Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 24.09.2008
Aktenzeichen: 2 L 86/08
Rechtsgebiete: AsylVfG, ZPO, VwGO


Vorschriften:

AsylVfG § 4 Abs. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
VwGO § 138 Nr. 3
1. In Fällen, in denen ein Rechtsanwalt an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, ist grundsätzlich die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft oder die Heranziehung eines anderen Rechtsanwalts im Wege der Unterbevollmächtigung zumutbar. Allerdings gilt dies nur, wenn die Einarbeitung eines Vertreters in den Prozessstoff möglich und zumutbar ist; daran kann es fehlen, wenn die Einarbeitungszeit zu kurz oder der Prozessstoff zu umfangreich ist oder die Rechtsmaterie Spezialkenntnisse erfordert.

2. Hat das Verwaltungsgericht einen Terminsverlegungsantrag unter Hinweis auf diese Obliegenheit abgelehnt, und hat sich der Rechtsanwalt erfolglos um eine Vertretung bemüht, steht es ihm frei, unter Darlegung und ggfs. Glaubhaftmachung dieses Umstands beim Verwaltungsgericht nochmals eine Verlegung des Termins zu beantragen.

3. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, insbesondere der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Tatsachenfrage.

4. Eine Entscheidung des Bundesamts, mit der ein Asylantrag abgelehnt wurde, entfaltet auch hinsichtlich der selbständig tragenden Gründe gemäß § 4 Satz 1 AsylVfG Bindungswirkung; erfolgt eine inhaltliche gerichtliche Überprüfung, so treten etwa abweichende tragende Gründe der gerichtlichen Entscheidung an die Stelle derer im Bescheid. Eine solche negative bestandskräftige Entscheidung hat auch in Asylanerkennungsverfahren von Familienangehörigen dieses Ausländers Bindungswirkung (vgl. HessVGH, Beschl. v. 15.11.1988 - 10 TH 2380/88 -, ESVGH 39, 319).


Gründe:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin nicht dadurch das rechtliche Gehör versagt, dass es den Antrag ihres Prozessbevollmächtigten auf Verlegung des für den 14.02.2008 anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt und in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten verhandelt hat.

Nach § 173 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann eine mündliche Verhandlung aus erheblichen Gründen verlegt oder vertagt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "erheblichen Gründe" ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens (vgl. etwa § 87b VwGO) und der Absicht des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst auf Grund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen (Konzentrationsgebot, vgl. § 87 Abs. 1 VwGO), andererseits dem sich aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergebenden Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 23.01.1995 - 9 B 1.95 -, NJW 1995, 1231). Letzteres verlangt, den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten. Das rechtliche Gehör schließt auch das Recht eines Beteiligten ein, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen (BVerwG, Urt. v. 11.04.1989 - 9 C 55.88 -, Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 23). Allerdings sind die Beteiligten gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, so dass letztlich nur eine ihnen trotz zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs verweigerte oder abgeschnittene Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Terminsverlegung rechtfertigende "erhebliche" Gründe im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (BVerwG, Beschl. v. 23.01.1995, a. a. O.).

In Fällen, in denen ein Rechtsanwalt an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, ist grundsätzlich die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft oder die Heranziehung eines anderen Rechtsanwalts im Wege der Unterbevollmächtigung zumutbar (BVerwG, Urt. v. 02.12.1971 - I D 32.71 -, BVerwGE 43, 288 [290]; BSG, Beschl. v. 15.12.1995 - 11 BAr 175/95 -, Juris, Beschl v. 18.06.2003 - B 13 RJ 223/02 B -, Juris; OVG LSA, Beschl. v. 08.01.1998 - A 2 S 2/98 -, JMBl LSA 1998, 199, Beschl. v. 13.06.1997 - A 4 S 104/97 -, Juris u. Beschl. v. 17.10.1996 - A 4 S 220/96 -, Juris; OVG NW, Beschl. v. 09.07.1996 - 25 A 2999/96.A - AuAS 1996, 250). Allerdings gilt dies nur, wenn die Einarbeitung eines Vertreters in den Prozessstoff möglich und zumutbar ist; daran kann es fehlen, wenn die Einarbeitungszeit zu kurz oder der Prozessstoff zu umfangreich ist oder die Rechtsmaterie Spezialkenntnisse erfordert (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 13.06.1997, a. a. O.).

Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, warum es unzumutbar gewesen sein könnte, den Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht, an dem ihr Prozessbevollmächtigter wegen anderer Gerichtstermine in zwei Strafsachen verhindert war, durch einen Korrespondenzanwalt wahrnehmen zu lassen. Zwischen dem Eingang der Terminsladung und der mündlichen Verhandlung lag ein Zeitraum von 3 1/2 Wochen. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, weshalb ein Unterbevollmächtigter nicht in der Lage gewesen sein könnte, sich innerhalb dieses Zeitraums mit den für das Verfahren maßgeblichen Fragen, insbesondere mit der Situation in der Russischen Föderation bzw. in der Teilrepublik Kabardino-Balkarien, vertraut zu machen.

Soweit die Klägerin ausführt, ihr Prozessbevollmächtigter habe bei verschiedenen Kollegen in B-Stadt und M-Stadt ergebnislos wegen einer Terminsvertretung nachgefragt, ist dieser Vortrag schon deshalb nicht geeignet, eine Gehörsverletzung darzulegen, weil nicht ersichtlich ist, dass diesbezügliche Ausführungen schon gegenüber dem Verwaltungsgericht gemacht worden sind. Im Schriftsatz vom 24.01.2008, in dem die Terminsverlegung beantragt wurde, ist nur von einer Kollision mit den beiden Strafsachenterminen vor dem Amtsgericht B-Stadt die Rede. Nachdem das Verwaltungsgericht am 29.01.2008 den Antrag auf Terminsverlegung unter Bezugnahme auf die oben dargestellte Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts abgelehnt hat, hat sich der Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Verwaltungsgericht ausweislich der Gerichtsakte nicht mehr geäußert. Ihm stand es frei, nach den erfolglosen Bemühungen um eine Vertretung unter Darlegung und ggfs. Glaubhaftmachung dieses Umstands beim Verwaltungsgericht nochmals eine Verlegung des Termins zu beantragen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.01.1995, a. a. O.).

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) zuzulassen.

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 19.09.2002 - 2 L 407/02 -, Juris, m. w. Nachw.) erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, dass eine kon krete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, aber in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Tatsachen- oder Rechtsfrage auf geworfen wird, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung be darf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist. Insbesondere muss dargelegt werden, dass die Frage, so, wie sie formuliert worden ist, für die Entscheidung des Rechtsstreits ent scheidungserheblich (gewesen) ist. Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam, ob Staatsangehörigen der Russischen Föderation tscherkessischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens aus der Kaukasus-Republik Kabardino-Balkarien eine Fluchtalternative in der Russischen Föderation zur Verfügung steht. Schon die Klärungsfähigkeit dieser Tatsachenfrage ist nicht hinreichend dargelegt.

Die - in Deutschland geborene - Klägerin hätte nach dem bisherigen Sach- und Streitstand insbesondere darlegen müssen, dass sie tscherkessische Volkszugehörige ist. Ihre Volkszugehörigkeit ist im bisherigen, die Klägerin selbst betreffenden Verfahren offen geblieben. Nach den Angaben ihrer Eltern in deren Asylverfahren allerdings ist ihr Vater Balkare und ist ihre Mutter Kabardinerin.

Aber auch wenn die Klägerin tscherkessische Volkszugehörige sein sollte, würde sich die Frage nach einer inländischen Fluchtalternative erst dann stellen, wenn die Klägerin bei einer Rückkehr in die Heimat ihrer Eltern, die Teilrepublik Kabardino-Balkarien, asylerheblichen Maßnahmen ausgesetzt wäre. Dafür sind indes keine genügenden Anhaltpunkte vorgetragen. Die Klägerin beruft sich zunächst auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 16.02.2004, nach denen u. a. nach Russland zurückkehrende Tscherkessen beobachtet würden. Dass diese Personengruppe asylerheblichen Maßnahmen ausgesetzt ist, lässt sich daraus nicht ableiten.

Die Gefahr, Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, kann die Klägerin auch nicht damit begründen, ihre Familie sei wegen einer ehemaligen Milizionärtätigkeit ihres Vaters bzw. Involvierung in Straftaten in Kabardino-Balkarien verfolgt worden, so dass nicht nur ihre Eltern (als "Verdächtige"), sondern auch sie selbst bei einer Rückkehr in die Russische Föderation mit Verfolgung rechnen müsse. Den Asylantrag ihrer Eltern hat das Bundesamt mit Bescheid vom 15.03.2005 abgelehnt; nach Abweisung der hiergegen gerichteten Klage durch Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 10.08.2006 (3 A 121/05 MD) ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Eine solche ablehnende Entscheidung entfaltet auch hinsichtlich der selbständig tragenden Gründe gemäß § 4 Satz 1 AsylVfG Bindungswirkung; erfolgt eine inhaltliche gerichtliche Überprüfung, so treten etwa abweichende tragende Gründe der gerichtlichen Entscheidung an die Stelle derer im Bescheid (Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2008, II - § 4 RdNr. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, B 2, § 4 AsylVfG RdNr. 15, Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 4 RdNr. 7 f.; VGH BW, Beschl. v. 13.09.2000 - 11 S 988/00 -, VBlBW 2001, 151 [152]). Diese negative bestandskräftige Entscheidung hat auch in Asylanerkennungsverfahren von Familienangehörigen dieses Ausländers Bindungswirkung (vgl. HessVGH, Beschl. v. 15.11.1988 - 10 TH 2380/88 -, ESVGH 39, 319). Im bestandskräftigen Bescheid vom 15.03.2005 hat das Bundesamt die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG mit der - tragenden - Begründung abgelehnt, die Eltern der Klägerin hätten die von ihnen behauptete (illegale) Tätigkeit des Vaters in einem Waffenlager und eine daraus resultierende politische Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Dem hat sich das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 10.08.2006 angeschlossen.

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Ende der Entscheidung

Zurück