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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.08.2007
Aktenzeichen: 2 M 252/07
Rechtsgebiete: VersG, StGB


Vorschriften:

VersG § 15 Abs. 1
StGB § 130 Abs. 4
Zum Verbot einer Versammlung wegen des Verdachts der Durchführung einer getarnten Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung.
Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die vorgebrachten Gründe rechtfertigen die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtlage erweist sich das Versammlungsverbot der A. als rechtmäßig. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 06.08.2007 wird voraussichtlich keinen Erfolg haben. Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. So liegt es hier.

Bei der angemeldeten Versammlung droht nach den konkreten Umständen die Begehung einer Straftat § 130 Abs. 4 StGB. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Der öffentliche Friede ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zu ähnlichen Formulierungen in anderen Strafvorschriften, BGH Beschl. v. 02.04.1987 BGHSt 43, 329 zu § 126 Abs. 1 StGB) gestört, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines "psychischen Klimas" aufgehetzt werden (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 17.08.2005 - 1 A 151.05 - m. w. N.).

Nach Auffassung des Senats besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der öffentliche Friede durch die vom Antragsteller geplante Veranstaltung am 11.08.2007 in B-Stadt gestört werden wird. Auch wenn eine solcher Prognose keine Aussagen von absoluter Richtigkeitsgewähr zulässt, steht doch nach den erkennbaren Umständen durch die geplante Versammlung tatsächlich eine Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 4 StGB unmittelbar bevor. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem vom Antragsteller angegeben Versammlungsmotto "Gegen Polizeiwillkür". Es besteht aber mit Recht die Befürchtung, dass der Aufzug entgegen der Angaben in der Anmeldung als Gedenkveranstaltung zum Todestag von Rudolf Heß am 17.08.2007 durchgeführt wird, so dass die für solche Gedenkveranstaltungen typischen Straftaten zu erwarten sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, 3053) kann die Annahme einer Tarnung einer Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung durch die Art der Anmeldung nur zur Grundlage eines Versammlungsverbots genommen werden, wenn die Versammlungsbehörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei der Deutung des geplanten inhaltlichen Anliegens muss das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Veranstaltung berücksichtigt werden. Die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsverbots hat von den Angaben der Anmeldung auszugehen, es sei denn, es drängt sich auch bei grundrechtskonformer Deutung des Vorhabens der Eindruck auf, in Wahrheit sei ein anderer Inhalt geplant und der Veranstalter werde trotz der gesetzlichen Strafdrohung ( 25 Nr. 1 VersG) eine Versammlung anderen Inhalts und damit anderen Gefahrenpotentials durchführen als angemeldet. Die im Bescheid vom 06.08.2007 und in der Beschwerdeschrift vom 10.08.2007 von der Antragsgegnerin aufgezeigten Indizien mögen zwar jeweils für sich betrachtet noch nicht ausreichen, um eine Tarnabsicht zu belegen. Sie rechtfertigen aber bei einer Gesamtschau die Annahme, dass es sich bei der für den 11.08.2007 geplanten Veranstaltung um eine Ersatzveranstaltung für die in Wunsiedel verbotene Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung handelt.

Für eine solche Absicht des Veranstalters spricht zunächst der zeitliche Ablauf der Anmeldung. Der Antragsteller meldete die von ihm geplante Veranstaltung in B-Stadt am 12.07.2007 an, nachdem der Landkreis Wunsiedel mit Verfügung vom 26.06.2007 die für Wunsiedel geplante Gedenkveranstaltung verboten hatte und in der Folgezeit über einschlägige Internetseiten dazu aufgerufen wurde, im August im gesamten Bundesgebiet versammlungsrechtliche Aktionen zu organisieren, um das Verbot in Wunsiedel zu umgehen. Nach den glaubhaften Angaben der Antragsgegnerin wurden in der Folge dieses Verbots im Bundesgebiet mehrere Ersatzveranstaltungen für den 11.08.2007, den 17.08.2007 und den 18.08.2007 angemeldet. Der Antragsteller beharrte trotz eines Vorschlags der Antragsgegnerin im Rahmen des Kooperationsgesprächs, die Versammlung in den Monat September zu verschieben, auf die Durchführung der Veranstaltung am 11.08.2007 und konnte hierfür auch auf Nachfrage der Antragsgegnerin keine plausiblen Gründe benennen. Der Zeitraum zwischen dem Kooperationsgespräch am 25.07.2007 und dem Veranstaltungstermin von immerhin 17 Tagen spricht gegen die vom Antragsteller dabei (offenbar) gegebene Begründung, dass bereits getroffene organisatorische Maßnahmen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten und einzelnen Teilnehmern die Absage nicht mehr rechtzeitig mitgeteilt werden könne. Der Senat verkennt nicht, dass die Auswahl des Termins - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters unterliegt. Dies hindert aber nicht, das Beharren auf einem bestimmten Termin als ein Indiz für eine Tarnabsicht zu werten.

