Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 04.09.2007
Aktenzeichen: A 4 B 233/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1
1. Für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG reicht es grundsätzlich aus, dass sich eine vorhandene Erkrankung des Ausländers in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt (wie BVerwG, Urt. v. 17.10.2006, BVerwGE 127, 33).

2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG schützt jedoch nicht vor allen Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems im Zielstaat


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 4 B 233/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein auf die mündliche Verhandlung vom 4. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 1. Juni 2004 - A 4 K 30708/02 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen ein Urteil, durch das seine Klage auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG abgelehnt wurde.

Der in geborene muslimische Kläger stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien und gehört zur Volksgruppe der Bosniaken aus dem Sandzak. Er beantragte im Mai 1992 erstmals in Karlsruhe Asyl. Dort gab er an, er habe Jugoslawien am 2.5.1992 mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern verlassen, weil er in den Krieg habe geschickt werden sollen. Er habe als Transportarbeiter gearbeitet, seine Frau sei Inhaberin eines Modegeschäfts gewesen.

Nach einer Anhörung lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag des Klägers und seiner Angehörigen auf Anerkennung als Asylberechtigte durch Bescheid vom 27.10.1994 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen und forderte den Kläger und seine Angehörigen auf, Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen.

Die dagegen am 18.11.1994 erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Leipzig durch Urteil vom 30.8.1995 - A 4 K 30892/94 - ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Heranziehung des muslimischen Klägers zum Wehrdienst stelle keine politische Verfolgung dar. Trotz seiner Wehrdienstentziehung sei es dem Kläger zuzumuten, in die Bundesrepublik Jugoslawien zurückzukehren. Eine Gruppenverfolgung von Moslems im Sandzak finde nicht statt. Eine asylrechtlich relevante Gefährdung wegen einer Parteimitgliedschaft (SDA) des Klägers liege ebenso wenig vor. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 29.2.1996 - A 4 S 88/06 - ab.

Im November 2001 beantragte der Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung aus dringenden humanitären Gründen. Dazu verwies er auf ein fachärztliches Attest von Dr. med vom (Diagnose: Hypertonie; hypertone Kardiomyopathie). Darüber hinaus legte er eine ärztliche Bescheinigung von Dr. med. (Diagnose: chronische Magenentzündung, Hypertonie mit Kardiomyopathie) sowie einen Arztbrief über einen stationären Aufenthalt vom bis im Herzzentrum B. vor. Dem Arztbrief ist zu entnehmen, dass der Kläger wegen einer akuten Herzerkrankung "mit dem Hubschrauber" eingeliefert worden sei. Er sei bereits 1998 und 2001 behandelt worden. Kardiologische Kontrolluntersuchungen seien in mindestens halbjährlichen Abständen empfehlenswert; bei erneuten Beschwerden sei eine direkte stationäre Einweisung ratsam.

Einem Schreiben der Stadt Leipzig an das Bundesamt vom 15.1.2002 ist zu entnehmen, dass der Kläger und seine Familie von der ZAB Chemnitz zur Abschiebung vorgesehen waren. Die Ausländerbehörde habe ein amtsärztliches Gutachten zur Beurteilung der Reisefähigkeit des Kläger erstellen lassen. Das Bundesamt werde um Prüfung gebeten, ob die Herzerkrankung des Klägers in Jugoslawien medizinisch behandelt werden könne. Das amtsärztliche Gutachten weist aus, dass der Kläger an einer chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankung (arterielle Hypertonie) leide, die bereits zu einer Organbeteiligung am Herzen mit Muskelmassenzunahme (Linksherzhypertrophie) geführt habe. Eine regelmäßige medizinische Betreuung mit kontinuierlicher medikamentöser Therapie (derzeit Kombinationstherapie zweier gebräuchlicher Herz-Kreislauf-Medikamente) sei zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes und zur Verhinderung weiterer Komplikationen erforderlich. Nach Angaben des Klägers sei eine Rückkehr in das Herkunftsgebiet mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden. Er fürchte, dort wegen unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten bzw. fehlender Mittel zum Erwerb von Medikamenten sterben zu müssen. Auch humanitäre Gründe sprächen gegen eine Abschiebung (Haus zerstört, Ablehnung durch Teile der Bevölkerung). Aus medizinischer Sicht sei zusammenfassend festzustellen, dass der Kläger eine chronische Herz-Kreislauf-Erkrankung aufweise, die dauernd behandlungsbedürftig sei. Eine Besserung des Krankheitsbildes sei nicht zu erwarten. Eine mehrstündige Reise (auch ein Kurzstreckenflug) sei dem Kläger nicht zuzumuten.

Mit Schreiben vom 8.2.2002 teilte das Bundesamt der Stadt Leipzig mit, dass die Abschiebungsandrohung seit dem 7.4.1996 vollziehbar sei; nach Abschluss des Asylverfahrens bestehe für das Bundesamt kein weiterer Handlungsbedarf. Für die Prüfung von Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland sei das Bundesamt nicht mehr zuständig.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 14.3.2002 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, mit dem er auf eine politische Verfolgung aufgrund seiner Volks- und Religionszugehörigkeit verwies. Im nachfolgenden Schriftsatz vom 28.3.2002 führte er aus, am Vorliegen einer politischen Verfolgung werde nicht mehr festgehalten. Er beantrage jedoch, die Voraussetzungen des § 53 AuslG festzustellen, weil er während seines Aufenthalts in Deutschland erkrankt sei. Er leide an einer schweren Herzerkrankung und sei auf eine ständige medizinische Betreuung sowie auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen. Die erforderlichen Medikamente stünden ihm bei einer Abschiebung nicht mehr regelmäßig zur Verfügung. Krankheitsbedingt könne er keine Arbeit aufnehmen und die Medikamente deshalb nicht bezahlen. Während seines zehnjährigen Aufenthalts in Deutschland seien seine Schwägerin und zwei Brüder in Jugoslawien verstorben, weil sie weder Geld noch Medikamente gehabt hätten. Die einzige Klinik, die den Kläger behandeln könne, befinde sich in Belgrad in einer Entfernung von etwa km vom Heimatort des Klägers. Bis zum Erreichen dieser Klinik sei jede Hilfe zu spät. Bereits jetzt leide er an Atemnot, für deren Behandlung er Spray benötige.

Mit Schreiben vom 3.4.2002 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, der Folgeantrag werde in einen Wiederaufnahmeantrag bezüglich § 53 AuslG "umgewandelt".

Mit Anwaltsschriftsatz vom 15.4.2002 reichte der Kläger Schreiben des behandelnden Arztes Dr. med. vom sowie ein Attest von Dr. med. vom zu den Akten. Danach leide er an Hypertonie sowie an einer Herzvergrößerung; er bedürfe ständiger ärztlicher Betreuung und müsse ständig blutdrucksenkende Medikamente einnehmen.

Mit Bescheid vom 15.7.2002 (zugestellt am 17.7.2002) lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers und seiner Frau auf Abänderung des Bescheids vom 27.10.1994 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab. Die (ursprünglichen) Asylanträge seien unanfechtbar abgelehnt worden, Wiederaufnahmegründe i.S.v. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen nicht vor. Grundsätzlich seien nur solche Gründe berücksichtigungsfähig, die zulässigerweise - insbesondere fristgerecht - geltend gemacht worden seien. Dem Kläger sei seine Erkrankung jedenfalls schon am 24.9.2001 bekannt gewesen, er habe den Antrag jedoch erst am 15.3.2002, also mehr als drei Monate nach Kenntnis vom Wiederaufgreifensgrund, gestellt. Gründe, die eine Änderung der bisherigen Entscheidung unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG rechtfertigen könnten (§ 51 Abs. 5 VwVfG), lägen nicht vor. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG seien nicht gegeben. Insbesondere bestehe keine extreme Gefahrenlage für den Kläger i.S.v. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Eine solche ergebe sich weder aus der allgemeinen wirtschaftlichen Situation noch aus der medizinischen Versorgungslage in der Bundesrepublik Jugoslawien.

Der Kläger hat am 19.7.2002 Klage erhoben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Mit Beschluss vom 22.9.2003 - A 4 K 30636/03 - ordnete das Verwaltungsgericht Leipzig im Wege der einstweiligen Anordnung an, dass die Abschiebung des Klägers vorläufig zu unterbleiben habe. Es sei nicht zweifelsfrei geklärt, ob die Herzerkrankung des Klägers noch lebensbedrohlich und ob eine medizinische Versorgung im Herkunftsland gewährleistet sei. Mit der Antragsschrift hatte der Kläger mehrere Schriftstücke zu seinem Gesundheitszustand vorgelegt, darunter eine Entlassungsmitteilung des S. Klinikums S. in L. nach einem stationären Aufenthalt vom bis zur - erfolgreich durchgeführten - Stentimplantation sowie das Ergebnis einer Herzkathederuntersuchung vom 3.7.2003. Mit Schriftsatz vom 19.8.2003 legte der Kläger ein Gutachten von Dr. med. vor, nach dem der Kläger an einer koronaren Zweigefäßerkrankung, artieller Hypertonie (Bluthochdruck), Hyperlipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung) und Adipositas (krankhaftes Übergewicht) leide. Zur Sicherstellung des erreichten Therapiezustands sei die Fortführung der Medikation unumgänglich.

Im parallel geführten Klageverfahren verwies der Kläger u.a. auf einen Spendenaufruf von Ärzten aus dem Sandzak, die zur Durchführung kostenloser Untersuchungen um Medikamente baten. Mit Urteil vom 1.6.2004 - A 4 K 30708/02 - hat das Verwaltungsgericht Leipzig die Klage auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG abgewiesen. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen nicht vor. Eine Verfolgung der muslimischen Bevölkerungsgruppe im Sandzak lasse sich gegenwärtig nicht feststellen. Aus den "gesundheitlichen Probleme" des Klägers lasse sich kein Wiederaufgreifensgrund ableiten. Auch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 1.6.2004 vorgelegten Dokumente und die neuerliche Bezugnahme auf die chronische Herzerkrankung führten zu keinem anderen Ergebnis. Die Hausmitteilung der Stadt vom 12.3.2004 betreffe nur die Reisefähigkeit des Klägers. Eine Gesundheitsversorgung in Serbien und Montenegro gewährleistet; auch Herzerkrankungen seien behandelbar. Im Übrigen werde auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts vom 15.7.2002 verwiesen.

Den bereits mit der Klageschrift vom 18.7.2002 gestellten Prozesskostenhilfeantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1.6.2004 unter Hinweis auf die Gründe des Urteils vom selben Tag wegen fehlender Erfolgsaussicht ab.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 29.3.2005 - A 4 B 672/04 - die Berufung wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen. Der Zulassungsbeschluss ist dem Kläger am 5.4.2005 zugestellt worden.

Mit seiner innerhalb der verlängerten Frist begründeten Berufung macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt fehlerhaft gewürdigt und sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine ärztliche Behandlung in Serbien und Montenegro möglich sei. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 17.10.2006, BVerwGE 127, 33) seien an die konkret drohende Gefahr einer Gesundheitsverschlechterung keine allzu strengen Maßstäbe anzusetzen. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmere, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr von Leib oder Leben führe. Ein solcher Fall liege hier vor. Nach Abschluss des ersten Asylverfahrens habe sich der Gesundheitszustand des Klägers lebensbedrohlich verschlechtert; insoweit sei auf die ärztlichen Bescheinigungen vom 27.6.2005 und 24.8.2007 zu verweisen. Er leide an schwerer Diabetes und an einer akuten Herzerkrankung. Bei einer Rückführung in seine Heimat könne er die nötigen Medikamente nicht mehr beschaffen. Der Abbruch der Medikation hätte eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zur Folge; ihm drohe permanent ein Herzinfarkt oder ein Kreislaufzusammenbruch. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes gebe es bereits jetzt einen Notfallplan zwischen dem behandelnden Arzt und dem S. Klinikum S. in L. . In Serbien sei eine intensivmedizinische Notfallbehandlung des Klägers nur in einem privaten Krankenhaus in Belgrad möglich; einen acht- bis zehnstündigen Transport von seinem Heimatort nach Belgrad würde er jedoch nicht überleben. Schon die Möglichkeit einer zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts in Deutschland löse Panikattacken bei ihm aus. Von einer Flugreise hätten ihm die behandelnden Ärzte dringend abgeraten. Das Auswärtige Amt verweise in seinem Internetauftritt Urlaubsreisende darauf, dass eine medizinische Versorgung nach deutschem Standard in Serbien und Montenegro nicht gewährleistet sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 1. Juni 2004 - A 4 K 30708/02 - zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15. Juli 2002 zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbiens und Montenegros festzustellen.

