Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 01.08.2006
Aktenzeichen: 2 M 236/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1 S. 2
AufenthG § 55 Abs. 2 S. 2
1. Ob eine Ausweisung rechtmäßig hätte erfolgen können, ist bei der Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht entscheidend; eine Aufenthaltserlaubnis ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel schon dann zu versagen, wenn (abstrakt) ein Ausweisungsgrund vorliegt.

2. Ein Ausweisungsgrund muss, um die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu rechtfertigen, aktuell noch vorliegen, darf also nicht "verbraucht" sein. Aktuelle Bedeutung hat ein Ausweisungsgrund dann nicht mehr, wenn die Ausländerbehörde trotz vollständiger Kenntnis aus ihm keine negativen Schlussfolgerungen für den weiteren Aufenthalt des Ausländers gezogen hat, etwa durch Ausweisung, Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder nachträgliche zeitliche Befristung des Aufenthaltstitels. Der dem Ausländer durch das Verhalten der Ausländerbehörde vermittelte Vertrauensschutz steht aber unter dem Vorbehalt, dass sich die für das behördliche Verhalten maßgeblichen Umstände nicht ändern.

3. Der bloße Umstand, dass seit der Begehung den letzten Straftaten des Ausländers mehr als drei Jahre vergangen sind, steht ihrer Berücksichtigung nicht entgegenstehen, soweit die Tilgungsfristen des BZRG noch nicht abgelaufen sind.

4. Ist ein Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben, so ist der Ausländerbehörde kein Ermessen bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel eingeräumt. Den Gegensatz bilden Ausnahmefälle, die durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet sind, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Gleiches gilt, wenn der Versagung der Aufenthaltserlaubnis höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.08.1996 - 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12, zu § 7 Abs. 2 AuslG).

5. Ein atypisch gelagerter Fall liegt nicht schon deshalb vor, weil der Ausländer seit 7 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebt, seinen Lebensmittelpunkt hier eingerichtet hat, eine Arbeitsstelle "in Aussicht" hat und mit einer deutschen Staatsangehörigen zusammenlebt.

6. Da der weit reichende aufenthaltsrechtliche Schutz, der ausländischen Ehegatten Deutscher aufgrund des Art. 6 Abs. 1 GG zusteht, erst nach der Eheschließung eingreift, kann auch erst nach Eheschließung Anlass für die Prüfung bestehen, ob dem Ausländer im Hinblick auf eine eventuell beabsichtigte Herstellung der eheliche Lebensgemeinschaft der Regelversagungsgrund (noch) entgegengehalten werden kann.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 236/06

Datum: 01.08.2006

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, der geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis scheitere gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG daran, dass der Antragsteller den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfülle, weil er mehrere Male wegen vorsätzlicher Straftaten verurteilt worden sei. Der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Schwere der Delikte auseinandergesetzt und außer Acht gelassen, dass sämtliche Straftaten mittlerweile länger zurücklägen und er in jüngster Zeit nicht mehr straffällig geworden sei, verfängt nicht.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Der Antragsteller hat in der Zeit vom 22.09.1998 bis 17.12.2002 mehrere Straftaten begangen (schwerer Diebstahl, Diebstahl, Diebstahl in einem besonders schweren Fall und Bandendiebstahl, Vortäuschen einer Straftat, gemeinschaftliche Hehlerei) und ist deswegen insgesamt sieben Mal rechtskräftig zu Jugend-, Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilt worden, zuletzt durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt-Saalkreis vom 25.05.2005. Damit hat er nicht nur vereinzelte und im Übrigen auch nicht nur geringfügige Verstöße gegen Rechtsvorschriften begangen, die nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eine Ausweisung im Ermessenswege ermöglichen. Zu Recht ist daher das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass wegen der Vielzahl der Verstöße weitere Nachforschungen zur Schwere der Delikte nicht anzustellen sind. Ob eine Ausweisung rechtmäßig hätte erfolgen können, ist bei der Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht entscheidend; es genügt nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass (abstrakt) ein Ausweisungsgrund vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.09.1995 - 1 PKH 20/95 -, InfAuslR 1996, 14).

Der Umstand, dass einzelne Delikte bereits einige Jahre zurückliegen und der Antragsteller nach dem 17.12.2002 strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, lässt den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht entfallen.

Zwar muss ein Ausweisungsgrund, um die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu rechtfertigen, aktuell noch vorliegen, darf also nicht "verbraucht" sein. Aktuelle Bedeutung hat ein Ausweisungsgrund dann nicht mehr, wenn die Ausländerbehörde trotz vollständiger Kenntnis aus ihm keine negativen Schlussfolgerungen für den weiteren Aufenthalt des Ausländers gezogen hat, etwa durch Ausweisung, Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder nachträgliche zeitliche Befristung des Aufenthaltstitels (VGH BW, Beschl. v. 17.10.1996 - 13 S 1279/95 -, InfAuslR 1997, 111; Bäuerle in: GK-AuslR II-§ 7 RdNr. 53; vgl. auch OVG NW, Beschl. v. 20.05.2005 - 18 B 1207/04 -, EzAR-NF 023 Nr. 2; HessVGH, Urt. v. 04.03.2002 - 12 UE 203/02 -, AuAS 2002, 172). In solchen Fällen gebietet der rechtsstaatliche Vertrauensschutzgrundsatz, dass auf den "verbrauchten" Ausweisungsgrund im Rahmen eines späteren Verfahrens auf Verlängerung des Aufenthaltstitels seitens der Ausländerbehörde nicht mehr zurückgegriffen wird (vgl. Bäuerle, a. a. O.).

