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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 29.10.2003
Aktenzeichen: 2 L 32/02
Rechtsgebiete: LSA-KAG, BGB


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 I 1
BGB § 917 I 1
1. Das Hinterliegergrundstück hat bei sog. Eigentümerverschiedenheit (beim Anlieger- und beim Hinterliegergrundstück) nur dann einen Vorteil von der Straßenausbaumaßnahme, wenn der Zugang zur Straße dauerhaft gesichert ist (wie OVG LSA, Beschl. v. 06.05.2003 - 2 M 39/02 -).

2. Diese Voraussetzungen sind bei einem Notwegerecht des § 917 BGB erfüllt.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 32/02

Datum: 29.10.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

1. Die geltend gemachten "ernstlichen Zweifel" an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht hinreichend dargelegt.

"Darlegen" bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als ein lediglich allgemeiner Hinweis; "etwas darlegen" verlangt vielmehr soviel wie "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas eingehen" (BVerwG, Beschl. v. 02.10.1961 - BVerwG VIII B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 [91]; Beschl. v. 09.03.1993 - BVerwG 3 B 105.92 -, Buchholz 310 [VwGO] § 133 [n. F.] Nr. 11).

Genügte allein die herkömmliche Art der Rechtsmittelbegründung, dann bedürfte es der Zulassungsgründe nicht. Der Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist vor der Zulassung des Rechtsmittels noch nicht, die angegriffene Entscheidung auf ihr Ergebnis hin zu kontrollieren, sondern ausschließlich die Frage, ob das Rechtsmittel zugelassen werden kann. Ob dies der Fall ist, prüft das Gericht nicht von Amts wegen; auch wenn nach der Zulassung im Rechtsmittelverfahren die "Amtsmaxime" des § 86 Abs. 1, 3 VwGO entsprechend gilt (vgl. § 125 Abs. 1 VwGO), hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelführer für das vorgeschaltete Antragsverfahren die besondere "Darlegungslast" nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO 02 auferlegt. Aus dem deutlichen Unterschied dieser Regelung im Vergleich zu der über die Berufungsbegründung (§ 124a Abs. 3 S. 1, 4 VwGO 02) folgt, dass sich die "Gründe" i. S. des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO 02 auf die Zulassungsfragen beziehen müssen und nicht lediglich die angefochtene Entscheidung selbst in Frage stellen dürfen; erst die Berufungsbegründung des § 124a Abs. 3 VwGO 02 ist mit der früheren Art einer Rechtsmittelrechtfertigung vergleichbar.

Das gilt auch für § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; er hat nicht etwa die Bedeutung, Anträgen, welche aus anderen Gründen nicht zur Zulassung führen, sozusagen auffangweise zur Zulassung zu verhelfen, sondern ist Teil des Systems, das grundsätzlich keine Rechtsmittelinstanz eröffnet und die Zulassung nur ausnahmsweise ermöglicht, indem es die Durchführung des Rechtsmittels von dessen Zulassung abhängig macht. Auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann sich nicht schon berufen, wer die angefochtene Entscheidung mit Hilfe einer "Rechtsmittelbegründung alten Rechts" in Frage stellen will, indem er sich mit der Entscheidung auseinander setzt und Gegenpositionen bezieht. Der Darlegungslast genügt vielmehr nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt.

Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Antragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre.

Schon der Anlass für die Nacherhebung des Straßenausbaubeitrags dürfte nicht zutreffend sein; denn die Grundstücke Flurstücke ... und ... dürften zu Unrecht aus der Veranlagung zu Straßenausbaubeiträgen für den B-Weg herausgenommen worden sein.

Für den Fall, dass Hinterlieger- und Anliegergrundstück unterschiedlichen Eigentümerin gehören, vertritt der Senat zu der Frage der In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit einer Verkehrsanlage folgende Auffassung (grundlegender Beschl. des Senats v. 06.05.2003 - 2 M 39/02 - ):

"Wird das Hinterliegergrundstück von der abzurechnenden Anbaustraße durch ein im fremden Eigentum stehendes Anliegergrundstück getrennt (Eigentümerverschiedenheit), ist das Merkmal der vorteilsrelevanten In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit erfüllt, wenn das Hinterliegergrundstück eine dauerhafte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße besitzt (so auch NdsOVG [zu einer insoweit vergleichbaren Rechtslage], Beschl. v. 13.06.2000 - 9 M 1349/00 -, NST-N 2000, 242; Driehaus, [Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl.,] § 35 RdNr. 17).

Auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt für das Erschließungsbeitragsrecht bei dem Begriff des "Erschlossen-Seins" i. S. v. § 131 Abs. 1 S. 1 BauGB, dass ein Hinterliegergrundstück nur dann bei der Beitragsverteilung zu berücksichtigen ist, wenn die Zuwegung über ein unmittelbar an der Straße gelegenes Grundstück voraussichtlich auf Dauer besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.08.2000 - BVerwG 11 B 48.00 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 123 Nr. 42).

Nach dieser Entscheidung steht dem Erfordernis der Dauerhaftigkeit nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum sog. Stichtagsprinzip entgegen. Danach komme es maßgebend auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten an; eine spätere Änderung dieser Verhältnisse habe selbst dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines ergangenen Erschließungsbeitragsbescheids, wenn mit ihr schon im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten zu rechnen war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13. 03.1995 - BVerwG 8 B 5.95 -, Buchholz 406.11 § 134 Nr. 7, m. w. N.). Von einer vorteilsrelevanten In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit kann indes nicht gesprochen werden, wenn die Verkehrsanlage nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, am Tag des Entstehens der Beitragspflicht, tatsächlich und rechtlich (vom Eigentümer geduldet) zugänglich ist. Wenn es auch im Straßenbaubeitragsrecht nicht in erster Linie auf die Bebaubarkeit des Grundstücks ankommt, setzt doch eine am Vorteilsbegriff orientierte Betrachtung gleichfalls voraus, dass - nach den Umständen zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht - eine in Bezug auf die In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit feste Verbindung zum öffentlichen Wegenetz auf Dauer prognostiziert werden kann.

Bei der Frage, wann eine dauerhafte Verbindung zum öffentlichen Wegenetz besteht, ist nach Auffassung des Senats ebenso wie bei der Identität des Eigentümers des hinterliegenden und des angrenzenden Grundstücks darauf abzustellen, ob der Eigentümer des hinterliegenden die Zuwegung über das anliegende Grundstück aus eigenem Willensentschluss jederzeit ermöglichen kann.

Nur so wäre im Übrigen das Grundstück, wenn es über keine Zweit-Erschließung verfügen würde, auch nur als bebaubar anzusehen. § 4 Abs. 1 BauO LSA verlangt in der geänderten Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 15.02.2000 - BauO n. F. - (LSA-GVBl., S. 723), dass Gebäude nur errichtet werden dürfen, wenn das Grundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt oder wenn das Grundstück eine befahrbare, rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche hat. Bis zum 09.02.2001, dem In-Kraft-Treten des Vereinfachungsgesetzes, verlangte § 4 BauO-LSA a. F. darüber hinaus, dass die Zufahrt öffentlich-rechtlich gesichert war.

Wenn auch durch die Gesetzesänderung nunmehr eine privatrechtliche Sicherung als ausreichend angesehen wird, ändert dies nichts daran, dass unter Berücksichtigung der teleologischen Auslegung des § 4 Abs. 1 BauO-LSA n. F. für die Bebaubarkeit eines Grundstücks eine gewisse dingliche Verfestigung des Zufahrtsrechts notwendig ist. Dies ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien zum Vereinfachungsgesetz (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 14.06.2000 [LdTg-Drs 3/3276] zu § 4 [S. 103]). Danach soll "durch die neue Regelung neben der bisherigen Baulasteintragung künftig zur Sicherung einer Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrfläche auch eine privatrechtliche Sicherung, z. B. durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit möglich" sein.

Die hier in diesem Verfahren vorliegende mündliche, schuldrechtliche Gestattung genügt den Anforderungen des § 4 Abs. 1 BauO-LSA auch in seiner geänderten Fassung demnach nicht.

Im Falle der Eigentümerverschiedenheit bei angrenzenden Grundstücken sowie einer Zufahrtsmöglichkeit vermittelt eine bloße schuldrechtliche Gestattung, jedenfalls dann, wenn das Hinterliegergrundstück - wie hier - anderweitig erschlossen ist, keine vorteilsrelevante In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit (anderer Auffassung wohl: Driehaus, a. a. O. § 35 RdNr. 18).

Würde man keine dauerhafte Inanspruchnahmemöglichkeit für das Auslösen der Straßenausbaubeitragspflicht verlangen, müsste jedes Grundstück zu Straßenausbaubeiträgen veranlagt werden, das im Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht eine tatsächliche Zufahrts- oder Zugangsmöglichkeit über ein fremdes Grundstück auf die Verkehrsanlage besitzt. Ließe man eine schuldrechtliche Zusicherung der Zugangsmöglichkeit im Straßenausbaubeitragsrecht ausreichen, so wäre einem Grundstückseigentümer auch schwerlich zu vermitteln, weshalb eine solche Zugangsmöglichkeit zu seinem Grundstück, die eine Straßenausbaubeitragspflicht auszulösen vermag, ihm gleichwohl, sollte er nur auf diese Erschließung angewiesen sein, nicht die notwendige baurechtliche Erschließung seines Grundstücks verschaffen kann."

Die Frage, ob ein Notwegerecht nach § 917 BGB eine ausreichende dauerhafte In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit darstellt, brauchte der Senat bisher noch nicht zu entscheiden, er beantwortet sie nunmehr aber bejahend; denn auch beim Notwegrecht liegt es in der Verfügungsmacht des Eigentümers des Hinterliegergrundstücks dieses Recht bei einem bestehenden Rechtsanspruch durch Herbeiführen einer gerichtlichen Festlegung nach Maßgabe des § 917 Abs. 1 Satz 2 BGB zu realisieren. Diese Rechtsposition ist deutlich gesicherter als die im Falle einer rein schuldrechtlichen, zeitweiligen Gestattung.

Die gesetzliche Notwegeregelung des § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB gestattet dem Eigentümer eines Grundstücks, das von ihm unbeeinflusst (§ 918 BGB) nicht mit dem öffentlichen Wegenetz verbunden ist, die erforderliche Verbindung über ein Nachbargrundstück herzustellen. Dies ist nur bei gleichzeitiger Entgeltzahlung zulässig (§ 917 Abs. 2 BGB) und kann darüber hinaus auch nicht beliebig geschehen. Die Eigentumsbeschränkung muss der Verpflichtete im Interesse einer wirtschaftlichen Ausnutzung des Grund und Bodens hinnehmen. Auf Seiten des Berechtigten führt der Notwegeanspruch zu einer Erweiterung des Inhalts seines Grundstückseigentums. Wegen der schwerwiegenden Erfordernisse des § 917 Abs. 1 BGB für ein Überfahrtsrecht ist stets ein strenger Maßstab anzulegen. Es ist aber auch anerkannt, dass der anzulegende Maßstab für die Beurteilung der Bedürfnisse des verbindungslosen Grundstücks weniger streng gehandhabt werden kann, wenn die Interessen des in Anspruch genommenen Eigentümers des Verbindungsgrundstücks praktisch nicht in spürbarem Ausmaß beeinträchtigt würden. Das ist etwa dann der Fall, wenn lediglich die Mitbenutzung einer Zufahrt in Rede steht, welche der Nachbar im eigenen Interesse ohnehin aufrechterhalten muss und die von seinem Wohngebäude so weit entfernt liegt, dass von der Mitbenutzung auch keine Störungen ausgehen können (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.01.1995 - 6 U 198/93 -, nach juris). So dürfte der Fall hier liegen, weil sämtliche Grundstückseigentümer in gleicher Weise durch die Garagenzeile von einer Anfahrmöglichkeit an ihre Grundstücke abgeschnitten sind und sie sich auch faktisch durch die gemeinsame Mitbenutzung des Privatwegs diese Anfahr- und Zugangsmöglichkeit schon langjährig geschaffen haben.

Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das dem Landkreis K. gehörende Berufsschulgrundstück (Flurstück ...) bei der Ermittlung der beitragspflichtigen Grundstücke hätte mit einbezogen werden müssen. Insoweit wird auf den Beschluss vom heutigen Tag in dem Verfahren - 2 L 3/02 - verwiesen. Auch dies rechtfertigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

2. Auch in diesem Verfahren stellen sich keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), auf denen die Entscheidung beruht und die eine Berufungszulassung rechtfertigen könnten.

Ende der Entscheidung

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