Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.04.2007
Aktenzeichen: 4 L 74/07
Rechtsgebiete: VwVfG, LSA-VwVfG, LSA-KAG, AO


Vorschriften:

VwVfG § 80
LSA-VwVfG § 2 Abs. 2 Nr. 1
LSA-KAG § 13
AO §§ 347 ff
Die Anwendung des § 80 VwVfG in abgabenrechtlichen Verfahren nach dem Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen.
Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen; denn die von der Beklagten sinngemäß aufgeworfene und vom Senat an die in Sachsen-Anhalt geltende Rechtslage angepasste Rechtsfrage, inwieweit § 1 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Sachsen-Anhalt vom 18. November 2005 - VwVfG LSA - i. V. m. § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - im Kommunalabgabenrecht des Landes Sachsen-Anhalt Anwendung findet, bedarf keiner Klärung, weil sich diese Frage unmittelbar durch Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA beantworten lässt.

Dabei können die Erwägungen des Thüringer Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 17. November 2004 (4 KO 97/03), das aufgrund des Wortlauts und der Systematik des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG für Thüringen die Unanwendbarkeit des § 80 VwVfG auf Widerspruchsverfahren in Abgabensachen festgestellt hat, entgegen der Auffassung der Beklagten von vornherein nicht Maßstab für die Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA sein; denn die Frage nach der Kostenerstattung in abgabenrechtlichen Vorverfahren ist ausschließlich nach dem jeweils anwendbaren Landesrecht zu beantworten, da der Wortlaut der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen nicht einheitlich ist. So weicht auch der Wortlaut des bis zum 2. Dezember 2004 geltenden § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG, der noch Gegenstand der Entscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts war, entscheidend vom Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA ab. Ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG die Anwendbarkeit des Gesetzes ausgeschlossen für "Verwaltungsverfahren, in denen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind", schließt § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA die Anwendung des Gesetzes für Verwaltungsverfahren nur aus, "soweit in ihnen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind". Da die Abgabenordnung in kommunalabgabenrechtlichen Verfahren in aller Regel - so auch gemäß § 15 ThürKAG - über eine Verweisungsnorm Anwendung findet, ist in Thüringen wegen des klaren Wortlauts in § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes in seiner Gesamtheit, also auch des § 80 VwVfG als Grundlage eines Anspruchs auf Erstattung der Kosten im Vorverfahren folgerichtig ausgeschlossen (vgl. ThürOVG, Urt. v. 17. November 2004 - 4 KO 97/03 -, juris; ebenso zu Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG: BVerwG, Urt. v. 27. September 1989 - BVerwG 8 C 88.88 -, BVerwGE 82, 336; OVG NW, Urt. v. 7. März 1997 - 3 A 169/78 -, DVBl. 1979, 787; VGH BW, Urt. v. 4. Februar 1991 - 2 S 652/89 -, NVwZ 1992, 584).

In Sachsen-Anhalt hingegen, wo § 13 des Kommunalabgabengesetzes - KAG LSA - den Anwendungsbereich der Abgabenordnung im Einzelnen beschreibt, wirkt der Ausschluss durch die Verwendung des Begriffs "soweit" in § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA nur für diejenigen Verfahrensbereiche, für die durch § 13 KAG LSA Vorschriften der Abgabenordnung - AO - ausdrücklich in Bezug genommen werden. Da § 77 Abs. 2 VwGO auch für den Bereich des Landesrechts abweichende Regelungen über das Vorverfahren ausschließt und § 13 KAG LSA dementsprechend den Siebten Teil der Abgabenordnung (§§ 347 bis 368 AO), in dem das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren geregelt ist und das eine Erstattung von Kosten des Einspruchsverfahrens generell nicht kennt, folgerichtig auch nicht für entsprechend anwendbar erklärt, ist die Anwendung des § 80 VwVfG in abgabenrechtlichen Verfahren nach dem Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt grundsätzlich nicht ausgeschlossen (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 RdNr. 183a; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 80 RdNr. 22; Allesch, DÖV 1990, 270 [274 f.]; vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 20. März 2007 - 4 L 470/06 -, zu § 54 VwVfG LSA a. F.).

Der Umstand, dass § 77 Abs. 2 VwGO ohnehin abweichende Regelungen über das Vorverfahren ausschließt, ändert mithin entgegen der Auffassung der Beklagten nichts an dem durch die Verwendung des Begriffs "soweit" eingeschränkten Ausschluss des Anwendungsbereichs des Verwaltungsverfahrensgesetzes, sondern eröffnet aufgrund der aufgezeigten Regelungslücke für eine Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren sogar erst die entsprechende Anwendung des § 80 VwVfG auf abgabenrechtliche Verfahren. Die in §§ 126, 127 und 132 AO enthaltenen Regelungen betreffen im Übrigen nicht vorrangig das Rechtsbehelfsverfahren, sondern beinhalten allgemeine Verfahrensvorschriften über Verwaltungsakte.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Landesgesetzgeber für den Bereich des Kommunalabgabenrechts bewusst von der Möglichkeit einer Kostenerstattung im Vorverfahren absehen wollte. Eine geplante Unvollständigkeit des Gesetzes (Regelungslücke), die nicht im Wege analoger Anwendung einer Vorschrift ausgefüllt werden könnte (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., Teil II, Kap. 2 Nr. 3), ist hier schon aufgrund der Formulierung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA (...soweit) nicht anzunehmen. Letztlich gibt es auch keine Sachgründe, die für einen Ausschluss der Kostenerstattung in kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren sprechen, denn anders als im Steuerrecht sind Widersprüche im Kommunalabgabenrecht keine "Massenerscheinung", der aus haushaltsrechtlichen Gründen durch eine Begrenzung von Erstattungs- oder Entschädigungsansprüchen zu Gunsten der Kommunen zu begegnen wäre (Allesch, a. a. O., S. 275). Nicht zuletzt aus diesem Grund hat auch das Land Thüringen durch das Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften vom 25. November 2004 (GVBl S. 853), das gemäß Art. 21 am 3. Dezember 2004 in Kraft getreten ist, § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG geändert. Nach der neuen Fassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG gilt § 80 ThürVwVfG nunmehr ausdrücklich auch in Verwaltungsverfahren, in denen Bestimmungen der Abgabenordnung anzuwenden sind, soweit in diesen Verfahren ein Vorverfahren nach den §§ 68 ff VwGO stattfindet.

2. Aus diesen Gründen begegnet die erstinstanzliche Entscheidung auch nicht den von der Beklagten aufgezeigten ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück