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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.04.2009
Aktenzeichen: 3 M 158/09
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 43
VwGO § 44
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 93
1. Zur Zulässigkeit einer mit Hilfsantrag erhobenen Anfechtungsklage und eines hilfsweise gestellten Antrags auf Aussetzung des Sofortvollzuges gem. § 80 Abs. 5 VwGO, wenn mit dem Hauptantrag eine Feststellungsklage erhoben wird.

2. Das Gericht ist bei der Abfolge seiner Entscheidungen grundsätzlich an die durch die Haupt- und Hilfsanträge des Rechtsschutzsuchenden vorgegebenen Reihenfolge gebunden.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Der Zulässigkeit der vom Antragsteller eingelegten Beschwerde steht im vorliegenden Fall nicht der Umstand entgegen, dass die Rechtsmittelschrift keinen (bestimmten) Antrag enthält. Zwar muss die Beschwerde gem. § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO - neben den sonstigen in der Vorschrift genannten Erfordernissen - einen bestimmten Antrag enthalten; auch ist sie gem. § 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO grundsätzlich als unzulässig zu verwerfen, wenn es an einer der in Satz 4 a. a. O. genannten Voraussetzungen fehlt. Allerdings wird dem Erfordernis eines bestimmten (Beschwerde-)Antrags ausnahmsweise auch dann genügt, wenn zwar ein solcher Antrag nicht (ausdrücklich) gestellt wurde, sich das Rechtsschutzziel aber mittels Auslegung aus der Begründung des Rechtsmittels eindeutig ergibt (vgl. VGH Rheinl.-Pfalz, Beschl. v. 01.07.2002 - 11 S 1293/02 -, ESVGH 53, 57 = NVwZ 2002, 1388 = Juris; Hamb. OVG, Beschl. v. 03.12.2002 - 3 Bs 253/02 -, NordÖR = Juris; Thür.OVG, Beschl. v. 26.11.2003 - 4 EO 627/02 -, ThürVGRspr. 2005, 121 = Juris; BayVGH, Beschl. v. 17.07.2006 - 19 CS 06.11484 -, Juris; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. § 146 Rdnr. 41; offen gelassen: BayVGH, Beschl. v. 15.11.2007 - 19 CS 07.2126 -, Juris). So verhält es sich hier. Mit der Beschwerdeschrift des Antragstellers ist zwar kein bestimmter Antrag gestellt worden, jedoch lässt sich aus dem gesamten Beschwerdevorbringen sowie insbesondere auch durch die Formulierung am Ende der Beschwerdeschrift "Eine Beschlussfassung des Gerichtes über den Hilfsantrag hätte hier nicht erfolgen dürfen" zweifelsfrei erkennen, dass es dem Antragsteller mit seiner Beschwerde nicht etwa um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern (ausschließlich) um die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses geht, mit dem vorab über den mit der Klage zum Aktenzeichen 1 A 47/09 MD gestellten Hilfsantrag entschieden worden ist. Das mit der Beschwerde verfolgte Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist damit letztlich hinreichend bestimmt.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Antragsteller hat mit der von ihm erhobenen Klage beantragt festzustellen, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht wirksam erfolgt ist, und gleichzeitig "äußerst hilfsweise und vorsorglich", (1.) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid de(s) Beklagten vom 23. Juli 2008 anzuordnen, sowie (2.) den Bescheid de(s) Beklagten vom 23. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Februar 2009 aufzuheben. Mit dem Wort "hilfsweise" wird nach dem üblichen prozessrechtlichen Sprachgebrauch ein Eventualverhältnis gekennzeichnet. Der Antragsteller hat damit zum Ausdruck gebracht, dass der Beklagte bzw. Antragsgegner mit den hilfsweise gestellten Anträgen zu 1. und 2. nur für den Fall in Anspruch genommen werden soll, dass dem Hauptantrag, der eine Feststellungsklage zum Gegenstand hat, nicht stattgegeben wird. Auch der Zusatz "äußerst" und die ergänzende Formulierung wie "vorsorglich" rechtfertigen keine andere Auslegung.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der insoweit neben dem Hauptantrag hilfsweise gestellte Antrag zu 1. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (bzw. der Klage) gem. § 80 Abs. 5 VwGO auch nicht deshalb unzulässig oder - wie das Verwaltungsgericht meint - "unwirksam", weil er davon abhängig gemacht worden ist, dass das Verwaltungsgericht den Hauptantrag abweist und der Antrag damit unter einer Bedingung ("nur bedingt") gestellt worden ist. Dabei ist im Grundsatz von Folgendem auszugehen:

