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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 07.08.2006
Aktenzeichen: 2 M 268/06
Rechtsgebiete: GG, VersG


Vorschriften:

GG Art. 5
GG Art. 8
VersG § 15 Abs. 1
Eine versammlungsrechtliche Auflage, mit dem den Versammlungsteilnehmern untersagt wird, bei der Versammlung eine Kombination der Worte "national" und "sozial" zu verwenden, wird dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG nicht gerecht.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 268/06

Datum: 07.08.2006

Gründe:

Die Beschwerde, über die der Senat wegen der unmittelbar bevorstehenden Versammlung vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entscheidet, hat teilweise Erfolg. Die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine abweichende Entscheidung nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

Zu Recht wendet der Antragsteller ein, das Verwaltungsgericht habe, was die Auflage Nr. 4 anbetrifft, das durch Art. 5 GG geschützte Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht hinreichend beachtet.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschlüsse vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90; Beschl. v. 21.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, BVerfGE 111, 147) hat indes bereits mehrfach entschieden, dass Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken auch dann findet, wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es, dass § 15 VersG gemäß § 20 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch die Abwehr für Gefahren für die öffentliche Ordnung erlaubt, allerdings vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Die Erwartung, auf der Versammlung würde nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet, rechtfertigt es nicht, die Durchführung der Versammlung zu unterbinden (BVerfG, Beschl. v. 05.09.2003, a. a. O.). In der Entscheidung vom 23.06.2004 (a. a. O.) hat es weiter ausgeführt:

"Schranken der Meinungsfreiheit können sich auch aus kollidierenden Grundrechten und damit aus der Verfassung selbst ergeben (vgl. BVerfGE 66 116 <136>). Die von der Versammlungsbehörde und dem Oberverwaltungsgericht als Maßstab herangezogene öffentliche Ordnung ist keine solche Grundrechtsschranke (vgl. Rühl, NVwZ 2003, S. 531 <536 f.>; Kniesel/Poscher, NJW 2004, S. 422 <428>). Soweit verfassungsunmittelbare Schranken von Grundrechten anzuerkennen sind, ermöglichen sie zwar Freiheitsbeschränkungen; ihre Konkretisierung aber unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes (vgl. BVerfGE 83, 130 <142>; 108, 282 <297, 302, 311>). Sie bedürfen daher einer gesetzlichen Grundlage. Schon daran fehlt es im Hinblick auf die vom Oberverwaltungsgericht angenommene verfassungsimmanente Beschränkung der Kundgabe einer rechtsextremistischen Ideologie...

Einschränkungen von Versammlungen wegen des Inhalts der mit ihnen verbundenen Äußerungen können auch nicht darauf gestützt werden, dass das Grundgesetz sich angesichts der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus für eine wehrhafte Demokratie entschieden hat. In der Tat will das Grundgesetz nationalsozialistische Bestrebungen abwehren. Zugleich schafft es rechtsstaatliche Sicherungen, deren Fehlen das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus geprägt hat. Dementsprechend enthält das Grundgesetz einen Auftrag zur Abwehr von Beeinträchtigungen der Grundlagen einer freiheitlichen demokratischen Ordnung mit den Mitteln des Rechtsstaats.

Dem trägt die Rechtsordnung insbesondere in den Strafgesetzen durch besondere Schutznormen Rechnung. Das Grundgesetz enthält darüber hinaus in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 sowie auch in Art. 26 Abs. 1 besondere Schutzvorkehrungen, die zeigen, dass der Verfassungsstaat des Grundgesetzes sich gegen Gefährdungen seiner Grundordnung - auch soweit sie auf der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts beruhen - im Rahmen rechtsstaatlich geregelter Verfahren wehrt. Aus den aufgeführten Normen des Grundgesetzes können aber keine weiter gehenden Rechtsfolgen als die ausdrücklich angeordneten abgeleitet werden (vgl. BVerfGE 10, 118 <123>; 13, 46 <52>; 25, 44 <57 f.>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, S. 90 <91>). Die Sperrwirkung dieser Vorschriften steht daher einer Berufung auf ungeschriebene verfassungsimmanente Schranken als Rechtfertigung für sonstige Maßnahmen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegen. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass das Grundgesetz zu hohe Hürden für die Inanspruchnahme der Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Ordnung gegen Rechtsextremisten geschaffen habe, erlaubt keine Errichtung von Grundrechtsschranken durch Richterrecht. Die im Grundgesetz vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeiten sind zugleich Ausdruck der vom Verfassungsgeber anerkannten Notwendigkeiten einer Beschränkung."

