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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 2 M 78/07
Rechtsgebiete: AufenthG, GG


Vorschriften:

AufenthG § 60a Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2
AufenthG § 23 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
1. Anordnungen nach § 23 AufenthG weisen keinen Rechtssatzcharakter auf; es handelt sich bei ihnen vielmehr um Verwaltungsvorschriften, durch die das den Ausländerbehörden gemäß § 23 AufenthG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verwaltungsintern gebunden wird. Eine Anordnung nach § 23 AufenthG ist nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden. Bei Unklarheiten haben die Ausländerbehörden den wirklichen Willen der obersten Landesbehörde zu ermitteln. Weicht die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, erwächst dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung im Land (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 -, BVerwGE 112, 63, zu § 32 AuslG).

2. Eine bis zum 30.09.2007 befristete Duldung nach Abschnitt V Abs. 1 der auf der Grundlage von § 60a Abs. 1 i. V. m. § 23 Abs. 1 AufenthG ergangenen Anordnung des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 08.12.2006 (Bleiberechtsregelung) soll nach dem klaren Wortlaut der Regelung nur für diejenigen Ausländer erteilt werden, bei denen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur (noch) daran scheitert, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, die anderen Erteilungsvoraussetzungen aber bereits vorliegen.

3. Auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfte aus Rechtsgründen (§ 60a Abs. 2 AufenthG) dann zu verzichten sein, wenn ein Ausländer glaubhaft macht, dass er die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung erfüllt (hier verneint).


Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb entfallen, weil der Senat den Antragsgegner bereits mit Beschluss vom 13.04.2007 (2 M 44/07) im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, die Abschiebung des Antragstellers auszusetzen. In jenem Verfahren hat der Senat einen Aussetzungsanspruch (nur) wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG (fehlende Passersatzpapiere) angenommen. Der vom Antragsteller hier geltend gemachte Duldungsanspruch auf Grund der nach § 60a Abs. 1 i. V. m. § 23 Abs. 1 AufenthG ergangenen Anordnung des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 08.12.2006 (Bleiberechtsregelung - BRR -) würde ihm eine darüber hinaus gehende Rechtsposition vermitteln. Eine Abschiebung wäre dann trotz Entfallens des tatsächlichen Abschiebungshindernisses unzulässig.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, bis über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis "bzw. Duldung" nach der BRR entschieden ist.

Nach § 60a Abs. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird; für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann die oberste Landesbehörde aus den bezeichneten Gründen anordnen, dass solchen Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 17.07.2006 - 2 M 182/06 -, Juris) weisen Anordnungen nach § 23 AufenthG keinen Rechtssatzcharakter auf (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 -, BVerwGE 112, 63, zu § 32 AuslG). Es handelt sich bei ihnen vielmehr um Verwaltungsvorschriften, durch die das den Ausländerbehörden gemäß § 23 AufenthG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verwaltungsintern gebunden wird. Eine Anordnung nach § 23 AufenthG ist nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden. Bei Unklarheiten haben die Ausländerbehörden den wirklichen Willen der obersten Landesbehörde zu ermitteln. Weicht die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, erwächst dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung im Land.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zum Nachteil des Antragstellers nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere für die Anwendung von Abschnitt V Abs. 1 BRR. Danach ist für ausreisepflichtige Ausländer, bei denen bis auf die Sicherung des Lebensunterhalts (Abschnitt I Nr. 2) die Voraussetzungen nach dieser Anordnung vorliegen, im Benehmen mit dem Bundesministerium des Innern bei Antragstellung innerhalb der Frist nach Abschnitt III die Abschiebung nach § 60a Abs. 1 i. V. m . § 23 Abs. 1 AufenthG bis zum 30.09.2007 auszusetzen. Den Betroffenen ist eine bis zum 30.09.2007 befristete Duldung zu erteilen, um ihnen Gelegenheit zur Arbeitsplatzsuche zu geben.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass diese Regelung auf den Antragsteller keine Anwendung findet, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, dass er neben dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts "durch eigene legale dauerhafte Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen" die übrigen Voraussetzungen nach dieser Anordnung erfüllt. Dies gilt insbesondere für die nach Abschnitt I Nr. 7 BRR geforderte Erfüllung der Passpflicht nach § 3 AufenthG. Eine für den Antragsteller günstigere Beurteilung folgt auch nicht aus der Ergänzung der Anordnung vom 23.03.2007, nach der sich die Erfüllung der Passpflicht auf den Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bezieht. Diese Ergänzung dürfte hier schon deshalb nicht zu berücksichtigen sein, weil sie erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erlassen worden ist. Aber auch wenn mit dem Antragsteller anzunehmen sein sollte, diese Ergänzung stelle lediglich klar, dass die Passpflicht erst bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt sein müsse, könnte dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Anders als für den Fall der Nichterfüllung der Voraussetzungen des Abschnitts I Nr. 2 BRR ist kein Duldungsanspruch des Ausländers für den Fall vorgesehen, dass er die Passpflicht noch nicht erfüllen kann. Eine Duldung nach Abschnitt V Abs. 1 BRR soll nach dem klaren Wortlaut der Regelung nur für diejenigen Ausländer erteilt werden, bei denen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur (noch) daran scheitert, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, die anderen Erteilungsvoraussetzungen aber bereits vorliegen. Nicht erfasst sind die Fälle, in denen lediglich die - mehr oder weniger hohe - Wahrscheinlichkeit besteht, dass die übrigen Erteilungsvoraussetzungen zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt einmal vorliegen werden. Soweit Abschnitt V Abs. 1 Satz 2 BRR bestimmt, dass den Betroffenen eine bis zum 30.09.2007 befristete Duldung zu erteilen ist, um ihnen Gelegenheit zur Arbeitssuche zu geben, folgt daraus, dass die Duldung allein den Zweck verfolgt, dem Ausländer die Möglichkeit der Sicherung seines Lebensunterhalts durch Erhalt einer Beschäftigung zu eröffnen.

Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass das für die Erteilung einer Duldung nach diesem Abschnitt erforderliche Benehmen mit dem Bundesministerium des Innern bereits hergestellt ist.

Die Erteilung einer Duldung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung für die Dauer des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheidet aus gesetzessystematischen Gründen grundsätzlich aus, wenn - wie hier - ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG nicht eingetreten ist. Etwas anderes gilt zwar zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), wenn nur mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung ihrem Sinn und Zweck nach dem begünstigten Personenkreis zugute kommt (vgl. OVG NW, Beschl. v. 20.04.1999 - 18 B 1338/97 -, InfAuslR 1999, 449). Auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfte aus Rechtsgründen (§ 60a Abs. 2 AufenthG) dann zu verzichten sein, wenn ein Ausländer glaubhaft macht, dass er die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der BRR erfüllt (vgl. OVG NW, Beschl. v. 20.04.1999, a. a. O.). So liegt es hier aber nicht.

Der Antragsteller erfüllt - wie bereits dargelegt - nicht die in Abschnitt I Nr. 7 BRR geforderte Passpflicht nach § 3 AufenthG. Diese Voraussetzung muss zwar - wie sich aus der geänderten Fassung der BRR (nunmehr) ausdrücklich ergibt - erst im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller diese Voraussetzung (rechtzeitig) wird erfüllen können. Nach Abschnitt IV Abs. 4 Satz 1 BRR ist über die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zum 31.12.2007 abschließend zu entscheiden. Wie der Antragsteller selbst vorträgt, hat sich die malische Botschaft bislang (beharrlich) geweigert, Reisedokumente auszustellen. Es mag zwar - wie der Antragsteller geltend macht - Vieles dafür sprechen, dass ein Pass dann ausgestellt wird, wenn geklärt ist, dass der Antragsteller ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland erhält. Dies ist derzeit aber noch völlig offen. Unter anderem setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt I Nr. 2 BRR voraus, dass der Lebensunterhalt am 17.11.2006 durch eine legale dauerhafte Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen gesichert ist. Dies hat Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, die die Aussicht rechtfertigen, dass der Antragsteller innerhalb der in Abschnitt V Abs. 1 BRR genannten Frist (30.09.2007) einen Arbeitsplatz finden wird. Eine andere Beurteilung wäre im Übrigen auch bei Anwendung von Abschnitt I Nr. 7 BRR in der geänderten Fassung vom 23.03.2007 nicht geboten. Die darin eingeräumte Möglichkeit, sich um einen Pass zu bemühen, und die Verpflichtung der Ausländerbehörde, zur Erleichterung der Passbeschaffung eine Zusicherung zur Vorlage bei ihrer Heimatvertretung zu erteilen, wonach ihnen bei Vorlage eines Passes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, setzt ausdrücklich voraus, dass der Ausländer die sonstigen Voraussetzungen der BRR erfüllt. Es ist nicht anzunehmen, dass es dem Willen der obersten Landesbehörde entspricht, eine Zusicherung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Vorlage bei der Heimatvertretung des Ausländers zu erteilen, solange noch völlig offen ist, ob - neben der Erfüllung der Passpflicht - sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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