Die Beklagte und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten haben sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorgelegten Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beteiligte und die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen waren. Der Beteiligte hat schriftsätzlich auf eine Ladung verzichtet; die Beklagte hat nach Erhalt der Ladung mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Soweit der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots für Montenegro begehrt, ist die Klage bereits unzulässig, weil für diesen Staat keine Abschiebungsandrohung vorliegt. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) des Senats keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbiens vorliegen.

Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. I S. 1970) nicht geändert wurde, soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.

Bei der Prognose, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Serbien (Zielstaat) wegen seines Gesundheitszustands eine solche Gefahr droht, geht der Senat von dem Prüfungsmaßstab aus, den das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 17.10.2006 (BVerwGE 127, 33) dargelegt hat. Danach hat sich durch den Übergang von § 53 Abs. 6 AuslG zu § 60 Abs. 7 AufenthG für die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses bzw. -verbots nichts geändert (BVerwG, aaO, S. 35). Da § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote erfasst, hat der Senat - wie in der mündlichen Verhandlung erläutert - die Reisefähigkeit des Klägers als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis nicht zu prüfen.

Die vom Kläger geltend gemachte Gefahr, dass sich seine Erkrankungen aufgrund der Verhältnisse in Serbien verschlimmern, betrifft wegen ihres - wie im Regelfall anzunehmenden - singulären Charakters eine individuelle Gefahr, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist, nicht angesprochen ist eine allgemeine Gefahr oder "Gruppengefahr" i.S.v. Satz 2 mit einer Vielzahl von Betroffenen und dem Erfordernis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung (zur Abgrenzung: BVerwG, aaO, S. 36 m.w.N.). Für die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG reicht es grundsätzlich aus, dass sich eine vorhandene Erkrankung des Ausländers in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führen, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht.

Entgegen den Ausführungen des Klägers ist dieser allgemeine Maßstab hier nicht anwendbar, weil das (erste) Asylverfahren des Klägers bereits abgeschlossen wurde.

Da der erste Bescheid des Bundesamts vom 12.10.1994 zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen bestandskräftig geworden ist, besteht nur unter den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein Anspruch auf "erneute" Feststellung des Bundesamts zu § 60 Abs. 7 AufenthG (BVerwG, aaO, S. 41 f.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Erkrankungen des Klägers insgesamt nicht erfüllt. Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG muss ein Wiederaufgreifensantrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Diese Frist hat der Kläger versäumt. Dies gilt unabhängig davon, ob man auf den Asylfolgeantrag vom 14.3.2002 oder auf den nachfolgenden Antrag vom 28.3.2002 abstellt jedenfalls deshalb, weil dem Kläger seine schwere Herzerkrankung, wegen der er mindestens seit 1998 ärztlich behandelt wurde, spätestens seit Anfang 2001 bekannt war. Dem bei den Akten befindlichen Arztbrief aus B. ist zu entnehmen, dass der Kläger im Mai 2001 wegen seiner akuten Herzerkrankung "mit dem Hubschrauber" eingeliefert werden musste. Soweit die ärztliche Bescheinigungen des Klägers vom und neben den zuvor bekannten Erkrankungen (koronare Zweigefäßerkrankung, artielle Hypertonie, Hyperlipoproteinämie, Adipositas) nunmehr auch eine Diabeteserkrankung (Typ IIb) diagnostizieren, mag offen bleiben, ob daraus möglicherweise ein neuer Wiederaufgreifensgrund abgeleitet werden könnte, weil der Kläger keinen neuen Wiederaufgreifensantrag unter Hinweis auf die "neue" Erkrankung gestellt hat. Entsprechendes gilt für die in der Bescheinigung vom angedeutete Verschlechterung des Krankheitsbilds, die auch auf die "geringe Fähigkeit (des Klägers) zur Mitwirkung an der Behandlung" (so S. 2 der ärztlichen Bescheinigung vom ) zurückzuführen sein mag.

Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (aaO, S. 42 m.w.N.; Urt. v. 20.10.2004, BVerwGE 122, 103) ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Bundesamts nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in Betracht. Nur im Fall einer extremen individuellen Gefahrensituation besteht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Das Bundesamt hat in dem angefochtenen Bescheid vom 15.7.2002 bereits eine Ermessensentscheidung durchgeführt und dabei insbesondere die Lebensbedingungen von Rückkehrern in das damalige Serbien und Montenegro sowie die maßgeblichen Fragen zur Gesundheitsversorgung unter Berücksichtigung der damaligen Erkenntnismittellage angesprochen. Ermessensfehler sind insoweit auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.

