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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 17.07.2006
Aktenzeichen: 2 M 182/06
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG, EMRK


Vorschriften:

AuslG § 32
AufenthG § 23
EMRK Art. 8
1. Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG weisen keinen Rechtssatzcharakter auf; es handelt sich vielmehr um Verwaltungsvorschriften, durch die das den Ausländerbehörden gemäß §§ 30, 31 Abs. 1 AuslG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis verwaltungsintern gebunden wird. Eine Anordnung nach § 32 AuslG ist nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden (vgl BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 -, BVerwGE 112, 63). Mit Inkrafttreten von § 23 AufenthG, der im Wesentlichen § 32 AuslG entspricht, hat sich hieran nichts geändert.

2. Der humanitär-politische Charakter der Anordnung nach § 32 AuslG bzw. 23 AufenthG verbietet eine Auslegung, die entgegen der Intention der obersten Landesbehörde einen umfassenderen Anwendungsbereich als ursprünglich bezweckt zuweist.

3. Eine Verletzung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Dies ist nicht allein deshalb der Fall, wenn der Ausländer als Kind in den Vertragsstaat eingereist, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen ist.

4. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit ist neben der Dauer des Aufenthalts ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob der Ausländer ein Alter erreicht hat, in dem ihm ein Hineinwachsen in die Lebensumstände des Staats seiner Staatsangehörigkeit in der Regel nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten gelingen kann. Bei Kindern bis zu einem bestimmten Alter ist auch in den Blick zu nehmen, in welchem Umfang ihre Familie sich in die Lebensverhältnisse in Deutschland integriert hat (vgl. VGH BW, Urt. v. 18.01.2006 - 13 S 2220/05 -, VBlBW 2006, 200).


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 182/06

Datum: 17.07.2006

Gründe:

I.

Die Antragsteller zu 1 und 2, vietnamesische Staatsangehörige, reisten am 13.11.1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihre Asylanträge lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheiden vom 17.02.1992 ab. Die hiergegen erhobenen Klagen blieben (letztlich) ohne Erfolg. Am 25.07.1993 wurde ihre Tochter, die Antragstellerin zu 3, geboren. In der Zeit von 15.02.1994 bis 22.10.1996 erhielten die Antragsteller Duldungen. Im September 1996 reisten sie in Dänemark ein und beantragten nunmehr dort ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Die Anträge wurden im September 1997 rechtskräftig abgelehnt. Die Abschiebung war nach den Angaben der dänischen Einwanderungsbehörde für den 18.11.1998 vorgesehen; dazu sei es jedoch nicht mehr gekommen, da die Antragsteller nicht mehr auffindbar gewesen seien.

Im Oktober/November 1998 reisten die Antragsteller erneut in das Bundesgebiet ein. In der Folgezeit wurden ihnen weitere Duldungen erteilt. Einen von der Antragstellerin zu 1 am 21.12.2000 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.04.2001 ab. Am 27.05.2004 bzw. 22.07.2004 beantragten die Antragsteller (erneut) die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen. Zur Begründung gaben sie unter anderem an, ein solcher Anspruch ergebe sich aus § 32 AuslG i. V. m. der "Altfallregelung", wie sie die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19.11.1999 beschlossen habe. Der kurzzeitige Aufenthalt in Dänemark könne ihnen nicht entgegengehalten werden, weil sie aus Furcht vor der vietnamesischen Zigarettenmafia dorthin geflüchtet seien. Mit Bescheiden vom 12.05.2005 lehnte der Antragsgegner diese Anträge ab und gab zur Begründung an, die behauptete Flucht vor der Zigarettenmafia sei unglaubhaft. Auch sei die erneute Einreise illegal gewesen und der Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert. Über die hiergegen erhobenen Widersprüche ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.

Den von den Antragstellern gestellten Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, vorläufig ihre Abschiebung zu untersagen, lehnte das Verwaltungsgericht Halle mit Beschluss vom 10.10.2005 ab (1 B 89/05 HAL). Zur Begründung führte das Gericht aus, auf Grund der heimlichen Aus- und Wiedereinreise sei die Stichtagsregelung in den Erlassen des Ministeriums des Innern vom 28.12.1999 und 26.04.2000 nicht erfüllt. Eine entsprechende Anwendung dieser "Altfallregelung" komme nicht in Betracht, weil der Vortrag der Antragsteller über die Gründe für die "Flucht" nach Dänemark nach den weiteren Ermittlungen des Antragsgegners nicht mehr glaubhaft sei. Mit Beschluss vom 31.01.2006 (2 M 189/05) gab der Senat der Beschwerde der Antragsteller statt mit der Begründung, es fehle an einer Androhung der vorgesehenen Abschiebung.

Nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.03.2006 die fehlende Abschiebungsandrohung nachholte, haben die Antragsteller am 10.04.2006 beim Verwaltungsgericht erneut um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und wiederum beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben, von einer Abschiebung vorläufig abzusehen. Zur Begründung haben sie vorgetragen, der Antragsgegner habe nicht hinreichend berücksichtigt, aus welchen Gründen sie im Jahre 1996 gezwungen gewesen seien, Deutschland zu verlassen. Sie seien von vietnamesischen Banden der organisierten Kriminalität bedroht worden. Diese Umstände, die ein erst jetzt ausfindig gemachter Zeuge bestätigen könne und die sie auch gegenüber den dänischen Einwanderungsbehörden angegeben hätten, rechtfertigten eine entsprechende Anwendung der "Altfallregelung". Zudem bestehe aufgrund der Integration der Antragstellerin zu 3 in die Lebensverhältnisse in Deutschland die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Sie besuche mit Erfolg das Gymnasium, erbringe überdurchschnittlich gute Leistungen, beherrsche die deutsche Sprache in Wort und Schrift und habe gute und ausgeprägte soziale Kontakte. Sie kenne das Land ihrer Nationalität nicht und spreche dessen Sprache nicht bzw. nicht ausreichend. Entsprechender Abschiebungsschutz gebiete Art. 8 EMRK. Die Antragsteller zu 1 und 2 wären dann als Eltern und Sorgeberechtigte über Art. 6 GG ebenfalls geschützt mit der Folge, dass ihnen ein entsprechender Aufenthaltstitel zu erteilen sei.

Den Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 11.04.2006 abgelehnt. Zur Begründung hat es auf seine Entscheidung vom 10.10.2005 verwiesen und ergänzend ausgeführt, die nunmehr vorgelegte Erklärung eines vietnamesischen Staatsangehörigen vom 06.03.2006, der die Flucht nach Dänemark bestätige, sei ebenfalls unglaubhaft, weil dieser Vortrag dem Vorbringen im vorangegangenen Verfahren (1 B 89/05) widerspreche. Dort sei ein in Weißenfels wohnhafter Zeuge benannt worden, während die vorgelegte Erklärung von einer in Vietnam aufhältigen Person stamme. Ausreisehindernisse im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor.

Mit ihrer Beschwerde machen die Antragsteller geltend: Ihr Vorbringen zu dem benannten Zeugen sei nicht widersprüchlich. Der in Vietnam lebende Zeuge habe erst jetzt ausfindig gemacht werden können. Der zunächst benannte Zeuge befinde sich zwar noch in Deutschland, fürchte jedoch bei einer entsprechenden Aussage um seinen Aufenthaltsstatus. Das Verwaltungsgericht habe sich zudem nicht mit der Frage des besonderen Abschiebungsschutzes aus Art. 8 EMRK wegen langjährigen Aufenthalts beschäftigt. Die Antragstellerin zu 1 sei im Übrigen wegen einer Adnexitis "fahruntauglich".

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass Abschiebungshindernisse nicht erkennbar sind.

Die Antragsteller dürften insbesondere nicht den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Grund der nach § 32 AuslG (nunmehr § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) ergangenen sog. "Altfallregelung" des Landes Sachsen-Anhalt (Erlasse des Ministeriums des Innern vom 28.12.1999 und 26.04.2000) haben. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 -, BVerwGE 112, 63), der der Senat folgt (vgl. Beschl. v. 08.07.2003 - 2 M 243/03 -), weisen Anordnungen nach § 32 AuslG keinen Rechtssatzcharakter auf. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um Verwaltungsvorschriften, durch die das den Ausländerbehörden gemäß §§ 30, 31 Abs. 1 AuslG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis verwaltungsintern gebunden wird. Eine Anordnung nach § 32 AuslG ist nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden. Bei Unklarheiten haben die Ausländerbehörde den wirklichen Willen der obersten Landesbehörde zu ermitteln. Weicht die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, erwächst dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung im Land. Mit Inkrafttreten von § 23 AufenthG, der im Wesentlichen § 32 AuslG entspricht, hat sich hieran nichts geändert. An Stelle der Aufenthaltsbefugnis ist nunmehr eine Aufenthaltserlaubnis getreten.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zum Nachteil der Antragsteller nicht erkennbar. Nach Nr. 1 des Erlasses vom 28.12.1999 (42.21-12231-83.3.6) wird nur solchen geduldeten ehemaligen Asylbewerbern der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet durch Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erlaubt, die vor dem 01.07.1993 in die Bundesrepublik eingereist sind. Die Antragsteller waren zwar ursprünglich bereits vor diesem Zeitpunkt in die Bundesrepublik eingereist; sie haben aber im Jahr 1996 das Bundesgebiet verlassen und sind erst im Jahr 1998 wieder in das Bundesgebiet eingereist. Die Antragsteller können sich auch nicht auf die Regelung im Erlass vom 26.04.2000 (zu Nr. 4 des Erlasses vom 28.12.1999) berufen, nach der zur Wahrung der Chancengleichheit mit den anderen Begünstigten ein zwischenzeitliches "Untertauchen" von vietnamesischen Staatsangehörigen in der Zeit vom 25.01.1999 bis zur Antragstellung außer Betracht bleibe. Diese Regelung erfolgte - wie sich aus den beiden vorausgehenden Sätzen ergibt - vor dem Hintergrund, dass vietnamesische Staatsangehörige von der "Vorgriffsregelung" (RdErl. V. 25.01.1999) nicht erfasst gewesen seien und es dadurch in einigen Fällen, bei denen die zeitlichen Voraussetzungen nach der Altfallregelung vorlagen, zum "Untertauchen" gekommen sei. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 10.10.2005 darauf hingewiesen, dass schon der zeitliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Es sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner in vergleichbaren Fällen von der landeseinheitlichen Verwaltungspraxis abgewichen ist.

