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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: 2 M 500/03
Rechtsgebiete: LSA-GO, LSA-VwVfG, VwGO


Vorschriften:

LSA-GO § 44 III Nr 22
LSA-GO § 57 II
LSA-GO § 62 I
LSA-GO § 133
LSA-GO § 139
LSA-GO § 141
LSA-VwVfG § 35
VwGO § 42 II
VwGO § 80 V
VwGO § 80 VII 1
VwGO § 113 I
1. Das Verwaltungsgericht kann seinen Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage auch dann nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO ändern, wenn es inzwischen zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt ist. Diese Befugnis ist nur durch das Willkürverbot begrenzt.

2. Die Kommunalaufsicht wird über die Gemeinde als Ganzes ausgeübt, nicht über einzelne Organe oder deren Mitglieder. Diese können deshalb aus eigenem Recht die Maßnahme der Kommunalaufsicht nicht selbständig anfechten.

3. Erlässt die Kommunalaufsicht gleichwohl den Verwaltungsakt der Bestellung eines Beauftragten für den Gemeinderat nicht nur der Gemeinde gegenüber, sondern auch gegenüber den Ratsmitgliedern, so können diese den offenkundig rechtswidrigen Verwaltungsakt nur insoweit anfechten, als er zu Unrecht auch ihnen gegenüber ergangen ist; eine materielle Überprüfung der Voraussetzungen des § 139 GO LSA findet dabei nicht statt.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 500/03

Datum: 05.11.2003

Gründe:

Mit kommunalaufsichtlicher Verfügung vom 15.09.2003, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, bestellte der Antragsgegner für bestimmte, im Einzelnen aufgezählte Aufgaben des Gemeinderats der Gemeinde Krosigk gemäß § 139 der Gemeindeordnung befristet bis zum 30.11.2003 einen Beauftragten.

Die mit Sofort-Vollzug gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO versehene Verfügung wurde nicht nur der Gemeinde bekannt gegeben, sondern auch den Ratsmitgliedern. Die Antragsteller erhoben am 17.09.2003 Widerspruch.

Dem Antrag der Antragsteller auf vorläufigen Rechtsschutz gab das Verwaltungsgericht Halle zunächst mit Beschluss vom 01.10.2003 - 1 B 81/03 HAL - statt. Mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 07.10.2003 - 1 B 87/03 HAL - änderte es den Beschluss vom 01.10.2003 und lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Wesentlichen mit der Begründung ab: Die Kommunalaufsicht habe zwar auch gegenüber den Antragstellern einen Verwaltungsakt erlassen; dieser werde jedoch im Verfahren der Hauptsache aus formellen Gründen aufzuheben sein, weil Verfügungen der Kommunalaufsicht an die Gemeinde und nicht an einzelne Ratsmitglieder zu richten seien. Da die Maßnahme der Kommunalaufsicht mangels Rechtsbehelfs der Gemeinde vollziehbar sei, könnten die Ratsmitglieder keine eigenen Rechte geltend machen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller, die meinen, die Maßnahme der Kommunalaufsicht aus eigenem Recht angreifen zu können; sie begehren die Änderung des Beschlusses vom 07.10.2003 und die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die kommunalaufsichtliche Verfügung.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg; denn das Verwaltungsgericht durfte seinen für die Antragsteller positiven Beschluss vom 01.10.2003 - 1 B 81/03 HAL - nach § 80 Abs. 5 VwGO auf der Grundlage des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO ändern (1.), und die vom Verwaltungsgericht Halle in seinem Beschluss vom 07.10.2003 - 1 B 87/03 HAL - vertretene Rechtsauffassung erweist sich als zutreffend (2.).

