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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 27.06.2007
Aktenzeichen: 3 M 146/06
Rechtsgebiete: BaföG, VwGO


Vorschriften:

BaföG § 21
VwGO § 80 Abs. 1
Die Aufrechnung mit einer Gegenforderung stellt keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides dar. Eine Handlung, die - wie hier die Aufrechnungserklärung - der Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit dient und dabei gleichzeitig die Befriedigung der eigenen Forderung bewirkt, ist keine Maßnahme, durch die der Verwaltungsakt vollzogen wird (Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Überprüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt, dass das Verwaltungsgericht den Antragsgegner zu Unrecht verpflichtet hat, dem Antragsteller ab dem 28. März 2006 (Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht) vorläufig Ausbildungsförderung in Höhe von 171,00 € monatlich zu zahlen, nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 25. Oktober 2005 die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz auf lediglich 85,20 € ab dem Monat November 2005 festgesetzt hatte.

Der Antragsteller hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts den für die begehrte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 ff. ZPO nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 924 ZPO glaubhaft zu machen. Da mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, welche - wie hier - Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz betrifft, die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen wird, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, würde er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. Beschlüsse des Senates vom 14.11.2003 - 3 M 309/03 - und vom 16.12.2004 - 3 M 384/04).

In Anlegung der aufgezeigten Maßstäbe sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben. Die vom Antragsgegner im Bescheid vom 25. Oktober 2005 vorgenommene Bedarfsberechnung ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im Rahmen der hier nur möglichen summarischen Betrachtungsweise nicht zu beanstanden.

Das Verwaltungsgericht hat dabei zunächst unzutreffend angenommen, dass für die Anrechnung des elterlichen Einkommens nach § 24 Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) deren Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr vor Beginn des hier streitigen Bewilligungszeitraumes (August 2005 bis Juli 2006) maßgebend ist und demzufolge die Einkünfte der Eltern des Antragstellers aus dem Jahr 2003 zugrunde zu legen sind.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lag das Einkommen der Eltern des Antragstellers im Jahr 2003 nicht niedriger, sondern höher als das Einkommen im Bewilligungszeitraum. Hierbei ist zunächst - nach dem insofern übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten - davon auszugehen, dass die Mutter des Antragstellers sowohl im Jahr 2003 als auch im Bewilligungszeitraum ein gleich bleibendes Jahres- und damit auch Monatseinkommen erzielt hat bzw. voraussichtlich erzielen wird.

Der Antragsgegner hat daher rechtsfehlerfrei aufgrund des Aktualisierungsantrags des Antragstellers vom 9. September 2005 nach § 24 Abs. 3 BAföG das (voraussichtliche) elterliche Einkommen des Bewilligungszeitraumes zugrunde gelegt. Das monatliche Einkommen des Vaters des Antragstellers im Bewilligungszeitraum war entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts mit 994,65 € anzusetzen. Wie der Antragsgegner in der Beschwerdebegründung in nicht zu beanstandender Weise ausführt, waren für den Bewilligungszeitraum von August 2005 bis einschließlich Juli 2006 für einen Zeitraum von fünf Monaten ein Einkommen von jeweils 1.048,33 € und für sieben Monate ein Einkommen von jeweils 1.423,33 € anzusetzen, was abzüglich des Abzugsbetrages für die soziale Sicherung in Höhe von 21,5 % des Einkommens nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 BAföG ein Einkommen im Bewilligungszeitraum von 11.935,90 € ergibt. Dem entspricht ein berücksichtigungsfähiges monatliches Einkommen in Höhe von 994,65 €.

