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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 28.04.2006
Aktenzeichen: 4 L 365/05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 161 III
§ 161 Abs. 3 VwGO ist nach seinem Sinn und Zweck nicht anwendbar, wenn das Gericht zur Sache entscheidet, bevor eine Bescheidung durch die Behörde erfolgt. Das Verhalten der Behörde kann nach einer Entscheidung durch das Gericht lediglich über § 155 Abs. 4 VwGO im Rahmen der Kostenentscheidung berücksichtigt werden.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 L 365/05

Datum: 28.04.2006

Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

1. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

a) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, der streitbefangene Gebührenbescheid vom 21. Oktober 2002 sei an den falschen Adressaten gerichtet gewesen und daher unwirksam. Der Bescheid richtete sich - worauf der Beklagte zu Recht verweist - an den Kläger unter dessen Firma, d.h. den Namen, unter dem er als Kaufmann seine Geschäfte betreibt (vgl. § 17 Abs. 1 HGB). Dass der Kläger nicht unter der Firma "Land und Forstbetr. Gut Verg." die Verwaltung des betroffenen Grundstücks betreibt, ist schon weder ersichtlich noch hinreichend substanziiert geltend gemacht. Vielmehr hatte der Kläger selbst unter dieser Firma schon einmal gegen einen früheren Gebührenbescheid für das Jahr 2001 Widerspruch eingelegt. Darüber hinaus hat der Kläger auch in dem von seinem Prozessbevollmächtigten erhobenen Widerspruch gegen den streitbefangenen Bescheid keine Vorbehalte gegenüber dieser Adressierung erhoben. Nicht entschieden werden muss daher, welche Auswirkungen es hätte, wenn der Kläger das Grundstück nicht unter dieser Firma verwaltet hätte.

b) Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, bei dem an den Prozessbevollmächtigten des Klägers adressierten Schreiben vom 22. Oktober 2002 handele es sich nicht um einen (anfechtbaren) Rücknahmebescheid, sondern ein bloßes Informationsschreiben, ist nicht zu beanstanden. Auf Grund des Verweises auf die in der Anlage befindlichen Änderungsbescheide und des nachfolgenden Satzes "Die Ihrem Mandanten vorliegenden Bescheide sind somit gegenstandslos" sowie des Fehlens sonstiger auf einen Bescheid i.S.d. VwVfG LSA hindeutenden Bestandteile (z.B. Rechtsmittelbelehrung), war nach dem insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont hinreichend zu erkennen, dass dieses Schreiben keine verbindliche Regelung enthielt. Insbesondere die Formulierung "somit" machte deutlich, dass es allein auf die Änderungsbescheide ankommen sollte und das Schreiben lediglich eine Erläuterung darstellte.

c) Keinen Erfolg hat der Kläger mit seinem Vortrag, der ihm übersandte Ursprungsbescheid vom 8. Februar 2000 habe gerade keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Vornahme einer Schätzung enthalten, so dass die Begründung des Verwaltungsgerichts, er habe anhand des Bescheides erkennen müssen, dass es sich nur um eine vorläufige Schätzung mit möglichen Nachforderungen gehandelt habe, nicht durchgreifend sei. Auch wenn sich auf dem Bescheid selbst möglicherweise kein ausdrücklicher Hinweis auf die Vornahme einer Schätzung befunden haben mag, war es für den Kläger aber - wie das Verwaltungsgericht auch ausführt - offenkundig, dass die Festsetzung der Gebühren auf einer Schätzung beruhte. In seiner Klagebegründung hat er selbst dargelegt, dass die Angestellte des Beklagten den Zählerstand nicht abgelesen, sondern eine Schätzung des Jahresverbrauchs vorgenommen habe. Dies war auch im Verwaltungsverfahren nicht streitig. Hinsichtlich der Auslegung des streitbefangenen Gebührenbescheides als Ergänzung oder Ersetzung des Ausgangsbescheides hat das Verwaltungsgericht aber entscheidungserheblich allein darauf abgestellt, ob der Gebührenschuldner erkennen konnte, dass lediglich eine Schätzung vorgenommen worden war.

