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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 04.11.1999
Aktenzeichen: B 2 S 434/99
Rechtsgebiete: KAG-LSA, GO-LSA, GG, LSA-LVerf


Vorschriften:

KAG-LSA § 6 I
KAG-LSA § 6 II
KAG-LSA § 6 VI
KAG-LSA § 9
KAG-LSA § 6d II S 1
KAG-LSA § 13 I
KAG-LSA § 6
GO-LSA § 44 III 3
GG Art. 20 III 3
LSA-LVerf § 2 III
LSA-LVerf § 2 IV
1. Die sachliche Beitragspflicht kann bei einem Straßenausbau nur entstehen, wenn die Anlage tatsächlich fertig gestellt und die Aufwandshöhe nicht mehr veränderbar ist (regelmäßig nach Eingang der letzten Unternehmerrechnung) und wenn eine wirksame Satzung die Berechenbarkeit zulässt.

Dabei war nach der Rechtslage vor dem Änderungsgesetz 1999 unerheblich, ob die Satzung vor Beginn der Maßnahme in Kraft getreten war.

Das gilt sowohl für das Kommunalabgabengesetz in seiner ursprünglichen Fassung als auch nach der Änderung von 1997, welche diese Rechtslage für das "leitungsgebundene" Beitragsrecht ausdrücklich klargestellt hatte. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung auch für das übrige Beitragsrecht ließ sich kein "Umkehrschluss" ziehen (insoweit Bestätigung von OVG LSA, Beschl. v. 19.2.1998 - B 2 S 141/97 -).

2. Soweit das sachsen-anhaltische Kommunalabgabenrecht nunmehr seit 1999 bestimmt, eine (wirksame) Satzung müsse bereits vor der später den Beitrag auslösenden Maßnahme vorliegen, handelt es sich um eine zusätzliche Voraussetzung.

3. Das Gesetz von 1999 ändert die Rechtslage für den Straßenausbaubeitrag, soweit nunmehr zusätzlich verlangt ist, dass die Satzung bereits vor Beginn der Maßnahme in Kraft getreten ist.

Das Änderungsgesetz von 1999 wirkt nur für die Zukunft, weil es sich keine Rückwirkung beimisst.

4. Eine "Rückwirkung" oder "Korrektur" der zum bisherigen Recht ergangenen Rechtsprechung des Senats tritt auch nicht deshalb ein, weil im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen worden ist, die Änderung solle nur eine "Klarstellung" bewirken.

Die Gerichte sind an Gesetz und Recht und nicht an Meinungsäußerung des Parlaments über die Auslegung seiner Gesetze gebunden, soweit diese Äußerung nicht anerkanntes Auslegungsmaterial bei der Rechtsanwendung geworden ist, welche den Behörden und Gerichten zusteht.

5. Jedenfalls vor dem Änderungsgesetz von 1997 bedurfte es vor dem Ausbau der Verkehrsanlage weder nach dem Kommunalabgabenrecht noch nach dem Kommunalverfassungsrecht eines besonderen Ratsbeschlusses (Beschlusses der Gemeindevertretung).


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: B 2 S 434/99

Datum: 04.11.1999

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 146 Abs. 4, 5; 124 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. des Gesetzes vom 1.11. 1996 (BGBl I 1626) - VwGO - sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO [Kosten] und auf §§ 13 Abs. 2; 20 Abs. 3 GKG [Streitwert].

1. Die Beschwerde ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Dabei kann der Senat offen lassen, ob "ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses hinreichend dargelegt worden sind; jedenfalls bestehen die behaupteten Zweifel nicht.

Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, vor der letzten Rechtsänderung des Kommunalabgabengesetzes - KAG-LSA - durch das Gesetz vom 16.4.1999 (GVBl. LSA S. 150) sei die sachliche Beitragspflicht nur entstanden, wenn die Gemeinde die Anlage fertiggestellt (Eingang der letzten Unternehmerrechnung) und eine wirksame Straßenausbaubeitragssatzung erlassen hatte.

Das entspricht der Auffassung des Senats zu den früheren Fassungen des Kommunalenabgabengesetzes (Beschl. v. 19.2.1998 - B 2 S 141/97 -). Der durch Gesetz vom 6.10.1997 (GVBl. LSA S. 878) anläßlich des sog. "Zweiten Heilungsgesetzes" eingefügte § 6 Abs. 2 S. 2 KAG-LSA enthielt deshalb für das "leitungsgebundene Anlagenrecht" lediglich eine ausdrückliche Bestätigung der schon früher bestehenden Rechtslage, ohne dass aus dieser Bestimmung für andere Bereiche des Kommunalabgabengesetzes ein Umkehrschluss hätte gezogen werden können.

