Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 30.01.2006
Aktenzeichen: 2 O 198/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81b
1. Als Maßnahmen nach § 81 b StPO kommen alle Identifizierungsmöglichkeiten in Betracht, die - ohne dass es einer körperlichen Untersuchung im Sinne des § 81a Abs. 1 StPO bedarf - der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit dienen; es dürfen das Aussehen, Körperteile und -merkmale sowie sonstige für die Individualität einer Person signifikante dauerhafte Persönlichkeitsgegebenheiten fotografiert, vermessen oder in anderer Weise registriert werden (vgl. BGHSt 34, 39 [44 f.]). Dazu gehört auch die Messung von Körper- und Schuhgröße sowie des Körpergewichts.

2. Erkennungsdienstliche Maßnahmen können im Einzelfall auch dann angeordnet werden, wenn der Betroffene bereits zu einem früheren Zeitpunkt erkennungsdienstlich behandelt wurde. Es genügt die Möglichkeit, dass sich die früher erfassten Merkmale verändert haben können.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 O 198/05

Datum: 30.01.2006

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO). Die Anordnung des Beklagten vom 28.01.2005 ist aller Voraussicht nach rechtmäßig.

Nach § 81b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers sowohl dem Grunde nach wie im angeordneten Umfang notwendig sein dürften.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Voraussetzungen für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (vgl. Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192) seien dem Grunde nach erfüllt, weil aufgrund der bislang gegen den Kläger geführten zahlreichen Ermittlungsverfahren insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität davon auszugehen sei, dass dieser bei künftigen Straftaten mit guten Gründen in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einbezogen werden könnte. Ohne Erfolg wendet der Kläger ein, es sei nicht nachvollziehbar, inwieweit die Abnahme von Körper- und Schuhgröße geeignet sein könnte, die Aufklärung künftiger Straftaten zu fördern. Als Maßnahmen nach § 81 b StPO kommen alle Identifizierungsmöglichkeiten in Betracht, die - ohne dass es einer körperlichen Untersuchung im Sinne des § 81a Abs. 1 StPO bedarf - der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit dienen; es dürfen das Aussehen, Körperteile und -merkmale sowie sonstige für die Individualität einer Person signifikante dauerhafte Persönlichkeitsgegebenheiten fotografiert, vermessen oder in anderer Weise registriert werden (vgl. BGH, Urt, v, 09.04.1986 - 3 StR 551/85 -, BGHSt 34, 39 [44 f.]). Dazu zählt ohne weiteres auch die Messung von Körper- und Schuhgröße sowie des Körpergewichts.

Mit Blick auf den Wortlaut des § 81b 2. Alt. StPO ("soweit") und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf es zwar in jedem Einzelfall der Prüfung, ob die im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung durchzuführenden Maßnahmen auch ihrem Umfang nach notwendig sind. Dabei ist das Erfordernis, dass die angefertigten Unterlagen bzw. die gespeicherten Daten in zukünftigen Ermittlungsverfahren die Ermittlungen der Polizei fördern können, dahingehend zu konkretisieren, dass die Unterlagen bzw. Daten gerade für die Aufklärung solcher Straftaten geeignet und erforderlich sein müssen, für die im konkreten Fall eine Wiederholungsgefahr begründet werden kann (VGH BW, Urt. v. 18.12.2003 - 1 S 2211/02 -, VBlBW 2004, 214 [216]). Dies setzt einen hinreichenden Zusammenhang zwischen der Art der erhobenen Daten und der Art und Begehungsweise der zu besorgenden Straftaten voraus (VGH BW, Urt. v. 18.12.2003, a. a. O.). Der hiernach erforderliche Zusammenhang zwischen den vom Beklagten angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen (Anfertigung von Lichtbildern, Abnahme von Fingerabdrücken, Messung von Gewicht, Körpergröße und Schuhgröße) und den dem Kläger vorgeworfenen Straftaten, insbesondere dem ihm zuletzt vorgeworfenen Vergehen der Körperverletzung besteht. Diese äußerlich ohne weiteres erkennbaren personenbezogenen Merkmale können für die Aufklärung von künftigen Straftaten dieser Art von Bedeutung sein. Dies gilt auch für das Merkmal "Körpergewicht". Wie der Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, kann anhand der Tiefe von Fußabdruckspuren Rückschluss auf das Gewicht des Spurenlegers gezogen werden, so dass mit Hilfe dieses Merkmals im Einzelfall Tatverdächtige als Täter ausgeschlossen werden können.

