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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.09.2008
Aktenzeichen: 3 O 215/07
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB XII


Vorschriften:

SGB VIII § 90 Abs. 3 Satz 1
SGB VIII § 90 Abs. 4 Satz 1
SGB XII § 82 Abs. 3
Zur Antragstellung und Einkommensberechnung bei Übernahme des Elternbeitrages durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

Der Klägerin ist in Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtes Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit sie mit ihrer Klage von dem Beklagten die Übernahme des Elternbeitrages für die von ihrer Tochter S.-M. besuchte Kindertageseinrichtung für den Monat August 2006 erstrebt. Für die weitergehenden, im Streit stehenden Monate bis einschließlich November 2006 bleibt die Beschwerde hingegen ohne Erfolg. Die Klagebegründung vom 21. April 2007 beziffert den Endzeitpunkt des Klagebegehrens zwar nicht konkret, jedoch ist den Ausführungen zur Sache zu entnehmen, dass die Klägerin jedenfalls bis einschließlich November 2006 einen Übernahmeanspruch für sich reklamiert (vgl. S. 5 der Klagebegründung vom 21.04.2007, Bl. 19 der GA). Nur für den Monat August 2006 weist die beabsichtigte Rechtsverfolgung bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen, überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg auf (§§ 166 VwGO i. V. m. 114 Satz 1 ZPO). Nach der von der Klägerin eingereichten Erklärung gemäß § 117 ZPO liegen auch die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung vor.

In Bezug auf die Erfolgsaussicht des Klagebegehrens ist bei summarischer Prüfung von folgendem auszugehen:

Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann der Teilnahme- oder Kostenbeitrag für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen u.a. vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Gemäß § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gelten für die Feststellung der zumutbaren Belastung die §§ 82 bis 85, 87 und 88 des 12. Buches Sozialgesetzbuch entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft. Letzteres ist nicht der Fall.

Unter Zugrundelegung der sozialhilferechtlichen Regelungen zur Einkommensberechnung liegt für August 2006 eine Überschreitung der vom Beklagten errechneten Einkommensgrenze in Höhe von 1.638,00 EUR (vgl. SS v. 29.05.2007, S. 3-4, Bl. 23, 24 d. GA) nicht vor, weil nicht der für Herrn A. in Ansatz gebrachte Netto-Verdienst für August 2006 in Höhe von 1.147,82 EUR, sondern der Netto-Verdienst für Juli 2006 in Höhe von 713,21 EUR in die Berechnung einzustellen ist. Sozialhilferechtlich sind Einkommen nur tatsächliche Zuflüsse in Geld oder Geldeswert (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 76 Rdnr. 11 zur Vorgängerregelung des § 82 SGB VIII). Die Behauptung der Klägerin, dass ihr Mann seinen Verdienst für Juli 2006 im August 2006 und den Verdienst für August 2006 im September 2006 ausgezahlt erhalten habe, erscheint angesichts der vom 01. August 2006 (für Juli 2006, Bl. 40 der Beiakte A) und 04. September 2006 (für August 2006, Bl. 41 der Beiakte A) datierenden Bezügeabrechnung - jedenfalls im Rahmen der summarischen Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren - hinreichend glaubhaft gemacht. Tatsächlich zugeflossen ist Herrn A. mithin im August 2006 der Netto-Verdienst für Juli 2006 in Höhe von 713,21 EUR (vgl. Bl. 40 der Beiakte A). Bezieht man diesen Betrag in die Berechnung des Beklagten im Schriftsatz vom 29.05.2007 (Bl. 21, 23 ff. d. GA) ein, ergibt sich ein bereinigtes Nettoeinkommen (Gesamteinkünfte in Höhe von 1.817,69 EUR abzüglich Gesamtausgaben in Höhe von 221,46 EUR) in Höhe von 1.596,23 EUR, das die Einkommensgrenze von 1.638,00 EUR um einen Betrag von 41,77 EUR unterschreitet.

Hinsichtlich der weiteren, zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob für August 2006 der gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erforderliche Antrag auf Übernahme des Elternbeitrages vorliegt, spricht jedenfalls mehr als nur eine theoretische Wahrscheinlichkeit für einen Prozesserfolg der Klägerin, wenn gleich letzterer noch keineswegs gewiss ist.

Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur "hinreichende" Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen (BVerfG, Beschl. v. 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347 [357]), wobei aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei den von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anforderungen zu stellen sind (BVerfG, Beschl. v. 7.4.2000 - 1 BvR 81/00 - NJW 2000, S. 1936 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., Rdnr. 8 zu § 166). Da das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren eine Prüfung der Sach- und Rechtslage auch nur vorläufig vorzunehmen hat (Baumbach, Lauterbach, Albers, Hartmann, Kommentar zur ZPO, § 114 Rdnr. 80) und die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vor zu verlagern, ist es nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist; es genügt vielmehr bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs (BVerwG, Beschl. v. 08.03.1999, NVwZ-RR 1999, S. 587). Schwierige Tatsachen oder noch nicht geklärte Rechtsfragen brauchen im Prozesskostenhilfeverfahren ebenfalls keiner Klärung zugeführt zu werden (BVerfG, Beschl. v. 13.03.1990, a. a. O.; Bayr. VGH, Beschl. v. 22.06.2004 - 10 C 04.1496 -). Allerdings ist es erforderlich, dass mehr als eine nur theoretische Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage spricht (BVerfG, Beschl. v. 04.02.1997 - 1 BvR 381/93 - NVwZ 1997, 2102 [2103]).

In Anlegung dieser Maßstäbe ist eine hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsstreits bezogen auf den Monat August 2006 zu bejahen. Für eine - möglicherweise mündliche oder konkludente - Antragstellung der Klägerin spricht die Erwähnung einer Antragsstellung vom 10. August 2006 im Bescheid des Beklagten vom 23. August 2006 (vgl. Bl. 62 der Beiakte B). Zwar enthält der Verwaltungsvorgang des Beklagten nicht - wie es die Formulierung im Bescheid vom 23. August 2006 nahe legt - ein Schreiben dieses Datums, jedoch hat die Klägerin oder ihr Ehemann ausweislich einer Gesprächsnotiz des Beklagten am 10. August 2006 persönlich bei ihm vorgesprochen (vgl. Bl. 59 der Beiakte B), sodass es klärungsbedürftig erscheint, ob hierbei zumindest sinngemäß ein Antrag auf Übernahme des Elternbeitrages für August 2006 gestellt wurde. Hierzu würde auch der - ohne Antrag nicht ohne weiteres nachvollziehbare - Hinweis des Beklagten im Bescheid vom 23. August 2006 passen, welche Unterlagen für "die Prüfung ab 08/2006" von der Klägerin bis zum 30.09.2006 noch vorgelegt werden sollten.

Unabhängig davon, erscheint das Verfahren im Bezug auf die Frage der Antragsstellung auch deshalb (zu Gunsten der Klägerin) ergebnisoffen, weil das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Urteil vom 21. Dezember 2006 (- 5 B 904/04 - juris) die Rechtsauffassung vertreten hat, dass die Übernahme von Teilnahmebeiträgen für den Besuch eines Kindergartens durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht voraussetze, dass der Antrag zeitlich vor dem Beginn des Übernahmezeitraumes gestellt wird, wenn ein Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens besteht. Das Sächsische OVG hat seinen Rechtsstandpunkt damit begründet, dass der Jugendhilfeträger hier - im Gegensatz zu sonstigen Jugendhilfeleistungen - nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urt. v. 28.09.2000 - 5 C 29.99 - juris) als Leistungsträger in die Hilfesuche eingebunden sei, sondern sich seine Aufgabe auf die einer Kostenträgerschaft reduziere. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung dürfte das vom Beklagten als Antrag ausgelegte Schreiben der Klägerin vom 14. November 2006 (Bl. 1 der Beiakte A) auch den Monat August 2006 mit erfassen.

Hinsichtlich der Monate September 2006 bis November 2006 dürfte dagegen von einer Überschreitung der Einkommensgrenze auszugehen sein. Dies folgt bei entsprechender Berechnung unter Zugrundelegung des Netto-Verdienstes von Herr A. ausweislich der vorgelegten Bezügemitteilungen ab August 2006 (vgl. Bl. 41 ff. der Beiakte A). Soweit die Klägerin einwendet, von ihrem und dem Einkommen ihres Ehemannes sei zusätzlich der in § 82 Abs. 3 SGB XII genannte Freibetrag abzusetzen, dürfte sich dieses Vorbringen voraussichtlich als nicht durchgreifend erweisen.