So liegt es hier aber nicht. Zwar hatte der Landkreis Weißenfels die dem Antragsteller zum Zwecke der Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit der deutschen Staatsangehörigen Claudia A. am 18.01.2000 erteilte und bis zum 17.01.2003 befristete Aufenthaltserlaubnis noch am 28.02.2003 in Kenntnis der ersten vier, bis zum 09.01.2001 begangenen und mit strafgerichtlichen Urteilen vom 01.09.1999, 27.04.2000, 06.12.2000 und 12.06.2001 geahndeten Straftaten bis zum 17.01.2004 verlängert. Der dem Ausländer durch das Verhalten der Ausländerbehörde vermittelte Schutz steht indes unter dem Vorbehalt, dass sich die für das behördliche Verhalten maßgeblichen Umstände nicht ändern (vgl. OVG NW, Beschl. v. 26.06.2006 - 18 B 732/06 -, Juris, m. w. Nachw.). Davon ist hier auszugehen, nachdem der Antragsteller wegen drei weiterer, wenn auch zum Zeitpunkt der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bereits begangener Straftaten (darunter Diebstahl und Hehlerei) am 20.11.2003, 23.02.2004 und 25.05.2005 zu weiteren Geld- bzw. Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Der Antragsteller konnte nicht schutzwürdig darauf vertrauen, die Antragsgegnerin würde aus diesen Straftaten, die der zuvor zuständigen Ausländerbehörde bei der Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht bekannt waren, bei der Entscheidung über die nochmalige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis keine negativen Schlussfolgerungen ziehen, zumal der Landkreis Weißenfels den Antragsteller mit Schreiben vom 28.02.2003 darauf hingewiesen hatte, dass von einer Ausweisung nur wegen des auf Grund der ehelichen Lebensgemeinschaft bestehenden besonderen Ausweisungsschutzes abgesehen werde, die Verwirklichung eines weiteren Ausweisungstatbestands aber aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach sich ziehen könne und für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis kein Ausweisungsgrund vorliegen dürfe.

Der bloße Umstand, dass seit der Begehung der letzten drei Straftaten des Antragstellers mittlerweile mehr als drei Jahre vergangen sind, dürfte ihrer Berücksichtigung nicht entgegenstehen, da die Tilgungsfristen des BZRG noch nicht abgelaufen sind (vgl. BrbOVG, Urt. v. 01.07.2004 - 4 A 747/03 -, Juris). Da das letzte strafgerichtliche Urteil vom 25.05.2005 datiert und die Tilgungsfrist bei der verhängten Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 b) BZRG zehn Jahre beträgt, kann Tilgungsreife erst mit Ablauf des 25.05.2015 eintreten. Die Tilgungsfrist wurde dabei für die früheren Straftaten gemäß § 47 Abs. 3 BZRG unterbrochen, da der Antragsteller jeweils vor Ablauf der 5-Jahresfrist wegen weiterer Taten belangt wurde. Auch läuft die Bewährungszeit erst am 24.05.2008 ab.

Es sind auch keine besonderen Umstände erkennbar, die dazu führen könnten, dass die Aufenthaltserlaubnis trotz Vorliegens eines noch aktuellen Ausweisungsgrunds zu verlängern wäre. Von der nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorgesehenen Regelversagung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn von der Regel abweichende Umstände vorliegen. Die Worte "in der Regel" beziehen sich auf Fälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden. Ist ein Regelfall gegeben, so ist der Ausländerbehörde kein Ermessen bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel eingeräumt. Den Gegensatz bilden Ausnahmefälle. Diese sind durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Gleiches gilt, wenn der Versagung der Aufenthaltserlaubnis höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.08.1996 - 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12, zu § 7 Abs. 2 AuslG).

Ein atypisch gelagerter Fall liegt hier nicht schon deswegen vor, weil der Antragsteller nunmehr seit 7 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebt, seinen Lebensmittelpunkt hier eingerichtet hat und eine Arbeitsstelle "in Aussicht" hat. Diese Umstände heben ihn nicht in bedeutsamer Weise aus dem Kreis anderer straffällig gewordener Ausländer heraus, deren Aufenthaltserlaubnisse abgelaufen sind. Entsprechendes gilt, soweit er geltend macht, er lebe nunmehr mit der deutschen Staatsangehörigen Sandra Franke zusammen, die er "in naher Zukunft" zu heiraten beabsichtige. Insoweit kommen dem Antragsteller auch nicht die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG zugute. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Verlöbnis (§ 1297 BGB) mit einem Deutschen nicht den aufenthaltsrechtlichen Schutz auslöst, der sich für ausländische Ehegatten Deutscher aus Art. 6 Abs. 1 GG herleitet. Es beeinträchtigt grundsätzlich auch nicht die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit, wenn dem Ausländer eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis in Fällen versagt wird, in denen der Zeitpunkt der geplanten Eheschließung völlig ungewiss ist. In diesen Fällen ist die Eheschließungsfreiheit in der Regel gewahrt, wenn dem Ausländer das kurzfristige Betreten des Geltungsbereichs des Ausländergesetzes zum Zwecke der Eheschließung ermöglicht wird. Erst nach der Eheschließung greift der weit reichende aufenthaltsrechtliche Schutz ein, der ausländischen Ehegatten Deutscher aufgrund des Art. 6 Abs. 1 GG zusteht (ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Beschl. v. 09.07.1987 - 1 B 76.87 -, Juris, m. w. Nachw.). Daher könnte im konkreten Fall auch erst nach der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen Anlass für die Prüfung sein, ob dem Antragsteller im Hinblick auf eine eventuell beabsichtigte Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft der Regelversagungsgrund (noch) entgegengehalten werden kann.

Aus den vorgenannten Gründen sind auch keine Abschiebungshindernisse ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück