Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 2 TaBV 8/04
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, Richtlinie 2001/23/EG


Vorschriften:

BetrVG § 112
BetrVG § 112 a
BGB § 613 a
Richtlinie 2001/23/EG
Die Richtlinie 2001/23/EG nötigt nicht zu einer Auslegung des § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG dahin, dass es auf das Alter des Betriebes (und nicht: des Unternehmens) ankommt.
Sächsisches Landesarbeitsgericht BESCHLUSS

Az.: 2 TaBV 8/04

Chemnitz, 09.03.2005

In dem Beschlussverfahren

hat die 2. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts durch ihren Vorsitzenden, den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ..., sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Anhörung der Beteiligten am 09.03.2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers/Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bautzen vom 27.11.2003 - 9 BV 9002/03 - wird zurückgewiesen.

Rechtsbeschwerde ist zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in dem Beschwerdeverfahren unverändert darüber, ob die Stilllegung des Betriebes der L-GmbH (nicht: der L- und T-GmbH, wie es auf Seite 4 des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgerichts versehentlich heißt) unter der damit einhergehenden Beendigung aller Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen eine Sozialplanpflichtige Maßnahme nach § 112 BetrVG dargestellt hat.

Der Antrag stellende und Beschwerde führende Betriebsrat des stillgelegten Betriebes der Arbeitgeberin ist aufgrund Restmandates weiter im Amt.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Textilbranche. Sie beschäftigt sich mit der Herstellung, dem Vertrieb und dem Handel von Garnen, Zwirnen, Fasern und textilen Flächengebilden aus Natur- und Kunstfasern und deren Veredelung. Ihr Sitz ist in ...

Ihren Sitz in ... hatte auch die Fa. L- und T-GmbH, die 100 Arbeitnehmer beschäftigte. Über deren Vermögen wurde am 01.09.2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Verwalter führte ein weltweites Ausschreibungsverfahren durch, um einen Investor für die Übernahme des Unternehmens zu finden.

Den Zuschlag erhielt die Fa. E-GmbH u. a. deshalb, weil sie sich bereit erklärt hatte, die Zahl der Beschäftigten von 54 Mitarbeitern zu übernehmen und später deren Zahl auf 90 zu erhöhen und bis zum Jahre 2004 Investitionen in Höhe von 5,11 Mio € zu tätigen.

Die E-GmbH war mit Gesellschaftsvertrag vom 29.03.2000 und Handelsregistereintragung am 13.06.2000 zunächst als "..." W-GmbH gegründet worden. Mit Neufassung der Satzung aufgrund der Gesellschafterversammlung vom 19.09.2000 wurde die Firma dann in die E-GmbH geändert, eingetragen unter dem Handelsregister am 18.01.2001.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 17.05.2001, unter Handelsregistereintrag am 18.06.2001, wurde die VW-GmbH gegründet, deren Geschäftsanteile die E-GmbH übernahm. Durch Satzungsänderung aufgrund Gesellschafterversammlung vom 06.07.2001 wurde die Firma der WV-GmbH mit Handelsregistereintrag unter dem 02.10.2001 in L- GmbH, das ist die Arbeitgeberin, geändert.

Die VW-GmbH übernahm von dem insolventen Unternehmen das gesamte Anlagevermögen sowie Forderungen der Gesellschaft, insbesondere Anwartschafts- und Rückgewähr sowie Herausgabeansprüche, sämtliche Anlagen, Maschinen und Vorräte, Betriebs- und Geschäftsausstattung, PKw's, Lizenzen, Kunden- und Lieferantenlisten, gewerbliche Schutzrechte und sämtliche entwickelte Software. Des Weiteren ist sie in bestehende Leasing- und Mietverträge eingetreten. Über das Betriebsgrundstück und -gebäude wurde ein Mietvertrag abgeschlossen und eine Kaufoption eingeräumt. Außerdem übernahm sie 54 von ehemals 100 Mitarbeitern des insolventen Unternehmens.

Dessen Betrieb in ... wurde ununterbrochen bis zur Stilllegung zum 31.12.2003 unter Beendigung der Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen fortgesetzt.

Die E-GmbH beabsichtigte bei der Übernahme des Betriebes der L- und T-GmbH ein deutsch-chinesisches Joint Venture. Die Fa. F in der chinesischen Provinz ... sollte hierbei Rohstoffe und Grobgarne liefern und damit die strukturellen Probleme der Arbeitgeberin ausgleichen, die sich ihrerseits auf die Feingarnproduktion und den Technologietransfer nach ... konzentrieren sollte.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, einen Sozialplan bei Personalabbau erzwingen zu dürfen. Die Privilegierung für Unternehmen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung könne die Arbeitgeberin nicht in Anspruch nehmen. Abzustellen sei auf das - höhere - Alter des Betriebes. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei mit der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen vom 12.03.2001, ABl. EG Nr. L 82 vom 22.03.2001, Seite 16, der Richtlinie 2001/23/EG, nicht mehr vereinbar.

Weiter hat der Betriebsrat die Auffassung vertreten, dass es einen Grund für die Betriebsstilllegung nicht gebe. Denn das Rumpfgeschäftsjahr 2001 habe über den Erwartungen gelegen. Es habe der Arbeitgeberin an dem ernsthaften Willen gefehlt, die nach einem bestehenden Strategiepapier notwendigen Handlungen vorzunehmen. Es sei für 2002 kein Verlustausgleich durch die Gesellschafter vorgenommen, sondern der Arbeitgeberin lediglich ein Darlehen in Höhe von 140.000 € gewährt worden. Das Handeln der Arbeitgeberin lasse nur den Schluss zu, dass es hier ausschließlich darum gegangen sei, den Namen ... und den Kundenstamm zu übernehmen und die Vertriebsstrukturen stillzulegen, um einen Marktzugang zu erhalten und eine neue Struktur in Form der... aufzubauen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsstillegung des Betriebes der L-GmbH zum 31.12.2003 unter der damit einhergehenden Beendigung der Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen eine Sozialplanpflichtige Maßnahme nach § 112 BetrVG darstellt.

Die Arbeitgeberin hat

die Zurückweisung des Antrages

beantragt.

Die Arbeitgeberin bezieht sich auf die Ausnahme von der Sozialplanpflicht für neu gegründete Unternehmen. Weder sie noch die Fa. E-GmbH - wenn es darauf überhaupt ankäme - seien zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung älter als vier Jahre gewesen. Allein hierauf sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abzustellen, nicht auf das Alter des Betriebes. Anderes ergebe sich auch nicht aus der Richtlinie 2001/23/EG. Diese sichere den Arbeitnehmern lediglich bereits erworbene Rechte und Ansprüche. Die bloße Aussicht, bei einer Betriebsänderung durch einen erzwingbaren Sozialplan einen Ausgleich oder eine Milderung wirtschaftlicher Nachteile zu erhalten, sei kein "Recht" aus dem Arbeitsverhältnis, das der Arbeitnehmer bereits erworben habe.

Der E-GmbH sei die wirtschaftliche Situation der L- und T-GmbH, die sich schließlich in Insolvenz befand, bekannt gewesen. Sie habe jedoch erwartet, dass sich der Betrieb positiv entwickeln würde. Das geplante deutschchinesische Joint Venture sei daran gescheitert, dass sich F zurückgezogen habe. Deshalb und weil der Betrieb in ... keine Anfangserfolge gezeigt habe, seien von der chinesischen Muttergesellschaft der E-GmbH weitere Kreditmittelzusagen verweigert worden. Sie, die Arbeitgeberin, habe im Jahre 2002 ca. 700.000 € und bis Oktober 2003 189.000 € Verluste in Kauf nehmen müssen. Das hätte bei einer von Anfang an bestehenden Stilllegungsabsicht durch eine schnelle Stilllegung des Betriebes verhindert werden können.

Das vom Betriebsrat angegangene Arbeitsgericht Bautzen hat im Wesentlichen unter Wiedergabe und in Anwendung der Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 13.06.1989 (- 1 ABR 14/88 - AP Nr. 3 zu § 112 a BetrVG 1972) den Antrag zurückgewiesen. Auch aus Gründen des Europarechts sei keine andere Entscheidung gerechtfertigt. Ein rechtsmissbräuchliches Berufen auf die fehlende Sozialplanpflicht sei nicht zu erkennen.

Der Betriebsrat hat gegen den ihm am 26.03.2004 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts am 22.04.2004 Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung bis 28.06. 2004 am 28.06.2004 ausgeführt.

Der Betriebsrat bleibt bei seinem Vorbringen zur Sach- und Rechtslage aus dem Ersten Rechtszug.

Er beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bautzen vom 27.11.2003 - 9 BV 9002/03 - festzustellen, dass die Betriebsstilllegung der L-GmbH zum 31.12.2003 unter der damit einhergehenden Beendigung aller Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen eine sozialplanpflichtige Maßnahme nach § 112 BetrVG dargestellt hat.

Die Arbeitgeberin beantragt

die Zurückweisung der Beschwerde.

Auch sie bleibt bei ihrem Vorbringen zur Sach- und Rechtslage im Ersten Rechtszug und verteidigt den angegriffenen Beschluss.

Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens beider Beteiligter sowie der von ihnen geäußerten Rechtsansichten wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Denn es ist nicht festzustellen, dass die Betriebsstillegung (im Umfang des allerdings zulässigen Antrages) eine sozialplanpflichtige Maßnahme dargestellt hat.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag aus zutreffenden Erwägungen, denen die Beschwerdekammer folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG), zurückgewiesen.

1. Für Betriebe eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung lässt sich bei Personalabbau kein Sozialplan erzwingen. Die Vorschriften über den erzwingbaren Sozialplan nach § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG finden auf solche Betriebe nach § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG keine Anwendung.

Die Voraussetzung für diese Privilegierung erfüllte zum Zeitpunkt der Betriebsstilllegung sowohl die Arbeitgeberin selbst als auch die E-GmbH, auch wenn es auf Letztgenannte nicht ankommt. Denn die Gründung beider Unternehmen ist weniger als vier Jahre vor der Betriebsstilllegung erfolgt. Hinsichtlich der chinesischen Muttergesellschaft der E-GmbH kommt dem Betriebsverfassungsgesetz schon kein extraterritorialer Geltungsbereich zu.

Abzustellen ist nach ständiger und gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf das Alter des Unternehmens und nicht auf das Alter des Betriebes (BAG vom 13.06.1989 - 1 ABR 14/88 - AP Nr. 3 zu § 112 a BetrVG 1972, wie bereits vom Arbeitsgericht zitiert; bestätigt durch BAG vom 22.02.1995 - 10 ABR 21/94 und 10 ABR 23/94 - AP Nr. 7 und AP Nr. 8 zu § 112 a BetrVG 1972, jeweils m. N. d. zustimmenden h. M.; BAG vom 10.12.1996 - 1 ABR 32/96 - AP Nr. 110 zu § 112 BetrVG 1972).

a) Der Verlust einer Sozialplananwartschaft beim Übergang eines alten Betriebes oder Betriebsteils auf ein neu gegründetes Unternehmen ist Folge der ausdrücklichen Befreiung neu gegründeter Unternehmen von der Sozialplanpflicht nach § 112 a Abs. 2 BetrVG. Der damit verfolgte gesetzgeberische Zweck, ein unternehmerisches Neuengagement zu fördern und so zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, würde unterlaufen, wenn das abgebende Unternehmen eine vierjährige Ausfallhaftung übernehmen müsste. Dieses Risiko würde sich notwendigerweise im Kaufpreis niederschlagen und so mittelbar die neue unternehmerische Betätigung erschweren (vgl. BAG vom 10.12.1996, a.a.O.).

Die in der letztgenannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts noch als Gegenmeinung kenntlich gemachte Auffassung in dem Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz von (seinerzeit) Fitting/Kaiser/Heither/Engels ist in der letzten Auflage des Kommentars ausdrücklich aufgegeben worden (Fitting, BetrVG, 22. Auflage [2004], §§ 112, 112 a Rdnr. 90 ff.).

Die Gegenauffassung wird u. a. noch von Däubler (DKK, BetrVG, 8. Auflage [2002], §§ 112, 112 a, Rdnr. 35) vertreten. Danach lasse sich bei einem schon länger existierenden Betrieb sehr viel leichter eine Prognose abgeben, ob voraussichtlich ein Sozialplan nötig sein werde und was er kosten könne. Viel wichtiger sei aber, dass durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Grundgedanke des § 613 a BGB verletzt werde: Entgegen der eindeutigen Intention des Gesetzgebers, dass bei einem Betriebsinhaberwechsel keine rechtliche Verschlechterung eintreten solle, werde den betroffenen Beschäftigten die Aussicht auf einen Sozialplan genommen. Folge man gleichwohl der Rechtsprechung, so entstünde in Abweichung vom "Normalmodell" des § 613 a BGB ein wirtschaftlicher Nachteil, für den ein Ausgleich geschaffen werden müsse. Dieser könne in einer Abfindung wegen der wegfallenden Sozialplananwartschaft, aber auch darin bestehen, dass der Veräußerer für den Fall von Betriebsänderungen durch den Erwerber die Stellung eines "Sozialplangaranten" in der Weise übernimmt, dass er anstelle des Erwerbers über einen Sozialplan verhandelt und diesen aus eigenen Mitteln finanziert.

