Merkmal der Fertigstellung setzt unabhängig von einem Ausbauprogramm oder den Ausbaugepflogenheiten jedenfalls voraus, dass die Anlage oder die Teileinrichtung in ihrer gesamten Ausdehnung ausgebaut war (vgl. OVG LSA, Urt. v. 18.12.2000 - 2 L 104/00 -, ZMR 2002, 629; Beschl. v. 17.05.2004 - 2 M 273/04 -).

In Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei dem abgerechneten Gehweg auf der südlichen Straßenseite des "H-Wegs" um eine eigenständige Teileinrichtung, die am 03.10.1999 zwar vorhanden, aber noch nicht in ihrer gesamten Länge hergestellt war mit der Folge, dass jedenfalls hinsichtlich dieses Gehwegs Erschließungsbeitragsrecht anwendbar ist.

Hiergegen kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, der abgerechnete Gehweg sei stattdessen am 03.10.1999 deshalb bereits hergestellt gewesen, weil er an diesem Stichtag zwar nicht vollständig auf einer Straßenseite, aber zumindest teils auf der linken, teils auf der rechten Straßenseite vorhanden gewesen sei und damit insgesamt als eine einzelne Teileinrichtung betrachtet werden könne, die dem vorhandenen Ausbauprogramm aus dem Jahre 1931 entsprochen habe. Diese Sichtweise ist bereits deshalb nicht zutreffend, weil es sich bei einem beidseitigen Gehweg erschließungsbeitragsrechtlich um zwei jeweils gesondert im Wege der Kostenspaltung abtrennbare Teileinrichtungen handelt (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 20 RdNr. 10; Vogel, in: Brügelmann, BauGB, § 127 RdNr. 78), wobei als jeweilige Teileinrichtung der jeweils auf einer Straßenseite verlaufende Gehweg anzusehen ist. Ein derartiges Abstellen auf die jeweilige Straßenseite ist nicht nur wegen der räumlichen Trennung der beiden Gehwegseiten durch die Fahrbahn geboten, sondern auch mit Blick auf die Funktion eines Gehwegs, der gerade eine Trennung zwischen dem Fußgänger- und dem Fahrbahnverkehr bewirken soll. Im Übrigen ergibt sich diese Art der Aufteilung auch daraus, dass es sich bei der Kostenspaltung ausschließlich um eine Längsspaltung handelt (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 20 RdNr. 10), die keine andere Aufspaltung eines beidseitigen Gehweges als eine solche in zwei jeweils auf einer Straßenseite verlaufende Gehwegseiten ermöglicht.

Etwas anderes mag zwar in solchen Fällen gelten, in denen ein teils auf der einen, teils auf der anderen Straßenseite verlaufender Gehweg auf Grund seiner Funktion, seines Erscheinungsbildes und der örtlichen Gegebenheiten den Eindruck einer einzelnen Teileinrichtung vermittelt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein einseitiger Gehweg aufgrund eines natürlichen Hindernisses auf einer Straßenseite endet und deshalb auf der anderen Straßenseite dergestalt fortgeführt wird, dass er insgesamt als einheitlicher Gehweg anzusehen ist. Ein derartiger Eindruck wird durch die vormaligen Gehwegabschnitte im "H-Weg" aber nicht vermittelt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Aufteilung des Gehwegs auf beide Straßenseiten auf Grund der örtlichen Gegebenheiten unumgänglich war und daher insgesamt von einem einzigen, am 03.10.1990 bereits fertiggestellten Gehweg auszugehen ist. Hiergegen spricht auch der Umstand, dass offenbar auch der Herstellung des abgerechneten Gehwegabschnitts keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstanden.

Ist demnach der streitgegenständliche Gehweg auf der südlichen Straßenseite als eigene, am 03.10.1999 noch nicht in ihrer gesamten Länge fertiggestellte Teileinrichtung zu betrachten, vermag hieran auch das vorgelegte Ausbauprogramm nichts zu ändern; denn ein solches Ausbauprogramm dient nach § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB lediglich als Maßstab für die Frage, ob eine Anlage oder eine Teileinrichtung am 03.10. 1999 hergestellt war, d. h. von welchen baulichen Anforderungen insoweit auszugehen ist. Nicht von dem Ausbauprogramm, sondern von der Auslegung der §§ 127 Abs. 3, 242 Abs. 9 BauGB hängt demgegenüber die Frage ab, was unter Teileinrichtungen zu verstehen ist, d. h. welche durchlaufenden Anlagenbereiche selbständig abtrennbare Teileinrichtungen darstellen und wie Teileinrichtungen voneinander abzugrenzen sind. Abgesehen davon ist dem Kläger auch nicht darin zu folgen, das vorgelegte Ausbauprogramm sehe einen einseitigen, abwechselnd auf beiden Straßenseiten verlaufenden Gehweg vor. Das Ausbauprogramm spricht vielmehr von einem herzustellenden "Fußweg nach der Südseite" (Seite 7 des Programms) und damit gerade nicht von einem beidseitig verlaufenden Gehweg.