Der Umstand, dass die Teilnehmer der Versammlung nach den im Kooperationsgespräch gemachten Angaben des Antragstellers bundesweit anreisen, obwohl Anlass für die Veranstaltung die Auflösung der sog. Sonnenwendfeier der "Freien Kräfte B-Stadt" am 23.06.2007 in P. sowie weitere damit in Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen gewesen sein sollen, spricht dafür, dass nicht dieses regionale Ereignis, sondern ein anderer, vom Antragsteller nicht preisgegebenes Thema Gegenstand der geplanten Versammlung ist.

Ferner tauchten nach den vom Antragsteller nicht bestrittenen Angaben am 30.07.2007 in B-Stadt unter anderem mehrere Aufkleber mit der Aufschrift "Mord verjährt nicht ! Im Gedenken an Rudolf Heß" und dem Foto von Rudolf Heß auf.

Nach den ebenfalls nicht bestrittenen Angaben der Antragsgegnerin versuchten Angehörige der rechtsextremen Szene am 20.08.2005 in B-Stadt, eine Ersatzveranstaltung für die in Wunsiedel und Magdeburg verbotenen Versammlungen anlässlich des 18. Todestages von Rudolf Heß durchzuführen. Teilnehmer dieser Veranstaltung war ein Herr C. K., der auch bei dem Kooperationsgespräch am 25.07.2007 anwesend war.

Ein weiteres Indiz ist schließlich darin zu sehen, dass in Belzig und damit in nur etwa 65 km Entfernung von B-Stadt für den 11.08.2008 eine Versammlung unter dem Motto "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch zum 20. Todestag" angemeldet wurde, die (erwartungsgemäß) vom Polizeipräsidium Potsdam mit Verfügung vom 03.08.2007 verboten wurde. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass nach den Angaben der Antragsgegnerin für den 11.08.2007 bundesweit - außer im Saarland - keine weiteren Demonstrationen der rechten Szene angemeldet sind, spricht Vieles dafür, dass B-Stadt für den (eingetretenen) Fall des Verbots in Belzig als Ausweichort dienen soll.

Als Gegenindiz vermag der Antragsteller nur das Thema der Veranstaltung "Gegen Polizeiwillkür" ins Feld zu führen. Die Antragsgegnerin hat indes plausible Gründe dargelegt, warum diesem Indiz kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist. Bei dem Kooperationsgespräch gab der Antragsteller an, Anlass der Veranstaltung sei die Auflösung der sog. Sonnenwendfeier der "Freien Kräfte B-Stadt" am 23.06.2007 in P. sowie weitere damit in Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen gewesen. Der verhältnismäßig lange zeitliche Abstand zwischen diesem Ereignis und der streitigen Versammlung von rund sieben Wochen spricht in der Tat dafür, dass dieser Anlass nur vorgeschoben ist. Hinzu kommt, dass es - wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt - eine Tarnveranstaltung gerade kennzeichnet, dass bei der Anmeldung ein (möglichst) unverfängliches Thema angegeben wird. Die Entfernung zwischen dem Begräbnisort von Rudolf Heß als eigentlich geplantem Ort der Gedenkveranstaltung und B-Stadt kommt zur Überzeugung des Senats nicht als Gegenindiz von Gewicht in Betracht; denn in den vergangenen Jahren wurden bundesweit und über die Grenzen hinaus Ersatzveranstaltungen durchgeführt oder geplant, was die von der Antragsgegnerin vorgelegten Auszüge aus dem Internet belegen.

Mit der zu erwartenden Glorifizierung von Rudolf Heß ist nach Auffassung des Senats eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB verbunden. Mit dem Gedenken an Rudolf Heß bei einer Versammlung wird die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht und gerechtfertigt. Dadurch werden das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert und damit der öffentliche Friede gestört. Durch die zu erwartende Verherrlichung des Nationalsozialismus wird auch die Würde der Opfer verletzt. Jede auch nur ansatzweise Verherrlichung, Billigung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus als historische Erscheinung bedeutet gleichzeitig mittelbar eine Missachtung der Opfer von Gewalt und Willkür. Der Senat schließt sich - jedenfalls im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz nur möglichen summarischen Prüfung - dieser vom BayVGH in seinem Urteil vom 26.03.2007 (24 B 06.1894 -, Juris) vertretenen und ausführlich begründeten Auffassung an.

Der Senat teilt auch die Ansicht der Antragsgegnerin, dass sich die ummittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht mit milderen Mitteln - wie etwa Auflagen - begegnen lässt. Auflagen etwa der Gestalt, dass das Mitführen von Plakaten, Transparenten, Schildern oder Flugblättern mit Bezug zu Rudolf Heß untersagt ist und sämtliche billigenden und verherrlichenden Äußerungen zu dieser Person zu unterlassen sind, erscheinen schon deshalb ungeeignet, weil die Veranstaltung nach dem Vorgenannten gerade auf die Person von Rudolf Heß ausgerichtet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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