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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.11.2008
Aktenzeichen: 2 L 80/08
Rechtsgebiete: LSA BauO


Vorschriften:

LSA BauO 3 Abs. 1
LSA BauO 48 Abs. 1 S. 2
Unter den Begriff Änderung einer baulichen Anlage in § 48 Abs.1 S. 2 BauO LSA fällt nicht die vollständige Beseitigung einer Anlage unter anschließender Neuerrichtung; auch dann nicht, wenn die ursprüngliche Nutzung mit der nunmehrigen Nutzung vergleichbar war.
Gründe:

1.1 Mit Antrag vom 16.12.1992 beantrage die Klägerin bei dem Rechtsvorgänger des Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Geschäftshauses in der D-straße und F-straße , den Abbruch des Wohn- und Geschäftshauses D-straße und F-straße und den Wiederaufbau des Gebäudes D-straße in Wolmirstedt. Mit Bescheid vom 07.12.1993 genehmigte der Rechtsvorgänger des Beklagten das Bauvorhaben unter der Nebenstimmung, dass erforderliche 30 Stellplätze nachzuweisen seien bzw. der Nachweis über die Zahlung eines Ablösebetrags entsprechend der einschlägigen Ablösesatzung zu erbringen sei. Nachdem die Klägerin die erforderlichen Stellplätze nicht nachgewiesen hatte, forderte der Rechtsvorgänger des Beklagten die Klägerin mit Bescheid vom 19.04.2001 auf, 25 Stellplätze nachzuweisen oder einen Ablösebetrag in Höhe von 161.875 DM an die Stadt zu zahlen.

1.2 Nach erfolglosem Widerspruchverfahren erhob die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg. Dieses hob den Bescheid auf, soweit für die ersten acht Stellplätze ein Ablösebetrag gefordert wurde und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es u. a. aus: Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg auf die Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA 2005 berufen, wonach bei Änderungen oder bei Änderungen der Nutzung baulicher Anlagen nur Stellplätze für den Mehrbedarf verlangt werden dürften. Die Voraussetzungen dieser Regelung würden hinsichtlich der von der Klägerin vorgetragenen Altnutzung des Grundstücks D-straße nicht vorliegen. Unabhängig von dem vorangegangenen Stellplatzbedarf habe die Klägerin mit ihrem Neubauvorhaben entsprechend der Baugenehmigung vom 07.12.1993 nicht nur eine bestehende bauliche Anlage geändert. Eine Änderung liege nur dann vor, wenn die Umgestaltung eines vorhandenen Bestandes erfolge. Sie setze jedenfalls eine noch bestehende Anlage voraus, während die vollständige Beseitigung einer Anlage unter anschließender Neuerrichtung (Ersatzneubau) eine Errichtung darstelle. Um einen solchen Ersatzneubau handle es sich hier. Der Gebäudekomplex sei erst nach Abriss der alten Bausubstanz errichtet worden. Dass dabei die alte Kubatur berücksichtigt worden sei, ändere an der baurechtlichen Einstufung nichts.

1.3 Den Antrag auf Zulassung der Berufung hat die Klägerin wie folgt begründet:

1.3.1 Es beständen ernstliche Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Änderung des § 48 BauO LSA im Jahr 2005 habe der Erleichterung von Investitionen gedient. Zukünftige Bauherren sollten von beabsichtigten Investitionen nicht dadurch abgeschreckt werden, dass an das Vorhaben zusätzliche, teuere Anforderungen gestellt würden, wie zum Beispiel die Schaffung von Stellplätzen. Vor diesem Hintergrund habe man sich u. a. dafür entschieden, dass nach § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA bei Änderungen oder bei Änderung der Nutzung baulicher Anlagen nur Stellplätze für den Mehrbedarf verlangt würden. Die Regelung gehe davon aus, dass mit der Neuerrichtung bzw. Änderung eines Gebäudes jeweils ein gesteigertes Aufkommen des ruhenden Verkehrs einhergehe, dem durch den Nachweis von Stellplätzen Rechnung getragen werden solle. Das von ihr bebaute Grundstück sei vor dessen Neubebauung mit Gebäuden besetzt gewesen, die eine Nutzung erfahren hätten, die ebenfalls einen Stellplatzbedarf ausgelöst hätten. Dieser Stellplatzbedarf habe von den in der Innenstadt von zur Verfügung stehenden Stellplätzen aufgefangen werden können. Sie habe die vorhandenen lnnenstadtgrundstücke genutzt, um an derselben Stelle ein gleichartiges Gebäude zu errichten. Das Gebäude D-straße sei in den Außenmaßen nahezu vollständig wieder so hergestellt wie vor dem Abriss der Altsubstanz. Die Fassade des Gebäudes sei im ursprünglichen Stil wieder erstellt worden. Der Stellplatzbedarf, der vor dem Abriss bereits durch die in der Innenstadt vorhandenen Parkplätze befriedigt worden sei, habe sich insoweit nicht geändert. Die Neuerrichtung stehe in diesem Fall der Änderung gleich. Der ruhende Verkehr werde nur soweit zusätzlich beeinträchtigt, wie das neue Vorhaben einen zusätzlichen Stellplatzbedarf auslöse. Wenn die bisherige Nutzung eines Grundstücks bereits den ruhenden Verkehr belastet habe, so könne diese Belastung nicht unberücksichtigt bleiben, wenn das bisher bestehende Gebäude abgerissen und unmittelbar im Anschluss neu errichtet werde. Aus dem Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA ergebe sich daher, dass unter den Begriff der "Änderung" - anders als im übrigen Baurecht - auch die alsbaldige Neuerrichtung eines abgerissenen Gebäudes zu fassen sei.