Die Angriffe der Antragsschrift gegen die zur Rechtslage vor der letzten Änderung ergangene Rechtsprechung des Senats veranlassen diesen nicht, seine zum alten Recht vorgenommene Auslegung nunmehr nachträglich aufzugeben. Zur Korrektur der früheren Rechtsprechung zum bisherigen Recht besteht insbesondere nicht deshalb Anlass, weil der Landtag von Sachsen-Anhalt auch für die Vergangenheit von einem anderen Ansatz ausgegangen ist; denn nicht die Rechtsanwendung, sondern die Gesetzgebung ist Sache des Parlaments. Verwaltung und Gerichte sind an die Gesetzgebung gebunden, nicht an Meinungen oder Auffassungen, die bei Gelegenheit eines Änderungsgesetzes geäußert oder niedergelegt werden.

Die Auffassung des Senats zum früheren Rechtszustand beruhte im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

"Mit der Beitragspflicht entsteht notwendigerweise auch der Anspruch des Abgabengläubigers (Gemeinde) gegen den Abgabenschuldner (Grundstückseigentümer). Dieses Beitragsschuldverhältnis kann nur entstehen, wenn es voll ausgebildet ist. Das bedeutet, es entsteht nur, wenn der beitragsfähige Aufwand und der Anteil daran, der auf den Abgabenschuldner entfällt, in bestimmter Höhe feststeht und der Höhe nach auch nicht mehr geändert werden kann; denn nur dann ist die Beitragspflicht in der Lage, die Festsetzungsverjährungsfrist in Lauf zu setzen (vgl. BVerwG Urt. v. 22.8.1975 - IV C 11.73 - BVerwGE 49, 131). Gemäß §§ 170 AO i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 4 b KAG-LSA beginnt die Festsetzungsverjährungsfrist aber mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist. Demnach kann die Beitragspflicht erst dann entstehen, wenn der Beitrag auch der Höhe nach voll ausgebildet ist".

Dies ist erst beim Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung der Fall; denn erst dann ist der Beitrag auch der Höhe nach berechenbar.

Dieses Ergebnis wird noch durch ein weitere Erwägung bekräftigt:

Gemäß § 6 Abs. 9 KAG-LSA ruht der Beitrag mit seinem Entstehen als öffentliche Last auf dem Grundstück. Öffentliche Lasten sind die auf einem nicht privatrechtlichen Titel beruhenden Abgaben und Leistungen, die auf dem Grundstück nach Gesetz oder Verfassung haften. Die öffentliche Last ist mithin ein auf öffentlichem Recht beruhendes Grundpfandrecht am belasteten Grundstück. Sie gewährt dem Abgabengläubiger ein Befriedigungsrecht (BVerwG, Urteil v. 31. 1.1975 - IV C 46.72 - Buchholz 406.11 § 134 [BBauG] Nr. 2; zu der insoweit vergleichbaren Vorschrift im Erschließungsbeitragsrecht) an dem haftenden Grundstück und verpflichtet den jeweiligen Eigentümer des belasteten Grundstücks, wegen der dinglich gesicherten Abgabenforderung die Zwangsvollstreckung in diese zu dulden (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AO, § 13 Abs. 1 Nr. 2d KAG-LSA). Die öffentliche Last entsteht mit der sachlichen Beitragspflicht; das Entstehen der öffentlichen Last ist ausschließlich von dieser sachlichen Beitragspflicht, nicht aber vom Beitragsbescheid abhängig. Entsteht die Beitragspflicht, so entsteht damit zugleich auch die öffentliche Last, um fortan bis zur Tilgung der Beitragsschuld als dingliches Recht auf dem Grundstück zu ruhen (BVerwG, a. a. O.). Wird der kraft Gesetzes begründete Beitragsanspruch der Gemeinde erfüllt, erlischt auch die öffentliche Last. Ihr Bestand ist dem Grunde und der Höhe nach abhängig vom Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 5. Aufl. § 27 Rdn. 8 m. w. N..). Ist die öffentliche Last von der Höhe des Beitragsanspruches abhängig, so kann sie nur entstehen, wenn auch der Beitragsanspruch berechenbar ist. Berechenbar ist der Beitragsanspruch aber nur aufgrund einer wirksamen Satzung. Mithin kann der Beitragsanspruch nur beim Vorliegen einer wirksamen Satzung entstehen.

Entgegen der in der Antragsschrift auf der Grundlage der Materialien zum letzten Änderungsgesetz vertretenen Auffassung handelte es sich bei § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG-LSA n. F. um keine reine "Klarstellung" schon immer geltenden Rechts, sondern um eine (teilweise) Änderung gegenüber dem früheren Rechtszustand. Sie besteht allein darin, dass nunmehr beim Ausbau von Verkehrsanlagen als zusätzliche Voraussetzung neben die Fertigstellung der Anlage und dem Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung diese zeitlich bereits vor der Entscheidung über die den Beitrag später auslösende Maßnahme vorliegen muss.

Diese Rechtsänderung wirkt erst mit dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes 1999 (am Tag nach seiner Verkündung vom 21.4.1999).

Das Änderungsgesetz ordnet in seinem Wortlaut keine Rückwirkung an.

Eine Rückwirkung ergibt sich auch nicht im Wege der Auslegung (vgl. zur Wortlaut-Bindung und zu den Möglichkeiten sowie Grenzen der Auslegung: BVerfG, Beschl. v. 23.10.1958 - 1 BvL 45/56 - BVerfGE 8, 210 [221]; Beschl. v. 17.5.1960 - 2 BvL 11/59, 11/60 - BVerfGE 11, 126 [130 f]; Beschl. v. 24.5.1967 - 1 BvL 18/65 - BVerfGE 22, 28 [37]; Beschl. v. 21.5.1968 - 2 BvL 10/66, 3/67 - BVerfGE 24, 1 [15]; Beschl. v. 19.6.1973 - 1 BvL 39/69, 14/72 - BVerfGE 35, 263 [278 f]; Beschl. v. 23.10.1985 - 1 BvL 1053/82 - BVerfGE 71, 108 [116]).

Weder die systematische noch die teleologische Auslegung bieten Anhaltspunkte für die Annahme der Rückwirkung des § 6 Abs. 6 S. 1 KAG-LSA i. d. F. vom 16.4.1999 auf die alte Gesetzeslage. Einzig die historische, an den Motiven des Gesetzgebers orientierte, Auslegung könnte überhaupt im Sinne der Antragsschrift fruchtbar gemacht werden.

Der Gesetzgeber wollte, dies ergeben die Gesetzesmaterialien, Straßenausbaumaßnahmen, die ohne eine Satzung tatsächlich durchgeführt wurden, auch für die Vergangenheit beitragsfrei belassen (vgl. Bericht der Berichterstatterin des Ausschusses für Inneres, Frau Theil [PDS], in der Sitzung vom 11.3.1999, Plenarprotokoll 3/16 vom 11.3.1999, S. 960). Ebenso unmissverständlich ergibt sich aber aus denselben Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber dies bewusst ohne eine rückwirkende Regelung bewerkstelligen wollte; denn er unterlag der unrichtigen Auffassung, dass die Möglichkeit der Veranlagung zu Ausbaubeiträgen ohne vorherige Satzung auf einer seiner Meinung nach rechtsirrigen Entscheidung des erkennenden Senats beruht, die er mit der Gesetzesänderung vom April 1999 korrigieren wollte. Er war sich hingegen nicht bewusst, dass er das vom ihm gewünschte Ergebnis nur erreichen könnte, wenn er neue zusätzliche Anforderungen für das Entstehen der Beitragspflicht im Straßenausbaubeitragsrecht auch für die Vergangenheit schafft. Will der Gesetzgeber diesen neuen zusätzlichen Anforderungen auch für die Vergangenheit Geltung verschaffen, so wäre dies ein genereller gesetzlicher Beitragserlass, den der Gesetzgeber de lege ferenda nur durch eine rückwirkende Regelung des § 6 Abs. 6 S. 1 KAG-LSA n. F. erreichen könnte.

Auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe einen angeblich fehlenden Ausbaubeschluss des Rates nicht hinreichend gewürdigt, führt nicht zur Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Denn eines solchen ausdrücklichen Ausbaubeschlusses des Gemeinderates bedurfte es schon nicht.

Soweit § 6 d Abs. 2 S. 1 KAG-LSA bei Anliegerstraßen vor der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen von einer "Entscheidung der Gemeinde über eine beitragsauslösende Maßnahme" spricht, kann offenbleiben, ob dies stets eine ausdrückliche Entschließungsentscheidung des Gemeinderates über den Straßenausbau von Anliegerstraßen beinhaltet; denn § 6 d Abs. 2 S.1 KAG-LSA galt vor dem technischen Ausbau der hier strittigen Maßnahme noch nicht. Die Vorschrift wurde erst mit der Neufassung des Kommunalabgabengesetzes vom 13.6.1996 (GVBl. LSA S. 200) in das Kommunalabgabengesetz (ebenfalls ohne Rückwirkung) aufgenommen.

Für die demnach maßgebliche alte Rechtslage geben die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Beanstandungen keinen Anlass. Die Frage, ob, wie und wann eine Gemeinde eine Straße ausbaut, ist Gegenstand der der Gemeinde nach dem Straßenrecht obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgabe "Ausbaulast". Die Erfüllung der gemeindlichen Ausbaulast findet Grenzen in der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinde, d. h. in ihrer ordnungsgemäßen Haushaltsführung, die sich wiederum nach dem Kommunalrecht richtet. Ob, wie und wann eine Gemeinde diese ihr obliegende Ausbaulast in Bezug auf eine bestimmte Straße realisiert, entscheidet "die Gemeinde". Weder das vor dem 13.6.1996 geltende alte Kommunalabgabenrecht noch der Ausschließlichkeitskatalog des § 44 Abs. 3 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 - GO LSA - (GVBl. LSA, S.568) schreibt einen Ratsbeschluss vor.

2. Soweit die Antragsschrift sich auch auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruft, ist dieser Grund nicht hinreichend dargelegt. Sie beschränkt sich nur auf den allgemeinen Hinweis der grundsätzlichen Bedeutung ohne dies näher auszuführen.

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