Mit dem Bayerischen VGH (Beschl. v. 4.10.2004 - 21 B 03.31150 -, nicht veröffentlicht) ist zunächst davon auszugehen, dass § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit der Formulierung "erhebliche Gefahr" keinen Anspruch auf Bewahrung eines besonders hohen deutschen medizinischen Standards gewährt, sondern nur Schutz davor bietet, dass eine vom Durchschnitt des medizinischen Standards aller entwickelten Länder nicht mehr als wirksam hinnehmbare Behandlung in personeller und sachlicher Hinsicht zur Verfügung steht. Im Hinblick darauf sind gewisse Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems im Herkunftsstaat eines Ausländers vom Schutzbereich des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von vornherein nicht erfasst. In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass in seinem Heimatort im Sandzak keine hinreichende Behandlungsmöglichkeiten bestehe; vielmehr kann er darauf verwiesen werden, dass er bei einer Rückführung dort Wohnung nimmt, wo eine Behandlungsmöglichkeit - auch nach eigenen Angaben - besteht, also im Raum Belgrad (so auch BayVGH, aaO, für ein minderjähriges Kind). Nicht anders als nach der früheren Rechtslage wird auch bei § 60 Abs. 7 AufenthG ein Anspruch nur zu bejahen sein, wenn die Voraussetzungen im gesamten Zielstaat vorliegen.

Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.10.2002, DVBl. 2003, 463) und des erkennenden Senats (Urt. v. 26.5.2004 - A 4 B 84/04 -, UA S. 11 zu § 53 Abs. 6 AuslG) dem Ausländer eine hinreichende medizinische Versorgung allerdings auch tatsächlich individuell zur Verfügung stehen, für arbeits- und vermögenslose Ausländer also eine ausreichende soziale Absicherung gegeben sein.

Diese Voraussetzungen sind hier zur Überzeugung des Senats erfüllt (ebenso BayVGH, aaO). Der in der mündlichen Verhandlung erörterte aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 23.4.2007 weist aus, dass lebensrettende und erhaltende Maßnahmen für alle Patienten kostenfrei sind (S. 20 f.) und dass Diabetes ebenfalls kostenfrei und unabhängig vom Status des Patienten behandelt werde. Grundsätzliche bestehe in Serbien eine gesetzliche Pflichtversicherung, für die eine Registrierung erforderlich sei. Gemeldete und anerkannte Arbeitslose und anerkannte Sozialhilfeempfänger seien ohne Beitragszahlung versichert. Arbeitsunfähigen Bürgern werde Sozialhilfe gewährt, deren Höhe monatlich an die Lebenshaltungskosten angepasst werde.

Lebensbedrohliche Erkrankungen würden in Krankenhäusern im Regelfall sofort behandelt. Die staatlichen Krankenhäuser entsprächen in Hygiene und Verpflegung "nicht immer" westlichen Vorstellungen. Nur "sehr wenige" Erkrankungen seien in Serbien nicht oder nur schlecht behandelbar. Behandelbar seien Diabetes, auch eine Nachsorge für Herzoperationen sei gewährleistet. Die Medikamentenversorgung habe sich gegenüber früher verbessert, die Grundversorgung sei gewährleistet. Spezielle Präparate seien in staatlichen Apotheken nicht immer verfügbar und müssten entweder in privaten Apotheken zu Marktpreisen beschafft oder kostenintensiv importiert werden. Seltenere oder besonders kostspielige Medikamente stünden allerdings nur für den wohlhabenderen Teil der Bevölkerung zuverlässig zur Verfügung. Nachgewiesene Fälle der Behandlungsverweigerung bei Angehörigen von Minderheiten seien dem Auswärtigen Amt nicht bekannt geworden.

Greifbare Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit dieser Angaben des aktuellen Lageberichts hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung des Senats nicht dargelegt. Zu Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit der Feststellungen des Auswärtigen Amts besteht für den Senat auch im Übrigen kein Anlass. Der - durchaus verständliche - Wunsch des Klägers nach einer bestmöglichen gesundheitlichen Versorgung reicht für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht aus.

Da der Kläger nach alledem weder einen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung noch einen Anspruch auf Neubescheidung hat, ist die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuzweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

Zurück