Eine entsprechende Anwendung der "Altfallregelung" kommt nicht in Betracht. Der humanitär-politische Charakter der Anordnung nach § 32 AuslG bzw. § 23 AufenthG verbietet eine Auslegung, die entgegen der Intention der obersten Landesbehörde einen umfassenderen Anwendungsbereich als ursprünglich bezweckt zuweist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 23 AufenthG, RdNr. 12, m. w, Nachw.). Es kann nicht angenommen werden, es entspreche dem Willen der obersten Landesbehörde, mit der "Altfallregelung" auch solchen Ausländern ein Bleiberecht zu verschaffen, die - wie hier - die Bundesrepublik verlassen, in einem anderen europäischen Land Schutz gesucht, sich dort für einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren aufgehalten hatten und anschließend lange nach dem maßgeblichen Stichtag illegal wieder in die Bundesrepublik eingereist waren. Das Gleichbehandlungsgebot fordert nicht, dass sie mit solchen geduldeten abgelehnten Asylbewerbern gleichgestellt werden, die sich ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und die deshalb zwischenzeitlich im Bundesgebiet "untergetaucht" waren, weil Ausländer ihrer Staatsangehörigkeit von der ursprünglichen Bleiberechtsregelung nicht erfasst waren. Der Erlass vom 28.12.1999 in der Fassung des Erlasses vom 26.04.2000 setzt den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) über ein Bleiberecht für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt (Altfallregelung) vom 18./19.11.1999 um. Laut Beschluss der IMK vom 18./19.11.1999 bestand Einigkeit darüber, dass im Rahmen des geltenden Ausländer- und Asylrechts verfügte Rückführungen von Ausländern ohne Bleiberecht grundsätzlich konsequent vollzogen werden müssten. In einzelnen Ausnahmefällen, wenn Familien oder Alleinstehende mit Kindern betroffen seien, die sich schon lange auf Grund des vor dem 01.07.1993 geltenden Rechts in Deutschland aufhielten und faktisch integriert seien, solle dies nicht zu vermeidbaren Härten führen. Dies solle Personen betreffen, die trotz Ablehnung ihres Asylantrags aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen Deutschland nicht verlassen haben. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Altfallregelung, die sich ohnehin ausdrücklich auf Ausnahmefälle beschränkt, nicht solchen Personen zugute kommen soll, die die Bundesrepublik zwischenzeitlich verlassen hatten. Die Gründe, die solche abgelehnten Asylbewerber hierzu bewogen hatten, sind dabei ohne Belang. Nach alldem ist rechtlich ohne Bedeutung, ob die Antragsteller Deutschland tatsächlich aus Furcht vor Angehörigen der organisierten Kriminalität verlassen haben.

Auch Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verbietet die Abschiebung der Antragsteller nicht wegen ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Absatz 2 ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieser Rechte nur dann statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden hat (vgl. Entsch. v. 07.10.2004 - 33743/03 (Dragan) -, NVwZ 2005, 1043; Entsch. v. 16.09.2004 - 11103/03 (Ghiban) -, NVwZ 2005, 1046) folgt aus Art. 8 EMRK grundsätzlich noch kein Recht des Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten; die Vertragsstaaten haben vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Der EGMR hat in den genannten Entscheidungen weiter betont, Entscheidungen der Staaten könnten zwar in bestimmten Fällen in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen; diese Vorschrift dürfe aber nicht so verstanden werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deshalb, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet aufgehalten habe. Eine Verletzung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54).