d) Entgegen der Auffassung des Klägers basiert der streitbefangene Gebührenbescheid nur teilweise auf einer Schätzung. Der Verbrauch von Trinkwasser wurde für den Zeitraum 3. März 1999 bis 24. Juli 2002 unstreitig durch eine Ablesung des Wasserzählers am 24. Juli 2002 mit 1.831 m3 ermittelt. Lediglich die Verteilung auf die Jahre 2000 und 2001 sowie den Zeitraum 3. März bis 31. Dezember 1999 erfolgte auf der Grundlage einer Schätzung, wobei der Beklagte einen konstanten Verbrauch unterstellte. Mit seiner Antragsbegründung legt der Kläger aber nicht dar, auf welcher konkreten Grundlage, d.h. nach welcher Personenzahl, der Beklagte die Schätzung für den hier streitigen Zeitraum anders hätte vornehmen sollen. Der pauschale Hinweis, die Personenzahl auf dem Grundstück sei in den jeweiligen Abrechnungszeiträumen unterschiedlich gewesen, ist nicht ausreichend.

e) Soweit der Kläger geltend macht, der Gebührenbescheid verstoße gegen Treu und Glauben und stelle außerdem eine unbillige Härte dar, hat er keinen Erfolg. Offen bleiben kann dabei, ob es sich bei diesem Bescheid um einen Ergänzungsbescheid handelt oder um einen Rücknahmebescheid i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 3 Bucht. b KAG LSA i.V.m. § 130 Abs. 1 AO.

Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt schon deshalb nicht vor, weil der Kläger wusste, dass der Ursprungsbescheid vom 8. Februar 2000 nicht auf einer Ablesung, sondern auf einer Schätzung basierte, und dass deshalb der tatsächliche Wasserverbrauch durchaus höher liegen konnte. Es war ihm auch durchaus zumutbar, als Grundstückseigentümer den Zugang zum Zähler zu erleichtern und diesen selbst abzulesen.

Das Vorliegen einer unbilligen Härte kann der Kläger nur im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen geltend machen, nicht aber der Gebührenfestsetzung entgegen halten.

f) Die Kosten des Verfahrens waren nicht gem. § 161 Abs. 3 VwGO dem Beklagten aufzuerlegen. Auf Grund dieser Vorschrift erfolgt bei Untätigkeitsklagen automatisch eine Kostenlastentscheidung zu Lasten der Behörde, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte, die Behörde ihn aber erst während des Klageverfahrens bescheidet und er darauf hin von der Klage Abstand nimmt. Die Regelung ist nach ihrem Sinn und Zweck jedoch nicht anwendbar, wenn das Gericht zur Sache entscheidet, bevor eine Bescheidung durch die Behörde erfolgt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 14. A., § 161 Rdnr. 35 m.w.N.; i.E. auch Redeker/v. Oertzen, VwGO 14. A., § 161 Rdnr. 9; Eyermann, VwGO 11. A., § 161 Rdnr. 20 ff.; a.M.: Sodan/Ziekow, VwGO 2. A., § 161 Rdnr. 217; vgl. weiter Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 161 Rdnr. 40). Denn der Kläger ist dann nicht (mehr) ohne weiteres deshalb kostenrechtlich zu bevorteilen, weil er vor Klageerhebung keine Kenntnis von den entscheidungserheblichen Gründen der Behörde hatte. Im Regelfall hat die Behörde nämlich - wie hier - auf die Klage erwidert. Das Verhalten der Behörde kann nach einer Entscheidung durch das Gericht lediglich über § 155 Abs. 4 VwGO im Rahmen der Kostenentscheidung berücksichtigt werden (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. § 161 Rdnr. 40; Kopp/Schenke, a.a.O. § 161 Fn. 61).

2. Die Rechtssache weist danach auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

3. Der Rechtssache kommt weiterhin keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.

Die vom Kläger aufgeworfenen Fragestellungen sind nach den vorstehenden Ausführungen entweder in der Rechtsprechung des Senats geklärt oder auf der Grundlage der angeführten Regelungen ohne weiteres beantwortbar.

