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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 27.05.2009
Aktenzeichen: 1 Verg 2/09
Rechtsgebiete: VOB/A


Vorschriften:

VOB/A § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1
Die Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A, die bei einem rechnerisch fehlerhaften Produkt aus Mengenansatz und Einheitspreis den angebotenen Einheitspreis für maßgebend erklärt, ist auch dann anzuwenden, wenn aus den Umständen eindeutig und zweifelfrei zu schließen ist, dass der Bieter einen anderen, ganz bestimmten Einheitspreis anbieten wollte.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

1 Verg 2/09

Verkündet am 27.05.2009

In dem Vergabenachprüfungsverfahren

hat der Vergabesenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Theis sowie die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Kuhn-Krüger und den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Weth auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2009

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 1) wird der Beschluss der Vergabekammer des Saarlandes vom 02.02.2009 - Az.: 1 VK 10/08 - aufgehoben.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

2. Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens, jeweils einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen zu 1) und der Antragsgegnerin zu tragen.

4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten war für die Beigeladene zu 1) und für die Antragsgegnerin auch im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.

Gründe:

I.

Die Vergabekammer hat der Antragsgegnerin aufgegeben, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Sie hat im Übrigen den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

1. Dem Beschluss der Vergabekammer liegt - soweit im vorliegenden Verfahren noch von Belang - folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Wertung der Angebote im vorliegenden Vergabeverfahren vergaberechtskonform war.

Mit europaweiter Bekanntmachung vom 26.09.2008 schrieb die Antragsgegnerin den Neubau eines Krankenhauses durch Einzelgewerk oder durch Generalunternehmer im offenen Verfahren aus. Als alleiniges Zuschlagskriterium war in der Bekanntmachung der niedrigste Preis angegeben. Die Antragstellerin, die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) beteiligten sich mit Angeboten zu Losnummer 2 an der Ausschreibung (Erd-, Maurer- und Betonarbeiten).

Im Submissionstermin vom 29.10.2008 lagen insgesamt 9 Angebote vor. Die ungeprüften Angebotssummen führten unter Berücksichtigung der angebotenen Nachlässe zu folgender Rangfolge:

 1. Angebot der Antragstellerin: 4.621.287,87 Euro
2. Angebot der Beigeladenen zu 2): 4.737.672,86 Euro
3. Angebot der Beigeladenen zu 1): 4.750.052,10 Euro.

Die Prüfung und Wertung der Angebote erfolgte durch den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin, sowie ein von ihr beauftragtes Architekturbüro. Sie führte zur Änderung der Rangfolge. Das Angebot der Beigeladenen zu 2) wurde im Rahmen der Wertungsstufe 1 (Formalprüfung) mit der Begründung ausgeschlossen, die Seite 24 des Leistungsverzeichnisses, eine zu unterschreibende Seite, habe im Angebot gefehlt. (Vgl. Wertungsbericht vom 13.11.2008, Vergabeakte Bl. 31 ff.).

Die rechnerische Prüfung der Angebote führte zu einer Reduzierung des Angebotspreises der Beigeladenen zu 1). In deren Angebot befand sich ein Fehler, der durch die Antragsgegnerin nach Maßgabe des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A korrigiert wurde. (Vgl. Vergabeakte Bl. 29 und 30). Die Beigeladene zu 1) hatte die Position 05.06.0040 (Aufbeton auf Systemdecke) - wie folgt - angeboten:

 Stück EP Summe
2.990 m3 37,82 € 17.019,00 €

Die Antragsgegnerin hat - wie folgt - korrigiert:

 Stück EP Summe
2.990 m3 37,82 € 113.081,80 €

Eine Reduzierung des Angebotspreises ergab sich deshalb, weil - unter Einbeziehung der Summe von 113.081,80 € - der Gesamtpreis 218.595,60 € und nicht wie im Angebot 449.154,50 € betrug.

Nach Prüfung und Wertung der Angebote ergab sich damit folgende neue Rangfolge:

1. Angebot der Beigeladenen zu 1) 4.476.356,42 €

2. Angebot der Antragstellerin 4.612.287,87 €.

Am 13.11.2008 informierte die Antragsgegnerin die Beteiligten über die beabsichtigte Vergabe des Auftrages an die Beigeladene zu 1). Mit Schreiben vom 14.11.2008 rügte die Antragstellerin die Vorgehensweise der Antragsgegnerin. Gegenstand der Rüge war ausschließlich die Tatsache, dass das dem Submissionsprotokoll an erster Stelle rangierende Angebot der Antragstellerin aufgrund des von der Antragsgegnerin festgestellten Rechenfehlers im Angebot der Beigeladenen zu 1) an die zweite Stelle in der Preisbewertung gerückt war. Die Antragsgegnerin weigerte sich mit Schreiben vom 19.11.2008 der Rüge abzuhelfen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Nichtberücksichtigung ihres Angebots sei vergaberechtswidrig. Sie hatte - soweit noch von Belang - beantragt (Schriftsatz vom 26. Nov. 2008, S. 2):

1. gegen die Antragsgegnerin ein Vergabenachprüfungsverfahren gem. § 107 Abs. 1 GWB einzuleiten;...

3. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist;

4. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Firma L. Bau GmbH, <Straße, Nr.>, <PLZ, Ort> von der Wertung auszuschließen;...

6. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war;

7. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin hatte beantragt:

1. den Vergabenachprüfungsantrag zurückzuweisen;

2. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten auf Seiten der Antragsgegnerin erforderlich war.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, der Antrag sei unbegründet.

Die Beigeladenen hatten keine Anträge gestellt.