Die Berechnung des Einkommens des Vaters des Antragstellers für das Jahr 2003 ist vom Verwaltungsgericht insoweit fehlerhaft durchgeführt worden, als von den rechnerisch ermittelten Gesamteinkünften neben dem Abzug von 68,5 % vom Überbrückungsgeld noch ein Abzug in Höhe von 35 % von den weiteren Einkommensbestandteilen Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld vorgenommen wurde. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsgrundlage des § 21 Abs. 3 Nr. 1 Satz 3 BAföG ist nicht mehr in Kraft. Die vorgenannte Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - AföRG - vom 19. März 2001 (BGBl. I S. 390) mit Wirkung zum 1. April 2001 aufgehoben und regelte im Übrigen nur, dass das auf den jeweiligen Antragsteller entfallende Kindergeld und ähnliche Leistungen als sein Einkommen gelten. Auch sofern § 21 Abs. 2 Nr. 3 BAföG gemeint gewesen sein sollte, ergibt sich aus dieser Vorschrift nicht die Möglichkeit, von den vorgenannten Einkommensbestandteilen noch weitere Abzüge vorzunehmen. § 21 Abs. 2 Nr. 3 BAföG bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf die Abzüge nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 BAföG. Letztgenannte Vorschrift bezieht sich wiederum auf § 21 Abs. 1 BAföG, der als Einkommen die positiven Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 1 und 2 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) definiert. Das Arbeitslosengeld und das Unterhaltsgeld gehört nicht zu den Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 und 2 EStG. Diese Einkommensbestandteile zählen vielmehr zu den Lohnersatzleistungen, welche gem. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG nur in Höhe der tatsächlich geleisteten Beiträge als Einkommen zählen. Damit werden alle Abzüge ausgeschlossen, die den tatsächlich geleisteten Betrag verändern würden, wie z.B. der Abzug von Werbungskosten und Freibeträgen, insbesondere der Abzug von Steuern und Sozialpauschalen nach § 21 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, Abs. 2 BAföG (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, Stand: Januar 2005, § 21 Rdnr. 21 m. w. N.). Für den Vater des Antragstellers war daher im Kalenderjahr 2003 Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 10. Februar 2003 in Höhe von 1.719,95 € sowie für den Zeitraum vom 11. März 2003 bis zum 1. Oktober 2003 in Höhe von 8.599,75 €, Unterhaltsgeld für den Zeitraum vom 11. Februar 2003 bis zum 10. März 2003 in Höhe von 1.174,60 € und Überbrückungsgeld unter Berücksichtigung des Abzuges von 68,5 % im Zeitraum vom 2. Oktober 2003 bis zum 31. Dezember 2003 in Höhe von 2.003,94 €, mithin eine Gesamtsumme in Höhe von 13.498,24 € zu berücksichtigen. Hieraus ergibt sich für den Vater des Antragstellers im Kalenderjahr 2003 ein anzusetzendes monatliches Einkommen in Höhe von 1.124,85 €. Insoweit war die Berechnung des Antragsgegners auf der Basis des elterlichen Einkommens im Bewilligungszeitraum rechtlich zutreffend.