4. Eine Divergenz zu Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wurde schon nicht in hinreichender Weise dargelegt. Hierzu ist erforderlich, dass ein die angefochtene Entscheidung tragender Rechtssatz aufgezeigt wird, der mit einem - ebenfalls zu benennenden - Rechtssatz in der Entscheidung des höheren Gerichts im Widerspruch stehen soll. Dabei muss die Unvereinbarkeit der Rechtssätze im Einzelnen aufgezeigt werden. Daran mangelt es der Antragsbegründung.

5. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers gem. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

a) Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag zu den Grundsätzen des Vertrauensschutzes, der unbilligen Härte, Treu und Glauben, der Verfassungswidrigkeit sowie zur fehlerhaften Schätzung, unbeachtet gelassen, ist nicht durchgreifend. Die damit verbundene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO) hätte nur dann Erfolg, wenn das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen hat. Dafür bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte (vgl. dazu Kopp/Schenke, a.a.O., § 108 Rdnr. 31), insbesondere hat das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers im Wesentlichen auch in den Tatbestand übernommen. Dass das Gericht in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auf alle vom Kläger aufgeworfenen Fragen eingegangen ist, ist unschädlich. Auch soweit ein Urteil sich mit einzelnem Parteivorbringen nicht ausdrücklich auseinander setzt, bedeutet dies regelmäßig nicht, dass das Gericht das Vorbringen nicht berücksichtigt hat. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, zit. nach JURIS).

b) Das Verwaltungsgericht hat es nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen, einen in der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2004 zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Vergleich gem. §§ 106 Abs. 1, 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zu protokollieren. Denn gem. § 105 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO ist der protokollierte Vergleich nach dessen Aufnahme den Beteiligten in der Verhandlung nochmals zur Kenntnis zu bringen und von diesen zu genehmigen. Zur Wirksamkeit als Prozessvergleich gehört daher die Genehmigung durch die Beteiligten (vgl. auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. § 106 Rdnr. 33). Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach Darlegung des Klägers schon während der Protokollierung seine Bereitschaft zum Abschluss eines Vergleiches zurückzog, konnte kein wirksamer Prozessvergleich zustande kommen.

Ob zumindest ein außergerichtlicher Vergleich abgeschlossen worden ist, kann offen bleiben. Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe einen solchen materiell-rechtlichen Vergleich unbeachtet gelassen, kann nicht mit einer Verfahrensrüge vorgebracht werden.

Im Übrigen kann das Gericht einen solchen außergerichtlichen Vergleich - bei fehlender Erledigung des Rechtsstreits durch einen der Beteiligten auf Grundlage dieses Vergleichs - nur berücksichtigen, wenn sich ein Beteiligter darauf beruft (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. § 106 Rdnr. 81; Kopp/Schenke, a.a.O. § 106 Rdnr. 21 m.w.N.). In seinem nach der mündlichen Verhandlung übersandten Schriftsatz vom 10. Dezember 2004 hat der Kläger zwar ausgeführt, die Beteiligten hätten sich verglichen und die Willenserklärung des Vertreters des Beklagten könne nach Zugang "nicht einfach so zurückgenommen werden". Der Kläger hat aber weiter zu seiner Klage inhaltlich Stellung genommen und damit gerade nicht in hinreichender Weise klargestellt, dass er nunmehr nur noch den rechtlichen Anspruch aus dem angeblich abgeschlossenen Vergleich verfolgen wollte.

c) Soweit der Kläger im Übrigen zu mehreren Punkten rügt, das Verwaltungsgericht hätte von Amts wegen eine Prüfung vornehmen, die Verwaltungsakte sorgfältig durchsehen oder die gesetzliche Regelung der Kostentragung berücksichtigen müssen, handelt es sich im Ergebnis jeweils nicht um die Rüge der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO), sondern um Einwendungen gegen die materiellrechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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