In einem nachgelassenen Schriftsatz hat die Antragstellerin ausgeführt: Nach dem Ergebnis der mündliche Verhandlung stehe fest, dass die Beigeladene zu 1) in der streitgegenständlichen Position des Angebots nicht den korrekten Einheitspreis angegeben habe. Der Gesamtangebotspreis und auch die Titelsumme seien hingegen richtig und entsprächen dem tatsächlich gewollten Angebotspreis. Auf diese Konstellation sei § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A schon vom Wortlaut her nicht anwendbar. Es habe nämlich eine Korrektur des angegebenen Einheitspreises erfolgen müssen. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Korrektur des Gesamtpreises nach Maßgabe des Einheitspreises habe erst nach einer Aufklärung des Positionspreises erfolgen dürfen. Da diese Aufklärung jetzt im Nachprüfungsverfahren erfolgt sei, sei der Antragstellerin eine Anwendung von § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A verschlossen. Da es sich bei dem angegebenen Einheitspreis um eine irrtümliche Angabe handele, stehe fest, dass der für diese Position maßgebliche, in das Angebot eingetragene Preis nicht der Preis sei, den die Beigeladene zu 1) habe anbieten wollen. Die Beigeladene zu 1) habe daher in ihrem Angebot den Preis nicht so wie gefordert angegeben und sei daher gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b, § 21 Nr. 1 Abs. 2 S. 5 VOB/A vom Vergabeverfahren auszuschließen. Grundsätzlich führe eine Falschbenennung der Preisangaben ebenso wie eine Nichtbenennung von Preisen stets zwingend zum Angebotsausschluss.

Die Antragsgegnerin hat darauf erwidert, ein Kalkulationsirrtum berechtige grundsätzlich nicht zur Anfechtung. Daher sei auch im Rahmen des § 23 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A am Einheitspreis festzuhalten. Selbst wenn man dies anders sehen wolle, so müsse doch eine diesbezügliche Anfechtungserklärung unverzüglich erfolgen. Dies sei nicht erfolgt. Aufgrund des Verstreichens der Anfechtungsfrist sei die Beigeladene an ihr Angebot gebunden und die Antragsgegnerin habe deren Angebot zu Recht gewertet.

2. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag - soweit er zulässig war - auch als begründet angesehen.

a. Zur Zulässigkeit hat die Vergabekammer ausgeführt: Bei der Antragsgegnerin handele es sich um einen öffentlichen Auftraggeber i. S. v. § 98 Nr. 5 GWB. Die ausgeschriebene Maßnahme sei ein öffentlicher Auftrag i. S. v. § 99 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 GWB. Die Auftraggeberin investiere in den Neubau der Klinik Kohlhof eine Summe von über 30 Millionen Euro, von denen über 20 Millionen Euro, also mehr als 50 % über öffentliche Fördergelder aufgebracht würden.

Die angerufene Kammer sei für die Nachprüfung örtlich und sachlich zuständig. Nach § 100 Abs. 1 GWB unterlägen der Nachprüfung durch die Kammer solche öffentlichen Aufträge, die bestimmte Auftragswerte erreichen oder überschreiten würden. Diese Werte seien hier weit überschritten. Das Vergaberegime sei eröffnet.

Die Antragstellerin sei auch antragsbefugt i. S. v. § 107 Abs. 2 GWB. Danach sei antragsbefugt jedes Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag habe und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend mache. Die Antragstellerin habe, wenn sich das Verhalten der Antragsgegnerin bei der Durchführung des Vergabeverfahrens als vergabewidrig herausstellen sollte, gute Aussichten den Auftrag zu erhalten, da neben ihr und der Beigeladenen zu 1) keine weiteren aussichtsreichen Bewerber vorhanden seien. Sie habe des Weiteren glaubhaft dargelegt, dass ihr infolge der fehlerhaften Vergabeentscheidung der Auftraggeberin ein massiver Schaden drohe, nämlich ein entgangener Auftrag.

b. Der Nachprüfungsantrag sei, soweit er zulässig sei, auch begründet. Allerdings stehe der Antragstellerin lediglich ein Anspruch auf Wiederholung der Wertung durch die Antragsgegnerin nach Maßgabe der von der Vergabekammer verlautbarten Rechtsauffassung zu.

Dem Antrag der Antragstellerin, das Angebot der Beigeladenen von der weiteren Vergabe auszuschließen, sei nicht stattzugeben. Auch für den Fall, dass rechnerische Fehler bei der Überprüfung der Angebote auftauchten, gehe die VOB grundsätzlich nicht davon aus, dass solche Angebote von der weiteren Vergabe auszuschließen seien. Insoweit fehle in § 25 Nr. 1 VOB/A eine entsprechende Ausschlussbestimmung.

aa. Die Beigeladene zu 1) habe im vorliegenden Fall folgenden Fehler gemacht: Sie habe unter der Position 05.06.0040 fälschlicherweise die identischen Werte Einheitspreis und Gesamtpreis der benachbarten Positionen 05.06.0050 eingetragen und zwar als Einheitspreis den Betrag von 37,82 € und als Gesamtpreissumme den Betrag von 17.019,00 €. Tatsächlich hätte sich allerdings bei einem Einheitspreis von 37,82 € multipliziert mit der Stückzahl der Position, nämlich 2.990, ein Betrag von 113.081,80 € ergeben. Aus der Gesamtsumme des von der Beigeladenen zu 1) zu deren Unterpositionen der Position 05.06. eingetragenen Betrages von 449.154,50 € habe die Antragsgegnerin jedoch genau ersehen können, dass die Antragstellerin in ihrer Kalkulation des Angebots von ganz anderen als den von der Antragstellerin im Rahmen der nachträglichen Korrektur angesetzten Werte ausgegangen sei, nämlich von einem Einheitswert von 114,93 €. Dieser Wert hätte multipliziert mit der Stückzahl von 2.990 zu einem Gesamtpreis bei der Position 05.06.0040 von 343.640,70 € geführt.

