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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 24.02.1995
Aktenzeichen: 3 M 22/94
Rechtsgebiete: VwGO, BeamtG LSA, StGB-DDR


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 8
VwGO § 114
VwGO § 123
VwGO § 123 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 123 Abs. 2 Satz 3
BeamtG LSA § 5 Abs. 2 Nr. 3
StGB-DDR § 213
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 M 22/94

Datum: 24.02.1995

Gründe:

Die Beschwerde führt zur Änderung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags.

Allerdings sind die Bedenken des Antragsgegners gegen die Besetzung der Richterbank unbegründet, denn nach §§ 123 Abs. 2 Satz 3, 80 Abs. 8 VwGO i. d. F. des Art. 9 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I S. 50 ff.) kann über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung in dringenden Fällen der Vorsitzende allein entscheiden. Das Vorliegen eines solchen dringenden Falles ist hier zutreffend bejaht worden, da eine volle Besetzung der Kammer nach Auskunft des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Dessau vom 19. Oktober 1994 wegen Urlaubsabwesenheit mehrerer Richter erst am 6. Oktober 1994 wieder vorhanden war, während der Antragsgegner andererseits angekündigt hatte, bereits am 1. Oktober 1994 weitere Stellen besetzen zu wollen. Folglich mußte dem Verwaltungsgericht daran gelegen sein, vor diesem Termin eine Entscheidung zu treffen.

Der auf § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO gestützte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Sicherung eines Anspruchs auf Einstellung als Richter auf Probe im Dienst des Landes Sachsen-Anhalt ist jedoch in der Sache unbegründet, denn der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 ff. ZPO).

Über die Einstellung von Richtern auf Probe in den Landesdienst entscheidet gem. § 3 RiG LSA i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 BeamtG LSA der Dienstherr nach pflichtgemäßem Ermessen. Ein Anspruch auf Einstellung besteht nicht. Der Dienstherr muß die Auswahl nach dem Prinzip der Bestenauslese vornehmen. Entscheidend sind allein Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber (Art. 33 Abs. 2 GG). Der Bewerber hat einen formellen Anspruch auf fehlerfreie Betätigung des Auswahlermessens. Auch dieser Anspruch ist im Verfahren gem. § 123 VwGO sicherungsfähig. Voraussetzung ist, daß das bisherige Einstellungsverfahren an einem Verfahrensfehler leidet und deshalb ganz oder in Teilen zu wiederholen ist. Der Senat vermag dies bei der im vorläufigen Verfahren nur möglichen summarischen Betrachtungsweise nicht festzustellen.

Im Einstellungsverfahren muß der Dienstherr sich zum einen Klarheit über die Eignung des Bewerbers für den richterlichen Dienst verschaffen. Dies schließt die Beurteilung ein, ob und in welchem Maße ein Bewerber dem abstrakten Anforderungsprofil des Dienstherrn für den richterlichen Dienst entspricht und ob er nach seinem persönlichen Eignungsprofil besser oder weniger gut geeignet erscheint als etwaige Mitbewerber. Zum anderen hat der Dienstherr im Ermessenswege zu entscheiden, ob er den so beurteilten Bewerber in den Landesdienst übernehmen will. Dabei sind die Anzahl der vorhandenen Bewerber und die Dringlichkeit des Anliegens, neue Mitarbeiter für den richterlichen Dienst zu gewinnen, von maßgeblicher Bedeutung.

Beide Vorgänge unterliegen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß dem Dienstherrn bei dienstlichen Eignungsbeurteilungen ein Beurteilungsspielraum zusteht, den das Gericht nur darauf nachprüfen kann, ob der Dienstherr die Begriffe Eignung, Befähigung und fachliche Leistung verkannt hat, ob er von einem unrichtigen Tatbestand ausgegangen ist, ob er das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat, ob er allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat (vgl. Battis, BBG, Anm. 3 zu § 8 m. w. Nachweisen). Hingegen darf das Gericht nicht seine eigene Eignungsbeurteilung an die Stelle der Beurteilung des Dienstherrn setzen. Auch die Ermessensbetätigung ist nur im Rahmen des § 114 VwGO überprüfbar. Das Gericht hat lediglich festzustellen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.

