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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.09.2003
Aktenzeichen: 2 M 435/03
Rechtsgebiete: LSA-VwVfG, LSA-MitSEPl-VO, LSA-LHO


Vorschriften:

LSA-VwVfG § 12 I Nr. 1
LSA-VwVfG § 35
LSA-VwVfG § 41 I 1
LSA-MitSEPl-VO § 1 IV Nr. 1
LSA-LHO § 7
Wird die Allgemeinverfügung (hier: eine Schulschließung) im Weg der Einzel-Bekannmachung dem gesetzlichen Vertreter des Schülers bekannt gegeben, so muss die Bekanntgabeform erkennen lassen, dass der Vertreter nur Bekanntgabe-, nicht aber Inhalts-Adressat sein soll.

Eine Schulschließung, die nach dem gesetzlichen Beginn des neuen Schuljahrs, aber vor Beginn des Unterrichts wirksam wird, hat keine Rückwirkung.

Eltern und Schülern steht bei der planerischen schulorganisatorischen Maßnahme einer Schulschließung kein umfassender Anspruch auf Abwägung ihrer privaten mit den öffentlichen Belangen zu. Gegen die Schließung eines Schulstandorts können sie sich erst wehren, wenn sie in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 435/03

Datum: 10.09.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987), sowie auf §§ 155 Abs. 1; 159; 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und hinsichtlich des Streitwerts auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) i. V. m. II. Nr. 37.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff.).

I. Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1. ist unzulässig, weil sie durch den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 28.08.2003 (3 B 40/03 HAL) nicht formell beschwert ist. Eine formelle Beschwer des Rechtsmittelführers, die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist (Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., Vorb. § 124 RdNr. 39), liegt dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung, soweit sie für die Beteiligten verbindlich werden kann, hinter seinem Begehren zurückbleibt (BVerwG, Urt. v. 03.12.1981 - BVerwG 3 B 90.80 -, Buchholz 421.0, Nr. 157). Auch gerichtliche Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO entfalten für die Beteiligten Bindungswirkung (Kopp/Schenke, a. a .O., § 121 RdNr. 4). Zur Bestimmung des sachlichen Umfangs der Bindungswirkung ist grundsätzlich von der Entscheidungsformel auszugehen. Reicht sie hierfür nicht aus, sind zur Bestimmung ihrer inhaltlichen Tragweite die Entscheidungsgründe heranzuziehen. Dies ist regelmäßig bei einer Klage- oder Antragsabweisung der Fall, weil der Umfang der Bindungswirkung anders nicht bestimmbar ist (BVerwG, Urt. v. 03.12.1981, a. a. O.; Kopp, a. a. O., § 121 RdNr. 18).

Da das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss den Antrag der Antragstellerin zu 1. nicht beschieden, sondern lediglich den vorläufigen Rechtsschutzantrag der Antragsteller zu 2. und 3. abgelehnt hat, entfaltet der Beschluss Bindungswirkung nur gegenüber diesen Antragstellern, mit der Folge, dass die Antragstellerin zu 1. jedenfalls durch diese Entscheidung formell nicht beschwert ist. Soweit die Antragstellerin zu 1. ihr Rechtsschutzbegehren weiter verfolgen will, ist sie gehalten, gemäß § 122 Abs. 1 i. V. m. § 120 Abs. 1 VwGO bei dem Verwaltungsgericht die Bescheidung ihres - übergangenen - Antrags zu beantragen. Eine Berichtigung des Rubrums im Beschwerdeverfahren sieht die VwGO hingegen nicht vor.

II. Die zulässigen Beschwerden der Antragsteller zu 2. und 3. sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (1.); im Übrigen waren die Beschwerden zurückzuweisen (2.).

1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Unrecht abgelehnt; denn bei der hier allein in Betracht kommenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erweist sich der Kreistagsbeschluss des Antragsgegners vom 16.12.2002 bereits deshalb gegenüber den Antragstellern als offensichtlich (formell) rechtswidrig, weil er ihnen nicht wirksam im Sinne der §§ 43 Abs. 1; 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 (LSA-GVBl., S. 3) - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [135 <Nr. 34>]), bekannt gegeben worden ist.