Die (eigentliche) eventuale Klage- bzw. Antragshäufung im Sinne des § 44 VwGO - um die es sich hier handelt - ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger neben dem Hauptantrag für den Fall, dass der Hauptantrag wegen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit keinen Erfolg hat, einen Eventualantrag (Hilfsantrag) stellt (vgl. u. a. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.07.1984 - 5 S 1850/83 -, NVwZ 1985, 351; Beschl. v. 07.04.1993 - 8 S 2543/92 -, Juris; Sodan/Ziekow, VwGO, Bd. I, Stand Januar 2003, § 44 VwGO Rdnr. 5). Damit wird - anders als der unbedingt gestellte Hauptantrag - der Eventualantrag (Hilfsantrag) unter der auflösenden Bedingung rechtshängig gemacht, dass der Kläger mit dem Hauptantrag nicht durchdringt. Während ansonsten Prozesserklärungen (Klagen, Anträge etc.) bedingungsfeindlich sind, können indes nach allgemein anerkannter Rechtsaufassung bei einer Klage- bzw. Antragshäufung nach § 44 VwGO mehrere Klage- bzw. Antragsbegehren in einem (Klage-)Verfahren auch in der Weise zusammen verfolgt werden, dass neben einem unbedingt gestellten Hauptantrag der Hilfsantrag als solcher bedingt gestellt wird (vgl. nur Hess.VGH, Beschl. v. 13.04.1983 - 4 N 2/83 -, DÖV 1983, 777 [778]; Kopp/Schenke, VwGO 15. Aufl. § 44 Rdnr. 4). Dass der im Eventualverhältnis zum Hauptantrag stehenden Hilfsantrag unter einer Bedingung gestellt wird, folgt dabei schon aus der Natur der Sache. Auch wird die Zulässigkeit eines solchen prozessualen Vorbehalts im Allgemeinen damit begründet, dass es sich bei der in Rede stehenden "Bedingung" um ein innerprozessuales Ereignis handelt, das der Einflussnahme des Klägers entzogen ist, so dass keine Unsicherheit in den Prozess getragen wird (vgl. u. a. Sodan/Ziekow, a. a. O. § 44 Rdnr. 5 m. w. Nachw.). Im Übrigen ist Zulässigkeit einer Eventualklage für die Fälle einer Feststellungs- sowie hilfsweise erhobenen Gestaltungsklage - hier in Form einer Anfechtungsklage - ebenso wie auch für andere Eventualverhältnisse in ständiger Rechtsprechung allgemein anerkannt (so bereits BVerwG, Urt. v. 26.02.1965 - VII C 131.64 -, DÖV 1965, 350; Bay.VGH, Beschl. v.02.10.1985 - 7 C 84 a.2273 -, BayVBl. 1986, 60; s. auch Sedan/Ziekow, a. a. O. § 44 Rdnr. 10 m. w. N.; Kopp/Schenke, a. a. O. § 44 Rdnr. 2).