Die Beigeladene zu 1) habe in der mündlichen Verhandlung der Vergabekammer bestätigt, dass diese Werte den von ihr in ihrer Urkalkulation zugrunde gelegten Einheits- und Gesamtpreisen zu der Position 05.06.0040 entsprächen. Die Antragsgegnerin habe diese Sachlage fälschlicherweise für ein Fall der Anwendbarkeit von § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A gehalten. Stelle man einzig und allein auf den Wortlaut der Vorschrift ab, könne man meinen, dass die Voraussetzungen der Auslegungsregel gegeben seien. Der Gesamtbetrag der Ordnungszahl (Position) 05.06.0040 im Angebot der Beigeladenen zu 1) in Höhe von 17.019,00 € entspreche nicht dem Ergebnis, das man bei der Multiplikation der erklärten Einheitspreises von 37,82 € mit dem vorgegebenen Mengenansatz (Stückzahl von 2.990 m3) erziele. Statt 17.019,00 € hätte das Ergebnis nämlich 113.081,80 € lauten müssen. Ursächlich für das falsche Ergebnis sei jedoch nicht ein Multiplikationsfehler oder Rechenfehler der Beigeladenen zu 1), sondern ein Übertragungs- bzw. Erklärungsfehler gewesen. Die Beigeladene zu 1) habe in Wahrheit dort den Einheitspreis von 114,93 € und den Gesamtpreis von 343.640,70 € eintragen wollen. Versehentlich habe sie dann bei der Position 05.06.0040 die gleichen und bei der Position 05.06.0050 auch zutreffenden Daten dieser Position 05.06.0050 eingetragen.

Für die Antragsgegnerin sei ausweislich der Unterlagen klar und eindeutig erkennbar gewesen, dass der Beigeladenen zu 1) bei den Positionen 05.06.0040 und 05.06.0050 ein Übertragungsfehler unterlaufen sei.

bb. Zwischen dem erklärten und dem von der Beigeladenen zu 1) tatsächlich gewollten Angebot ergebe sich eine Differenz von 230.558,90 €. Ein Fall einer solch offenkundigen und deutlich zu Tage getretenen Differenz zwischen erklärtem Einheitspreis/Gesamtpreis und tatsächlich kalkulierten und vom Erklärungswillen erfassten Einheitspreis/Gesamtpreis lasse sich nach Auffassung der Vergabekammer weder in vergaberechtlich zulässiger noch befriedigender Weise mit der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A lösen. Diese Offensichtlichkeit des vom Bieter fälschlicherweise zu niedrig angegebenen Einheitspreises zu dieser Position sei für die Antragsgegnerin auch unschwer zu erkennen gewesen. Für den Fall eines derart offensichtlichen Erklärungsfehlers sei nach Auffassung der Kammer die Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A nicht einschlägig. In Anbetracht eines eklatanten Erklärungs-/Übertragungsfehlers sei für die Auslegung kein Raum mehr. Vielmehr hätte die Antragstellerin einen der ganz wenigen Ausnahmefälle von der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A zulässigerweise zugrunde legen können und eine Abänderung des falschen Einheitspreises entsprechend dem in die Gesamtsumme zur Position 05.06. für die Position 05.06.0040 tatsächlich eingeflossenen Gesamtpreises vornehmen dürfen, weil nur dieser Preis von der Beigeladenen zu 1) auch gewollt gewesen sei. Nur dann dürfe nämlich die Rechenregel des § 23 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOB/A außer Acht gelassen und ausnahmsweise der Einheitspreis an den Gesamtbetrag entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB angepasst werden. Bei der Auslegung einer Willenserklärung sei nämlich der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Position 05.06.0040 seien daher der Einheitspreis in 114,93 € und der Gesamtpreis in 343.640,17 € von der Antragsgegnerin abzuändern, mit der Folge, dass die Beigeladene zu 1) preislich mit ihrem Angebot wieder hinter das Angebot der Antragstellerin zurücktrete.

Die gegenteilige Auffassung, die aus der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A ein absolutes Verbot herleite, Einheitspreise seitens des Auftraggebers abzuändern, werde von der Vergabekammer, jedenfalls für derart offensichtliche Fälle wie den vorliegenden, nicht geteilt, weil sie zu wenig differenziert und am Ende sowohl dem Auftraggeber als auch dem Bieter Manipulationsmöglichkeiten eröffne, also genau das Gegenteil dessen, was sich die VOB als Ziel, das es zu verhindern gelte, gesetzt habe. Man überlasse es nämlich nach dieser Auffassung dem Bieter, ob er den tatsächlich erklärten oder lieber den tatsächlich kalkulierten Einheitspreis gegen sich gelten lassen wolle, bzw. welchen von beiden er ggf. anfechte.

Eine strikte Anwendung der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A verletze im Übrigen die Rechte der anderen Mitbieter auf einen transparenten und fairen Wettbewerb i. S. v. § 97 Abs. 7 i. V. m. § 97 Abs. 1 GWB. Die Antragstellerin habe nach dem Submissionstermin das günstigste und nach der weiteren Wertung auch ein fehlerfreies Angebot abgegeben und bekäme jetzt nur deshalb nicht den Zuschlag, weil die Beigeladene zu 1) aufgrund eines Schreib-/Übertragungsfehlers bei strikter Anwendung der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A einen nicht mehr veränderbaren und letztlich für die Chancen auf die Zuschlagserteilung günstigeren Einheitspreis angegeben habe und infolge dessen trotz fehlerhaften Angebots den Auftrag erhalten würde. Aufgrund einer derartigen Formalentscheidung würde letztlich nur der Auftraggeber profitieren.

3. Gegen den am 11.02.2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24.02.2009 eingegangene (Bl. 1/45) sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 1).

Sie macht zur Rechtfertigung ihrer Beschwerde geltend, diese sei zulässig. Gem. § 109 GWB komme es nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer im Nachprüfungsverfahren Anträge gestellt habe, sondern darauf, ob er geltend machen könne durch die angefochtene Entscheidung materiell in seinen Rechten verletzt zu sein. Das sei aber hier der Fall. Die Beschwerdeführerin müsse befürchten nach entsprechender Wiederholung der Wertung den Zuschlag nicht mehr zu erhalten (Bl. 49,50).

Die sofortige Beschwerde sei auch begründet. Die Vergabekammer habe fehlerhaft § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A im vorliegenden Fall für nicht anwendbar gehalten. Die konsequente Anwendung dieser Norm diene dem Schutz des Auftraggebers und der Bieter. Nur auf diese Weise könne wirksam Manipulationen begegnet werden. Die Vergabekammer habe zwar anerkannt, dass § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A hier seinem Wortlaut nach einschlägig sei, sie sei aber dann davon ausgegangen, dass kein klassischer Rechenfehler, sondern ein Übertragungsfehler vorliege, der nicht von § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A erfasst werde. Das sei weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck der Norm vereinbar. Dies schon deshalb weil der Einheitspreis schlicht eingetragen werde. Deshalb könne sich bezüglich des Einheitspreises kein Rechenfehler ergeben. Die Rechtsprechung gehe daher einhellig davon aus, dass § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A auch dann gelte, wenn der Einheitspreis offensichtlich falsch sei. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass eine Änderung eines einmal eingetragenen und damit objektiv erklärten Einheitspreises durch die Vergabestelle im Rahmen der rechnerischen Prüfung nach § 23 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A stets unzulässig sei. Hierzu komme, dass die Änderung eines "falschen" Einheitspreises und eine Berücksichtigung des "richtigen" Preises letztlich nicht anderes darstelle als eine unzulässige Nachverhandlung i. S. des § 24 Nr. 3 VOB/A (Bl. 50 ff.)

Die Beschwerdeführerin beantragt (Bl. 3/46, 248):

(1) Die Entscheidung der Vergabekammer des Saarlandes vom 02.02.2009 - 1 VK 10/08 - wird insoweit aufgehoben, als darin der Antragsgegnerin aufgegeben wird, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Der Nachprüfungsantrag der Antragsstellerin wird auch insoweit zurückgewiesen.

(2) Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beschwerdeführerin wird für notwendig erklärt.

(3) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beschwerdeführerin trägt die Antragsstellerin.

(4) Hilfsweise der Antragsgegnerin aufzugeben, das Angebot der Antragstellerin von der weiteren Wertung auszuschließen.

Die Antragsstellerin und Beschwerdegegnerin beantragt (Bl. 115):

(1) die sofortige Beschwerde zurückzuweisen,

(2) der Antragsstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren;

(3) der Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsstellerin hat darüber hinaus für den Fall, "dass sich der Senat aus Gründen der Beschränkung des Beschwerdegegenstandes durch die Beigeladene zu 1) an einer Feststellung des zwingenden Angebotsausschlusses im Rahmen der Begründetheitsprüfung der Beschwerde gehindert sehen sollte und zudem der Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde ... keinen Erfolg haben sollte" (Bl. 132) bedingte Anschlussbeschwerde erhoben und beantragt (Bl. 132):

(1) festzustellen, dass die Antragsstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist;

(2) die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Beigeladenen zu 1) von der Wertung auszuschließen;

(3) festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragsstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig war;

(4) der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsstellerin hält die sofortige Beschwerde für unzulässig. Der Beschwerdeführerin fehle die formelle wie materielle Beschwer (Bl. 119), sie habe sich nämlich im Verfahren vor der Vergabekammer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in keiner Weise auf den Standpunkt gestellt, dass ihr Angebot hinsichtlich der Position 05.06.0040 mit einem Einheitspreis in Höhe von 37,82 € anstatt mit dem tatsächlichen und zweifelsfrei gewollten in Höhe von 114,93 € zu werten und zu beauftragen sei. Das sei ihr vielmehr erst nach dem Anwaltswechsel eingefallen und sei erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung in einem nicht nachgelassenem Schriftsatz vorgetragen worden. Im Termin habe die Beigeladene zu 1) für die LV-Position 05.06.0040 den Einheitspreis von 114, 93 € ausdrücklich als den korrekten klargestellt (Bl. 188). Vor diesem Hintergrund sei die Beschwerdeerhebung als prozessual unzulässiges widersprüchliches Verhalten zu werten.

Die Beschwerde sei auch unbegründet. Entweder habe nämlich die Vergabekammer in ihrer Entscheidung der Antragsgegnerin zutreffend aufgegeben, dass Angebot der Beigeladenen zu 1) mit dem wirklichen - von deren Geschäftsführer auch ausdrücklich bestätigten - Inhalt in die Wertung einzustellen. Unterstelle man aber, die nunmehr in der Beschwerde vertretene Auffassung der Beschwerdeführerin über die Anwendbarkeit und den absoluten Vorrang von § 23 Nr. 3 S. 1 VOB/A als richtig, stehe damit zugleich der zwingende Angebotsausschluss der Beigeladenen zu 1) wegen einer unzutreffenden Preisangabe fest.

Die Antragsstellerin verteidigt sodann die Entscheidung der Vergabekammer und weist insbesondere darauf hin, dass § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A nicht als lex specialis zu §§ 133, 157 BGB begriffen werden könne, sondern als konkretisierende Norm für den Fall, dass die Erklärungen des Bieters aus sich heraus keine eindeutige Auslegung zulassen würden. Ergebe die Erklärung dies Bieters nach §§ 133, 157 BGB also eindeutig, dass der buchstäblich eingetragene Einheitspreis nicht dem gewollten Angebotsinhalt entspreche, so müsse dem bei der Angebotswertung Rechnung getragen werden (Bl. 127).

