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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 2 M 84/08
Rechtsgebiete: AufenthG, GG


Vorschriften:

AufenthG § 60a Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG Art. 6 Abs. 4
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 03.04.2006 - 2 M 82/06 -, Juris; Beschl. v. 11.04.2002 - 2 M 121/02 -) bestehen die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich erst ab der Geburt des Kindes mit der Folge, dass die Schwangerschaft einer deutschen Staatsangehörigen die Ausländerbehörde nicht daran hindert, den ausländischen (werdenden) Vater des ungeborenen Kindes abzuschieben.

2. Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird.


Gründe:

Die Beschwerde hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO zu Unrecht abgelehnt. Der Abschiebung des Antragstellers ist nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung wegen der im Juni 2008 zu erwartenden Geburt des Kindes der deutschen Staatsangehörigen M. L. aus rechtlichen Gründen unmöglich (§ 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 03.04.2006 - 2 M 82/06 -, Juris; Beschl. v. 11.04.2002 - 2 M 121/02 -), bestehen zwar die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich erst ab der Geburt des Kindes mit der Folge, dass die Schwangerschaft einer deutschen Staatsangehörigen die Ausländerbehörde nicht daran hindert, den ausländischen nichtehelichen (werdenden) Vater des ungeborenen Kindes abzuschieben. Eine Ausnahme ist aber dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird; denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (SächsOVG, Beschl. v. 25.01.2006 - 3 BS 274/05 -, NVwZ 2006, 613, m. w. Nachw.; Funke-Kaiser in: GK AufenthG II - § 60a RdNr. 152, m. w. Nachw.). In diesem Fall geht es nicht (nur) um mögliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG; betroffen sind insbesondere das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Mutter und des ungeborenen Kindes, die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt sind. Ferner ist die Wertentscheidung in Art. 6 Abs. 4 GG zu berücksichtigen, nach der jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat (vgl. zur Ausstrahlungswirkung des Art. 6 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschl. v. 08.06.2004 - 2 BvR 785/04 -, NJW 2005, 2382).

Daher ist in diesem Zusammenhang auch nicht entscheidend, ob die vom Antragsteller notariell erklärte Vaterschaftsanerkennung vom 19.02.2008 bereits wirksam geworden ist (was hier wegen der noch bestehenden Ehe der Kindesmutter mit einem anderen Mann nach § 1599 Abs. 2 Satz 3 BGB frühestens mit Rechtskraft des dem Scheidungsantrag der Mutter stattgebenden Urteils der Fall sein wird) und damit gemäß § 1594 Abs. 1 BGB Rechtswirkungen geltend gemacht werden können. Abzustellen ist - gerade wenn noch nicht über ein endgültiges Aufenthaltsrecht zu befinden ist - vielmehr darauf, ob keine durchgreifenden Zweifel an der künftigen Vaterschaft sowie daran bestehen, dass eine durch Fürsorge geprägte persönlichen Beziehung zur Kindesmutter besteht und der Antragsteller die erforderliche Hilfestellung leisten wird (vgl. Funke-Kaiser, a. a. O., RdNr. 149; VG Saarland, Beschl. v. 28.02.2008 - 11 L 103/08 -, Juris).

Hiernach ist ein Anspruch des Antragstellers auf (vorläufige) Aussetzung der Abschiebung anzunehmen. Er hat - jedenfalls im Beschwerdeverfahren - glaubhaft gemacht, dass bei seiner derzeitigen Lebenspartnerin eine Risikoschwangerschaft besteht, er Vater des ungeborenen Kindes sein wird und die Mutter während der Schwangerschaft auf seine Anwesenheit im Bundesgebiet angewiesen ist. Nach der im Beschwerdverfahren eingereichten ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. G. vom 17.03.2008 befindet sich Frau L. in der 28. Schwangerschaftswoche und leidet an frühzeitigen Wehen und einer hochgradigen Anämie. Es drohe eine Frühgeburt, und bis zur Entbindung sei eine strenge Bettruhe erforderlich. Nach Einschätzung des Arztes ist die Anwesenheit des Antragstellers zur Versorgung, Unterstützung, Pflege und Betreuung der 7-jährigen Tochter der Kindesmutter unbedingt erforderlich. Von ihrem (Noch-)Ehemann lebt die Kindesmutter getrennt (nach dem Inhalt seiner notariellen Erklärung vom 25.02.2008 wohnt er in Duisburg), so dass sie auf dessen Hilfe wohl nicht zurückgreifen kann. Auf Grund der Vaterschaftsanerkennung des Antragstellers sowie der Zustimmung der Kindesmutter und dessen Ehemann hierzu bestehen auch keine durchgreifenden Zweifel an der künftigen Vaterschaft des Antragstellers. Schließlich sprechen die Erklärungen der Kindesmutter vom 05.02.2008 und 15.03.2008, die der Antragsgegner nicht in Zweifel gezogen hat, für eine durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung zwischen Antragsteller und Kindesmutter sowie dafür, dass er die nötige Hilfe während der Schwangerschaft (weiter) leisten wird. In der eidesstattlichen Versicherung vom 05.02.2008 hat sie angegeben, der Antragsteller und sie seien inzwischen wieder unzertrennlich. Der Antragsteller kümmere sich liebevoll um sie, helfe beim Einkaufen schwerer Dinge und koche für sie, manchmal mehrmals am Tag. Termine betreffend ihr gemeinsames Kind (z. B. Frauenarzt, Feindiagnostik) nähmen sie gemeinsam wahr. Sie wollten auch zusammenziehen, sobald die Ausländerbehörde dies gestatte. In der Erklärung vom 15.03.2008 hat sie ergänzend ausgeführt, der Antragsteller passe auf ihre Tochter auf, bringe sie zur Schule und hole sie wieder ab. Sie sei, weil sie selbst nicht mehr all zu viel tun könne, auf die Hilfe des Antragstellers angewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

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