Der Kläger kann auch nicht mit seinem Einwand durchdringen, der angefochtene Erschließungsbeitrag stehe im Widerspruch zu § 125 Abs. 2 BauGB, weil die abgerechnete Gehwegherstellung einer durch einen Ratsbeschluss zusammengefassten Abwägung ermangele. Ein derartiger Ratsbeschluss war für die Abwägung im Sinne des § 125 Abs. 2 BauGB nicht erforderlich. Die Vorschrift des § 125 Abs. 2 BauGB verlangt lediglich, dass in den Fällen, in denen - wie hier für die Erschließungsmaßnahme im "H-Weg" - ein Bebauungsplan nicht vorliegt, Erschließungsanlagen nur hergestellt werden dürfen, wenn sie den in § 1 Abs. 1 bis 6 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen. Die Planung einer nicht von einem Bebauungsplan erfassten Erschließungsmaßnahme muss daher zwar den Zielen der Raumordnung angepasst sein (§ 1 Abs. 4 BauGB) und auf einer gerechten Abwägung der öffentlichen und privaten Belange beruhen (§ 1 Abs. 5 u. 6 BauGB). Diese Abwägung ist aber mangels eines gesetzlichen Gebots zur Offenlegung der unter Beachtung des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB vorzunehmenden bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage als lediglich interner Vorgang zu qualifizieren, der zwar in irgend einer Form dokumentiert sein sollte, aber keines Ratsbeschlusses bedarf (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 7 RdNr. 22). Das Erfordernis eines derartigen Ratsbeschlusses ergibt sich hier auch nicht aus kommunalrechtlichen Grundsätzen. Insbesondere handelt es sich bei der Planung eines Gehwegabschnitts mit einem Bauvolumen von ungefähr 25.000,00 € nicht um eine dem Gemeinderat der Beklagten gemäß § 44 Abs. 3 LSA-GO vorbehaltene Angelegenheit. Die gemäß § 25 Abs. 2 BauGB gebotene Dokumentation der Abwägung ist in Gestalt eines Beschlusses des Tiefbauamtes der Beklagten vom 14.03.2001 vorhanden.

Die von der Beklagten vorgenommene Abwägung lässt schließlich auch keine materiellen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Beklagte im Rahmen des Abwägungsvorgangs das erforderliche Abwägungsmaterial nicht hinreichend ermittelt und zusammengestellt oder ihren planerischen Gestaltungsspielraum bei der Gewichtung dieses Materials nicht fehlerfrei ausgeübt hätte. Insoweit rügt der Kläger ohne Erfolg, Fehler im Abwägungsvorgang bestünden deshalb, weil die Beklagte in ihrem Abwägungsbeschluss vom 14.03.2001 von einem "Ausbau" des streitgegenständlichen Gehwegs gesprochen habe, was darauf hindeute, dass sie selbst zunächst davon ausgegangen sei, vorliegend gehe es nicht um eine Erschließungsmaßnahme im Sinne des BauGB, sondern um eine Ausbaumaßnahme im Sinne des Kommunalabgabenrechts. Dieser Argumentation vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Abgesehen davon, dass die fehlerhafte Annahme, eine Maßnahme sei nicht nach Erschließungs-, sondern nach Ausbaubeitragsrecht abrechenbar, für sich genommen noch nicht zwingend zu einem Abwägungsmangel führen dürfte, lässt die bloße Verwendung des Begriffes "Ausbau" nicht den Schluss zu, die Beklagte sei bei ihrer Abwägung davon ausgegangen, die streitgegenständliche Maßnahme sei nicht nach Erschließungsbeitragsrecht abrechenbar; denn mit dem Begriff "Ausbau" wollte die Beklagte hier - wie sie nachvollziehbar und glaubhaft geltend gemacht hat - lediglich in tatsächlicher Hinsicht darauf abzielen, dass sie eine bestimmte Baumaßnahme beabsichtige, nicht jedoch, dass sie diese gerade als Ausbau im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts ansehe.

Ende der Entscheidung

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