Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 25.02.2009
Aktenzeichen: 2 O 4/09
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2
VwGO § 72
VwVfG § 80 Abs. 1 S. 1
1. Eine Kostengrundentscheidung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG setzt grundsätzlich eine behördliche Entscheidung über den Widerspruch nach §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO voraus. Die Einstellung des Widerspruchsverfahrens durch die Widerspruchsbehörde genügt nicht.

2. Der Erfolg eines eingelegten Widerspruchs ist am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 68 ff. VwGO zu messen; ein Widerspruch ist erfolgreich, wenn die Ausgangsbehörde abhilft, weil sie den Widerspruch für begründet hält.

3. Ist durch eine gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen eine Auflage nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wiederhergestellt, weil das Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahren als offen ansieht und eine Interessenabwägung zugunsten des Ausländers vornimmt, und nimmt im Anschluss daran die Ausländerbehörde die vor Erlass dieser Auflage bestehende Aufenthaltsbeschränkung und Wohnsitznahmeverpflichtung in eine neue Duldung wieder auf, ist darin keine Abhilfeentscheidung im Sinne des § 72 VwGO zu sehen.


Gründe:

I.

Der Kläger ist nach Ablehnung seines Asylantrags durch Bescheid vom 18.05.1994 und eines Folgeantrags durch Bescheid vom 18.12.1995 vollziehbar ausreisepflichtig. In der Folgezeit wurden ihm mehrfach Duldungen erteilt, in denen u. a. bestimmt war, dass der Aufenthalt des Klägers auf das Land Sachsen-Anhalt beschränkt ist und er seinen Wohnsitz nur in A-Stadt, B-Straße nehmen darf. Mit Bescheid vom 03.08.2007 wies ihn die Beklagte ab dem 20.08.2007 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in H. (GU-ZASt) zur ausschließlichen Wohnsitznahme zu und beschränkte die Duldung auf den Bezirk der für diese Einrichtung zuständigen Ausländerbehörde (Landkreis H.). Zur Begründung gab sie an, die Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers seien ungeklärt, so dass zielgerichtete Maßnahmen zur Beschaffung des für seine Ausreise erforderlichen Heimreisedokuments notwendig seien. Den hiergegen vom Kläger fristgerecht erhobenen Widerspruch legte die Beklagte unter Datum vom 09.10.2007 dem Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vor. Mit Beschluss vom 08.01.2008 (2 M 332/07) stellte der Senat in Abänderung der vorangegangenen erstinstanzlichen Entscheidung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her, da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen sei und die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausfalle.

Am 29.01.2008 sprach der Kläger bei der Beklagten zum Zwecke der Verlängerung der Duldung vor. In einem Bescheid der Beklagten selben Datums heißt es, aufgrund technischer Probleme könne die gesetzlich vorgeschriebene (Duldungs-)Bescheinigung zurzeit nicht ausgestellt werden. Der Aufenthalt des Klägers gelte aufgrund der Antragstellung bis zum 05.03.2008 als geduldet und sei auf das Land Sachsen-Anhalt räumlich beschränkt. Die Wohnsitznahme habe in A-Stadt, B-Straße, zu erfolgen. Am 04.03.2008 bescheinigte die Botschaft Ugandas nach (erneuter) Vorführung des Klägers trotz bestehender Zweifel, dass dieser ugandischer Staatsangehöriger sei. Am 06.03.2008 erhielt der Kläger eine Duldungsbescheinigung mit derselben Regelung zur Aufenthaltsbeschränkung und Wohnsitznahme wie im Bescheid vom 29.01.2008.

Mit Schreiben vom 05.05.2008 teilte das Landesverwaltungsamt dem Kläger mit, dass er von der Auflage, in der GU-ZASt Wohnsitz zu nehmen, nach deren Aufhebung in der Duldung nicht mehr betroffen sei. Damit habe sich das zu diesem Punkt geführte Widerspruchsverfahren faktisch erledigt; aus diesem Grunde werde es eingestellt. Daraufhin beantragte der Kläger am 06.05.2008 bei der Beklagten, den "Abhilfebescheid vom 06.03.2008" dahingehend zu ergänzen, dass die Beklagte ihm die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten habe und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig gewesen sei.