Die Eignungsbeurteilung des Antragsgegners läßt Beurteilungsfehler nicht erkennen. Die Verfahrensweise des Antragsgegners, Bewerber, die er aufgrund der Examensergebnisse für grundsätzlich geeignet hält, zu einem Vorstellungsgespräch zu laden, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Vorstellungsgespräch ist geeignet, Erkenntnisse über die Eignung des Bewerbers zu vermitteln. Die Examensergebnisse und die Beurteilungen aus dem Vorbereitungsdienst geben in erster Linie Aufschluß über die fachliche Leistungsfähigkeit. Im Vorstellungsgespräch kann der Dienstherr sich demgegenüber aus eigener Anschauung einen Eindruck über die Persönlichkeit des Bewerbers verschaffen. Dieser offenbart sich eher "in unmittelbar persönlicher und von Dritten nicht beeinflußten Rede und Gegenrede" als in schriftlichen Beurteilungen (BVerwGE 62, 169 ff.).

Der Eindruck aus dem Vorstellungsgespräch darf allerdings nicht allein entscheidend sein. Er kann die breiter angelegten Erkenntnisse aus dem Vorbereitungsdienst nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Zeigen sich Widersprüche zu persönlichkeitsbezogenen Feststellungen in den Stationszeugnissen, bedarf es einer sorgsamen, auch selbstkritischen Abwägung, die psychologische Erfahrungswerte einbeziehen muß. Der grundgesetzlich verbürgte Anspruch des Bewerbers auf gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amt (Art. 33 Abs. 2 GG) darf nicht von erkennbar untypischen Reaktionen in einer Ausnahmesituation oder gar von Zufälligkeiten wie der "Tagesform" des Personalreferenten abhängig gemacht werden.

Nach der Darstellung des Antragsgegners ist der Antragsteller nicht eingestellt worden, weil er im Vorstellungsgespräch verunsichert, in der Beantwortung der Fragen zörgerlich und ohne das nötige Selbstbewußtsein aufgetreten sei. Er sei nicht in der Lage gewesen, seinen Gesprächspartner anzusehen. Dem fachlich positiven Eindruck sei daher ein persönlich wenig günstiger Eindruck gegenüber zu stellen. Es seien Zweifel entstanden, ob der Antragsteller in schwierigen Fällen eine Verhandlung sicher führen könne.

Der Senat hat keinen Anlaß zu der Annahme, daß diese Begründung nur vorgeschoben ist und tatsächlich andere Gründe für die Ablehnung entscheidend gewesen sind. Soweit im Vermerk des Personalreferenten vom 31. Juli 1994 auf die Mitgliedschaft des Antragstellers in der SED, später der PDS verwiesen wird, hat der Antragsgegner klargestellt, daß nicht die Parteizugehörigkeit, sondern das Verhalten des Antragstellers bei der Erörterung dieses Themenbereichs im Vorstellungsgespräch maßgeblich gewesen ist. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob auch die näheren Umstände bei der Beendigung der Mitgliedschaft in der PDS auf Unsicherheit oder Unentschlossenheit schließen lassen.

Nach derzeitigem Erkenntnisstand läßt sich auch nicht feststellen, daß das aus dem Vorstellungsgespräch gewonnene Persönlichkeitsbild auf einer Fehleinschätzung des Antragsgegners beruht. Allerdings vermitteln die Stationszeugnisse, die dem Antragsgegner vorgelegen haben, durchweg ein positives Leistungsbild. Sie bescheinigen dem Antragsteller nicht nur befriedigende bis gute Arbeitsergebnisse, sondern heben auch seine gute Auffassungsgabe, Ausdrucksvermögen und Argumentationsfähigkeit, insbesondere im mündlichen Bereich hervor. Hierin liegt jedoch kein unauflöslicher Widerspruch zum Eindruck aus dem Vorstellungsgespräch. Der Antragsteller hat die genannten Eigenschaften im Rahmen der fachlichen Ausbildung gezeigt. Dies läßt nur begrenzt Rückschlüsse auf allgemeine Persönlichkeitsmerkmale zu, die für den richterlichen Dienst bedeutsam sind. Über sie soll gerade ein zweckmäßig konzipiertes Vorstellungsgespräch Aufschluß geben. Positive Stationszeugnisse schließen nicht aus, daß im Vorstellungsgespräch Schwächen zu Tage treten, für die es bisher keine Hinweise gab.

Das Vorstellungsgespräch mit dem Antragsteller vom 29. Juli 1994 war entsprechend angelegt. Der Antragsteller ist über die Gründe für seinen Berufswunsch befragt worden. Dabei ist ihm im Hinblick auf die Aufnahme des Studiums während des Bestehens der DDR auch die Frage gestellt worden, wie er zu Verurteilungen gem. § 213 StGB-DDR (sog. ungesetzlicher Grenzübertritt) gestanden hätte. Diese Fragestellung bedeutete entgegen der Auffassung des Antragstellers weder eine Diskriminierung noch einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie steht mit dem Zweck der Eignungsprüfung für den richterlichen Dienst im Einklang. Die Beweggründe für die Berufswahl können Aufschluß darüber geben, ob der Bewerber dem Richterbild des Grundgesetzes entspricht. Dies gilt um so mehr bei Bewerbern aus der früheren DDR, die bei gleichbleibenden Verhältnissen in der DDR eine unabhängige Rechtsprechung i. S. d. Grundgesetz nicht hätten ausüben können.

Nach Aktenlage muß davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller bei dem angesprochenen Themenbereich die vom Antragsgegner geschilderte Reaktion gezeigt hat. Der Antragsteller selbst räumt ein, daß er durch die Fragestellung verunsichert worden sei.

Der Antragsgegner konnte hieraus negative Schlüsse auf die Persönlichkeit des Antragstellers ziehen. Die Fragestellung war keineswegs so ungewöhnlich oder provokativ, daß eine qualifizierte Stellungnahme nicht möglich gewesen wäre. Der Themenbereich war berufsbezogen. Es war angesichts der Biographie des Antragstellers sogar naheliegend, daß dieser sich mit den unterschiedlichen Richterbildern in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland bereits gedanklich auseinander gesetzt hatte. Der Antragsteller hätte aber auch ohne gedankliche Vorarbeit zu einer spontanen Äußerung in der Lage sein müssen. Wenn sich ein konstruktives Gespräch nicht entwickeln konnte, deutet dies auf ein mangelndes Reaktionsvermögen in unerwarteten Situationen hin, wie sie auch im richterlichen Dienst immer wieder auftreten können.

Die Vermutung des Antragstellers, der Vertreter des Antragsgegners habe mangelnde Aktenkenntnis durch eine politische Diskussion überspielen wollen, ist durch nichts belegt. Sollte der Vertreter des Antragsgegners irrtümlich davon ausgegangen sein, daß der Antragsteller keine Angaben zum Wehrdienst in der NVA der früheren DDR gemacht habe, ist dies noch während des Vorstellungsgesprächs richtig gestellt worden. Ein Anlaß, auf eine politische Diskussion auszuweichen, lag hierin nicht. Die Erörterung des § 213 StGB-DDR vor dem Hintergrund des Berufsziels des Antragstellers kann jedenfalls nicht als politische Diskussion bezeichnet werden.

Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß sich im Verfahren zur Hauptsache weitere Erkenntnisse ergeben, die die im Vorstellungsgespräch zu Tage getretenen Schwächen des Antragstellers als untypisch oder kompensierbar erscheinen lassen. Nach derzeitigem Verfahrensstand erscheint dies jedoch eher unwahrscheinlich und rechtfertigt den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung nicht. Der Vertreter des Antragsgegners im Vorstellungsgespräch wird als Mitarbeiter mit langjähriger Erfahrung in der Personalauswahl und der Personalführung geschildert. Konkrete Anhaltspunkte, daß er in diesem Fall einer Fehleinschätzung erlegen ist, gibt es nicht.

Das Gewicht der im Vorstellungsgespräch zu Tage getretenen Persönlichkeitsschwäche gegenüber dem fachlichen Können hat der Antragsgegner im Rahmen seines Beurteilungsspielraums selbst einzuschätzen. Es erscheint jedenfalls vertretbar, daß der Antragsgegner auch bei überdurchschnittlich fachlichen Leistungen Wert auf ein entschiedenes und sicheres Auftreten des Bewerbers legt.

Hinweise auf Ermessensfehler, die im Rahmen des § 114 VwGO zu berücksichtigen sind, sieht der Senat nicht. Nach den glaubhaften Angaben des Antragsgegners waren im Zeitpunkt der Bewerbung fünf Proberichterstellen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes zu besetzen. Hiervon sind vier Stellen vergeben worden. Der Personalbedarf war damit weitgehend abgedeckt. Eine Notwendigkeit, auch noch die letzte Stelle umgehend mit einem Bewerber zu besetzen, der den Eignungsvorstellungen des Antragsgegners nicht in jeder Hinsicht entsprach, bestand nicht. Es war dem Antragsgegner unbenommen, den Eingang weiterer Bewerber abzuwarten, die nach seinen Angaben inzwischen auch vorliegen.

Schließlich hat der Antragsteller auch hinreichend Gelegenheit gehabt, sich zu den Gründen, die den Antragsgegner zu seiner Entscheidung bewogen haben, zu äußern. Nachdem ihm diese Gründe bereits ansatzweise im Schreiben vom 6. September 1994 mitgeteilt worden waren, hat der Antragsgegner seine Auffassung im gerichtlichen Verfahren weiter spezifiziert; der Antragsteller konnte auch im Gerichtsverfahren von dem Aktenvermerk auf seinem Personalbogen Kenntnis nehmen. Das ist nach der Rechtsprechung ausreichend. Eine Pflicht, den Verlauf oder das Ergebnis der mündlichen Anhörung schriftlich festzuhalten, besteht nicht, zumal die Nuancen des Gesprächsverlaufs und der persönliche Eindruck selbst bei wörtlicher Niederschrift und erst recht bei einem nachträglichen Ergebnisvermerk nur unvollkommen erfaßt werden können(vgl. BVerwGE 81 S. 365).

Soweit der Antragsgegner noch darauf hingewiesen hat, daß Diplomjuristen aus der ehemaligen DDR das zweite Staatsexamen unter leichteren Bedingungen ablegen könnten als die Kollegen aus den alten Bundesländern, so daß die Ergebnisse auch unterschiedlich zu bewerten seien, braucht auf diesen Gesichtspunkt nicht weiter eingegangen zu werden, da es sich nicht um eine die Entscheidung tragende Begründung handelt (zu dieser Frage vgl. im übrigen BVerwG, U. v. 20.10.1983 - DVBl. 1984, 432).

Nach alledem muß der angefochtene Beschluß aufgehoben und der Antrag abgelehnt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich gem. § 13 Abs. 4 Buchst. b GKG nach dem 13fachen Betrag des Endgrundgehaltes zuzüglich ruhegehaltsfähiger Zulagen. Der Betrag ist bei Beamten auf Probe zu halbieren und ermäßigt sich nochmals um die Hälfte, weil es sich um ein vorläufiges Verfahren handelt.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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