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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 08.10.2003
Aktenzeichen: 2 L 389/01
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 34 I
BauGB § 35 I Nr. 4
1. Die tatbestandliche Weite der Auffangvorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist durch erhöhte Anforderungen an die im Gesetz umschriebenen Privilegierungsvoraussetzungen auszugleichen. Das Merkmal des "Sollens" setzt deshalb eine Wertung voraus, ob nach Lage der Dinge das Vorhaben wegen seiner Zweckbestimmung hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann. "Erforderlich" ist das, was getan werden muss, damit die privilegierte Tätigkeit ausgeübt werden kann.

2. Ein gastronomischer Betrieb "soll" auch nicht in der Art einer normalen Ausflugsgaststätte seiner Zweckbestimmung nach n u r im Außenbereich ausgeführt werden (hier: im Anschluss an eine Innenbereichsbebauung).

Wenn ein Ausflugsbetrieb nur darauf ausgerichtet ist, die besondere Erholungseignung des Standorts auszunutzen, um die Nachfrage verschiedener Gästegruppen zu befriedigen oder gar erst zu erzeugen, fehlt es an einer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 389/01

Datum: 08.10.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 1 S. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Die geltend gemachten "ernstlichen Zweifel" an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht hinreichend dargelegt.

"Darlegen" bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als ein lediglich allgemeiner Hinweis; "etwas darlegen" verlangt vielmehr soviel wie "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas eingehen" (BVerwG, Beschl. v. 02.10.1961 - BVerwG VIII B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 [91]; Beschl. v. 09.03.1993 - BVerwG 3 B 105.92 -, Buchholz 310 [VwGO] § 133 [n. F.] Nr. 11).

Genügte allein die herkömmliche Art der Rechtsmittelbegründung, dann bedürfte es der Zulassungsgründe nicht. Der Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist vor der Zulassung des Rechtsmittels noch nicht, die angegriffene Entscheidung auf ihr Ergebnis hin zu kontrollieren, sondern ausschließlich die Frage, ob das Rechtsmittel zugelassen werden kann. Ob dies der Fall ist, prüft das Gericht nicht von Amts wegen; auch wenn nach der Zulassung im Rechtsmittelverfahren die "Amtsmaxime" des § 86 Abs. 1, 3 VwGO entsprechend gilt (vgl. § 125 Abs. 1 VwGO), hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelführer für das vorgeschaltete Antragsverfahren die besondere "Darlegungslast" nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO 02 auferlegt. Aus dem deutlichen Unterschied dieser Regelung im Vergleich zu der über die Berufungsbegründung (§ 124a Abs. 3 S. 1, 4 VwGO 02) folgt, dass sich die "Gründe" i. S. des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO 02 auf die Zulassungsfragen beziehen müssen und nicht lediglich die angefochtene Entscheidung selbst in Frage stellen dürfen; erst die Berufungsbegründung des § 124a Abs. 3 VwGO 02 ist mit der früheren Art einer Rechtsmittelrechtfertigung vergleichbar.

Das gilt auch für § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; er hat nicht etwa die Bedeutung, Anträgen, welche aus anderen Gründen nicht zur Zulassung führen, sozusagen auffangweise zur Zulassung zu verhelfen, sondern ist Teil des Systems, das grundsätzlich keine Rechtsmittelinstanz eröffnet und die Zulassung nur ausnahmsweise ermöglicht, indem es die Durchführung des Rechtsmittels von dessen Zulassung abhängig macht. Auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann sich nicht schon berufen, wer die angefochtene Entscheidung mit Hilfe einer "Rechtsmittelbegründung alten Rechts" in Frage stellen will, indem er sich mit der Entscheidung auseinander setzt und Gegenpositionen bezieht. Der Darlegungslast genügt vielmehr nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt.

Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Antragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre.

Soweit die Zulassungsschrift geltend macht, dass Verwaltungsgericht habe das Grundstück der Klägerin zu Unrecht als Außenbereichsgrundstück bewertet, vermag sie ernstliche Zweifel an dieser Einschätzung mit ihrer Argumentation schon nicht zu begründen.

Auszugehen ist von der Sachlage, wie das Grundstück ohne die zur Genehmigung gestellten baulichen Anlagen einzuordnen ist.

Die Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB, den die Klägerin für einschlägig hält, setzt das Vorhandensein eines Bebauungszusammenhanges voraus. Die Zulassungsschrift meint, da das Grundstück der Klägerin unmittelbar an das bebaute Grundstück ...A... angrenze, nehme es noch am Bebauungszusammenhang teil. Dies ist indes nicht der Fall.

Zwar können auch unbebaute Flächen einem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sein. Maßgeblich ist, wieweit eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandenen Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche selbst diesem Zusammenhang angehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 06. 11. 1968 - BVerwG 4 C 2.66 -, BVerwGE 31, 20, v. 19.09.1986 - BVerwG 4 C 15.84 -, BVerwGE 75, 34, und v. 14.11. 1991 - BVerwG 4 C 1.91 - Buchholz 310 [VwGO] § 86 Abs. 1 Nr. 236). Das ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben zu entscheiden. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Wertung und Bewertung der konkreten Gegebenheiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.12.1967 - BVerwG 4 C 94.66 -, BVerwGE 28, 268; Beschl. v. 27.05.1988 - BVerwG 4 B 71.88 - Buchholz 406.11 [BBauG/BauGB] § 34 Nr. 127, und vom 01.04.1997 - BVerwG 4 B 11.97 -, Buchholz 406.11 § 35 Nr. 328).

