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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 05.09.2003
Aktenzeichen: 2 M 381/03
Rechtsgebiete: VwGO, GG


Vorschriften:

VwGO § 42 II
VwGO § 113 I 4
VwGO § 123 I
GG Art. 19 IV
1. Vorbeugender gerichtlicher Rechtsschutz gegen künftige Verwaltungsakte kommt nur in Betracht, wenn der Betroffene gegen den tatsächlich erlassenen Verwaltungsakt Rechtsschutz in zumutbarer Weise nicht erlangen kann.

2. Hält der Betroffene bereits ergangenen, abgeschlossene polizeiliche Maßnahmen für rechtswidrig und will er eine Wiederholung verhindern, so steht ihm die Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungklage offen.

3. Ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren im Verfahren der einstweiligen Anordnung ist nicht statthaft.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 381/03

Datum: 05.09.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1 S. 1 ; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.

Den Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es zu unterlassen, den Antragsteller an der uneingeschränkten Nutzung des Grundstücks ... durch polizeiliche Maßnahmen zu hindern, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.07.2003 abgelehnt. Die in der Beschwerdeschrift des Antragstellers dargelegten Gründe führen im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung; denn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist von Anfang an unzulässig gewesen.

Der Antrag auf Erlass eine einstweiligen Anordnung vom 07.07.2003 ist der Sache nach auf ein allgemeines Leistungsbegehren gerichtet, mit dem Ziel, die Unterlassung von Verwaltungsakten im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO sichern zu lassen. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise die Notwendigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes anerkannt ist, vorliegen.

Bereits eine Leistungsklage auf Unterlassung eines Verwaltungsaktes ist grundsätzlich nur als Ausnahme zulässig, weil nach der Systematik der VwGO die allgemeine Leistungsklage überall dort ausgeschlossen ist, wo die Verwaltung befugt ist, über die Gewährung oder Versagung der begehrten Leistung durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Wie sich § 42 Abs. 2 VwGO entnehmen lässt, ist die Zulässigkeit von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen zwingend an das Vorliegen bzw. die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes geknüpft. Daraus erhellt, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen bei Streitigkeiten in denen es - wie hier - um Verwaltungsakte geht, insoweit durch § 42 VwGO abschließend determiniert sind. Darüber hinaus führt die Zulässigkeit der allgemeinen, einen Verwaltungsakt betreffenden Leistungsklage zu einer Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Widerspruchsverfahrens und der Klagefrist. Geht die VwGO daher vom Grundsatz eines repressiven Rechtsschutzes gegen Verwaltungsakte aus (vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 1996, RdNr. 355), ist der Adressat bzw. Drittbetroffene eines künftigen Verwaltungsaktes gehalten, den Erlass des Verwaltungsaktes abzuwarten, um sich danach gegen diesen zur Wehr zu setzen. Nur dann, wenn der Verwaltungsakt nach seinem Erlass nicht mehr aufhebbar wäre oder durch seine Vollziehung vollendete Tatsachen geschaffen würden bzw. ein nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde, ist eine Unterlassungsklage gegenüber einem drohenden Verwaltungsakt zulässig (vgl. dazu z.B. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 33 f. vor § 40). Wird - wie im vorliegenden Fall - der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO begehrt, ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich keinen vorbeugenden Rechtsschutz mit dem Ziel gewährt, die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten und Aufgabenerfüllung durch richterliche Anordnungen einzuengen (BayVGH, Beschl. 28.04.1992 - 21 CE 92.949 -, NVwZ-RR 1993, 54/55). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt daher nur in Betracht, wenn der von einem belastenden Verwaltungsakt Betroffene keinen wirksamen Rechtsschutz gegen drohende schwere und unzumutbare Nachteile erlangen kann, die nicht mehr beseitigt werden können (vgl. BayVGH, NVwZ-RR 1993, 54 [55]; Schenke, in: Kopp/Schenke, a. a. O., RdNr. 3 zu § 123, m. w. N.). Das hiernach notwendige qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für die Zulässigkeit vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gegen zukünftige Verwaltungsakte liegt dagegen nicht vor, wenn und solange der Betroffene in zumutbarer Weise auf den von der VwGO grundsätzlich als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (vgl. VGH BW, Beschl. v. 24.05.1994 - 10 S 451/94 -, DVBl. 1994, 1250).

Beurteilt man den vorliegenden Fall nach diesen Grundsätzen kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich des Antrages zu 1) nicht in Betracht.

Es ist schon nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht vorgetragen, dass er gegen Verwaltungsakte, die die Nutzung des von ihm gemieteten Grundstücks betreffen, keinen gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen vermag.

Soweit der Antragsteller die polizeilichen Maßnahmen ..., die ihn zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung veranlasst haben, für rechtswidrig hält und künftig die Wiederholung solcher Maßnahmen befürchtet, steht ihm ein den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügender Rechtsschutz in der Form der Fortsetzungsfeststellungsklage offen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass ein schutzwürdiges ideelles Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung nicht nur in Fällen in Betracht kommt, in denen abträgliche Nachwirkungen der erledigten Verwaltungsmaßnahme fortbestehen. Vielmehr kann es auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern, das Feststellungsinteresse anzuerkennen (Urt. v. 21.11.1980 - BVerwG 7 C 18.79 -, BVerwGE 61, 164 [166] unter Bezugnahme auf BVerfGE 51, 268 [279]; Urt. v. 03.05.1988 - BVerwG 7 C 92.86 -, Buchholz 421 [Kultur- und Schulwesen] Nr. 96). Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1997 - BVerwG 1 C 2.95 -, Buchholz 310 [VwGO] § 43 Nr. 127 S. 8 = NJW 1997, 2534 m. w. N). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es zwar mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es aber, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz darf nicht von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass an dem Betroffenen ein Exempel statuiert oder sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabgesetzt wurde (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 07.12.1998 - 1 BvR 831/89 -, NVwZ 1999, 290 [291 f.] zum Wasserwerfereinsatz; ferner Beschl. v. 30.04.1997 - 2 BvR 817/90 u. a. -, BVerfGE 96, 27 [39 f.], m. w. N.).

Der Antrag des Antragstellers kann auch nicht in einen solchen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgedeutet werden. Ein solcher Antrag wäre unzulässig, weil er in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft ist. Eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein rechtfertigt, in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden kann. Die aufgrund summarischer Prüfung ergehende einstweilige Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Versagung des begehrten Verwaltungsakts. Eine verbindliche Entscheidung über diese Frage trotz zwischenzeitlicher Erledigung der Hauptsache herbeizuführen, ist aber gerade Sinn der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO; sie ist daher nur in einem Hauptsacheverfahren möglich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.01.1995 - BVerwG 7 VR 16/94 -, NJW 1995, 2867; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., RdNr. 319, m. w. N.).

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