Den Antragstellern ist der Kreistagsbeschluss vom 16.12.2002 nicht wirksam am 22.08.2003 gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA bekannt gemacht worden. Zwar ist bei natürlichen Personen, deren Handlungsunfähigkeit - wie hier - gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 (LSA-GVBl., S. 3) - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [135 <Nr. 34>]), nicht gegeben ist, ein Verwaltungsakt dem gesetzlichen Vertreter (hier der Mutter gemäß § 1626 BGB) bekannt zu geben. Allerdings ist, um dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG LSA zu genügen, bei der Bekanntgabe an den gesetzlichen Vertreter hinreichend deutlich zu machen, dass der gesetzliche Vertreter nur Bekanntgabe-, nicht aber Inhalts-Adressat des Verwaltungsakts sein soll (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar zum VwVfG, § 41 RdNr. 56; § 37 RdNrn. 15f, 15 i). Daran fehlt es; denn der Kreistagsbeschluss vom 16.12.2002 ist ausweislich des Schreibens des Antragsgegners vom 22.08.2003 ausschließlich der Antragstellerin zu 1. "als Betroffener" bekannt gegeben worden und nicht zugleich auch als gesetzliche Vertreterin der Antragsteller zu 2. und 3., mit der Folge, dass eine wirksame Einzelbekanntgabe an die Antragsteller zu 2. und 3. nicht erfolgt ist.

Der Kreistagsbeschluss vom 16.12.2002, der als Verwaltungsakt in der Form der Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG LSA anzusehen ist, da er die Schließung einer Schule zum Gegenstand hat (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 24.04.1978 - BVerwG 7 B 111.77 -, NJW 1978, 2211), ist noch nicht wirksam gemäß § 41 Abs. 3, 4 VwVfG LSA bekannt gegeben worden. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 20. August 2003 (2 M 308/03) verwiesen. Der Antragsgegner hat allerdings inzwischen die Bekanntmachung des Kreistagsbeschlusses gemäß § 14 Abs. 4 der Hauptsatzung vom 04.05.1998 in der Fassung vom 16.12.2002 im Wochenspiegel, Ausgaben Naumburg-Nebra einerseits und Zeitz andererseits nachgeholt; insbesondere hat der Antragsgegner den Kreistagsbeschluss vom 16.12.2002 nebst seiner Begründung für zwei Wochen (28.08.2003 bis 19.09.2003) zu jedermanns Einsicht im Büro des Kreistages ausgelegt. Da die Auslegungsfrist am 19.09.2003 endet, gilt der Kreistagsbeschluss ab dem 20.09.2003 als wirksam bekannt gegeben, so dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bis zum 19.09.2003 zu befristen war. 2. Die Antragsteller zu 2. und 3. haben keinen Anspruch glaubhaft gemacht, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, umgehend die organisatorischen Voraussetzungen für einen Schulbesuch in der Sekundarschule K. zu bewirken.

Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zugunsten der Antragsteller zu 2. und 3. sind nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf eine streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Durch die einstweilige Anordnung sind also entsprechend ihrem Zweck grundsätzlich nur Maßnahmen zur vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses zulässig.

Indes kann es aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise geboten sein, durch einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegzunehmen. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn der Rechtsschutz in der Hauptsache wegen der langen Verfahrensdauer nicht rechtszeitig erlangt werden kann und dies zu schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen für den Antragsteller führt, die sich auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen lassen. Zudem müssen überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Antragsteller zu 2. und 3. im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben werden; denn sie haben schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO).

Ohne Erfolg wenden die Antragsteller zu 2. und 3. ein, der Kreistagsbeschluss vom 16.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 20.08.2003 messe sich in rechtswidriger Weise Rückwirkung zu, und schon aus diesem Grund könnten sie die Weiterführung des Schulbetriebs in K. begehren.

Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass es im vorliegenden Fall einen Verstoß gegen den auch im Verwaltungsgericht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ("dolo agit, qui petit, quod statim redditurus esset") bedeutet, wenn die Antragsteller zu 2. und 3. den Weiterbetrieb der Schule zumindest bis zum Zeitpunkt der Nachholung der Bekanntgabe des Kreistagsbeschlusses verlangen könnten; denn spätestens mit einer wirksamen Bekanntgabe des Kreistagsbeschlusses - sei es durch eine Einzelbekanntgabe oder durch die Allgemeinverfügung, deren Auslegungsfrist am 19.09.2003 abläuft - müssten sie die Schulschließung erneut gegen sich gelten lassen.

