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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.08.2004
Aktenzeichen: 2 M 256/03
Rechtsgebiete: LSA-KAG, LSA-GO


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 I 1
LSA-KAG § 6 V 1
LSA-KAG § 13 I Nr. 4 b
LSA-GO § 6 II
LSA-GO § 6 V
1. Für die Frage, wie weit eine Verkehrsanlage reicht, kommt es auf die natürliche Betrachtungsweise, auf das tatsächliche Erscheinungsbild (Straßenführung, -länge, -breite, -ausstattung) an; die Straßenbezeichnung ist unerheblich.

2. Ein Grundstück hat von einer weiteren Verkehrsanlage keinen Vorteil (Frage der Zweit-Erschließung), wenn ein rechtliches Hindernis besteht, die weitere Anlage in Anspruch zu nehmen.

3. Ist das Bekanntmachungsrecht nichtig, so kann ausnahmsweise genügen, dass die Satzung orts-üblich bekannt gemacht worden ist. Die Ortsüblichkeit setzt eine gewisse Dauer der Handhabung voraus; sie ist noch nicht für einen Zeitraum eines halben Jahres anzunehmen.

4. Sieht das Bekanntmachungsrecht die Veröffentlichung durch Aushang vor, so muss die Min-destdauer des Aushangs bestimmt sein.

5. Sieht das Bekanntmachungsrecht mehrere notwendige Veröffentlichungsformen vor und ist eine davon nichtig, so ist das Bekanntmachungsrecht insgesamt nichtig.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 256/03

Datum: 09.08.2004

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den angegriffenen Beitragsbescheid zu Recht abgelehnt, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheids bestehen. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragsteller einen beitragsrechtlich relevanten Vorteil von der Verbesserung der Bahnhofstraße haben; denn ihr Grundstück wird von dieser Straße erschlossen, allerdings ohne dass sie ein Notwegerecht nach § 917 BGB über die Flurstücke ... in Anspruch nehmen müssten. Die Antragsteller können ihr Grundstück über die südlich dieser Flurstücke gelegene - nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten öffentliche - Zufahrt erreichen. Das Straßenstück, in das diese Zufahrt zwischen der Brücke über den Dorfbach und dem Gebäude auf dem Flurstück ... (Ernst-Thälmann-Straße ...) einmündet, gehört entgegen der Auffassung der Antragsteller zu der hier veranlagten Bahnhofstraße und nicht zur Ernst-Thälmann-Straße.

Für die Beantwortung der Frage, wie weit die Fläche einer Erschließungsanlage reicht, ist auch im Straßenausbaubeitragsrecht auf eine natürliche Betrachtungsweise abzustellen. Maßgebend ist insoweit das durch die tatsächlichen Gegebenheiten wie Straßenführung, Straßenlänge, Straßenbreite und Straßenausstattung geprägte Erscheinungsbild, d. h. der Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln; auf die Straßenbezeichnung kommt es hingegen grundsätzlich nicht an (OVG LSA, Beschl. v. 26.02.2004 - 2 L 33/04 -; m. w. N.). Ausschlaggebend ist dabei der Zustand nach Abschluss der nach dem Bauprogramm auszuführenden Arbeiten (Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 RdNr. 97, m. w. N.).

In Anwendung dieser Grundsätze ist im konkreten Fall davon auszugehen, dass die hier abgerechnete Bahnhofstraße nicht dort endet, wo die Pflasterung mit Schlackepflaster beginnt, sondern - wie es auch im Ausbauplan dargestellt ist - über die Brücke über den Dorfbach hinweg bis zur Einmündung in den südlichen Strang der Ernst-Thälmann-Straße reicht. Würde die Anlage "Bahnhofstraße" bereits am Übergang von der Verbundstein- zur Schlackesteinpflasterung enden, verbliebe bis zum südlichen Strang der Ernst-Thälmann-Straße eine Strecke, die weder der Bahnhofstraße noch der Ernst-Thälmann-Straße zugeordnet werden könnte, wegen ihrer Kürze aber selbst keine selbständige Anlage darstellen kann. Diese Strecke kann bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht der Ernst-Thälmann-Straße, sondern nur der Bahnhofstraße zugeordnet werden. Die Ernst-Thälmann-Straße verläuft mit ihrem südlichen Strang südlich des Dorfbachs. Ihr nordwestlicher Strang, der ebenfalls ausgebaut wurde und mit einem sich vom Fahrbahnbelag der übrigen Straßen unterscheidenden roten Verbundpflaster befestigt wurde, stellt sich als eigenständige Anlage dar, die nördlich der Brücke über den Dorfbach in die Bahnhofstraße einmündet. Hingegen kann nicht angenommen werden, die Ernst-Thälmann-Straße als einheitliche Anlage gable sich in Höhe der Brücke über den Dorfbach und erstrecke sich mit einem Strang über die Brücke hinweg in nordwestlicher Richtung. Gegen eine solche Bewertung spricht die Straßenführung in diesem Bereich. Der nordwestliche Strang der Ernst-Thälmann-Straße stellt sich gegenüber der Bahnhofstraße, in die er einmündet, als dieser untergeordnete Straße dar. Nach der Brücke mündet die Bahnhofstraße in den südlichen Strang der Ernst-Thälmann-Straße als diesem wiederum untergeordnete Straße ein.