Dem kann der Kläger voraussichtlich nicht entgegen halten, dem Beklagten müssten die entsprechenden Merkmale bereits aus früheren erkennungsdienstlichen Behandlungen bekannt sein, so dass die erneute Anordnung unverhältnismäßig sei. Fest steht nur, dass derzeit bei der Polizei ein Lichtbild des Klägers aus einer früheren erkennungsdienstlichen Behandlung vorhanden ist, wobei streitig ist, aus welchem Jahr diese Aufnahme stammt. Selbst wenn - wie der Kläger geltend macht - dieses Lichtbild im Jahr 2002 aufgenommen worden sein sollte, macht dies die Anfertigung eines neuen Lichtbilds nicht von vorn herein entbehrlich; denn das Aussehen einer Person kann sich auch innerhalb eines Zeitraums von 3 bis 4 Jahren wesentlich verändern. Die Notwendigkeit der Abnahme von Fingerabdrücken sowie die Messung des Körpergewichts, der Körpergröße und der Schuhgröße entfällt nicht deshalb, weil beim Kläger nach den Angaben des Beklagten im Jahr 1998 erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt wurden; denn auch diese Merkmale können sich innerhalb eines Zeitraums von mehreren Jahren verändern. Hinsichtlich des Körpergewichts liegt dies auf der Hand. Der Beklagte hat ferner nachvollziehbar dargelegt, dass sich auch die übrigen Merkmale - etwa durch Verletzungen oder Erkrankungen - verändern können. Im Übrigen steht auch nicht fest, welche Maßnahmen diese erkennungsdienstliche Behandlung im Einzelnen umfasste. Allein die Möglichkeit, dass es zu Veränderungen bei einzelnen Merkmalen gekommen sein kann, rechtfertigt eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung, damit die Polizei auf möglichst verlässliche Daten zurückgreifen und eine möglichst effektive Ermittlungsarbeit leisten kann. Auf der anderen Seite ist in Rechnung zu stellen, dass mit der Aktualisierung bzw. Überprüfung möglicherweise bereits vorliegender und unverändert gebliebener Daten nicht mit derselben Intensität in grundrechtlich geschützte Belange des Klägers eingegriffen wird wie bei einer erstmaligen erkennungsdienstlichen Behandlung.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, bereits im Jahr 2000 sei er in der Justizvollzugsanstalt Halberstadt anlässlich eines Ausgangs zu seiner Familie sehr detailliert erkennungsdienstlich behandelt worden (Ganzkörperuntersuchung), vermag auch dies die Notwendigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht in Frage zu stellen. Unabhängig davon, dass sich - wie dargelegt - die äußerlichen Merkmale auch innerhalb weniger Jahre verändern können, dürfen gemäß §§ 86 Abs. 2, 87 Abs. 2 und 180 Abs. 2 Nr. 4 StVollzG die Unterlagen der zur Sicherung des Strafvollzugs durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung nur für Zwecke der Fahndung eines entwichenen oder sich ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhaltenden Gefangenen sowie zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, durch welche die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet werden, weitergegeben werden. Nach den Angaben des Beklagten, an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, sind darüber hinaus die in der Justizvollzugsanstalt über den Kläger gefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen nach seiner Haftentlassung vernichtet worden.

Ende der Entscheidung

Zurück