Im Übrigen sei die sofortige Beschwerde auch aus folgendem Grund unbegründet: Im Zuge der Akteneinsicht habe sich offenbart, dass die Antragsgegnerin das Vorhandensein der bereits mit der Angebotsabgabe geforderten Erklärung zur kontinuierlichen Verfügbarkeit von mindestens 35 Mann im Zuge der Formalwertung der Angebote überhaupt nicht überprüft habe. Der Wertungsbericht (Bl. 31 ff. d. A.) dokumentiere unter Ziff. 4 lediglich das Vorliegen der Angaben zur Berufsgenossenschaft, der Fabrikatsangaben und der Nachunternehmererklärungen. Für die Antragsstellerin stehe fest, dass die Beigeladene zu 1) die geforderte 35 Mann-Erklärung ihrem Angebot nicht beigefügt habe, was den zwingenden Ausschluss ihres Angebots bewirke (Bl. 194). Die Eintragung in die Liste der präqualifizierten Bauunternehmen reiche nicht aus.

Für den Fall, dass der buchstäblich eingetragene Einheitspreis der Beigeladenen bei der Position 05.06.0040 unabänderlich feststehe, sei das Angebot der Beigeladenen zu 1) wegen einer unzutreffenden Preisangabe gem. §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b, § 21 Nr. 1 Abs. 2 S. 5 VOB/A zwingend auszuschließen. Das sei immer dann der Fall, wenn der buchstäblich Preiseintrag nicht dem nach Maßgabe des Auftraggeberwillens vom Bieter für diese Position kalkulierten Preis entspreche (Bl. 130).

Die bedingte Ausschlussbeschwerde begründet die Antragsstellerin damit, dass, wenn der Einheitspreis mit 37,82 € feststehe, das Angebot der Beschwerdeführerin auszuschließen sei.

Die Beschwerdeführerin beantragt (Bl. 156):

die Ausschlussbeschwerde der Antragsstellerin zurückzuweisen.

Die Ausschlussbeschwerde sei unzulässig, da verspätet. Sie sei auch unbegründet, da das Angebot der Beschwerdeführerin nicht auszuschließen sei (Bl. 170).Im Übrigen habe sich die Beschwerdeführerin zu keiner Zeit auf den Standpunkt gestellt, ihr Angebot sei im Wege der § 133 BGB an ihre Urkalkulation anzupassen gewesen. Soweit die Antragsstellerin mit dem Personalverfügbarkeitsnachweis neue Beschwerdegründe vorbringe, die zum Ausschluss des Angebots der Beschwerdeführerin führen sollten, so sei dieses Vorbringen verspätet und damit ausgeschlossen. Im Übrigen habe sie den Nachweis über das ihr für den Auftrag zur Verfügung stehende Personal von mindestens 35 Mann sehr wohl geführt. Als präqualifiziertes Unternehmen habe die Beschwerdeführerin ihre Eignung zudem über ihre Zertifizierung beim Verein für die Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. nachgewiesen (Ziffer 4.4 des Angebots und § 8 Nr. 3 VOB/A - Bl. 224).

Die Antragsgegnerin unterstützt die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin und stellt die gleichen Anträge wie die Beschwerdeführerin mit der Maßgabe, dass es anstelle "Beschwerdeführerin" "Antragsgegnerin" heißt (Bl. 88).

Die Antragsgegnerin weist insbesondere darauf hin, der der Beigeladenen zu 1) unterlaufene Fehler sei für die Vergabestelle nicht ohne weiteres und auf erste Sicht erkennbar gewesen. Erst nach eingehender Analyse des von der Beschwerdeführerin bepreisten Leistungsverzeichnisses unter Berücksichtigung des Gesamtpreises und der Einzelposition-Preise habe im Wege der Rückrechnung vermutet werden können, welcher Fehler wohl der Beschwerdeführerin unterlaufen sein könnte (Bl. 176).

Die Beigeladene zu 2) hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt (Bl. 182).

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig und begründet.

a. Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet. Entgegen der Auffassung der Antragsstellerin ist die Beschwerde auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beigeladene zu 1) nicht beschwert ist.

Hat die Beigeladene - wie hier - vor der Vergabekammer keinen Antrag gestellt so kommt es in diesen Fällen, in denen eine formelle Beschwer nicht festgestellt werden kann, darauf an, ob der Beschwerdeführer geltend machen kann durch die angefochtene Entscheidung materiell in seinen Rechten verletzt zu sein (Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29.05.2002 - 5 Verg 1/01, juris, Rdn. 51; vgl. auch Beck'scher VOB-Komm./Gröning, A § 116 GWB Rdn. 23 u. 35 f; Otting in Bechtold, GWB, 5. Aufl. 2008, §116 Rdn. 4). Von einer materiellen Beschwer ist auszugehen, wenn der Beschwerdeführer damit rechnen muss, den Zuschlag nicht mehr zu erhalten, den er ohne Entscheidung der Vergabekammer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erhalten hätte (vgl. OLG Saarbrücken a. a. O.). Im vorliegenden Fall hätte die Beschwerdeführerin den Auftrag ohne die Entscheidung der Vergabekammer erhalten. Hätte allerdings die Entscheidung der Vergabekammer Bestand, so würde die Antragstellerin den Auftrag erhalten. Die Beschwerdeführerin ist also materiell beschwert.

Dem kann die Antragsstellerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Beschwerdeführerin habe sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in keiner Weise auf den Standpunkt gestellt, dass ihr Angebot hinsichtlich der Position 05.06.0040 mit einem Einheitspreis in Höhe von 37,82 € anstatt mit dem tatsächlich und zweifelsfrei gewollten in Höhe von 114,93 € zu werten und zu beauftragen sei.

Die Antragstellerin verkennt hier, dass die Beschwerdeführerin, wie es ihrer prozessualen Wahrheitspflicht entspricht, auf die Fragen der Vergabekammer wahrheitsgemäß dahin geantwortet hat, dass ihr bei Eintragung des Einheitspreises ein Fehler unterlaufen ist und der gewollte Einheitspreis von 114,93 € nicht eingetragen worden ist. Ob dieser Fehler dazu führt, dass die Beschwerdeführerin den Auftrag erhalten kann, oder ob sie auszuschließen ist, ist eine reine Rechtsfrage. Diese Rechtsfrage ist für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens maßgeblich. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, warum die Beschwerdeführerin sich nicht auf den Rechtsstandpunkt stellen darf, dass diese Rechtsfrage zu ihren Gunsten zu entscheiden ist. Das Verhalten und das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist entgegen der Auffassung der Antragsstellerin kein prozessual unzulässiges widersprüchliches Verhalten.

Eine Beschwer der Beschwerdeführerin ist nach alledem anzunehmen.

b. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die Antragsgegnerin hat die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten. Der Nachprüfungsantrag der Antragsstellerin ist daher unter Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer zurückzuweisen.

aa) Ausweislich der Feststellungen der Vergabekammer wollte die Beigeladene zu 1) die Position 05.06.0040 nicht zu einem Einheitspreis von 37,82 € sondern zu einem Einheitspreis von 114,93 € anbieten (Seite 6 des Beschlusses der Vergabekammer). Die Antragsgegnerin hat dies auch vermutet. In einer Aktennotiz vom 10.11.2008 (Blatt 29 der Vergabeakte) findet sich insoweit: "Teilt man nun diesen Betrag durch den Massenfordersatz 2.990, so ergibt sich, ein EP von € 114,93. Vermutlich wollte also die Bieterin diesen EP anbieten, hat ihn jedoch tatsächlich nicht eingetragen, so dass sie gemäß § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A am vorrangig gültigen EP festzuhalten ist."

Die Vergabekammer ist nun der Auffassung die Antragsstellerin habe in dieser Situation in vergaberechtlich unzulässiger Weise § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A angewandt. Sie habe aber einen "der ganz wenigen Ausnahmefälle von der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A zulässigerweise zugrunde legen können und eine Abänderung des falschen Einheitspreises entsprechend dem in die Gesamtsumme zur Position 05.06. für die Position 05.06.0040 tatsächlich eingeschlossenen Gesamtpreis vornehmen dürfen, weil nur dieser von der Beilgeladenen zu 1) auch gewollt war". Zugleich erkennt die Vergabekammer, dass die Vorschrift des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A ihrem Wortlaut nach hier anwendbar ist.

Nach dieser Vorschrift ist dann, wenn der Gesamtbetrag einer Ordnungszahl (Position) nicht dem Ergebnis der Multiplikation von Mengenansatz und Einheitspreis entspricht, der Einheitspreis maßgebend. Die Antragsgegnerin hat sich an dem insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A orientiert und das Angebot der Beschwerdeführerin so korrigiert, wie es die Norm von ihr fordert. Die Antragsgegnerin ist damit so verfahren, wie es der ganz herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung entspricht. Danach ist nämlich eine Berichtigung des Einheitspreises auch dann nicht vorzunehmen, wenn er offensichtlich falsch ist. Es komme nicht darauf an, ob der falsche Einheitspreis versehentlich oder mit Absicht in das Angebot eingesetzt wurde. In solchen Fällen könne nämlich der manipulative Versuch unternommen werden, nach Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses durch Nachschieben eines richtigen Einheitspreises die Bieterfolge so zu ändern, dass das betreffende Angebot an die vorderste Stelle rücke oder - falls es das preisgünstigste Angebot sei - diese so weit zu erhöhen, wie es der Abstand zum nächst höheren Angebot zulasse. Durch die konsequente Anwendung der Rechenregel nach § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A könne derartigen Manipulationsversuchen wirksam begegnet werden. Aber auch wenn der falsche Einheitspreis nicht absichtlich, sondern versehentlich in das Angebot eingesetzt werde, müsse grundsätzlich der Gesamtbetrag angepasst werden. Werde dadurch das Angebot zu teuer, so scheide es aus dem Wettbewerb aus; werde es unangemessen niedrig, müsse es als Unterangebot nach § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A ausgeschieden werden. Auch in Ausnahmefällen könne keine Abänderung des falschen Einheitspreises entsprechend dem Gesamtbetrag in Betracht kommen, nicht einmal dann, wenn aus den Umständen eindeutig und völlig zweifelsfrei zu schließen sei, dass ein ganz bestimmter Einheitspreis gewollt war (Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam/Kuffer/Kullack/Mannsfeld, VOB, 11. Aufl. 2008, A § 23 Rdn. 17f.; Rusam hat damit seine noch in der 10. Aufl. 2003, A § 23 Rdn. 16 vertretene Auffassung, es komme in ganz wenigen Ausnahmefällen eine Abänderung des falschen Einheitspreises in Betracht, aufgegeben; Schäfer, Beck'scher VOB-Kommentar, A § 23 Rdn. 18 f.; Dähne in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 2. Aufl. 2007, A § 23 Rdn. 9f.; vgl. auch Vergabekammer Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.12.2004 - 1 VK 79/04, juris Rdn. 53; Vergabekammer des Freistaates Sachsen, Beschl. v. 29. 07. 2002 - 1/SVK/069 - 02, juris Rdn. 47; Vergabekammer Nordbayern, Beschl. v. 30.11.2001 - 320. VK - 3194 - 40/01, juris Rdn. 39.

Diese Auslegung entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A sie entspricht auch dessen Sinn und Zweck. Sinn und Zweck der Norm ist nämlich der Schutz des Auftraggebers, nicht aber der Schutz des Bieters vor seinen eigenen (zu niedrigen) Angeboten und damit vor sich selbst (Schäfer, Beck'scher VOB-Kommentar, A § 23 Rdn. 22). Dem Sinn und Zweck den Auftraggeber zu schützen und ihm in dem streng formalisierten Vergabeverfahren eine Hilfestellung zu geben, wie zu verfahren ist, wenn er festgestellt hat, dass der Gesamtbetrag nicht dem Ergebnis der Multiplikation von Mengenansatz und Einheitspreis entspricht, kann § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A nur dann erfüllen, wenn er als eine § 133 BGB konkretisierende Auslegungsregel betrachtet wird. Die Norm weist nämlich den Auftraggeber an, dass er in den genannten Fällen eben nicht den Einheitspreis korrigieren darf, sondern dass die anderen Preise zu korrigieren sind. Andere Möglichkeiten, die denkbar wären, um den Willen des Bieters zu erforschen, etwa den Bieter zu befragen, was er denn wirklich gemeint hat oder den Einheitspreis zu korrigieren - wie die Vergabekammer dies fordert - sieht § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A eben nicht vor.

Die Auslegung, die die Vergabekammer der Norm gibt, überbürdet das Risiko, dass § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A dem Auftraggeber gerade abnehmen will, nämlich das Risiko dass seine Korrektur des Angebots - weil er den falschen Korrekturmaßstab gewählt hat - später als vergaberechtswidrig gekennzeichnet wird. Der Auftraggeber trägt nach dieser Auslegung das Risiko, ob gerade noch § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A anwendbar ist oder ob er gerade nicht mehr anwendbar ist und etwa - wie die Vergabekammer dies meint - einer der ganz wenigen Ausnahmefälle von der Auslegungsregel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A vorliegt. Wenn der Auftraggeber sich nicht darauf verlassen kann, dass er strikt nach der Regel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A verfahren darf, und dass er dann, wenn er dieser Regel folgt vergaberechtsgemäß gehandelt hat, wird die Vorschrift weitgehend obsolet. Ihr Ziel, dem Auftraggeber eine Hilfestellung zu geben, läuft weitgehend leer.

Abweichend von der herrschenden Meinung wollen Teile der Literatur und die Vergabekammer die Regel des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/Teil A in ganz wenigen Ausnahmefällen nicht anwenden und zwar dann, wenn aus den Umständen eindeutig und völlig zweifelsfrei zu schließen ist, dass ein ganz bestimmter Einheitspreis gewollt war. Für den Auftraggeber muss dies so offenkundig sein, dass nicht erst Nachforschungen über das wirklich Gewollte beim Bieter anstellen müssen (Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam/Kullak/Weyend, VOB, 10. Aufl. 2003, A § 23 Rdn. 16. Rusam hat diese Auffassung inzwischen aufgegeben).

Selbst wenn man dieser Auffassung folgen wollte, käme im vorliegenden Fall eine Korrektur des Einheitspreises nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer kann hier nicht davon die Rede sein, dass es für den Auftraggeber offenkundig und völlig zweifelsfrei gewesen sei, dass die Beigeladene zu 1 einen Einheitspreis von 114,93 € gewollt habe. Zwar hat die Antragsgegnerin dies vermutet und zwar durch Rückrechnung von der Gesamtsumme der Position 05.06 aus (449.154,50 €). Diese Vermutung war aber keinesfalls zwingend. Es wäre durchaus denkbar, dass sich die Antragsgegnerin nicht nur beim Einheitspreis und bei der Summe der Position 05.06.0040 (17.019,00 €) vertan hat, sondern sich auch bei der Gesamtsumme aus Position 05.06 (449.154,50 €) vertan hätte. Daraus, dass die Antragsgegnerin durch Rückrechnung von der Gesamtsumme auf den Einheitspreis zufällig das richtige Ergebnis getroffen hat, kann nicht geschlossen werden, dass diese Ergebnis offenkundig oder gar zweifelsfrei gewesen ist.

Für die Frage, ob die Antragsgegnerin sich bei Wertung des Angebots vergaberechtsgemäß verhalten hat, kann es - entgegen der Auffassung der Antragsstellerin - nicht darauf ankommen, was sich im Nachhinein, nämlich bei der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer ergeben hat.

Nach alldem hat die Antragsgegnerin daher zu Recht § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A angewandt und das Angebot der Beigeladenen nach den Vorgaben dieser Norm korrigiert.

Der Antragsstellerin ist auch nicht insoweit zu folgen, als sie meint, dass für den Fall, dass die Auffassung der Beschwerdeführerin über die Anwendbarkeit und den absoluten Vorrang von § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A als richtig herausstelle, damit zugleich feststehe, dass das Angebot der Beilgeladenen zu 1) wegen einer unzutreffenden Preisangabe zwingend ausgeschlossen werden müsse. Würde die Anwendung des § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A dazu führen, dass das Angebot - wenn es nach dieser Norm korrigiert wäre - sodann wegen unzutreffender Preisangabe ausgeschlossen werden müsste, wäre § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A eine Norm, die zu absurden Ergebnissen führen würde. Das zeigt folgende Überlegung. § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A weist den Auftraggeber u. a. auch für den Fall, dass der Einheitspreis falsch ist, also ein unzutreffender Preis angegeben ist, an, diesen Einheitspreis als maßgebend seiner Wertung zugrunde zu legen. Wenn sich nun später herausstellt, dass der Einheitspreis falsch war, müsste der Auftraggeber - wollte man der Auffassung der Antragstellerin folgen - das Angebot ausschließen, obwohl er genau das getan hat, was die VOB/A in § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 von ihm fordert. Um dieses absurde Ergebnis zu vermeiden, ist der ganz h. M. in der Literatur zu folgen. Sie weist zu Recht darauf hin, dass die VOB grds. nicht davon ausgeht, dass rechnerische Fehler Angebote von der weiteren Vergabe ausschließen. Insoweit fehlt eine entsprechende Ausschlussbestimmung in § 25 Nr. 1 VOB/A (Kratzenberg in: Ingenstau/Korbion, 16. Aufl. 2007, A § 23 Rdn. 10). Zu Recht wird allerdings in der Literatur davon gesprochen, dass ein gemäß § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 korrigiertes Angebot dann gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A ausgeschieden werden muss, wenn es unangemessen niedrig ist. (Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam/Kullak/Mannsfeld, VOB, 11. Aufl. 2008, A § 23 Rdn. 17). Bei der Beurteilung des Angebotspreises nach § 25 Nr. 3 VOB/A muss die Vergabestelle aber immer auf das Gesamtangebot und nicht auf die Einzelpreise abstellen. Es geht nicht um die gegenüberstellende Wertung einzelner Positionen des Leistungsverzeichnisses, sondern um das Endergebnis des jeweiligen Angebots für sich (Kratzenberg in: Ingenstau/Korbion, 16. Aufl. 2007, A § 25 Rdn. 59). Betrachtet man aber das Gesamtangebot der Beschwerdeführerin so erweist es sich im Vergleich zu den anderen Angeboten nicht als ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis.