1.3.2 Darüber hinaus sei die Berufung auch nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Entscheidung werfe die Frage auf, ob unter dem Begriff der Änderungen baulicher Anlagen in § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA auch der Abriss und die alsbaldige Neuerrichtung des Gebäudes an Ort und Stelle zu fassen sei. Eine gerichtliche Entscheidung zu dieser Frage liege bisher nicht vor. Sie habe eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, da sie für jeden Fall von Bedeutung sei, in dem bauliche Anlagen abgerissen und neu errichtet würden.

2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

2.1 Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die vollständige Beseitigung einer baulichen Anlage unter anschließender Neuerrichtung nicht nur nach § 3 Abs. 1 BauO LSA keine Änderung einer baulichen Anlage, sondern auch keine Änderung i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA sei. § 48 Abs. 1 BauO LSA verwendet die Begriffe "Errichtung" und "Änderung" wortgleich mit § 3 Abs. 1 BauO LSA. Hätte der Gesetzgeber unter "Änderung einer baulichen Anlage" in § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA auch die vollständige Beseitigung einer Anlage unter anschließender Neuerrichtung einer baulichen Anlage erfassen wollen, hätte er eine andersgeartete gesetzliche Regelung treffen müssen. Nach der in der deutschen Rechtsordnung allgemein anerkannten Gesetzesinterpretation erfolgt die Auslegung unter Berücksichtigung von Wortlaut, systematischer Stellung, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der betreffenden Vorschrift. Reichen diese Kriterien nicht aus, so ist auf objektiv-teleologische Kriterien zurückzugreifen, auch wenn dies dem Gesetzgeber so nicht voll bewusst gewesen sein sollte. Dabei ist auf die Sachstrukturen des Normbereichs und auf Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu achten. Auch ist der Wortlaut Ausgangspunkt und Grenze der gesetzlichen Auslegung. Nach der bauordnungsrechtlichen Dogmatik ist die Änderung einer baulichen Anlage die Umgestaltung eines vorhandenen Bestands. Sie setzt immer eine noch bestehende Anlage voraus. Die vollständige Beseitigung einer Anlage unter anschließender Neuerrichtung stellt eine Errichtung einer baulichen Anlage dar (vgl. Jäde, in Jäde/Dirnberger BauO LSA, Kom, § 48 RdNr. 5). Gemessen daran ist davon auszugehen, dass dem "verobjektivierten" Gesetzgeber die Bedeutung des Begriffs "Änderung einer baulichen Anlage" in § 3 Abs. 1 BauO LSA bewusst gewesen ist. Ihm kann nicht unterstellt werden, dass er sich bei der Verwendung dieses Begriffes wortgleich in § 48 Abs. 1 BauO LSA in einen Wertungswiderspruch zu § 3 Abs. 1 BauO LSA setzen wollte. Darüber hinaus dient die "Mehrbedarfsregelung" in § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA - wie auch ein Vergleich mit der Musterbauordnung (vgl. MBauO 2002 § 86 Abs. 1 Nr. 4) zeigt - nicht der Investitionserleichterung, sondern vielmehr dem aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG hergeleiteten baurechtlichen Bestandsschutz. Auch die Zulassungsschrift argumentiert im Kern letztlich mit Bestandsschutzargumenten. Hat ein Bauherr ein Vorgängergebäude abgerissen, so ist nach der allgemeinen Baurechtsdogmatik aber jedwede Form oder Nachwirkung des Bestandschutzes erloschen (vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 18.02.1998 - 3 M 134/95 - ). Dass der Gesetzgeber dem Begriff der Änderung einer baulichen Anlage in § 48 Abs. 1 BauO LSA eine andere Bedeutung als in § 3 Abs. 1 BauO LSA geben wollte, lässt sich nicht aus der Entstehungsgeschichte von § 48 Abs.1 BauO LSA herleiten. Die Regelung des § 48 Abs. 1 BauO LSA ist nicht - wie die Beschwerdeschrift meint - erst durch das Dritte Gesetz zur Erleichterung von Investitionen im Land Sachsen-Anhalt in die BauO LSA eingefügt worden. Eine inhaltsgleiche Regelung bestand bereits in § 53 Abs. 1 BauO LSA, der durch das Zweite Investitionserleichterungsgesetz am 16.03.2003 in die BauO LSA eingefügt wurde. Die Begründung zum Gesetzesentwurf des 2. Investitionserleichterungsgesetzes enthält keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber in § 48 Abs. 1 S. 2 BauO LSA den Begriff der "Änderung einer baulichen Anlage" anders als in § 3 Abs. 1 BauO LSA verwenden wollte.

2.2 Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn eine konkrete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage aufgeworfen wird, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung bedarf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist. Die erforderliche Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn sich die aufgeworfene Frage - wie hier - unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung klären lässt (vgl. Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll Verwaltungsgerichtsordnung, Kom. § 124 RdNr. 45).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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