Im Weiteren begegnet es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nach der nur gebotenen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass der Antragsgegner ab dem Monat November 2005 hinsichtlich eines Betrages von 34,80 €, was 10 % des Förderungshöchstbetrages entspricht, eine Aufrechnung hinsichtlich eines Rückforderungsbetrages aus einem früheren Bewilligungszeitraum (August 2004 bis Juli 2005) erklärt hat. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war die vom Antragsgegner erklärte Aufrechnung in dem Bescheid vom 26. Oktober 2005 trotz Widerspruchseinlegung gegen diesen Bescheid bei der Festsetzung des monatlichen Zahlbetrages grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher sich der Senat anschließt, stellt die Aufrechnung mit einer Gegenforderung keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides dar. Eine Handlung, die - wie hier die Aufrechnungserklärung - der Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit dient und dabei gleichzeitig die Befriedigung der eigenen Forderung bewirkt, ist keine Maßnahme, durch die der Verwaltungsakt vollzogen wird, durch den die zur Aufrechnung gestellte Forderung konkretisiert und fällig gemacht worden ist. Die Vollziehung eines Verwaltungsaktes durch die Behörde ist eine selbständige und grundsätzlich hoheitliche Maßnahme zur Durchsetzung einer getroffenen Anordnung im Wege des Zugriffs - auch in Form der Gestaltungswirkung - auf Rechtsgüter des Adressaten dieses Verwaltungsaktes. Die Aufrechnung ist hingegen ein im Ausgangspunkt von der Privatrechtsordnung gewährleistetes Mittel der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch und dient zugleich der Befriedigung des eigenen Anspruchs. Vollziehung einerseits und Aufrechnung andererseits sind zwei Rechtsinstitute mit verschiedener Zielrichtung und Wirkung. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO ist dem Rechtsinstitut der Vollziehung und damit dem öffentlichen Recht und grundsätzlich seinem hoheitlichen Bereich zuzuordnen. Sie hindert deshalb nicht die jedenfalls nicht dem hoheitlichen Bereich zuzurechnende Erklärung der Aufrechnung. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung hat nämlich nur zur Folge, dass der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nicht vollzogen werden darf. Dagegen beseitigt die aufschiebende Wirkung nicht die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Dies bedeutet, dass der Eintritt der aufschiebenden Wirkung keine rechtsgestaltende Wirkung dahin hat, dass der Verwaltungsakt als vorläufig nicht existent zu behandeln wäre. Infolgedessen bleiben die Rechtswirkungen des Verwaltungsakts, die vor seiner Anfechtung bereits eingetreten waren, auflösend bedingt wirksam. Die Behörde darf nur aus ihrem Verwaltungsakt keine Maßnahmen treffen, die rechtlich als Vollziehung des nach wie vor wirksamen Verwaltungsakts zu qualifizieren sind. Um eine solche Maßnahme handelt es sich bei der Aufrechnung nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.1982 - 3 C 6.82 - BVerwGE 66, 218; Beschl. v. 11.08.2005 - 2 B 2.05 - Schütz BeamtR ES/C V 5 Nr. 58; Beschl. v. 20.10.2004 - 9 B 109/03 - juris; dem folgend: VGH Mannheim, Beschl. v. 21.10.2005 - 4 S 740/05 - juris; VGH München, Beschl. v. 17.12.2003 - 3 CS 03.2384 - juris und v. 13.01.1997 - 12 CE 96.504 - BayVBl. 1997, 310; OVG Bremen, Beschl. v. 16.07.1999 - 2 B 93/99 - NVwZ-RR 2000, 524; OVG Saarlouis, Beschl. v. 24.02.1989 - 1 W 36/89 - juris; anderer Auffassung: OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.11.2006 - 10 ME 189/06 - NVwZ-RR 2007, 293; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.03.2005 - 4 B 29/04 - juris).

Der Antragsteller hat hinsichtlich des vom Antragsgegner zur Aufrechnung gestellten Betrages von monatlich 34,80 € auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Gesamtrückforderungsbetrag von 2.036,- €, welcher den Zeitraum von August 2004 bis Juli 2005 umfasst, von der Beklagten auch in der Höhe des nur berücksichtigten Aufrechnungsbetrages von 313,20 € (Blatt 4 des Bescheides vom 26. Oktober 2005) nicht rechtmäßig festgesetzt worden ist. Die Rückforderung beruht auf dem Umstand, dass sich das Einkommen des Vaters des Klägers im Bewilligungszeitraum von August 2004 bis Juli 2005 (ab dem 4. April 2005) gegenüber der Einkommenssituation, welche den Vorbehaltsbescheiden nach § 24 Abs. 3 BAföG vom 31.Januar 2005 und 12. Mai 2005 bezüglich des Bewilligungszeitraumes August 2004 bis Juli 2005 zugrunde lag, geändert hatte und damit eine Änderung der Einkommensverhältnisse der Eltern zu ungunsten des Antragstellers eingetreten ist. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass der vorgenannte Rückforderungsbetrag, welcher nur zu einem Teil zur Aufrechnung gestellt worden ist, in rechtlicher oder tatsächlicher Weise vom Antragsgegner unzutreffend ermittelt worden ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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