Soweit die Antragstellerin zur Rechtfertigung ihrer Auffassung auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 09.02.2009 - VII - Verg 66/08) verweist, geht dieser Hinweis fehl. Das OLG Düsseldorf befasst sich nicht mit der hier entscheidungserheblichen Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn eine Korrektur des (Gesamt-)Preises nach § 23 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/A erfolgt ist. Aus dem gleichen Grund geht auch der Hinweis auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.03.2007 (Verg 53/06) fehl.

Schließlich ist das Angebot der Beschwerdeführerin auch nicht - wie die Antragstellerin meint - deshalb auszuschließen, weil sie die geforderte 35 Mann-Erklärung nicht abgegeben hat. Gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A kann die nach dieser Vorschrift für den Einzelfall vorgeschriebene Eignungsprüfung durch den Abruf einer Eintragung im so genannten Präqualifikationsverzeichnis ersetzt werden (Schrammer in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl. 2007, A § 8 Rdn. 82). Die Beschwerdeführerin hat ausweislich Seite 2 ihres Angebots angegeben, dass sie präqualifiziert ist und hat darüber hinaus die im Präqualifikationsverzeichnis eingetragene Nummer angegeben. Die Antragstellerin hat in das Präqualifikationsverzeichnis Einsicht genommen und festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) 35 Mann kontinuierlich freisetzen kann (Bl. 239).

Soweit die Antragstellerin im Schriftsatz vom 15.05.2009 weitere Vergaberechtsverstöße geltend macht, ist dieses Vorbringen nicht zu berücksichtigen, weil es im Beschwerdeverfahren erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemacht wurde. Das Vorbringen ist zwar in einem nachgelassenen Schriftsatz enthalten, es ist aber neu, weil es nicht im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Gegner steht. Durch einen Schriftsatznachlass nach § 283 ZPO erhält eine Partei nur das Recht, sich über die Richtigkeit des ihr nicht rechtzeitig mitgeteilten gegnerischen Vorbringens zu erklären; weitere Ausführungen sind unzulässig und unbeachtlich (BGH, Urt. v. 14.03.1979 - IV ZR 80/78, juris Rdn. 26). Das Vorbringen im Schriftsatz vom 15.05.2009 zu weiteren Vergaberechtsverstößen war daher vom Schriftsatznachlass nicht erfasst. Eine Berücksichtigung dieses Vorbringens scheidet auch schon deswegen aus, weil die Gegner dazu nicht Stellung nehmen konnten.

2. Was die bedingte Anschlussbeschwerde betrifft, so ist schon außerordentlich fraglich, ob sie zulässig ist. Zwar wird in der Literatur formuliert es bestünden keine Bedenken, im Rahmen des zweitinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens die Anschlussbeschwerde analog ZPO und VwGO zuzulassen, und zwar sowohl in Gestalt der selbstständigen als auch der unselbstständigen Anschlussbeschwerde. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, der Antragssteller könne sich nicht mit Erfolg einer etwaigen Beschwerde eines Beigeladenen anschließen und umgekehrt. Das ergebe sich sinngemäß aus den Grundsätzen die für die Anschließung im Berufungsrechtszug vor den Zivil- oder Verwaltungsgerichten gelten würden. Dort könnten mit der Anschlussberufung nur gegen den Berufungskläger gerichtete Ansprüche geltend gemacht werden. Da Ansprüche auf Einhaltung vergaberechtlicher Bestimmungen nur gegen den öffentlichen Auftraggeber bestünden, niemals aber gegen andere am Auftrag interessierte Unternehmen, könnten sich Unternehmen wegen der Einhaltung solcher Bestimmungen nur der Beschwerde des Auftraggebers anschließen, nicht aber der eines anderen Unternehmens. Sie müssten dann vielmehr selbst als Antragssteller oder Beigeladene sofortige Beschwerde einlegen (vgl. Beck'scher VOB-Komm./Gröning, § 116 GWR Rdn. 16 ff.).

Selbst wenn man aber entgegen dieser Auffassung von der Zulässigkeit der Beschwerde ausginge, wäre sie unbegründet. Wie vorstehend im Einzelnen dargelegt wurde, hat sich die Antragsgegnerin vergaberechtskonform verhalten und berücksichtigungsfähige Gründe für eine Ausschließung des Angebots der Beschwerdeführerin liegen nicht vor. Die Anschlussbeschwerde kann von daher keinen Erfolg haben.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 101 Abs. 1 ZPO. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten ergibt sich für das Beschwerdeverfahren aus § 120 Abs. 1 GWB und war für das Verfahren vor der Vergabekammer gem. § 128 Abs. 4 GWB festzustellen.

Ende der Entscheidung

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