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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 20.11.2003
Aktenzeichen: 2 L 36/00
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO, AuslG, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 III 1
AsylVfG § 78 III 3
VwGO § 86 I
VwGO § 86 II
VwGO § 138 Nr. 3
AuslG § 53 VI
GG Art. 1 I
GG Art. 2 II
GG Art. 103 I
1. Eine Tatsachenfrage hat keine "grundsätzliche Bedeutung", wenn sie sich mit Hilfe der Auskünfte sachverständiger Stellen beantworten lässt.

In Ghana besteht keine Gefahrenlage, die begründen könnte, dass Rückkehrer aufgrund einer mangelhaften Versorgung mit Nahrung und Wohnraum oder mit medizinischer Hilfe einer hochgradigen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sind.

2. Fehler der Tatsachenfeststellung oder der Würdigung können nicht als Verfahrensfehler nach § 138 Nr. 3 VwGO geltend gemacht werden.

3. Ein "Übergehen" von Beweisantritten begründet keine Verletzung rechtlichen Gehörs, wenn der Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden ist.

4. Wird die Verhandlung unterbrochen (hier: wegen der Beratung über einen Befangenheitsantrag), so verletzt der Asylbewerber seine Obliegenheitspflicht, wenn er sich vom Gerichtsgebäude entfernt, ohne sich nach dem weiteren Gang der Verhandlung zu erkundigen.

5. Dem Gericht muss sich eine weitere Beweisaufnahme nicht aufdrängen, wenn es seine Überzeugung auf Auskünfte sachverständiger Stellen stützt.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 36/00

Datum: 20.11.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 78 Abs. 3 - 5; 83b des Asylverfahrensgesetzes - Asyl-VfG - i. d. F. d. Bek. v. 27.07.1993 (BGBl I 1361), geändert durch Gesetz vom 02.08.1993 (BGBl I 1442), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 (BGBl I 361 [371]), und auf §§ 154 Abs. 2; 159 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987).

1. Die von den Klägern geltend gemachte "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG vermag die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen.

Für eine "grundsätzliche Bedeutung" (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nämlich keine konkrete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, aber in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Tatsachen- oder Rechtsfrage aufgeworfen, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung bedarf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist. Eine Tatsachenfrage ist dann nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie sich mit den bereits vorliegenden Erkenntnissen eindeutig beantworten lässt (OVG LSA, Beschl. v. 14.04.2000 - A 2 S 42/99 -; vgl. auch Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 RdNr. 137 [m. w. N.]; HessVGH, Beschl. v. 30.09.1998 - 5 A 3829/97 -). Die Frage muss so eindeutig bezeichnet sein, dass bereits im Zulassungsverfahren beurteilt werden kann, ob sie in dem anhängigen Rechtsmittelverfahren klärungsbedürftig und -fähig ist (BVerwG, Beschl. v. 14.02.1984 - BVerwG 1 B 10.84 -, Buchholz 402.24 [AuslG] § 10 Nr. 102 [S. 75]). Insbesondere muss dargelegt werden, dass die Frage, so, wie sie formuliert worden ist, für die Entscheidung des Rechtsstreits entscheidungserheblich (gewesen) ist; bei grundsätzlichen Tatsachenfragen muss die Antragsbegründung erkennen lassen, warum das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse unzutreffend beurteilt haben soll, z. B. einschlägige Erkenntnismittel unberücksichtigt gelassen, das Gewicht einer abweichenden Meinung verkannt hat, und dass deshalb die Bewertungen insgesamt nicht haltbar seien (vgl. Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 RdNr. 140 [m. w. N.]; OVG LSA, Beschl. v. 18.02.1998 - A 1 S 134/97 -; OVG NW, Beschl. v. 31.05.1995 - 1 A 2214/99.A -; VGH BW, Beschl. v. 10.05.1999 - A 6 S 1784/98 -). Dabei bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen - etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte - einer unterschiedlichen Würdigung und damit einer Klärung im Berufungsverfahren zugänglich sind (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 18.02.1998, a. a. O.; NdsOVG, Beschl. v. 18.11.1998 - 12 L 5103/98 -; OVG NW, Beschl. v. 31.05.1999, a. a. O.).