Ein Bebauungszusammenhang scheidet auch bei einer Grundstückslage am Ortsrand nicht von vornherein aus. Zwar endet er in aller Regel am letzten Baukörper, örtliche Besonderheiten können es aber rechtfertigen, ihm noch bis zu einer natürlichen Grenze (z. B. Fluss, Waldrand o. ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1990 - BVerwG 4 C 40.87 -, Buchholz 406.11 § 34 Nr. 138; Beschl. v. 18.06.1997 - BVerwG 4 B 238.96 -, und v. 20.08.1998 - BVerwG 4 B 79.98 -, NVwZ-RR 1998, 157 und 1999, 105 = Buchholz 406.11 § 34 Nrn. 186 und 191).

Solche örtlichen Besonderheiten vermochte die Zulassungsschrift nicht darzulegen.

Soweit die Zulassungsschrift von einer Außenbereichslage ausgeht und meint, das klägerische Vorhaben sei gemäß § 35 Abs.1 Nr. 4 BauGB als Ausflugslokal privilegiert zulässig, führt dies ebenso wenig zum Erfolg.

Der Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB setzt voraus, dass das beabsichtigte Vorhaben wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden "soll". Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt diese Bestimmung einen Auffangtatbestand für solche Vorhaben dar, die von den Nummern 1 bis 3, 5 und 6 nicht erfasst werden, nach den Grundsätzen städtebaulicher Ordnung, wenn überhaupt, sinnvoll aber nur im Außenbereich ausgeführt werden können, weil sie zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zwecks auf einen Standort außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile angewiesen sind (vgl. Urt. v.16.06.1994 - BVerwG 4 C 20.93 -, BVerwGE 96, 95 <103 f.>, m. w. N.). Die tatbestandliche Weite dieser Vorschrift ist durch erhöhte Anforderungen an die im Gesetz umschriebenen Privilegierungsvoraussetzungen auszugleichen, da sich nur so das gesetzgeberische Ziel erreichen lässt, den Außenbereich in der ihm vornehmlich zukommenden Funktion, der Land- und Forstwirtschaft sowie der Erholung für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stehen, vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu schützen (vgl. das vorgenannte Urteil mit weiteren Nachweisen). Das Tatbestandsmerkmal des "Sollens" setzt demgemäß eine Wertung voraus, ob nach Lage der Dinge das Vorhaben wegen seiner Zweckbestimmung hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann (vgl. Urt. v. 14.05.1969 - BVerwG 4 C 19.68 -, BVerwGE 34, 1 <2>). Die Privilegierung setzt daher voraus, dass die Durchführung des Vorhabens im Außenbereich gerade durch die besondere Eigenart des Vorhabens erfordert wird. "Erforderlich" in diesem Sinne ist das, was getan werden muss, damit die privilegierte Tätigkeit ausgeübt werden kann (vgl. Schlichter/Stich, Berliner Schwerpunkte Kommentar zum BauGB 1998, RdNr. 14 zu § 35; BVerwG, Beschl. v. 23.11.1995 - BVerwG 4 B 209.95 -, Buchholz 406.11 § 35 Nr. 315, m. w. N.).

Einschränkend hat das Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben, dass diese Vorschrift Vorhaben privilegieren will, die singulären Charakter haben, jedenfalls nicht in einer größeren Zahl zu erwarten sind und deshalb nicht das Bedürfnis nach einer vorausschauenden förmlichen Bauleitplanung im Außenbereich auslösen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.1994, a. a. O., S. 104). Als Privilegierungstatbestand ist § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB kein geeignetes Instrument, im Außenbereich Bau- oder Nutzungswünsche zu steuern, die "Vorbildwirkung" für weitere gleichartige Wünsche haben.

Dass ein gastronomischer Betrieb nicht - auch nicht in der Art einer "normalen" Ausflugsgaststätte - seiner Zweckbestimmung nach nur im Außenbereich ausgeführt werden soll im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB, unterliegt keinen Zweifeln. Das sieht auch Dyong (vgl. Enst-Zinkahn-Bielenberg, RdNr. 65 zu § 35 BauGB) nicht anders, der lediglich Ausflugsgaststätten "in den Einkehrzonen der Naturparks" nach dieser Bestimmung als zulässig ansieht, während er im Übrigen Gaststätten nur im Rahmen des § 35 Abs. 2 BauGB für zulässig hält.

Wenn ein Ausflugsbetrieb nur darauf ausgerichtet ist, die besondere Erholungseignung des Standorts auszunutzen, um die Nachfrage von verschiedenen Gästegruppen, etwa Autofahrern, Busgesellschaften oder sonstigen Gesellschaften oder Einzelpersonen, zu befriedigen oder gar erst zu erzeugen, handelt es sich nie um einen privilegierten Betrieb nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB.

Dass der klägerische Betrieb nach § 35 Abs. 2 BauGB zu genehmigen wäre, macht die Zulassungsschrift nicht geltend.

Ende der Entscheidung

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