Gemessen hieran dürfte die Auflage Nr. 4, soweit darin dem Antragsteller untersagt wird, eine Kombination der Worte "national" und "sozial" zu verwenden, dem Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG nicht gerecht werden. Die Verwendung der beiden Worte muss nicht in jedweder Form zwingend einen Bezug zum Nationalsozialismus haben. Ein so weit gehendes Verbot, bestimmte - für sich genommen unverfängliche - Worte zu verwenden, würde die Möglichkeiten der Meinungskundgabe unangemessen einschränken. Auch wenn dadurch - wie die Antragsgegnerin vorträgt - ein provokativer Bezug zum Nationalsozialismus hergestellt werden kann oder soll, ist dies noch vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt; die Schwelle der Strafbarkeit wird hierdurch nicht überschritten. Eine Störung der öffentlichen Ordnung, die durch einen solchen Bezug (möglicherweise) eintritt, reicht nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen gerade nicht, um eine solche Äußerung verbieten zu können.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, allein das Zusammenspiel verschiedener durch die Auflagen untersagter Worte, die eine Rückbeziehung auf den Nationalsozialismus zuließen, gebe der "Mahnwache" ein andere Bürger einschüchterndes Gepräge, teilt der Senat nicht. Soweit das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Rechtsprechung ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer hat ausreichen lassen, um ein versammlungsrechtliches Verbot auszusprechen, bezog sich dies auf Fälle, in denen das Zusammenspiel von Inhalt, Art und Weise des geplanten Aufzugs ein solches Verhalten nahe legten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.09.2003, a. a. O.: Versammlung am 65. Jahrestags des letzten Reichsparteitags vom 5. bis 12.09.1938 in Nürnberg mit weitgehend mit den damals bei Aufmärschen und Fackelzügen zurückgelegten identischen Wegen unter Einbeziehung historisch für den Nationalsozialismus bedeutsamer Örtlichkeiten).

Auch die Auflage Nr. 5 dürfte, soweit darin das Tragen von Kleidungsstücken der Marke "Thor Steinar" untersagt wird, keinen Bestand haben. Auch insoweit dürfte maßgeblich sein, ob hierbei die Schwelle der Strafbarkeit überschritten wird. Dies ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht der Fall. Das OLG Brandenburg hat mit Urteil vom 12.09.2005 (1 Ss 58/05 -, NJ 2005, 564) entschieden, das ehemalige Markenlogo der Marke "Thor Steinar" erfülle in seiner konkreten Gestaltung - jedenfalls aus heutiger Sicht - nicht den Tatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne von § 86a Abs. 1, Abs. 2 StGB. Auch wenn die Strafbarkeit des Tragens dieses Emblems strafrechtlich noch nicht abschließend geklärt ist, insbesondere der Generalstaatsanwalt des Landes Sachsen-Anhalt eine abweichende Rechtsauffassung vertritt, sieht der Senat jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keinen Anlass, eine andere strafrechtliche Bewertung vorzunehmen als das OLG Brandenburg in seinem ausführlich begründeten Urteil.

Soweit der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren die Auflage Nr. 5 auch insoweit angegriffen hat, als die Versammlungsteilnehmer keine Embleme oder Tätowierungen tragen dürfen, die in Verbindung mit dem Nationalsozialismus stehen oder in den Augen von unbeteiligten Personen einen solchen Eindruck hervorrufen können, hat die Beschwerde deshalb keinen Erfolg, weil sie sich nicht - wie § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO dies verlangt - mit der Begründung des angefochtenen Beschlusses auseinandersetzt. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, die in der Auflage genannten Abkürzungen, Ziffern und Symbole seien in Verbindung mit den in der Auflage 4 untersagten Parolen zu sehen und dienten der Verhinderung eines die öffentliche Ordnung verletzenden Gesamteindrucks. Dazu verhält sich die Beschwerde nicht.

Entsprechendes gilt für die Auflage Nr. 3. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich ausgeführt, diese Auflage weise nur auf die geltende Rechtslage hin; eine eigene Regelung werde hierdurch nicht getroffen. Selbst wenn die angegriffene Aussage als Auflage zu qualifizieren sein sollte, wäre sie nicht zu beanstanden, weil sie die Grenze aufzeige, jenseits derer eine Meinungsäußerung verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sei. Mit Letzterem befasst sich die Beschwerde nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

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