Die Klägerin trägt vor, der Regelung des § 90 Abs. 4 SGB VIII sei nicht zu entnehmen, dass die Anwendung des § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen sein solle. Die Formulierung in § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII beziehe sich lediglich auf den von der Norm vorgesehenen Leistungszusammenhang mit § 19 SGB XII. Im Übrigen sei der Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vom Bruttoeinkommen zu errechnen.

Dieses Vorbringen gibt keinen Anlass, den vorläufigen Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichtes in Frage zu stellen. § 82 Abs. 3 SGB XII lautet wie folgt:

"Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ferner ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Einkommens aus selbständiger und nicht selbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchsten jedoch 50 vom Hundert des Regelsatzes. Abweichend von Satz 1 ist bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen von dem Entgelt ein Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich 25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts abzusetzen. Im Übrigen kann in begründeten Fällen ein anderer als in Satz 1 festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden."

Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Beschluss davon aus, dass die Klägerin und ihr Ehemann als Bezieher von Leistungen des ALG II sowie aus unselbständiger Erwerbstätigkeit nicht die in § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII genannten Sozialhilfeleistungen erhalten bzw. nicht dem anspruchsberechtigten Personenkreis zugerechnet werden können und § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII nur zur Abänderung der Höhe des prozentualen Absetzungsbetrages ermächtige, nicht aber den anspruchsberechtigten Personenkreis - nämlich Leistungsberechtigte von Hilfe zum Lebensunterhalt und von Grundsicherung im Alter sowie Erwerbsgeminderte - erweitere. Diese Rechtsauffassung erscheint bei summarischer Prüfung durchaus überzeugend. Sie stellt die in § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII getroffene Regelung der entsprechenden Anwendbarkeit von § 82 SGB XII keineswegs in Frage und lässt sie auch nicht in Bezug auf § 82 Abs. 3 SGB XII gegenstandslos werden. Vielmehr wird die besondere Begünstigung des § 82 Abs. 3 SGB XII - auch hinsichtlich der Übernahme von Elternbeiträgen - auf den dort ausdrücklich genannten, als besonders schutzwürdig angesehenen Personenkreis begrenzt, der - wie der Leistungskatalog in § 8 SGB XII zeigt - seinerseits auch nur einen Teil der Leistungsberechtigten des 12. Buches Sozialgesetzbuch darstellt. Einen Anhalt für die Annahme, dass § 90 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII mit seinem Verweis auf die entsprechende Anwendbarkeit des § 82 SGB XII über den Wortlaut dieser Norm hinausgehen und - ungeachtet der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 82 Abs. 3 SGB XII - dessen Rechtsfolgen (hier die Absetzungsbeträge) allen zu Elternbeiträgen herangezogenen Eltern zuteil werden lassen wollte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken, in § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII eine einzelfallspezifische Regelung zur Anpassung der Höhe des Absetzungsbetrages für den in § 82 Abs. 3 Satz 1 genannten Personenkreis, nicht aber eine Ermächtigung zur Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises zu sehen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben und außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden. Soweit der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. Beschl. v. 19.12.2001 - 9 B 90.1 -) die Erhebung von Elternbeiträgen dem Abgabenrecht und nicht dem Sachgebiet der Jugendhilfe zurechnet, für welches § 188 Satz 2 VwGO Kostenfreiheit gewährt (vgl. OVG LSA, Urt. v. 22.03.2006 - 3 L 258/03 -), besteht keine Veranlassung diesen Rechtsgedanken auch auf Fälle der Übernahme des Elternbeitrages durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII - wie hier - anzuwenden. Als Härtefallregelung und im Hinblick auf die tatbestandliche Anknüpfung an die sozialhilferechtlichen Regelungen der §§ 82 ff. SGB XII zur Feststellung der zumutbaren Belastung, überwiegt im vorliegenden Fall der Fürsorgecharakter der Jugendhilfemaßnahme, so dass Gerichtskostenfreiheit gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerechtfertigt ist.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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