Diese Auffassung mag rechtspolitisch wünschenswert und das vorgeschlagene Modell sinnvoll sein. Allerdings ist nicht einsichtig, warum nicht der Gesetzgeber für den in § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannten Fall nicht von dem legislativen Grundmodell des § 613 a BGB hätte abweichen dürfen. Da § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG und § 613 a BGB (als im Range von Bundesgesetzen stehende Regelungen) gleichrangig sind, geht bei einer möglichen Kollision - wie hier - nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen die speziellere (und auch jüngere) Vorschrift vor. Dies ist hier die Regelung in § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG.

b) In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung von Däubler (a. a. O.) erkennt der Betriebsrat in dieser Auslegung jedoch einen Verstoß gegen die Richtlinie 2001/23/EG (von Däubler wird noch die ältere Richtlinie zitiert, was aber keinen Unterschied macht).

Indessen gebietet die Richtlinie 2001/23/EG keine andere Auslegung (Fitting, a. a. O., Rdnr. 92; Richardi/Annuß, BetrVG, 9. Auflage [2004], § 112 a Rdnr. 15). Denn nach Art. 3 Nr. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie gehen u. a. nur die Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über. Zu diesen individualrechtlichen Pflichten des Veräußerers gehört nicht seine kollektivrechtliche Verpflichtung, im Falle einer Betriebsveräußerung einen Sozialplan abzuschließen (vgl. BAG vom 13.06.1989, a. a. O.; Fitting, a. a. O.).

Dies gilt erst recht, wenn die Betriebsveräußerung nicht mit einer Betriebsstilllegung zusammenfällt. Denn dann bestehen im Zeitpunkt des Betriebsüberganges keine übergangsfähigen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspflichten des Veräußerers. Die Richtlinie gebietet schon nicht die unveränderte Fortgeltung betriebsverfassungsrechtlicher Rechtspflichten beim Betriebserwerber (Fitting, a. a. O.). Dies wird bestätigt durch Art. 6 Nr. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie. Sofern das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil seine Selbständigkeit behält, bleiben danach die Rechtsstellung und die Funktion der Vertreter oder der Vertretung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen erhalten, wie sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder aufgrund einer Vereinbarung bestanden haben, sofern die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Auch insoweit gilt aber, dass mangels Betriebsstilllegung zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs ein Anspruch auf Erstellung eines Sozialplans - also auch kollektivrechtlich - nicht bestanden hat, der nun vom Erwerber zu erfüllen wäre.

Das Auslegungsergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (6. Kammer vom 14.09.2000 - Rs. C 343/98 - [Collino, Cheappero], AP Nr. 29 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187). Nach Teilziffer 51 der Entscheidungsgründe dieses Urteils hat der Erwerber bei der Berechnung finanzieller Rechte wie einer Abfindung bei Vertragsende oder von Lohnerhöhungen alle von dem übernommenen Personal geleisteten Dienstjahre zu berücksichtigen, "soweit sich diese Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis zwischen diesem Personal und dem Veräußerer ergab" und gemäß den im Rahmen dieses Verhältnisses vereinbarten Modalitäten.

Zu einem etwaigen kollektivrechtlichen Anspruch auf Abschluss eines Sozialplans verhält sich der Europäische Gerichtshof nicht. Im Übrigen setzt auch er in der Entscheidung eine bestehende Verpflichtung voraus, woran es hier aber eben fehlt.

2. Allerdings tritt nach § 112 a Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Befreiung von der Sozialplanpflicht nicht ein für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen.

An einem konzernierten Unternehmen fehlt es hier.

Keine rechtliche Umstrukturierung eines Unternehmens stellt es dar, wenn von diesem - auch in seiner Insolvenz - lediglich dessen Betrieb erworben wird. Denn gesellschaftsrechtlich bleibt das den Betrieb abgebende Unternehmen unverändert und wird mithin auch nicht im Rechtssinne umstrukturiert.

3. Allerdings soll die Aufzählung der in § 112 a Abs. 2 Satz 2 BetrVG genannten Tatbestände nicht abschließend sein (vgl. die beiden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 22.02.1995, jeweils a. a. O.). Insbesondere kann eine Berufung auf die Befreiung von der Sozialplanpflicht rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Betrieb auf ein neu gegründetes Unternehmen übertragen und dann dort stillgelegt wird (BAG vom 13.06.1989, a. a. O.; BAG vom 10.12.1996, a. a. O.).

Tatsachen, die auf einen derartigen Rechtsmissbrauch schließen lassen, sind hier nicht festzustellen.

Immerhin ist der Betrieb eines insolventen Unternehmens übernommen und für fast zweieinhalb Jahre fortgeführt worden. Das macht keinen Sinn, wenn es ausschließlich darum gegangen wäre, den Namen ... verwenden zu können. Namen, unter denen ein Unternehmen im Rechtsverkehr und im Wirtschaftsleben auftritt oder die es verwendet, sind rechtsverkehrsfähig. Kommt ihnen ein merkantiler Wert zu, kann es für einen Dritten - namentlich für einen Konkurrenten - Sinn machen, sich in den Besitz des Namens zu bringen. Hier ist jedoch nicht erkennbar, warum zu diesem Zweck ein ganzer Betrieb übernommen und zunächst einmal fortgeführt werden musste.

Auch etwaige Äußerungen eines Geschäftsführers, man werde einen Betrieb im Falle schlechter Entwicklung stilllegen, lassen nicht auf eine von vornherein bestehende und möglicherweise sogar ausschließliche Stilllegungsabsicht schließen. Denn sie sind ambivalent. Sie - die Äußerungen - bedeuten umgekehrt auch, dass im Falle einer positiven Entwicklung keine Stilllegung erfolgt.

Etwaiges unternehmerisches Fehlverhalten lässt ebenfalls nicht auf eine von Anfang an vorhandene Stilllegungsabsicht schließen. Nach dem Ergebnis der Beschwerdeverhandlung haben sich zu Lasten der Arbeitgeberin letztlich Entscheidungen der E-GmbH ausgewirkt, welche dieser wiederum von deren chinesischer Mutter vorgegeben waren.

Die Neugründung eines Unternehmens mit dem Zweck, einen Betrieb des insolventen Unternehmens zu übernehmen, ist auch für sich betrachtet nicht rechtsmissbräuchlich. Ein solcher Vorgang wird in aller Regel die einzige Möglichkeit sein, einen Betrieb, an und mit dem bereits ein Unternehmen gescheitert ist, zu wirtschaftlich vertretbaren und kalkulierbaren Bedingungen übernehmen zu können. Die Aufnahme eines derartigen Betriebes in ein länger als vier Jahre existierendes gesundes Unternehmen dürfte sich in der Regel so lange verbieten, als noch Zweifel an der betriebswirtschaftlichen Entwicklung des Betriebes bestehen, hier angesichts der Insolvenz ja sogar bestehen mussten.

III.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil in Beschlussverfahren weder Gerichtskosten erhoben werden noch eine prozessuale Kostentragungspflicht besteht.

Einer Befassung des Europäischen Gerichtshofs im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 234 EG-Vertrag bedarf es nicht. Denn die den Betriebsübergang betreffende Richtlinie gebietet eindeutig nicht die unveränderte Fortgeltung betriebsverfassungsrechtlicher Rechtspflichten beim Betriebserwerber. Im Übrigen war der Europäische Gerichtshof bereits mit der Auslegungsfrage befasst (gegen Vorlagepflicht wie hier: Fitting, a. a. O., Rdnr. 92; dafür: Däubler, a. a. O.).

Allerdings ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es geht darum, ob im Lichte der Richtlinie 2001/23/EG und des angeführten Urteils des Europäischen Gerichtshofs § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG nunmehr im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die sich aber mit europarechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der jüngeren Richtlinie und der jüngeren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht befassen konnte, auszulegen und auf das Alter des Betriebes abzustellen ist.

Im Folgenden wird über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form belehrt.

Ende der Entscheidung

Zurück