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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 22.06.2007
Aktenzeichen: 2 M 170/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 2
AufenthG § 27
AufenthG § 28 Abs. 1
Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der vor seiner Abschiebung in sein Heimatland eine deutsche Staatsangehörige heiratet und bei dem Ausweisungsgründe vorliegen, hat keinen Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

Ihm steht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Familiennachzug zu seiner deutschen Ehefrau zu.

Dabei geht das Aufenthaltsrecht grundsätzlich davon aus, dass der Antrag vor der Einreise zustellen ist.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG kann der Antrag auch nach der Einreise gestellt werden, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist, das Visumsverfahren vom Heimatland aus nachzuholen.

Davon erfasst sind auch die Fälle, in denen ein Anspruch nach den §§ 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG deshalb nicht besteht, weil ein Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt.


Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig.

Zwar ist diese Beschwerdebegründung entgegen § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO nicht direkt bei Oberverwaltungsgericht eingereicht worden. Da das Verwaltungsgericht, bei dem das Verfahren erstinstanzlich anhängig war, den Schriftsatz vom 13.06.2007 aber rechtzeitig innerhalb der Begründungsfrist an das zuständige Oberverwaltungsgericht weitergeleitet hat, ist die Frist des § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO als gewahrt anzusehen (vgl. grundsätzlich zur fristgerechten Weiterleitung von Schriftsätzen an das Rechtsmittelgericht: BVerfG, Beschl. v. 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99 [113 ff.]).

Die Beschwerde ist indes unbegründet.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, der geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis scheitere gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG daran, dass der Antragsteller den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfülle, weil er mehrere Male wegen vorsätzlicher Straftaten verurteilt worden sei.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Dies ist hier indes der Fall. Davon ist das Verwaltungsgericht ausgegangen, ohne dass die Beschwerde die erstinstanzliche Entscheidung insoweit angegriffen hat.

Von der nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorgesehenen Regelversagung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn von der Regel abweichende Umstände vorliegen. Die Worte "in der Regel" beziehen sich auf Fälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden. Ist ein Regelfall gegeben, so ist der Ausländerbehörde kein Ermessen bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel eingeräumt. Den Gegensatz bilden Ausnahmefälle. Diese sind durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Gleiches gilt, wenn der Versagung der Aufenthaltserlaubnis höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist (st. Rechtsprechung des Senats, z.B.: Beschl. vom 01.08.2006 - 2 M 236/06 - m. w. N. nach juris).

In rechtlicher Hinsicht liegt deshalb ein Ausnahmefall auch vor, wenn die Versagung mit völker- oder verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, insbesondere den Grundrechten nicht vereinbar wäre (BVerwG, B. v. 26. 03.1999 -1 B 18/99 -; NVwZ-RR 1999, 610; VGH Bad-Württ., Urt. v.. 05.07 2000, - 13 5 1726/99 - InfAusIR 2000, 491); als solche Wertentscheidungen kommen insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. 02. 1996, BVerwGE 102, 12 [17]), und der Schutz der Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht (BVerwG, Urt. v. 04. 06.1997 - 1 C 9/95 - BVerwGE 105, 35 [43 f.]) Die Beurteilung muss sich insoweit an Ergebnis und Folgen der Entscheidung ausrichten (Jakeober in: Jakober/ Welte, Akt. AusIR, 93. Lfg. 2005, 1.0.1 [Komm. z. AufenthG], § 5, Rdnr. 27). Dem Schutz der Familie ist allerdings schon mit den Ausnahmetatbeständen der §§ 27 Abs. 3 Satz 2, 28 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 4 S. 1, 34 Abs. 1 Satz 1 Rechnung getragen (vgl. Bäuerle, in: GK - AufenthG, Komm. § 5 Rdnr. 28).

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus Art. 6 GG zusteht. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist zwar abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehe in diesem Zusammenhang nicht nur die Ehe als Status, die Möglichkeit zu ihrer Fortführung schlechthin und irgendwo, sondern die von dem deutschen Ehepartner in Übereinstimmung mit seinem ausländischen Ehepartner in Deutschland geführte Ehe. Wünschten die Ehepartner in Deutschland zu verbleiben, stelle sich jeder - auch nur mittelbare - Zwang zum Verlassen des Landes als ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 03. 05.1973 - BVerwG 1 C 33.72 - BVerwGE 42, 133). Das Bundesverwaltungsgericht hat aus dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe zwischen einem deutschen und einem ausländischen Ehepartner auch Folgerungen für die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gezogen. Will der deutsche Ehepartner an der Ehe festhalten, so liege in der weiteren Anwesenheit des ausländischen Ehepartners auch nicht deswegen eine Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik, weil letzterer keiner geregelten Arbeit nachgeht und Sozialhilfe bezogen hat und voraussichtlich auch künftig beziehen wird. Dies folgt aus einer Abwägung des Schutzgebotes des Art. 6 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) einerseits mit den öffentlich anerkannten Interessen andererseits (BVerwG, Urt. v. 20. 05 1980 - BVerwG 1 C 55.78 - BVerwGE 60, 126 [132]).

Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Antragsteller hier gleichwohl keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die in § 27 AufenthG enthaltenen Grundsätze gelten für alle Nachzugsregelungen und damit auch für den Nachzug zu Deutschen. Für den Rechtsanspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wie für den Ermessenstatbestand nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG enthält § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gegenüber dem Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Spezialvorschrift. Während beim Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis in der Regel nicht erteilt wird, ist nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in diesem Fall über die Erteilung oder Verlängerung nach behördlichem Ermessen zu entscheiden (vgl. Marx GK-AufenthG, Kom. § 28 Rdnr. 124). Im Unterschied zur früheren Rechtslage, bei der nach § 23 Abs. 1 2 Hs. AuslG 1990 beim Vorliegen eines Ausweisungsgrundes gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1990 ein Regelversagungsgrund Anwendung fand, ist deshalb nach geltendem Recht auch bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes stets nach Ermessen über die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden (Marx, a. a. O, Rdnr. 125 m. w. N.). Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 AufenthG und damit auch bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis kann hiernach auch dann nach Ermessen erteilt werden, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt (Hess.VGH, Besch. V. 08.02.2005 -12 TG 215/05 - NVwZ 2005, 468). Dem Antragsteller steht daher hier nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 AufenthG zu seiner Deutschen Ehefrau zu. Dabei geht das Aufenthaltsrecht grundsätzlich davon aus, dass der Antrag vor der Einreise zu stellen ist. § 28 AufenthG befreit nämlich nicht von der Anwendung des Versagungsgrundes nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt, dass der Ausländer 1. mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und 2. die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat.

Dies ist bei dem Antragsteller nicht der Fall.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt AufenthG kann zwar der Antrag auch nach der Einreise gestellt werden, wenn die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind. Es muss sich bei der ersten Alternative aber um einen strikten Rechtsanspruch handeln. Dem Antragsteller steht indes nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu, der selbst bei einer Ermessensreduktion auf Null einem Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht gleichzusetzen ist. Der Fall der Ermesssensreduktion fällt nach der Rechtsprechung des BVerwG nämlich nicht in den Anwendungsbereich dieser Norm (vgl. BVerwG, Urt. v. 18. 06. 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 [271]; BVerwG, Urt. v. 17.03.2004 - BVerwG 1 C 11 03 - NVwZ-RR 2004, 687 für die identische Konstellation nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AusIG 1990; a. A.: OVG Bremen, Urt. v. 28.02.1995 - OVG 1 BA26/94 - AuAS 1995,233 [234]; VG Stuttgart, Urt. v. 10.12.1998 -2K 2912/98 - InfAusIR 1999, 201 [202]).

Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt AufenthG kann der Antrag allerdings auch nach der Einreise gestellt werden, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Die Zumutbarkeitsklausel des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt AufenthG kannte das frühere Recht nicht. Lediglich § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAusIG ließ unter strengen formalen Voraussetzungen die Legalisierung des Aufenthalts im Inland zu. Die Erleichterungen sollten im Sinne einer Härteregelung die Möglichkeit eröffnen, die Aufenthaltsgenehmigung zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach der Einreise einzuholen, wenn erst nach der Einreise die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs oder eines Härtefalles nach den § 17 bis 23 AusIG 1990 eingetreten waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.12.1997 - BVerwG 1 C 19.96 - BVerwGE 106,13 [16]).

§ 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt AufenthG ist jetzt als Auffangnorm für die Fälle zu verstehen, in denen ein Rechtsanspruch nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht vorliegt, der Verweis auf das Visumsverfahren aber wegen besonderer Umstände im Einzelfall unzumutbar ist. Davon erfasst sind auch die Fälle, in denen ein Anspruch nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG deshalb nicht besteht, weil ein Versagungsgrund vorliegt (vgl. zu allem: Marx, in: GK-AufenthG, Kom. § 28 133-135).

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass dem Antragsteller die Nachholung des Visumsverfahrens nicht unzumutbar ist.

Die zeitweilige Trennung des Antragstellers und seiner deutschen Ehefrau ist auch vor dem Hintergrund des Art. 6 GG grundsätzlich hinnehmbar. Die Annahme der Unzumutbarkeit einer auch nur vorübergehenden Trennung bedurfte dagegen weiterer besonderer Umstände im Einzelfall. So ist dem ausreisepflichtigen Familienmitglied ein auch nur vorübergehendes Verlassen des Bundesgebiets namentlich dann nicht zuzumuten, wenn einer der Ehegatten auf Grund individueller Besonderheiten, etwa infolge einer Krankheit, mehr als im Regelfall auf persönlichen Beistand angewiesen ist (vgl. Marx in: GK-AufenthG, § 27 RdNr. 179). Derartige besondere Umstände, die die ununterbrochene Anwesenheit des Antragstellers bei seiner Ehefrau als unabweisbar erscheinen lassen, sind indes weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Das Vorbringen im Schriftsatz vom 19.06.2006, kann nicht berücksichtigt werden, weil der Schriftsatz außerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eingegangen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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