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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 01.10.2003
Aktenzeichen: 2 M 236/03
Rechtsgebiete: BImSchG, 4.BImSchV, LSA-VwVfG, GG


Vorschriften:

BImSchG § 4 I
BImSchG § 5 I Nr. 1
BImSchG § 8
BImschG § 10 III 3
BImschG § 10 IV
4.BImSchV § 2 I 1 Nr. 1a
LSA-VwVfG § 17 I
LSA-VwVfG § 17 II 2
GG Art. 2 II
GG Art. 14 I
1. Wer sich auf den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen berufen will, muss zugleich zumindest in groben Zügen darlegen, inwieweit eine Fehlentwicklung zugleich zu einer Beeinträchtigung seiner Rechte führen kann.

2. Ein lediglich allgemeiner Hinweis auf die Belange der Luftreinhaltung oder des Tourismus' reicht dafür nicht aus.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 236/03

Datum: 01.10.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 159; 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und hinsichtlich des Streitwerts auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) i. V. m. I Nr. 7, II Nrn. 16.2, 1.2.1 und 1.2.2., wobei der Senat in Bezug auf jeden Beschwerdeführer für die geltend gemachte Eigentumsbeeinträchtigung einerseits und die sonstigen Beeinträchtigungen andererseits jeweils 10.000,00 € in Ansatz gebracht hat, die angesichts des hier vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahrens um die Hälfte zu reduzieren waren. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie an diesem Verfahren als notwendige Beigeladene beteiligt ist (§ 65 Abs. 2 VwGO).

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26.03.2003 haben keinen Erfolg. Die innerhalb der Beschwerdefrist vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung durch den Senat beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage keine Änderung des angegriffenen Beschlusses. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist jedenfalls aus dem Blickwinkel des Beschwerdevorbringens im Ergebnis nicht zu beanstanden; denn die Darlegungen der Antragsteller können im vorliegenden Fall keine Berücksichtigung finden, da die Antragsteller mit den entsprechenden Einwendungen wegen fehlender Geltendmachung im Genehmigungsverfahren auf Dauer ausgeschlossen sind (§ 10 Abs. 3 Satz 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - BImSchG - in der bis zum 26.09.2002 geltenden Fassung).

Nach §§ 4 Abs. 1; 8 BImSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV - i. d. F. d. Bek. v. 14.03.1997 (BGBl I 504), geändert durch Gesetz vom 20.04.1998 (BGBl I 723), bedurfte die in Nr. 4.1 Spalte 1, Buchst. b, des Anhangs zu dieser Verordnung aufgeführte Anlage der Beigeladenen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung im förmlichen Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 10 Abs. 3 und 4 BImSchG). Die hierfür erforderliche Auslegung der vollständigen Antragsunterlagen zur Einsichtnahme hat nach den vorgelegten Verfahrensakten in der Zeit vom 28.04.2000 bis 24.05.2000 ordnungsgemäß stattgefunden. Die entsprechenden Bekanntmachungen im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Magdeburg vom 17.04.2000 und der Halberstädter Volksstimme vom 17.04.2000 enthielten die in § 10 Abs. 4 BImSchG vorgeschriebenen Hinweise insbesondere zur Möglichkeit einer fristgerechten Erhebung von Einwendungen und zu den nach Fristablauf eintretenden Rechtsfolgen.

I. Die Antragsteller zu 1., 7. und 9. sind auch nach dem Beschwerdevorbringen keine Einwender im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG, weil sie nach den vorgelegten Verwaltungsvorgängen keine Einwendungen gegen das Vorhaben in schriftlicher Form erhoben haben; dass sie darüber hinaus versucht hätten, Einwendungen zur Niederschrift der Behörde mündlich vorzutragen, ist nicht ersichtlich und wird auch im Rahmen ihrer Beschwerde zur möglichen Präklusion nicht geltend gemacht, so dass ihre Beschwerde schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben kann.

II. Die Antragsteller zu 2. bis 6. und 8. wenden zwar zu Recht ein, dass ihnen § 17 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 (LSA-GVBl., S. 3) - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [135 <Nr. 34>]), nicht entgegen gehalten werden kann, weil der Antragsgegner die beabsichtigte Nichtberücksichtigung ihrer Einwendungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 VwVfG LSA nicht ortsüblich bekannt gemacht hat.

Das Verwaltungsgericht ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass den Sammeleinwendungen der Antragsteller zu 2. bis 6. und 8. jeder auf die betroffenen Grundstücke bezogene, konkretisierende Inhalt fehlt; insbesondere haben sie in ihrem Einwendungsschreiben vom 05.06.2000 (Bl. 204 der Gerichtsakte) nicht konkret zum Ausdruck gebracht, dass gerade ihre Grundstücke einer spezifischen Gefährdung ausgesetzt sind. Im Vordergrund des Vorbringens stand vielmehr die Befürchtung, dass die geplante Anlage der Förderung von Tourismus und Fremdenverkehr entgegenstehe und die von der Anlage, aber auch dem Zuliefererverkehr ausgehenden Beeinträchtigungen den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Luftreinhaltung nicht entsprächen. Dabei haben die Antragsteller in erster Linie Fragen aufgeworfen, ohne sich substantiiert zu den von ihnen befürchteten Auswirkungen des Vorhabens zu äußern. Der unter Nr. 1. des Schreibens enthaltene, nicht weiter erläuterte Hinweis auf die "ungünstige Lage des Bauobjektes (genau in Hauptwindrichtung)", der schon deswegen einen individuellen Bezug vermissen lässt, weil die Antragsteller in entgegengesetzten Richtungen wohnen (Osterwieck bzw. Bühne, Ortsteil Hoppenstedt), und die unter Nr. 5 erwähnten Gesichtspunkte " Abwanderung der Jugend durch gefährdete Wohnregion" und "Restrisiko bei einem Störfall (Tschernobyl)" ließen für den Antragsgegner als Adressat der Einwendungen ebenso wenig einen Zusammenhang mit einer bestimmten Rechtsgutbeeinträchtigung der Antragsteller durch die Anlage erkennen wie der Hinweis der Antragsteller auf eine Gesundheitsgefährdung ihrer Kinder und Enkel durch Abgase des Zuliefererverkehrs.

Auf eine individuelle Substantiierung kann aber im Einwendungsverfahren nicht verzichtet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Einwender nicht nur erkennen lassen, welches seiner Rechtsgüter er für gefährdet ansieht, sondern dabei auch die Art der befürchteten Beeinträchtigungen darlegen (vgl. zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren: BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 - BVerwG 7 C 101.78 -, BVerwGE 60, 297 [311]); denn bei dem - hier allein interessierenden - Drittbetroffenen geht es um das Geltendmachen eines Abwehranspruchs, der aus einer Rechtsposition fließt, die nicht auf einem besonderen privatrechtlichen Titel beruht. Dieser Anspruch ergibt sich beim Drittbetroffenen aus dem drittschützenden Charakter des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Dieser Drittschutz leitet sich aus der staatlichen Schutzpflicht für die Grundrechte des Art. 2 Abs. 2 und des Art. 14 GG her, so dass es sich bei der Einwendung eines Drittbetroffenen letztlich um das Geltendmachen eines Genehmigungsabwehranspruchs zum Schutz einer grundrechtlich abgesicherten Rechtsstellung handelt (BVerwGE 60, 297 [301]). Auch wenn dabei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind und insbesondere nicht verlangt werden kann, dass die für die Gefährdung sprechenden Gründe dargelegt werden (BayVGH, Urt. v. 31.01.2000 - 22 A 99.40009 -, NVwZ-RR 2000, 661 [662 m. w. N.]), muss die Einwendung jedenfalls erkennen lassen, in welcher Hinsicht Bedenken gegen das in Aussicht genommene Vorhaben - aus der Sicht des Einwendenden - bestehen (BVerwG, Beschl. v. 12.02.1996 - BVerwG 4 A 38/95 -, NVwZ 1997, 171 [172]). Das Vorbringen muss so konkret sein, dass die Behörde erkennen kann, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll (BVerwG, Beschl. v. 12.02.1996, a. a. O.). Dies muss zumindest in groben Zügen erkennbar sein, wobei vom durchschnittlichen Wissen eines nicht sachkundigen Bürgers auszugehen ist (BVerfG, Beschl. v. 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80 -, DVBl 1982, 940 [945]). Anders kann das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung seine Funktion, Rechtsschutzmöglichkeiten in das Verwaltungsverfahren vorzuverlagern, nicht erfüllen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.07.1982, a. a. O.).

Nach diesen Maßstäben genügte der allgemeine Hinweis auf die Beeinträchtigung der dem Vorhaben möglicherweise entgegenstehenden öffentlichen Belange der Luftreinhaltung und des Tourismus allein noch nicht, um eine konkrete Beeinträchtigung gerade auch der Antragsteller hinreichend darzutun. Wer sich auf den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG im Sinne einer subjektiv-rechtlichen Einwendung berufen will, muss zugleich zumindest in groben Zügen darlegen, inwieweit eine Fehlentwicklung zugleich zu einer Beeinträchtigung seiner Rechte führen kann (Stofrost, in: Ule/Laubinger, Kommentar zum BImSchG, § 10 RdNr. D 42; Czajka, in: Feldhaus, Kommentar zum BImSchG, § 10 RdNr. 64 m. w. N.). Er muss insbesondere, wenn er Eigentumsbeeinträchtigungen vorbringen will, die Eigentumsposition, deren Gefährdung er befürchtet, konkret bezeichnen. Daran fehlt es aber vorliegend. Die Antragsteller haben in ihrem Einwendungsschreiben in keiner Weise erkennen lassen, dass sie - unabhängig vom späteren Betrieb der Anlage - schon durch die dazu erforderlichen Baumaßnahmen eine quantitative Veränderung der Luftemissionen mit nachteiligen Auswirkungen auf ihre Grundstücke oder ihre Gesundheit befürchten. Auch einem nicht-sachkundigen Bürger wäre es aber möglich und zumutbar gewesen, eine etwaige Betroffenheit seiner Grundstücke in groben Zügen im Einwendungsverfahren geltend zu machen.

Fehlt es aber in einem Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung an einer hinreichenden Konkretisierung der Einwendungen - wie hier -, sind die Antragsteller mit ihren Bedenken gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG ausgeschlossen, selbst wenn die Konkretisierung der Gefährdungsfaktoren außerhalb der Einwendungsfrist des § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG nachgeschoben wird; denn dieses Nachschieben wirkt ausschließlich verfahrenshemmend und rechtfertigt keine weitere verfahrensrechtliche Beteiligung (in diesem Sinne auch BVerwGE 60, 297).

III. Schließlich ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass auch der Antragsteller zu 10. mit seiner Einzeleinwendung vom 09.06.2000 (Bl. 373 der Beiakte B) im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG präkludiert ist, soweit er eine Gefährdung durch Hochwasser und tieffliegende Flugzeuge der Bundeswehr geltend macht; denn die in seinem Schreiben vom 09.06.2000 enthaltenen Einwendungen umfassten weder die Hochwasserproblematik noch die Gefährdung durch militärische Tiefflüge der Bundeswehr. Der Antragsteller zu 10. spricht in seinem Einwendungsschreiben vielmehr ausschließlich von den Gefahren, die im Falle des Einsatzes von Löschwasser entstehen könnten, ohne einen konkreten Bezug zu seinem Grundstück herzustellen. Wie oben bereits ausgeführt genügt aber der bloße Hinweis auf die Beeinträchtigung der dem Vorhaben möglicherweise entgegenstehenden öffentlichen Belange eines ausreichenden Hochwasserschutzes oder sonstigen Schutzes durch Unfälle (z. B. durch tieffliegende Flugzeuge) noch nicht, um eine konkrete Beeinträchtigung gerade auch des Antragstellers hinreichend darzutun. Auch für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren trifft zu, dass nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung das Vorbringen von Einwendungen zur sachlichen Bewältigung des Vorhabens durch die Genehmigungsbehörde beitragen und dieser die Richtung für ihre Tätigkeit weisen soll; darin liegt der rechtfertigende Grund für die Beteiligung des Einwendungsführers am weiteren Verfahren (in diesem Sinne auch BVerwGE 60, 297 [300]). Werden - wie hier - nicht bereits im Einwendungsverfahren die Gefährdungsfaktoren und betroffenen Rechtsgüter konkret bezeichnet, ist der Drittbetroffene im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG präkludiert. Gleiches gilt für die von dem Antragsteller zu 10. geltend gemachte Beeinträchtigung durch LKW-Transporte; denn seinem schlichten Hinweis, sein Grundstück liege durch eine Rechts-Links-Kurve an exponierter Stelle, lässt sich eine Gefährdung seiner Rechtsposition durch die streitbefangene Anlage nicht entnehmen.

Bei dieser Sachlage konnte das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Begründung auf den Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 17.12.2001 Bezug nehmen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Einer Erweiterung der Begründung bedurfte es entgegen der Auffassung des Antragstellers zu 10. nicht, weil er mit der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstmals konkret geltend gemachten Gefährdungen seines Grundstücks durch den Austrag toxischer Stoffe als Folge einer Überschwemmung des Geländes oder anderer Störungen und Fehlfunktionen der Anlagentechnik sowie durch LKW-Transporte gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG präkludiert ist.

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