Daran fehlt es; denn die von den Klägern zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung aufgeworfene Rechtsfrage, ob "der Gefahrenbegriff i. S. d. Regelung des § 53 Abs. 6 S. 1 und 2 AuslG und der zugrundezulegende Prognosemaßstab unter der Berücksichtigung der UN-Kinderschutzkonvention und des Haager Minderjährigenschutzabkommens vermittelt über Artikel 1, 2 und 20 Grundgesetz bei Minderjährigen ein anderer als bei Erwachsenen ist, so dass drohende Obdachlosigkeit und drohender Hunger (Mangelernährung) Abschiebungshindernisse bilden", ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde. Das Verwaltungsgericht ist nämlich unter Auswertung der tatsächlichen Lebensverhältnisse in Ghana und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes - AuslG - (= Art. 1 des Gesetzes vom 09.07.1990 [BGBl I 1354], geändert durch Gesetz vom 30.06.1993 [BGBl I 1062], zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 [BGBl I 361 <368>]), zu dem Ergebnis gelangt, dass schon eine Gefahrenlage, die begründen könnte, dass die Kläger im Falle einer Rückführung nach Ghana aufgrund einer mangelnden Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Wohnraum einer hochgradigen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sein würden, nach der derzeitigen Auskunftslage nicht besteht.

Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts wird durch die Auskunftslage bestätigt. So stellt das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht vom 25.11.2002 fest, dass in Ghana die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und die medizinische Versorgung gewährleistet sind. Zwar existiert in Ghana eine beitragsabhängige medizinische Versorgung, ein sog. "cash and carry system", d. h. Patienten werden nur dann behandelt, wenn sie die medizinischen Leistungen - im Regelfall im voraus - bezahlen. Allerdings stehen, selbst wenn Rückkehrer nicht auf einen funktionierenden Familienverband und damit auf eine finanzielle und soziale Absicherung zurückgreifen können, zusätzlich Mittel zur Verfügung, um die Kosten in sozialen Notfällen übernehmen zu können. Vereinzelt gibt es auf Gemeindeebene ein öffentlich-rechtliches Krankenversicherungssystem. Die Krankenhäuser und einige Spezialabteilungen verfügen über Spendengelder, die sie für die Behandlung mittelloser Kranker verwenden (so auch Botschaftsbericht vom 10.06.2001). Schließlich sind auch sämtliche Medikamente in ghanaischen Apotheken erhältlich. Im Übrigen lassen sich den vorliegenden Erkenntnismitteln keine Anhaltspunke dafür entnehmen, dass rückkehrenden ghanaischen Staatsangehörigen Obdachlosigkeit droht. Auch die Antragsschrift der Kläger beschränkt sich insoweit inhaltlich darauf, eine drohende Obdachlosigkeit und drohenden Hunger zu behaupten. Eine substantiierte Darlegung und Aufbereitung der Tatsachen, die diese Annahme der Kläger begründen könnten, lässt die Antragsschrift aber ebenso vermissen wie die Benennung von Beweis- und Erkenntnismitteln, die geeignet wären, die klägerischen Behauptungen zu stützen.

Lässt sich mithin feststellen, dass den Klägern schon keine Obdachlosigkeit oder Hunger in Ghana droht, ist die von ihnen aufgeworfene Rechtsfrage zum Gefahrenbegriff des § 53 Abs. 6 S. 1 und 2 AuslG nicht (mehr) klärungsbedürftig.

Letztlich geht es den Klägern um die einzelfallbezogene Anwendung nicht umstrittener und insoweit nicht auslegungsbedürftiger Normen (§ 53 Abs. 6 S. 1 und 2 AuslG; UN-Kinderschutzkonvention und Haager Minderjährigenschutzabkommen); denn die Beurteilung des vorliegenden Verfahrens ist angesichts des Krankheitsbildes der Klägerin zu 1. ("Fruktose- und Sorbit-Malabsorption") ausschlaggebend von der Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls abhängig.

Soweit die Antragsschrift in diesem Zusammenhang die angeblich fehlerhafte Würdigung der Tatsachen durch das Verwaltungsgericht rügt, führt dies nicht zur Zulassung der Berufung; denn die damit inzident erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist insbesondere von vornherein nicht geeignet, eine - vermeintlich - fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhaltes einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn der Richter im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit zur Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zu einer möglicherweise unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist (BVerfG, Beschl. v. 19.07. 1967 - 2 BvR 639/66 -, BVerfGE 22, 267 [273 f]; Beschl. v. 04.04. 1991 - 2 BvR 1497/90 -, InfAuslR 1991, 262 [263], ständige Rechtsprechung des Senates z. B.: A 2 S 54/98).

2. Soweit mit dem Zulassungsantrag geltend gemacht wird, das rechtliche Gehör der Kläger sei verletzt worden (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), kann dieser keinen Erfolg haben.

Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet das Recht, sich in der mündlichen Verhandlung sowohl zur Rechtslage als auch zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt äußern zu können. Im Rahmen eines auf Asylanerkennung gerichteten Klageverfahrens ist dem Asylsuchenden in der mündlichen Verhandlung insbesondere Gelegenheit zu geben, sein Verfolgungsschicksal umfassend zu schildern und zu allen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, auf die es für die Entscheidung über sein Asylbegehren ankommt. Darüber hinaus verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerwG, Urt. v. 14.04.1989 - BVerwG 4 C 22.88 -, NJW 1989, 3235 [Nr. 23]). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann nur festgestellt werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass dies nicht geschehen ist.

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist nicht ersichtlich, dass die Kläger in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt sind; denn das Gericht hat das persönliche Verfolgungsschicksal der Kläger sowohl im Tatbestand festgestellt als auch in den Entscheidungsgründen gewertet. Dass das Gericht letztlich zu einer anderen tatsächlichen und rechtlichen Bewertung als die Kläger gekommen ist, vermag dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen, da das rechtliche Gehör - wie oben bereits erläutert - nicht schon verletzt ist, wenn der Richter bei der Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse zu einer möglicherweise unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist (BVerfGE 22, 267 [273f]).

Auch das "Übergehen" der schriftsätzlich angekündigten Beweisanträge verletzt das rechtliche Gehör der Kläger nicht, weil die Anträge nicht vorab beschieden werden mussten und sie in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden sind. Auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann sich aber nur berufen, wer darlegt, zunächst selbst alles ihm Mögliche versucht zu haben, um sich Gehör zu verschaffen (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 138 RdNr. 19 [m. w. Nachw.]; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/ Kuntze/von Albedyll, VwGO, § 138 RdNr. 48 [m. w. Nachw.]; Berlit, in: GK-AsylVfG § 78 RdNrn. 276 ff [m. w. Nachw.]; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., AsylVfG § 78 RdNr. 32 [m. w. Nachw]; vgl. auch: OVG LSA, Beschl. v. 16.01.1995 - 2 L 10/95 -; Beschl. v. 04.05.1995 - 2 L 54/95 -); insbesondere hätte es den im Termin anwesenden und anwaltlich vertretenen Klägern nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung offen gestanden, an deren Fortsetzung teilzunehmen, um nach Ablehnung des Beweisantrages prozessual zu reagieren und sich so das nunmehr als verletzt bezeichnete rechtliche Gehör zu verschaffen. Auch ist das Gericht prozessrechtlich nicht verpflichtet, den Beteiligten die voraussichtliche Dauer der Unterbrechung mitzuteilen. Im Übrigen hätte es dem Prozessbevollmächtigten der Kläger oblegen, sich vor Verlassen des Gerichtsgebäudes zunächst mit der Geschäftsstelle der 1. Kammer in Verbindung zu setzen, um die Unterbrechensdauer in Erfahrung zu bringen und ggf. noch das Stellen von Beweisanträgen bei Fortsetzung der Verhandlung anzukündigen oder sogar einen Vertagungsantrag zu stellen. Die Kläger können sich insbesondere nicht darauf berufen, ihnen sei der Zugang zu den Räumlichkeiten der 1. Kammer verwehrt gewesen; denn in einem solchen Fall wäre jedenfalls eine telefonische Kontaktaufnahme möglich und zumutbar gewesen.

3. Etwas Anderes gilt auch dann nicht, wenn man die Einlassung der Kläger dahin versteht, das Verwaltungsgericht sei seiner Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung nicht nachgekommen, indem es von einer weiteren Beweisaufnahme abgesehen habe.

Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags aus § 86 Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 VwGO ergeben, haben die Kläger mit ihren schriftsätzlich aufgezeigten "Beweisermittlungsansätzen" eine weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO lediglich angeregt. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist unter diesen Umständen nur dann begründet, wenn sich dem Gericht von Amts wegen eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschl. v. 09.12.1997 - BVerwG 9 B 505.97 - [juris]). Dem Verwaltungsgericht musste sich vorliegend eine weitere Beweisaufnahme schon deswegen nicht aufdrängen, weil es auf der Grundlage der vorliegenden Auskünfte sachverständiger Stellen, die den Klägern bekannt waren, das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG abgelehnt hatte.

Ende der Entscheidung

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