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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.12.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 249/06
Rechtsgebiete: VV RVG


Vorschriften:

VV RVG Nr. 7002
Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und das sich hieran anschließende gerichtliche Strafverfahren erster Instanz betreffen dieselbe Angelegenheit. Der in beiden Verfahren tätige Rechtsanwalt kann die Auslagenpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG daher nur einmal fordern.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

1 Ws 249/06

Strafsache

wegen Totschlags

(hier: Festsetzung der Vergütung des Nebenklagevertreters)

Auf die Beschwerde des Nebenklagevertreters vom 22. November 2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken - 14. Strafkammer - vom 16. November 2006 hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 15. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister den Richter am Oberlandesgericht Wiesen nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Saarbrücken

beschlossen: Tenor:

1. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer war der Nebenklägerin mit Beschluss vom 10. Mai 2005 beigeordnet worden. Im hiesigen Verfahren begehrt er Festsetzung seiner Vergütung für das Verfahren vor dem Landgericht und das vorangegangene Ermittlungsverfahren. Auf seinen Antrag vom 4. August 2005 über 2549,68 Euro hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts am 20. Oktober 2005 Gebühren in Höhe von 2526,48 Euro festgesetzt. Die Erinnerung des Rechtsanwalts vom 10. November 2005 gegen die Absetzung der doppelt - sowohl für das Ermittlungsverfahren wie für das Hauptverfahren - in Ansatz gebrachten Auslagenpauschale für Post- und Kommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,-- Euro zzgl. anteiliger Mehrwertsteuer hat die Strafkammer, nachdem der Einzelrichter ihr das Verfahren übertragen hatte, durch den angefochtenen Beschluss als unbegründet verworfen und die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen. Der Nebenklagevertreter hat gegen den ihm am 21. November 2006 zugestellten Beschluss mit am 24. November 2006 eingegangenem Schriftsatz vom 22. November 2006 Beschwerde eingelegt.

II.

Dem nach ausdrücklicher Zulassung der Beschwerde gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG zulässigen, insbesondere fristgerecht (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG) eingelegten Rechtsmittel, über das gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG der Senat in voller Besetzung zu entscheiden hat, bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Die Strafkammer hat zu Recht entschieden, dass der Nebenklagevertreter die Pauschale für Post- und Kommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,-- € zuzüglich anteiliger Mehrwertsteuer nur einmal verlangen kann.

Gemäß Nr. 7002 VV RVG kann die Pauschale für Post- und Kommunikationsdienstleistungen in jeder Angelegenheit anstelle der tatsächlichen Auslagen nach Nr. 7001 VV RVG gefordert werden. Entscheidend ist insoweit, ob gebührenrechtlich eine Angelegenheit vorliegt (Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., VV 7001, 7002, Rn. 21). Entgegen der Auffassung des Nebenklagevertreters stellen das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und das sich an dieses anschließende gerichtliche Verfahren erster Instanz dieselbe Angelegenheit im Sinne dieser Bestimmung dar, weshalb die Pauschale auch nur einmal anfällt (ebenso: Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., § 15 RVG Rn. 44, VV 7001, 7002, Rn. 4; Müller-Rabe, a. a. O., § 17 RVG Rn. 59; LG Koblenz, Beschl. v. 9. Mai 2005 - 2090 Js 36906/04 - 2 KLs ; LG Düsseldorf, Beschl. v. 10. Juni 2005 - XI 1 Qs 66/05; LG Saarbrücken, Beschl. v. 15. Dezember 2006 - 8 Qs 124/06; a.A.: Madert, Rechtsanwaltsvergütung in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Rn. 292; ders. in AGS 2006, 105 f.; Schneider in: Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl., S. 1440, 1447, 1667; ders. in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Teil 14, Rn. 322 f., 380). Maßgebend hierfür sind folgende Erwägungen:

1. Der im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - wie schon in der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - mehrfach genannte, dort jedoch nicht definierte Begriff der Angelegenheit dient gebührenrechtlich zur Abgrenzung desjenigen anwaltlichen zusammengehörenden Tätigkeitsbereichs, den eine Pauschgebühr abgelten soll (vgl. Hartmann, a. a. O., § 15 RVG Rn. 10; Madert in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, a. a. O., § 15 RVG Rn. 5). Unter einer Angelegenheit ist der einheitliche Lebensvorgang zu verstehen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt, wobei es auf Art und Umfang des erteilten Auftrags ankommt (vgl. Hartmann, a. a. O., § 15 RVG Rn. 14 ff.; Madert in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, a. a. O., § 15 RVG Rn. 6 ff.). Ausgehend hiervon entsprach es unter der Geltung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte allgemeiner Auffassung, dass Ermittlungsverfahren und nachfolgendes gerichtliches Verfahren nur eine Angelegenheit darstellen, weshalb der Pauschsatz nach § 26 Satz 2 BRAGO nur einmal gefordert werden konnte (vgl. v. Eicken in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 26 Rn. 6 m. w. N.). Nach dem nunmehr maßgebenden Rechtsanwaltsvergütungsgesetz gilt nichts anderes.

2. Aus § 15 Abs. 2 RVG lässt sich für die gegenteilige Auffassung nichts herleiten. Danach kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern, in gerichtlichen Verfahren jedoch in jedem Rechtszug. Zwar sehen Nr. 4104 VV RVG für das Ermittlungsverfahren einerseits und Nr. 4106 f., 4112 f., 4118 f. VV RVG für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges andererseits jeweils eine eigene Verfahrensgebühr vor. Daraus folgt jedoch nicht, dass deshalb auch verschiedene Angelegenheiten vorliegen (vgl. Müller-Rabe, a. a. O.; a. A.: Madert, AGS 2006, 105, 106). Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Verfahrensgebühren, die innerhalb derselben Angelegenheit nebeneinander entstehen können. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG verhindert nur, dass dieselbe Gebühr innerhalb einer Angelegenheit mehrfach entsteht. Die im Vergütungsverzeichnis getroffene Regelung besagt hingegen lediglich, dass innerhalb einer Angelegenheit mehrere Verfahrensgebühren entstehen können. Im Übrigen erhielt bereits unter der Geltung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte der Rechtsanwalt, der sowohl im Ermittlungs- als auch im gerichtlich anhängigen Strafverfahren außerhalb der Hauptverhandlung tätig war, die Verfahrensgebühr nach § 84 BRAGO doppelt (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 83 Rn. 9, § 84 Rn. 16), ohne dass die Entstehung gesonderter Verfahrensgebühren im Ermittlungsverfahren einerseits und im gerichtlich anhängigen Verfahren andererseits an der allgemeinen Auffassung, dass Ermittlungsverfahren und gerichtliches Verfahren dieselbe Angelegenheit betreffen, etwas geändert hätte. Dass dies nunmehr im Vergütungsverzeichnis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes in unterschiedlichen Unterabschnitten für das vorbereitende Verfahren einerseits und das gerichtliche Verfahren andererseits geregelt ist, lässt nicht den Rückschluss zu, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das sich hieran anschließende gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sein sollen.

3. Aus denselben Gründen vermag der Nebenklagevertreter entgegen der von ihm vertretenen Auffassung auch nichts aus dem Umstand herzuleiten, dass nach der Anmerkung zu Nr. 4102 VV RVG die nach dieser Gebührenziffer anfallende Terminsgebühr im vorbereitenden Verfahren und in jedem Rechtszug gesondert anfallen kann (a. A.: Schneider in: Hansens/Braun/Schneider, a. a. O., Teil 14, Rn. 323; Madert, AGS 2006, 105, 106). Ebenso wenig rechtfertigt die Anmerkung Absatz 3 zu Nr. 4142 VV RVG, wonach die Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen "für das Verfahren des ersten Rechtszugs einschließlich des vorbereitenden Verfahrens und für jeden weiteren Rechtszug" entsteht, im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber im Verhältnis des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu dem anschließenden gerichtlichen Verfahren von mehreren Angelegenheiten ausgegangen ist (a.A.: Madert, AGS 2006, 105, 106). Die gewählte Formulierung, wonach das Verfahren des ersten Rechtszugs das vorbereitende Verfahren einschließt, spricht vielmehr im Gegenteil gerade dafür, dass beide Verfahren eine Angelegenheit sind.

4. Der Gesetzgeber des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes hat in § 16 RVG bestimmte Tätigkeiten des Rechtsanwalts derselben Angelegenheit zugeordnet, bei denen es ohne diese Vorschrift zumindest zweifelhaft wäre, ob sie dieselbe Angelegenheit betreffen (vgl. Müller-Rabe, a. a. O., § 16 RVG Rn. 1). Ferner hat er in § 17 f. RVG Tätigkeiten geregelt, die verschiedene bzw. besondere Angelegenheiten bilden. Eine ausdrückliche Regelung für das Verhältnis des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zu dem sich an dieses anschließenden gerichtlichen Verfahren findet sich in diesen Bestimmungen nicht. Schon dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber von der bereits unter der Geltung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte einhellig vertretenen Auffassung, dass staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren und anschließendes gerichtliches Verfahren dieselbe Angelegenheit sind, ausgegangen ist. Hierfür spricht zudem die in § 17 Nr. 10 RVG getroffene Regelung. Danach bilden das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nach dessen Einstellung sich anschließendes Bußgeldverfahren verschiedene Angelegenheiten. Einer solchen klarstellenden Regelung hätte es jedoch nicht bedurft, wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche Strafverfahren nach Auffassung des Gesetzgebers als verschiedene Angelegenheiten anzusehen wären. Denn in diesem Fall hätte es auf der Hand gelegen, dass dies für das Verhältnis des Ermittlungsverfahrens zu dem sich nach dessen Einstellung anschließenden Bußgeldverfahren erst Recht gilt (vgl. Müller-Rabe, a. a. O., § 17 Rn. 59).

5. Schließlich vermag auch das von dem Nebenklagevertreter zur Untermauerung der von ihm vertretenen Auffassung vorgetragene Argument (vgl. hierzu Madert, AGS 2006, 105, 106), es sei nicht nachvollziehbar, dass in sämtlichen anderen Verfahren (Zivilsachen, FGG-Sachen, verwaltungs-, finanz- und sozialgerichtlichen Verfahren) die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts und die nachfolgende gerichtliche Tätigkeit zwei verschiedene Angelegenheiten auslösten und dies ausgerechnet in Straf- und Bußgeldsachen nicht gelten solle, nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat hinsichtlich der von dem Nebenklagevertreter genannten anderen Verfahren in § 17 RVG ausdrücklich eine Regelung dahin getroffen, dass das gerichtliche Verfahren und die ihm vorausgehenden, in der Vorschrift bezeichneten Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind. Für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das hieran anschließende gerichtliche Strafverfahren fehlt es demgegenüber an einer solchen ausdrücklichen Regelung. Es liegt insoweit auch keine Regelungslücke vor. Vielmehr folgt aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung, dass der Gesetzgeber im Verhältnis des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu dem anschließenden gerichtlichen Verfahren weiterhin von einer Angelegenheit ausgegangen ist. Zudem fehlt es an der Vergleichbarkeit des Ermittlungsverfahrens mit den dem gerichtlichen Verfahren auf den anderen genannten Rechtsgebieten vorausgehenden Verfahren. Während die sonstigen außergerichtlichen Verfahren darauf abzielen, die Sache abschließend und möglichst ohne gerichtliche Hilfe abzuschließen, soll das Ermittlungsverfahren, wenn sich ein hinreichender Tatverdacht ergibt, in das gerichtliche Verfahren münden. Zwischen dem Ermittlungsverfahren und dem anschließenden strafgerichtlichen Verfahren besteht daher von Anfang an eine wesentlich engere Bindung als dies in anderen Rechtsgebieten bei den dort dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden Verfahren der Fall ist (vgl. Müller-Rabe, a. a. O., § 17 RVG Rn. 59).

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG).

Ende der Entscheidung

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