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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 05.09.2006
Aktenzeichen: 4 L 93/06
Rechtsgebiete: GG, VwVfG, KAG LSA, GO LSA


Vorschriften:

GG Art. 28 Abs. 2
VwVfG § 44 Abs. 2 Nr. 3
KAG LSA § 6 Abs. 1 S. 1
GO LSA § 77 Abs. 2
Wenn im Zeitraum einer Straßenbaumaßnahme nicht die Gemeinde, sondern die Verwaltungsgemeinschaft, der die Gemeinde angehört, auf Grund der Übertragung der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben Trägerin der entsprechenden Straßenbaulast ist, ist nicht die Gemeinde, sondern nur die Verwaltungsgemeinschaft zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen befugt.

Eine Rückübertragung der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben der Mitgliedsgemeinden mit Wirkung für die Zukunft ändert nichts an der alleinigen Befugnis der Verwaltungsgemeinschaft zur Erhebung von Beiträgen für in der Vergangenheit durchgeführte Straßenbaumaßnahmen. Es spricht darüber hinaus alles dafür, dass eine rückwirkende Änderung der Straßenbaulast ausgeschlossen ist (vgl. auch § 11 StrG LSA).

Die Auflösung einer Verwaltungsgemeinschaft führt nicht zu einem Übergang der Befugnis zur Erhebung von Beiträgen für in der Vergangenheit durchgeführte Straßenbaumaßnahmen auf die jeweiligen Mitgliedsgemeinden als Rechtsnachfolger, wenn eine andere Verwaltungsgemeinschaft Rechtsnachfolgerin geworden ist.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 4 L 93/06

Datum: 05.09.2006

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu Straßenausbaubeiträgen für den in den Jahren 1996 und 1997 erfolgten Ausbau der im Gemeindegebiet der Beklagten gelegenen Dorfstraße.

Die Kläger wurden erstmals im Jahre 1999 von der Beklagten, die seit 1994 Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden war, zu Straßenausbaubeiträgen herangezogen. Nachdem das Verwaltungsgericht Dessau in einem Eilverfahren festgestellt hatte, dass die Verwaltungsgemeinschaft und nicht die Beklagte auf Grund der Regelungen in der Gemeinschaftsvereinbarung zuständig sei, hob die Beklagte diese Bescheide auf.

Am 12. September 2000 beschloss der Gemeinderat der Beklagten erneut eine Straßenausbaubeitragssatzung. Mit zwei Bescheiden vom 19. November 2001 zog die Beklagte die Kläger zu Straßenausbaubeiträgen in Höhe von insgesamt 4.291,98 DM heran. Die Beklagte wies die fristgerechten Widersprüche der Kläger mit zwei Widerspruchsbescheide vom 11. Oktober 2004 zurück und änderte die Ausgangsbescheide zum Nachteil der Kläger ab. Dabei ging sie von einer neu erlassenen Straßenausbaubeitragssatzung vom 25. November 2003 aus und setzte Beiträge in Höhe von insgesamt 3.635,33 € fest.

Die Kläger haben am 17. Mai 2004 beim Verwaltungsgericht Dessau gegen die Beitragsbescheide der Beklagten eine Anfechtungsklage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass es an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehle. Die Beklagte sei auf Grund der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung nicht zum Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung berechtigt gewesen.

Die Beklagte ist der Klage im Einzelnen entgegen getreten und hat auf die am 23. September 2000 im Amtsblatt bekannt gemachte 2. Änderung der Gemeinschaftsvereinbarung der Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden verwiesen, in der die relevanten Aufgaben auf die Mitgliedsgemeinden zurückübertragen worden seien.

Zum 31. Dezember 2004 ist die Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden aufgelöst worden. Einige Mitgliedsgemeinden sind in die Stadt Jessen eingemeindet worden, die übrigen Mitgliedsgemeinden haben mit anderen Gemeinden zum 1. Januar 2005 die Verwaltungs gebildet.

Das Verwaltungsgericht Dessau - 3. Kammer - hat die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 10. Januar 2006 aufgehoben:

Die Beklagte habe weder die erforderliche Satzungsbefugnis noch sei sie auf Grund der Rückübertragung der Aufgabenbefugnis berechtigt, auf der Grundlage ihrer Straßenausbaubeitragssatzung Beiträge für eine Baumaßnahme aus dem hier fraglichen Zeitraum 1996/1997 zu erheben. In diesem Zeitraum habe die Zuständigkeit für den Ausbau von Straßen in ihrem Gemeindegebiet nicht bei ihr, sondern bei der Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden gelegen. Dies ergebe sich aus § 2 Abs. 3 der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung in der Fassung vom 29. Juni 1994, wonach die Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Pflichtaufgaben des eigenen Wirkungskreises zur Erfüllung im eigenen Namen auf die Verwaltungsgemeinschaft übertragen hätten. Zu diesen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben gehöre aber neben der Straßenbaulast die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen; insoweit sei nach § 5 Abs. 1 der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung auch das Satzungsrecht übergegangen.

Dass zum Zeitpunkt des Erlasses der streitbefangenen Bescheide nach der 2. Änderung der Gemeinschaftsvereinbarung die Straßenbaulast sowie das Recht und die Pflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen wieder an die Beklagte übergegangen seien, ändere daran nichts. Dieser Aufgabenübergang gelte nur für die Zukunft, so dass offen bleiben könne, ob ein rückwirkender Aufgabenübergang rechtlich zulässig wäre. Im Bereich der Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden könnten Straßenausbaubeiträge für den Zeitraum der Gültigkeit der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung aus 1994 nur auf Grund einer Satzung der Verwaltungsgemeinschaft durch die im eigenen Namen handelnde Verwaltungsgemeinschaft erhoben werden.

Die Beklagte hat fristgerecht die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie macht zur Begründung geltend, die Rückübertragung von zur Erfüllung übertragenen Aufgaben durch die Verwaltungsgemeinschaft an die Mitgliedsgemeinde sei in § 77 Abs. 2 Satz 2 GO LSA geregelt. Es bestehe aber eine Regelungslücke hinsichtlich der Frage, wie mit den noch anhängigen Rechtsverhältnissen, welche der Verwaltungsgemeinschaft von der Gemeinde übertragen worden seien, zu verfahren seien. Das Verwaltungsgericht vertrete die Auffassung, dass durch frühere Aufgabenzuständigkeiten der Verwaltungsgemeinschaft begründete Befugnisse weiterhin der Verwaltungsgemeinschaft zustünden und soweit aus der Zeit vor dem Aufgabenübergang Rechtsverhältnisse abzuwickeln seien, bleibe hierfür der vormalige Aufgabenträger zuständig. Nach der Rechtslage im Freistaat Bayern, die hinsichtlich der Auflösung einer Verwaltungsgemeinschaft und der Entlassung einer Mitgliedsgemeinde vergleichbar sei, wickele im Falle der Auflösung einer Verwaltungsgemeinschaft die Gesamtrechtsnachfolgerin nur die Geschäfte der aufgelösten Verwaltungsgemeinschaft ab, während die noch anhängigen Rechtsverhältnisse, d.h. Verwaltungsangelegenheiten, welche der Verwaltungsgemeinschaft von der Gemeinde übertragen worden seien, auf die betreffende Mitgliedsgemeinde zurückfielen.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, Straßenausbaubeiträge für den streitigen Zeitraum könnten nur auf Grund einer Satzung der Verwaltungsgemeinschaft durch die im eigenen Namen handelnde Verwaltungsgemeinschaft erhoben werden, sei rechtsirrig. Mit Wirkung vom 24. September 2000 sei der Verwaltungsgemeinschaft nicht mehr die Wahrnehmung der Aufgabe der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zur Erfüllung übertragen gewesen. Sie habe ihre Zuständigkeit verloren; Verwaltungsakte, die sie gleichwohl erlassen würde, seien gem. § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG wegen absoluter Unzuständigkeit nichtig.

Schließlich stehe die von ihr vertretene Auffassung auch in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Kompetenznormen des Art. 28 Abs. 2 GG bzw. Art. 87 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Verf LSA. Denn es gelte der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gemeinden im örtlichen Bereich. Sie - die Beklagte - habe das Recht zur Rechtsetzung durch den Erlass kommunaler Satzungen. Habe die Verwaltungsgemeinschaft von der ihr übertragenen Regelungskompetenz keinen Gebrauch gemacht, indem sie, wie im vorliegenden Fall, eine Straßenausbaubeitragssatzung nicht erlassen habe, bleibe es somit, auch für die Vergangenheit, bei der Zuständigkeit der Gemeinde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dessau - 3. Kammer - vom 10. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie haben sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (vgl. § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage zu Recht stattgeben. Denn die Beitragsbescheide der Beklagten vom 19. November 2001 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. Oktober 2004 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Grundlegende Voraussetzung für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen ist, dass die beitragserhebende Körperschaft zum Zeitpunkt der Ausbaumaßnahmen auch Träger der entsprechenden Straßenbaulast (§ 9 StrG LSA) war (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 29. Juli 2004 - 2 O 52/04 -, zit. nach JURIS; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. A. § 28 Rdnr. 4 ff.; vgl. auch VerfGH Bayern, Entsch. v. 12. Januar 2005 - Vf.3-VII-03 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15. März 2005 - 6 A 12088/04 -, jeweils zit. nach JURIS). Denn nur dann ist der Körperschaft überhaupt ein Aufwand entstanden, den sie gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA durch Beiträge decken darf. Nicht die Beklagte, sondern die Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden war jedoch nach der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung vom 1. Januar 1994 i.d.F. der 1. Änderung vom 29. Juni 1994 unstreitig im Zeitraum der hier streitbefangenen Ausbaumaßnahmen Trägerin der Straßenbaulast. Die 2. Änderung der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung führte schon deshalb zu keiner anderen Rechtslage, weil die Rückübertragung der zur Erfüllung übertragenen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben der Mitgliedsgemeinden, u.a. der Straßenbaulast, nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgte. Es spricht darüber hinaus alles dafür, dass eine rückwirkende Änderung der Straßenbaulast ausgeschlossen ist (vgl. auch § 11 StrG LSA).

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass mit der 2. Änderung der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung auch die Wahrnehmung der Aufgabe der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen auf die Mitgliedsgemeinden zurückübertragen worden sei, so dass die Verwaltungsgemeinschaft diese Zuständigkeit verloren habe, kann offen bleiben, ob diese Zuständigkeitsregelung auch Geltung für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen für in der Vergangenheit liegende Maßnahmen hat. Jedenfalls ändert eine solche, möglicherweise der Erhebung durch die Verwaltungsgemeinschaft entgegen stehende Regelung nichts daran, dass jedenfalls die Beklagte auf Grund ihrer fehlenden Straßenbaulast im entscheidungserheblichen Zeitraum nicht zu einer Erhebung befugt ist.

Die Auflösung der Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden hat nicht dazu geführt, dass die Beklagte auf Grund der Stellung als Rechtsnachfolgerin der Verwaltungsgemeinschaft eine Befugnis zur Erhebung der streitbefangenen Straßenausbaubeiträge erlangt hat. Denn gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 der am 18. Dezember 2004 veröffentlichten Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung der Verwaltungs ist diese Verwaltungsgemeinschaft Rechtsnachfolgerin u.a. der Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden geworden. Dass in der nach § 84 Abs. 4 GO LSA zu treffenden Auseinandersetzungsvereinbarung (Satz 1), die von der Kommunalaufsichtsbehörde zu genehmigen ist, bzw. in den erforderlichen Bestimmungen der Kommunalaufsichtsbehörde (Satz 2, 3) etwas anderes geregelt worden ist, ist angesichts der Genehmigung der Verwaltungsgemeinschaftsvereinbarung der Verwaltungs durch die Kommunalaufsichtsbehörde nicht anzunehmen.

Die von der Beklagten für die Rechtslage nach dem bayerischen Landesrecht getroffenen Ausführungen gehen ins Leere. Wie die Beklagte selbst einräumt, sind entsprechende Regelungen in der GO LSA nicht enthalten.

Der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gemeinden kommt dann von vornherein nicht zum Tragen, wenn die Gemeinden selbst - wie hier - pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben, u.a. die Straßenbaulast, gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 GO LSA auf die Verwaltungsgemeinschaft zur Erfüllung im eigenen Namen übertragen (vgl. dazu auch OVG LSA, Urt. v. 2. Dezember 1999 - A 1 S 16/99 -). Dass die Verwaltungsgemeinschaft Elster-Seyda-Klöden von den ihr übertragenen Zuständigkeiten keinen Gebrauch gemacht hat, führt nach den einschlägigen Regelungen der GO LSA nicht dazu, dass diese Zuständigkeiten wieder an die Mitgliedsgemeinden zurückfallen. Im Übrigen wird vor allem die Straßenbaulast ersichtlich nicht durch einen "fehlenden Gebrauch" berührt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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