Der von den Antragstellern zu 2. und 3. geltend gemachte Anspruch auf Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen für einen (zukünftigen) Schulbesuch in K. hängt vielmehr maßgeblich davon ab, ob die insoweit von dem Antragsgegner getroffene Abwägungsentscheidung, die Sekundarschule in K. zugunsten der Sekundarschule in N. zu schließen, Abwägungsmängel erkennen lässt. Dies ist indes - wie das Verwaltungsgericht zutreffend in seinen Beschlüssen vom 20.08.2003 (3 B 6/03 HAL) und vom 28.08.2003 (3 B 40/03 HAL) ausführt - nicht der Fall; insbesondere können sich die Antragsteller zu 2. und 3. nicht mit Erfolg auf einen Ermessensausfall bei der Auswahlentscheidung gegen K. gemäß § 1 Abs. 4 Nr. 1 der Verordnung zur Mittelfristigen Schulentwicklungsplanung - MitSEPl-VO - vom 17.11.1999 (LSA-GVBl., S. 356 ff.) berufen. Nach dieser Vorschrift sind für die Bestimmung von Schulstandorten unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 und 3 MitSEPl-VO Ausnahmen zulässig, wenn und solange auch unter Berücksichtigung benachbarter Träger der Schulentwicklungsplanung die notwendigen Investitionen außer Verhältnis zur schulisch sachgerechten Nutzung vorhandener Schulgebäude stehen.

Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die Antragsteller zu 2. und 3. durch den Gesichtspunkt der entstehenden Mehrkosten nicht in einer Weise berührt werden, dass sie hierdurch in ihren Rechten betroffen sind.

Die Schließung einer Schule ist eine schulorganisatorische Maßnahme, die keine grundsätzlich andersartigen Probleme aufwirft als eine Planung in anderen Bereichen und daher dem Gebot der gerechten Abwägung genügen muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.10.1978 - BVerwG 7 CB 75.78 -, Buchholz 421 [Kultur- und Schulwesen] Nr. 61); dieses Gebot ist bei einer Schulorganisationsmaßnahme allenfalls dann verletzt, wenn nicht alles an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge hätte eingestellt werden müssen, wenn das Gewicht der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt worden ist oder aber der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zur objektiven Bedeutung der Belange außer Verhältnis gestanden hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 - BVerwG IV C 21.74 -, BVerwGE 48, 56).

Allerdings steht den in betroffenen Schülern und Eltern bei der Überprüfung der planerischen Entscheidung für eine Schulschließung kein umfassender Anspruch auf fehlerfreie Abwägung ihrer privaten Belange mit öffentlichen Belangen zu, d. h. sie können keine Abwägungsfehler bezogen auf öffentliche Belange geltend machen (BVerwG, Beschl. v. 23.10.1978 - BVerwG 7 CB 75.78 -, DVBl. 1979, 352). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage des fortbestehenden Bedürfnisses an dem Erhalt eines bestimmten Schulstandorts verknüpft und in subjektiv-rechtlicher Hinsicht letztlich abhängig gemacht davon, ob die betroffenen Schüler und Eltern "in unzumutbarer Weise beeinträchtigt" werden; wird also das Fortbestehen eines Bedürfnisses zu Unrecht verneint, so ist mit diesem Verstoß gegen objektives Recht eine Verletzung von subjektiven Rechten der Schüler und Eltern nur dann verbunden, wenn sie durch den Wegfall der Schule unzumutbar beeinträchtigt werden (BVerwG, Beschl. v. 07.01.1992 - BVerwG 6 B 32.91 -, NVwZ 1992, 1202 [1203]). Daran fehlt es, wenn - wie hier - die infolge der Schließung der Schule entstehenden Mehrkosten für das Land Sachsen-Anhalt im Vordergrund stehen; denn - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - hat der Antragsgegner auf eine sachgerechte Verwendung von Haushaltsmitteln hinzuwirken (Art. 92 ff. der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LVerf-LSA - vom 16.07.1992 [LSA-GVBl., S. 600] i. V. m. § 7 der Landeshaushaltsordnung - LHO - vom 30.04.1991 [LSA-GVBl., S. 35], zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 [LSA-GVBl., S. 130]). Eine unmittelbare Rechtsbetroffenheit oder Einflussnahme auf die planerischen Entscheidungen der Verwaltung folgt hieraus für die außerhalb der Verwaltung stehenden Kinder und Eltern regelmäßig aber nicht.

Ende der Entscheidung

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