Dass diese Voraussetzungen bei den Antragstellern zu 1 und 2 gegeben sind, ist nicht dargelegt. Aber auch was die bald 13-jährige Antragstellerin zu 3 anbetrifft, ist eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Fall ihrer Rückführung nach Vietnam gemeinsam mit ihren Eltern nicht erkennbar.

Allein der Umstand, dass ein Ausländer als Kind in den Vertragsstaat eingereist, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, rechtfertigt einen solchen Schluss noch nicht (in diesem Sinne wohl EGMR, Entsch. v. 07.10.2004, a. a. O.). Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist neben der Dauer des Aufenthalts, ob der Ausländer ein Alter erreicht hat, in dem ihm ein Hineinwachsen in die Lebensumstände des Staats seiner Staatsangehörigkeit in der Regel nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten gelingen kann, wobei gerade auch die Sprachkenntnisse des Betroffenen bzw. dessen sprachliche Integrationsfähigkeit im Heimatland in Betracht zu ziehen sind (VGH BW, Urt. v. 18.01.2006 - 13 S 2220/05 -, VBlBW 2006, 200, m. w. Nachw.; vgl. auch HessVGH, Beschl. v. 15.02.2006 - 7 TG 106/06 - , InfAuslR 2006, 217). Die Antragsteller haben zwar dargelegt, dass die überwiegend in Deutschland aufgewachsene Antragstellerin zu 3 gute schulische Leistungen erbringt, insbesondere auch über gute Deutschkenntnisse und eine Vielzahl sozialer Kontakte verfügt. Angesichts dieser guten schulischen Leistungen der Antragstellerin zu 3 und ihres Alters von 13 Jahren spricht andererseits auch vieles dafür, dass sie im Land ihrer Staatsangehörigkeit mit Hilfe ihrer Eltern die vietnamesische Sprache wird (weiter) erlernen bzw. vertiefen und sich in die dortigen Lebensverhältnisse wird integrieren können. Es erscheint unwahrscheinlich, dass ihre vietnamesischen Eltern ihr keinerlei Kenntnisse der vietnamesischen Sprache vermittelt haben, zumal sie aufgrund ihres ungesicherten Aufenthalts in Deutschland davon ausgehen mussten, dass sie - früher oder später - nach Vietnam zurückkehren müssen.

Von entscheidender Bedeutung ist weiter, dass bei Kindern im Alter der Antragstellerin zu 3 nicht isoliert auf deren Integration in Bezug auf Sprachkenntnisse, Schulbildung und persönlichen Umgang in der Bundesrepublik abgestellt werden kann; vielmehr ist auch in den Blick zu nehmen, in welchem Umfang ihre Familie sich in die Lebensverhältnisse in Deutschland integriert hat (VGH BW, Urt. v. 18.01.2006; vgl. auch OVG NW, Beschl. v. 11.01.2006 - 18 B 44/06 -, AuAS 2006, 144 [nur Leitsatz]). Für die Beurteilung der Verwurzelung in Deutschland kommt es wesentlich auch darauf an, inwieweit die familiären Lebensverhältnisse an das Leben in der Bundesrepublik Deutschland angeglichen sind und welche Verbindungen insoweit noch zum Land der Staatsangehörigkeit bestehen; für eine solche Gesamtbetrachtung spricht nicht nur die Bezugnahme auf das Familienleben als Schutzgut des Art. 8 Abs. 1 EMRK, sondern auch die Tatsache, dass ein Kind in diesem Alter seinen Lebensunterhalt in Deutschland nicht allein sichern könnte, sondern hierfür auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen ist (VGH BW, Urt. v. 18.01.2006, a. a. O.). Das rechtliche und tatsächliche Schicksal eines Kindes, das gemäß § 80 Abs. 1 AufenthG bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres ausländerrechtlich nicht handlungsfähig ist, ist weitgehend an das seiner Eltern und deren Entscheidungen gebunden (VGH BW, OVG NW, a. a. O.). Die Antragsteller haben indes keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass die Lebensverhältnisse der gesamten Familie (weitgehend) an das Leben in der Bundesrepublik Deutschland angeglichen sind und insoweit Verbindungen zum Land der Staatsangehörigkeit nicht mehr bestehen.

Soweit sich die Antragsteller schließlich darauf berufen, die Antragstellerin zu 1 leide an einer Adnexitis, handelt es sich um neues Vorbringen, mit dem die Beschwerde nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 28.04.2005 - 2 M 28/05 -) grundsätzlich nicht geführt werden kann. Neue Umstände sind beim vorläufigen Rechtsschutz in Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO oder in Änderungsverfahren zu Beschlüssen nach § 123 Abs. 1 VwGO einzubringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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