Die Antragsteller können auch keine Vergünstigung gemäß § 2a Abs. 8 SBS 1998 wegen einer Zweiterschließung ihres Grundstücks beanspruchen. Ihr Grundstück wird nicht auch von der Ernst-Thälmann-Straße erschlossen; denn es wird durch das Bett des Dorfbachs von dieser Straße getrennt. Eine solche Trennung würde einer (Zweit-) Erschließung nur dann nicht entgegen stehen, wenn die Antragsteller tatsächlich wie rechtlich in der Lage wären, dieses Hindernis zu überwinden. Zwar mag das Hindernis in tatsächlicher Hinsicht durch einen Steg überwunden werden können, wie dies offenbar an anderer Stelle in etwa 30 m Entfernung zum Grundstück der Antragsteller bereits erfolgt ist. Es fehlt aber an der rechtlichen Möglichkeit der Antragsteller, sich einen solchen Zugang zu verschaffen. Unabhängig davon, ob die Errichtung eines Stegs nach § 93 Abs. 1 Satz 1 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. der Bek. v. 21.04.1998 (LSA-GVBl., S. 186), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158) - WG LSA - einer Genehmigung bedarf und ob eine solche Genehmigung nach § 93 Abs. 2 WG LSA erteilt werden könnte, haben die Antragsteller jedenfalls keine Verfügungsbefugnis über das Bachgrundstück und sind damit rechtlich gehindert, sich einen (dauerhaften) Zugang zur Ernst-Thälmann-Straße zu verschaffen. Der bereits bestehende, in etwa 30 m Entfernung zum Grundstück der Antragsteller errichtete (private) Steg ist rechtlich ohne Bedeutung, weil dieser keinen dauerhaften Zugang zur Ernst-Thälmann-Straße über das Bachbett sichert.

Die Beitragsforderung der Antragsgegnerin ist auch nicht verjährt. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, die vierjährige Verjährungsfrist des § 13 Abs. 1 Nr. 4 b) des Kommunalabgabengesetzes - KAG-LSA - i. d. F. d. Bek. v. 13.12.1996 (LSA-GVBl., S. 405) habe erst mit In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Straßenausbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin vom 14.07.1998 (SBS 1998) zu laufen begonnen, weil die sachliche Beitragspflicht erst zu diesem Zeitpunkt entstanden sei. Dem Verwaltungsgericht ist weiter darin zu folgen, dass die Straßenausbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin vom 11.08.1994 (SBS 1994), geändert durch Satzung vom 01.10. 1996, nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht wurde und damit keine Wirksamkeit erlangen konnte. Der Senat vermag sich der Auffassung der Antragsteller, mit der Veröffentlichung dieser Satzung im "Helbraer Kommunalanzeiger" Nr. 10/1994 sei sie "ortsüblich" und damit ordnungsgemäß bekannt gemacht worden, nicht anzuschließen.

Soweit eine Hauptsatzung oder Bekanntmachungssatzung einer Gemeinde die Form der Bekanntmachung (wirksam) regelt, kann Ortsrecht nur in der darin vorgeschriebenen Form wirksam veröffentlicht werden. Zwar schreibt das Kommunalverfassungsrecht in Sachsen-Anhalt keine bestimmte Veröffentlichungsform für kommunales Satzungsrecht vor, so dass die Gemeinde grundsätzlich frei ist in der Wahl der Bekanntmachungsform; ihre Gestaltungsfreiheit wird aber begrenzt durch das Rechtsstaatsprinzip, das insoweit verlangt, dass sich der Bürger in zuverlässiger Weise Kenntnis vom Inhalt des zu verkündenden Rechtssatzes und der Tatsache seines In-Kraft-Tretens verschaffen kann (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 13.01.2003 - 2 L 417/00 -; OVG LSA, Urt. 20.01.1994 - 2 L 2/93 -). Dies ist nur dann gewährleistet, wenn eine Kommune ihr selbst geschaffenes Bekanntmachungsrecht beachtet. § 13 der zum Zeitpunkt der (versuchten) Bekanntmachung der SBS 1994 geltenden Hauptsatzung der Antragsgegnerin vom 15.10.1992 sah vor, dass öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinde, die durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben sind, vorgenommen werden in öffentlichen Bekanntmachungskästen, durch Verteilung von Flugblättern an die Haushalte der Gemeinde sowie durch Veröffentlichungen in der "Mitteldeutschen Zeitung". Auf der Grundlage dieser Bestimmung ist die SBS 1994 nicht wirksam veröffentlicht worden, und zwar ungeachtet der Frage, ob die Antragsgegnerin nach diesen Regelungen tatsächlich verfahren ist. Diese Bekanntmachungsvorschrift ist jedenfalls deshalb nichtig, weil darin die Dauer des Aushangs in den Bekanntmachungskästen nicht geregelt ist. Sieht das Bekanntmachungsrecht eines Satzungsgebers eine Bekanntmachung durch Aushang vor, so muss die Mindestdauer des Aushangs der bekannt zu machenden Satzung in der Bekanntmachungsvorschrift bestimmt sein, weil sich nur dann eindeutig feststellen lässt, ab welchem Zeitpunkt die Rechtsnorm Verbindlichkeit beansprucht (vgl. HessVGH, Urt. v. 31.05.1966 - OS IV 40/61 -, DVBl. 1964, 886, NdsOVG, Urt. v. 26.10.1961 - I OVG A 14/61 -, OVGE 17, 401; OVG NW, Urt. v. 10.02.1960 - III A 618/56 -, KStZ 1960, 197). Dieser Mangel führt zur Nichtigkeit der gesamten Bekanntmachungsregelung und nicht etwa nur zur Teilnichtigkeit der Regelung über den Aushang in den Bekanntmachungskästen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 18.09.2003 - 1 L 277/03 -). Ob die Hauptsatzung ihrerseits wirksam bekannt gemacht wurde, kann nach alldem dahinstehen.

Die Nichtigkeit der Bekanntmachungsvorschrift hat aber - entgegen der Auffassung der Antragsteller - nicht zur Folge, dass eine wirksame Veröffentlichung der SBS 1994 im "Helbraer Kommunalanzeiger" Nr. 10/1994 erfolgen konnte. Wenn die Hauptsatzung oder eine darin enthaltene Bekanntmachungsvorschrift nichtig ist, kann eine Satzung zwar wirksam sein, wenn die Bekanntmachung "ortsüblich" erfolgte (OVG LSA, Beschl. v. 13.01.2003, a. a. O.). Die Veröffentlichung der SBS 1994 im "Helbraer Kommunalanzeiger" war aber - jedenfalls zum Zeitpunkt der (versuchten) Bekanntmachung der SBS 1994 - nicht "ortsüblich". Da - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - der Helbraer Kommunalanzeiger erst seit Januar 1994 herausgegeben wird und dieses Blatt erstmals in der Hauptsatzung der Antragsgegnerin vom 23.05. 1995 - neben den Bekanntmachungskästen - als Bekanntmachungsform benannt wurde, kann eine "Ortsüblichkeit" dieser Form der Veröffentlichung im August 1994 nicht angenommen werden.

Mit der Veröffentlichung der 1. Änderungssatzung vom 01.10.1996 ist schon deshalb keine wirksame Straßenausbaubeitragssatzung in Kraft gesetzt worden, weil diese lediglich Änderungen zur SBS 1994 enthält und damit wesentliche Bestandteile einer Beitragssatzung fehlen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]). In Streitigkeiten, die - wie hier - auf bezifferte Geldleistungen gerichtete Verwaltungsakte betreffen, ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes anzusetzen (vgl. Abschnitt I. Nr. 7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996, DVBl. 1996, 606).

Ende der Entscheidung

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