1. Das Verwaltungsgericht kann von ihm auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO gefasste Beschlüsse jederzeit (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO), also auch dann ändern, wenn ein am Verfahren Beteiligter die Änderung mangels veränderter Umstände nicht nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO durchsetzen könnte. Eine Grenze ist insoweit nur durch das Willkürverbot gesetzt; nicht ausgeschlossen ist es deshalb auch, dass das Verwaltungsgericht zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt und den Schwebezustand der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts auf dieser Grundlage für die Zukunft anders als bisher regelt (Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 80 RdNr 134; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80 RdNrn. 192, 193; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 RdNr. 186; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 RdNr. 385).

2. Die Antragsteller können die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche nicht verlangen. Zwar ist der den Antragstellern gegenüber ergangene Verwaltungsakt offenkundig rechtswidrig (2.1.); sie werden aber durch die Regelung nicht in eigenen (materiellen) Rechten verletzt (2.2.).

2.1. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die (in erster Linie) an die Gemeinde gerichtete kommunalaufsichtliche Verfügung insoweit rein verfahrensrechtlich mit der Rechtslage nicht übereinstimmt, als sie (zusätzlich) auch den Ratsmitgliedern gegenüber erlassen worden ist.

Wie § 141 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt - GO LSA - vom 05.10.1993 (LSA-GVBl., S. 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158 [158 <Art. 2>]), deutlich macht, gilt in allen Fällen von Kommunalaufsicht nur die Gemeinde selbst als durch die jeweilige Maßnahme betroffen. Dies wird durch die übrigen Bestimmungen, insbesondere durch die Zielbestimmung des § 133 Abs. 1 GO LSA, bestätigt. Für § 139 GO LSA gilt nichts Anderes; denn materielle Voraussetzung für dieses äußerste Mittel ist nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass die übrigen Maßnahmen gegenüber der Gemeinde (vgl. insoweit die Erwähnung der "Gemeinde" als Adressatin in den §§ 135-138 GO LSA) versagt haben oder keinen Erfolg versprechen. Selbst wenn man angesichts des Art. 31 des Grundgesetzes (GG) § 141 GO LSA für eine lediglich deklaratorische Bestimmung deshalb halten wollte, weil sich die Frage der gerichtlichen Kontrolle allein nach §§ 42; 80 Abs. 5, 7; 113 Abs. 1 VwGO, also nach Bundesrecht, bestimmen kann, ist für die Bewertung der materiellen Betroffenheit, die sich nach Kommunalrecht beurteilt, in Rechnung zu stellen, dass die Kommunalaufsicht über die Kommune als Ganzes, als juristische Person des öffentlichen Rechts, ausgeübt wird und nicht über einzelne Teile oder Organe. Auch soweit ein durch die Kommunalaufsicht bestimmter Beauftragter im Fall des § 139 GO LSA einzelne Funktionen von Gemeindeorganen wahrnimmt, bleibt die dies auslösende Anordnung der Kommunalaufsicht eine Maßnahme gegenüber der Gemeinde.

Genau so wenig, wie der Bürgermeister in Person seine eigene Ersetzung nach § 139 GO LSA aus selbständigem Recht anfechten könnte, ohne sich auf seine organschaftlichen Vertretungsrechte nach § 57 Abs. 2 GO LSA zu berufen, kann der Gemeinderat aus seinem Organrecht (vgl. § 35 GO LSA) oder können seine Mitglieder aus eigenem Recht gegen die Maßnahme des § 139 GO LSA vorgehen. Soweit die Gemeindeordnung durch §§ 42 ff GO LSA Befugnisse und Mitwirkungsrechte der Mitglieder des Gemeinderats regelt, geschieht dies nur innerhalb der juristischen Person Gemeinde und nicht mit Außenwirkung. Die Gebietskörperschaft nach außen zu vertreten, ist gemäß § 57 Abs. 2 GO LSA allein der Bürgermeister berechtigt.

An diesem Ergebnis ändert auch § 44 Abs. 3 Nr. 22 GO LSA nichts. Zwar entscheidet danach über die "Führung von Rechtsstreitigkeiten ..." der Gemeinderat, dies aber nur im Innenverhältnis als Kompetenzabgrenzung zu Befugnissen des anderen Organs; die organschaftliche Vertretungsbefugnis des § 57 Abs. 2 GO LSA wird dadurch nicht relativiert. Folge eines Beschlusses nach § 44 Abs. 3 Nr. 22 GO LSA ist es allein, dass der Bürgermeister gehalten ist, ihn auszuführen (§ 62 Abs. 1 GO LSA), falls er ihm nicht wegen Gesetzwidrigkeit widerspricht und notfalls die Entscheidung der Kommunalaufsicht erzwingt (§ 62 Abs. 3 GO LSA).

Erst recht wird das einzelne Mitglied des Gemeinderats nicht durch die kommunalaufsichtliche Maßnahme gegenüber der Gemeinde unmittelbar betroffen.

Der Gemeinderat als Organ sowie seine Mitglieder bleiben dadurch nicht etwa rechtlos; denn sie können den Bürgermeister über §§ 44 Abs. 3 Nr. 22; 62 Abs. 1 GO LSA zwingen, im Namen der Gemeinde (§ 57 Abs. 2 GO LSA) gegen die kommunalaufsichtliche Verfügung gemäß § 139 GO LSA vorzugehen. Notfalls müssen sie ihre Rechte aus § 44 Abs. 3 Nr. 22 GO LSA in einem kommunalverfassungsrechtlichen Streit mit Hilfe des Verwaltungsgerichts durchsetzen. Dann machen sie zwar im Innenverhältnis eigene Rechte geltend; im hier maßgeblichen Außenverhältnis bleibt es indessen bei den ausschließlichen Rechtsbeziehungen der Kommunalaufsicht zur Gemeinde als Ganzes.

2.2. Es ist angesichts des § 113 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen, dass die Antragsteller in der Hauptsache die Aufhebung des ihnen gegenüber objektiv rechtswidrig ergangenen Verwaltungsakts mit der Begründung verlangen können, er verstoße in der Sache gegen § 139 GO LSA; denn § 113 Abs. 1 VwGO verlangt außer der objektiven Rechtsverletzung gerade auch die Verletzung in eigenen Rechten. Andererseits erweist sich die Überlegung des Verwaltungsgerichts als im Ergebnis tragfähig; denn falls es zur Aufhebung käme, würde sie nur damit gerechtfertigt werden können - und nur das könnten die Antragsteller als Verletzung eigener Rechte geltend machen -, dass ein Verwaltungsakt dieser Art ihnen gegenüber mangels Rechtsgrundlage nicht hätte ergehen dürfen, weil § 139 GO LSA keine kommunalaufsichtliche Maßnahme gegenüber Organen der Gemeinde oder gegenüber Mitgliedern von Organen ermöglicht. Eine solche Aufhebung aus rein "formellen" Gründen schließt es aber aus, dass es in den Verfahren der Antragsteller zu einer materiellen Überprüfung der Anordnung am Maßstab des § 139 GO LSA kommen könnte.

Bei einer solchen Lage fehlt es den Antragstellern dann aber an einem rechtlich geschützten Interesse, während des Schwebezustands zwischen dem Erlass des Verwaltungsakts und der rechtskräftigen Entscheidung über seine Rechtswidrigkeit so gestellt zu werden, als sei die Anordnung nach § 139 GO LSA in der Sache fehlerhaft.

Zum gleichen Ergebnis führt eine Kontroll-Überlegung:

Sähe man die Anordnung nach § 139 GO LSA als nur gegenüber der Gemeinde Krosigk und nicht auch gegenüber den Ratsmitgliedern erlassen an, dann hätte der Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde nicht etwa eine "Mehrfach-Wirkung" auch gegenüber den Ratsmitgliedern, so dass er auch in diesem Fall von ihnen nicht aus eigenem Recht angefochten werden könnte (§§ 42 Abs. 1; 113 Abs. 1 VwGO) und damit auch für eine positive Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO im Verhältnis zu den Ratsmitgliedern keine Aussicht bestände.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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