Mit der Stellung von (Eventualanträgen) Hilfsanträgen neben einem Hauptantrag gibt der Rechtsschutzsuchende zugleich die Reihenfolge der Anträge und damit auch die Abfolge der gerichtlichen Entscheidungen vor. Das Gericht ist hieran grundsätzlich gebunden (vgl. u. a. Fehlung/Kastner/Wahrendorf (Hrsg.), VwVfG-VwGO, 2006, § 44 VwGO Rdnr. 7). Dies folgt nicht zuletzt auch daraus, dass die Rechtshängigkeit des Hilfsantrages mit Zuerkennung bzw. dem Erfolg des Hauptanspruchs rückwirkend entfällt (vgl. u. a. Kopp/Schenke, a. a. O. § 44 Rdnr. 1). Vor diesem Hintergrund verbietet sich - wie hier geschehen - eine Vorabentscheidung über einen Hilfsantrag; auch steht eine solche Entscheidung nicht im Ermessen des Gerichts. Eine Ausnahme ist nur für den Fall zulässig, wenn der Hilfsantrag über den Hauptantrag hinausgeht (z. B. eine Anfechtungsklage auf Aufhebung des Verwaltungsaktes im Hauptantrag und eine Feststellungsklage auf Feststellung der Nichtigkeit im Hilfsantrag). In diesem Fall kann das Gericht zuerst über den weitergehenden Antrag entscheiden. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Die vom Rechtsschutzsuchenden mit seinen Anträgen vorgegebene Reihenfolge der gerichtlichen Entscheidung kann auch nicht dadurch aufgehoben werden, dass ein Hilfsantrag vom Hauptantrag abgetrennt wird. Zwar steht es dem Gericht grundsätzlich frei, die durch den Kläger verbundenen Klagen gem. § 93 VwGO zu trennen und gegebenenfalls ein Teilurteil gem. § 110 VwGO zu erlassen. Eine Ausnahme von dieser Möglichkeit des Gerichts bildet jedoch die Eventualklagehäufung, weil hier der Hilfsantrag vom Hauptantrag abhängig ist (vgl. Bay.VGH, Beschl. v. 08.01.1979 - 68 XV 75 -, BayVBL. 1979, 187; Fehlung/Kastner/Wahrendorf (Hrsg.), a. a. O. § 44 Rdnr. 15; Sodan/Ziekow, a. a. O. § 44 Rdnr. 14). Dieses für das Eventualverhältnis geltende Verbot der Verfahrenstrennung beansprucht Geltung auch dann, wenn das Verwaltungsgericht, ohne einen förmlichen Trennungsbeschluss gem. § 93 Satz 2 VwGO zu erlassen, das Verfahren faktisch bereits dadurch abtrennt, dass dem Hilfsantrag neben dem Hauptantrag ein eigenes Aktenzeichen gegeben wird und es damit von Beginn als ein eigenständiges Verfahren behandelt wird. Dies gilt vorliegend zumindest im Verhältnis zur Feststellungsklage und berührt nicht die Frage, ob gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt das Verfahren zur Hauptsache - hier die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage - von dem vorläufigen Rechtsschutzgesuch getrennt wird.

Im Hinblick auf die vorrangig zu entscheidende Feststellungsklage gem. § 43 VwGO stellt sich gegenwärtig auch nicht die Frage, ob es sich bei dem im Verhältnis zur Feststellungsklage hilfsweise gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf § 44 VwGO (analog) um eine zulässige Antragshäufung handelt und beide Begehren insoweit zusammen verfolgt werden können. Gegen eine solche Annahme könnte der Umstand sprechen, dass es sich bei einer Klage zur Hauptsache und bei einem vorläufigen Rechtsschutzgesuch um derart unterschiedliche Rechtsziele handelt, dass ein Verbund im Eventualverhältnis ausscheidet; allerdings ist zu berücksichtigen, dass § 44 VwGO die verfolgbaren Klage- bzw. Antragsbegehren nicht eingrenzt, so dass davon ausgegangen werden muss, dass - soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind - die Verbindung von Klage- bzw. Antragsbegehren jeglicher Art prinzipiell zulässig ist (Sodan/Ziekow, a. a. O. § 44 Rdnr. 10 m. w. N.). Auch ist in Rechnung zu stellen, dass die Klage- bzw. Antragshäufung gem. § 44 VwGO der Prozessökonomie dient, so dass es keinen rechtlichen Bedenken begegnen dürfte, wenn bei einem zugrunde liegenden einheitlichen Lebenssachverhalt neben der hilfsweise gestellten Anfechtungsklage zugleich hilfsweise ein Antrag auf Aussetzung des Sofortvollzugs gestellt wird. Über die Zulässigkeit des Hilfsantrages ist indes erst dann zu entscheiden, wenn über den unbedingt gestellten Hauptantrag entschieden ist und damit feststeht, ob und inwieweit die hilfsweise gestellten Anträge nicht rückwirkend als nicht mehr rechtshängig anzusehen sind.

Im Hinblick darauf, dass über den Hilfsantrag zu 1., mit dem vorläufiger Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO begehrt wird, erst und auch nur dann zu entscheiden ist, wenn über den Hauptantrag ablehnend entschieden wurde, bedarf es im vorliegenden Verfahren nicht zugleich einer Entscheidung zur Sache, d. h. es kann hier dahin gestellt bleiben, ob der Antragsteller mit seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durchzudringen vermag. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts war daher lediglich aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG, 154 Abs. 1 VwGO.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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