Am 20.05.2008 wurde der Versuch unternommen, den Kläger nach Uganda abzuschieben. Dies scheiterte jedoch an der Einreiseverweigerung der ugandischen Behörden, die angaben, dass der Kläger ghanaischer Staatsangehöriger sei. Am 24.05.2008 wurde der Kläger nach Deutschland zurückgeführt. Unter Datum vom 28.05.2008 erhielt er wiederum eine Duldung, in der der Aufenthalt auf das Land Sachsen-Anhalt beschränkt und ihm die Wohnsitznahme in der B-Straße in A-Stadt aufgegeben wurde.

Am 20.08.2008 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Ergänzung des "Abhilfebescheids vom 06.03.2008" weiterverfolgt. Seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17.12.2008 abgelehnt und zur Begründung u. a. ausgeführt:

Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwVfG bestehe nur dann, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch gemäß § 72 VwGO abhelfe oder wenn ihm die Widerspruchsbehörde nach § 73 VwGO stattgebe, nicht aber, wenn die Behörde einen Rücknahmebescheid auf der Grundlage der §§ 50, 48 VwVfG erlasse. Letzteres sei hier der Fall. Die Beklagte habe die Zuweisungsentscheidung vom 03.08.2007 aufgrund des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 08.01.2008 in den Duldungsbescheinigungen vom 29.01.2008 und 06 03.2008 geändert und damit konkludent zurückgenommen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die beantragte Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht versagt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO). Der Kläger hat derzeit keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erlass der begehrten Kostenentscheidung.

2. Gemäß § 1 VwVfG LSA i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Eine Kostengrundentscheidung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG setzt grundsätzlich eine behördliche Entscheidung über den Widerspruch nach §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO voraus (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.04.1996 - 4 C 6.95 -, BVerwGE 100, 64 [67]). Nach § 72 VwGO hilft die (Ausgangs-)Behörde dem Widerspruch ab, wenn sie ihn für begründet hält, und entscheidet über die Kosten. Eine solche Abhilfeentscheidung kann die Ausgangsbehörde auch dann noch treffen, wenn sie den Widerspruch der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorgelegt hat, aber noch kein Widerspruchsbescheid ergangen ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 72 RdNr. 2, m. w. Nachw.). Unterlässt die Ausgangs- oder die Widerspruchsbehörde bei Stattgabe des Widerspruchs eine ihr gebotene Kostenentscheidung, kann der widersprechende Bürger im Wege der Verpflichtungsklage eine "isolierte" Kostengrundentscheidung verlangen (BVerwG, Urt. v. 18.04.1996, a. a. O.). 2.1. Im Ergebnis zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass hier keine Abhilfeentscheidung der Beklagten im Sinne des § 72 VwGO vorliegt. Der Erfolg eines eingelegten Widerspruchs ist am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 68 ff. VwGO zu messen; ein Widerspruch ist erfolgreich, wenn die Ausgangsbehörde abhilft, weil sie den Widerspruch für begründet hält (BVerwG, Urt. v. 18.04.1996, a. a. O.). Mit den in den Duldungen vom 29.01.2008 und 06.03.2008 enthaltenen Regelungen, dass der Aufenthalt des Klägers auf das Land Sachsen-Anhalt räumlich beschränkt sei und er in der B-Straße in A-Stadt seinen Wohnsitz zu nehmen habe, hat die Beklagte dem Widerspruch des Klägers bei der gebotenen objektiven Würdigung nicht abgeholfen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist darin allerdings auch keine Rücknahme des Bescheids vom 03.08.2007 zu sehen. Es ist vielmehr der Auffassung der Beklagten zu folgen, sie habe damit in Anbetracht der Entscheidung des Senats vom 08.01.2009 lediglich eine vorläufige "Regelung" treffen wollen.

Bei der Erteilung bzw. Verlängerung der Duldung musste die Beklagte dem Umstand Rechnung tragen, dass der vom Kläger erhobene Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.08.2007 nach Ergehen der gerichtlichen Entscheidung vom 08.01.2008 aufschiebende Wirkung hat, der Kläger deshalb die darin angeordneten Auflagen einstweilen nicht zu erfüllen braucht und deshalb vorläufig lediglich die vor Erlass des Bescheids vom 03.08.2007 maßgeblichen Beschränkungen wieder gelten sollen. Dies musste die Beklagte auch in der Duldungsbescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG zum Ausdruck bringen. Sonst wäre der Kläger bei Kontrollen ständig dem Verdacht ausgesetzt gewesen, er handele bei der Wohnsitznahme in A-Stadt und bei Verlassen des Bezirks der für die GU-ZASt zuständigen Ausländerbehörde einer vollziehbaren Anordnung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bzw. einer räumlichen Beschränkung zuwider und begehe damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 4 AufenthG oder gar eine Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.

Es liegen auch objektiv keine Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen, dass die Beklagte den Widerspruch des Klägers für begründet hielt. Dafür bestand insbesondere in Anbetracht der Begründung des Beschlusses vom 08.01.2008 keinerlei Anlass. In dieser Entscheidung hat der Senat den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nach summarischer Prüfung als offen angesehen und u. a. ausgeführt, es obliege der Widerspruchsbehörde, im Widerspruchsverfahren die Ungereimtheiten hinsichtlich der Staatsangehörigkeit des Klägers auszuräumen und ggfs. weitere Ermittlungen anzustellen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass am 04.03.2008 die ugandische Botschaft nach erneuter Vorführung des Klägers - trotz bestehender Zweifel - bestätigte, dass der Kläger ugandischer Staatsangehöriger sei. Bereits der Bescheid vom 29.01.2008, der zeitnah nach Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erging, enthielt die angegriffenen Bestimmungen zur Wohnsitznahme in der GU ZASt und zur räumlichen Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der für diese Einrichtung zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr.

2.2. Dass das Landesverwaltungsamt eine Abhilfeentscheidung angenommen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entgegen der Auffassung des Klägers kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, die vorläufige Entscheidung sei durch die Mitteilung vom 05.05.2008 zu einer dauerhaften Entscheidung "heraufgestuft" worden. Die Befugnis zu einer Abhilfeentscheidung hat allein die Ausgangsbehörde und nicht auch die Widerspruchsbehörde. Ferner lässt sich den Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen, dass die Mitteilung des Landesverwaltungsamts vom 05.05.2008 - wie der Kläger geltend macht - in Absprache mit der Beklagten erfolgte. Vielmehr ist die Widerspruchsbehörde nach dem Inhalt ihres Schreibens vom 05.05.2008 irrtümlich davon ausgegangen, die Beklagte habe erst nach bzw. auf Grund der am 04.03.2008 erfolgten Bestätigung der ugandischen Staatsangehörigkeit, nämlich in der Duldung vom 06.03.2008 die Bestimmungen zur Aufenthaltsbeschränkung und zur Wohnsitznahme geändert.

2.3. Die Einstellung des Widerspruchsverfahrens durch das Landesverwaltungsamt ist keine behördliche Entscheidung, die Grundlage für eine Erstattung der Aufwendungen nach § 1 VwVfG LSA i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG sein kann (BVerwG, Urt. v. 11.05.1981 - 6 C 121.80 -, BVerwGE 62, 201; Urt. v. 10.06.1981 - 8 C 29.80 -, BVerwGE 62, 296). Um eine solche Kostenentscheidung herbeizuführen, hat der Kläger nur die Möglichkeit, der Einstellung des Widerspruchsverfahrens zu widersprechen, damit eine für ihn günstige Sachentscheidung ergehen kann (vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 73 RdNr. 7).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück