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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 14.11.2006
Aktenzeichen: 4 U 227/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, EGBGB


Vorschriften:

ZPO § 529
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1
BGB § 195
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 208 a.F.
BGB § 242
BGB § 252 Satz 1
BGB § 843 Abs. 1
BGB § 852 a.F.
BGB § 852 Abs. 1 a.F.
EGBGB Art. 229 § 6
EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 1
Rechtsmissbräuchliche Erhebung einer Verjährungseinrede.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

4 U 227/06

Verkündet am 14.11.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Göler, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Dörr und den Richter am Landgericht Emanuel auf die mündliche Verhandlung vom 17.10.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9.3.2006 - 14 O 386/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.002,27 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der im Jahr 1963 geborene Kläger die beklagte Versicherungsgesellschaft wegen eines Verkehrsunfalls auf Zahlung von Verdienstausfall in Anspruch.

Der Kläger erlitt am 8.4.1979 einen Verkehrsunfall, der von einem bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der A.-Versicherung, haftpflichtversicherten Verkehrsteilnehmer verursacht wurde. Die volle Haftung der Beklagten für die dem Kläger aus dem Unfallereignis entstandenen Schäden steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger wurde schwer verletzt.

Am 13.5.1980 schloss der Kläger, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Abfindungserklärung (Bl. 58 d. A.). Die Abfindungserklärung lautet auszugsweise:

"Für alle Ansprüche, die ich in meinem Namen und im Namen der durch mich gesetzlich vertretenen Personen gegen die A.-Versicherungs-Aktiengesellschaft...stellen kann, erkläre ich mich endgültig abgefunden, wenn mir die A. innerhalb drei Wochen nachdem diese Erklärung bei ihr eingegangen ist, eine Entschädigung von 10.000 DM überweist."

Handschriftlich findet sich folgender Eintrag:

"Nicht erfasst ist ein eventueller unfallbedingter immaterieller ZS für den Fall, dass eine Verschlimmerung eintritt, die eine MdE von mehr als 30% nach sich zieht sowie ein eventueller unfallbedingter materieller ZS (Verdienstausfall) bis 30.6.1982."

Vor dem Unfall war der Beklagte als Hauer unter Tage eingesetzt. Seit dem Unfall konnte er aufgrund der unfallbedingten gesundheitlichen Beschwerden lediglich über Tage arbeiten. Er erlitt hierdurch einen Verdienstausfall, den die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger bis Oktober 1994 unmittelbar erstattete. In den Jahren 1987 und 1988 wurden Verhandlungen über den entstandenen Verdienstausfall geführt. So kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten in einem Schreiben vom 6.8.1987 (Anlage zur Klageschrift; Bl. 134) an, dass sie den monatlichen Verdienstausfall zunächst bis Dezember 1986 ausgleichen werde. Eine genaue Abrechnung könne "jedoch erst nach Ende eines jeden Jahres erfolgen". Das Schreiben nimmt weiterhin Bezug auf eventuelle Ansprüche des Klägers wegen Kürzungen des Altersruhegeldes. Hierzu führt das Schreiben aus:

"Ihr Mandant kann eine etwaige Leistungskürzung erstattet verlangen, wenn sich diese bei Eintritt eines Versicherungsfalls konkret berechnen lässt. Es muss also in jedem Fall die spätere Rentenberechtigung abgewartet werden, um dann den unfallbedingten, konkreten Rentenverlust zu berechnen."

Ab Oktober 1994 bezog der Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente von der Bundesknappschaft, die seine finanziellen Nachteile vollständig ausglich. Hierauf stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die unmittelbaren Zahlungen an den Kläger ein. Sie wurde stattdessen von der Bundesknappschaft bis zur Höhe der Verdienstdifferenz regressiert. Dennoch nahm der Kläger die Rechtsvorgängerin zunächst außerprozessual auf Zahlung eines weiteren Verdienstausfalls in Anspruch. Mit einem an die Rechtsvertreter des Klägers gerichteten Schreiben vom 6.10.1995 (Bl. 29 d. A.) trat die Rechtsvorgängerin diesem Begehren entgegen. Das Schreiben lautet auszugsweise:

"Ihre Ausführungen zur Neuberechnung der Rente von der Knappschaft sind uns unverständlich. Bekanntlich hatten wir in der Vergangenheit den jeweiligen Minderverdienst Ihres Mandanten voll ausgeglichen, weshalb ihm ein weiterer Anspruch nicht mehr zusteht. Dies gilt auch für die Zukunft, da die Rente wegen Berufsunfähigkeit den monatlichen Minderverdienst in jedem Falle übersteigt. Sollten Sie bezüglich der Berechnung der Rente begründete Zweifel haben, so wollen Sie sich bitte an die Bundesknappschaft wenden, da diese hierfür ausschließlich zuständig ist."

Mit Schreiben vom 15.3.1996 (Anlage zur Klageschrift und Bl. 135 d. A.) wandte sich die Rechtsvorgängerin an den Vater des Klägers. Auch dieses Schreiben nimmt Bezug auf eine mögliche unfallbedingte Verkürzung des Altersruhegeldes. Das Schreiben lautet auszugsweise:

"Die fehlenden Beiträge konnten Ihrem Sohn nicht erstattet werden, weil er von der Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung her keine Möglichkeit hatte, diese Beiträge als freiwillige Beiträge neben seinen Pflichtbeiträgen dort einzuzahlen. Die Rechtsprechung des BGH hat dem Geschädigten deshalb insoweit nur einen Feststellungsanspruch eingeräumt. Darauf haben wir auch in unserem Schreiben vom 6.8.1987 an den Rechtsanwalt Ihres Sohnes hingewiesen. Dieser mögliche Rentenverkürzungsschaden beim Altersruhegeld wird - da es sich um einen Teil des Erwerbsschadens handelt - von dem Vorbehalt hinsichtlich des Verdienstausfalls umfasst, so dass Ihrem Sohn insoweit kein Schadensersatzanspruch abgeschnitten ist."

Der Verdienstausfallschaden war Gegenstand des vor dem Landgericht Saarbrücken geführten Rechtsstreits 1 O 465/05.

Zum 30.9.2004 schied der Kläger bei der D. S. AG aus. Er ist seitdem auf die neu berechnete Berufsunfähigkeitsrente angewiesen, die sich ab dem 1.12.2004 auf monatlich 1.173,09 EUR beläuft. Für die Zeit vom 1.9.2004 bis zum 30.11.2004 erhielt der Kläger auf die zuvor gezahlte Berufsunfähigkeitsrente eine Nachzahlung in Höhe von 2.734,53 EUR (Angaben aus Rentenbescheid).

Nachdem der Kläger die Beklagte vorprozessual auf Zahlung von Verdienstausfallschaden in Anspruch genommen hatte, erhob die Beklagte mit Schreiben vom 22.12.2004 die Einrede der Verjährung.

Der Kläger begehrt Zahlung von Verdienstausfall für den Zeitraum 1.9.2004 bis 30.9.2005. Er hat behauptet, er würde auf der Basis fiktiver, nicht unfallbedingt geminderter Erwerbstätigkeit eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.557,79 EUR erhalten. Die Differenz zur tatsächlich bezogenen Rente betrage monatlich 384,79 EUR. In jedem Fall hätte der Kläger ohne das Unfallgeschehen bis zum heutigen Tage ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.974,18 EUR erzielt. Hiervon seien berufsbedingte Aufwendungen in Abzug zu bringen. Steuerbereinigt betrage die Ersparnis 346,50 EUR. Mithin läge das fiktive Nettoeinkommen bei 1.627,68 EUR, folglich noch über dem Betrag der fiktiven Berufsunfähigkeitsrente.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.002,27 EUR nebst 5-Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 3.078,32 EUR seit dem 9.4.2005 und jeweils aus 384,79 EUR seit dem 1.5., 1.6., 1.7., 1.8. und 1.9.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Im angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil (Bl. 79 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger das abgewiesene Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Er vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 12.6.2006 (Bl. 112 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 9.3.2006 - 14 O 386/05 - nach Maßgabe des erstinstanzlichen Antrags zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 20.7.2006 (Bl. 127 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 17.10.2006 (Bl. 178 ff. d. A.) verwiesen.

II.

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da die angefochtene Entscheidung nicht auf einem Rechtsfehler beruht und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen keine für den Kläger günstigere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 ZPO). Aus den vom Landgericht dargelegten Gründen sind die Ansprüche des Klägers verjährt. Entgegen der Auffassung der Berufung verstößt die Erhebung der Verjährungseinrede nicht gegen Treu und Glauben.

1. Die Haftung der Beklagten für die dem Kläger entstandenen materiellen und immateriellen Unfallschäden steht dem Grunde nach außer Streit; sie beurteilt sich nach dem vor dem 1.8.2002 geltenden Recht, da das Unfallereignis vor dem 1.8.2002 eingetreten ist (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB; § 7 Abs. 1 StVG a.F., § 823 BGB i. V. m. § 3 Nr. 3 PflVG).

2. Der Kläger begehrt Erstattung eines Verdienstausfallschadens für den abgeschlossenen Zeitraum vom 1.9.2004 bis zum 30.9.2005. Der Verdienstausfallschaden findet seine Rechtsgrundlage in § 843 Abs.1 BGB, § 252 Satz 1 BGB und ist auf monatlich fällig werdende Leistungen gerichtet. Hier beginnt die Verjährung erst mit dem Schluss des Jahres, in dem die Ansprüche entstanden, d. h. fällig geworden sind (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 199 Rdnr. 3; vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2002 - VI ZR 288/00, NJW 2002, 1791, 1792 m. w. Nachw.). Da der Kläger nur den ab September 2004 fällig gewordenen Verdienstausfallschaden begehrt, wäre die gem. Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB maßgebliche regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Allerdings haben diese Grundsätze eine Ausnahme erfahren: Der Geschädigte kann sich nicht auf den späteren Verjährungsablauf nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB berufen, wenn bereits das Stammrecht - im vorliegenden Fall: der deliktsrechtliche Schadensersatzanspruch als solcher - verjährt ist. Davon ist hier auszugehen.

a) Die Verjährung des Stammrechts richtet sich nach dem vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts geltenden Recht (im Folgenden: BGB a.F.). Denn der deliktsrechtliche Schadensersatzanspruch als solcher ist mit dem Unfallereignis im Jahre 1979, folglich vor dem maßgeblichen Stichtag des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, dem 1.1.2002, entstanden (Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB).

b) Deliktsrechtliche Ansprüche verjähren gemäß § 852 BGB a.F. in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden (und der Person des Ersatzpflichtigen) Kenntnis erlangt hat. Hierbei reicht bereits eine allgemeine Kenntnis vom eingetretenen Schaden aus. Auch solche Folgezustände gelten als bekannt, die zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung überhaupt nur als möglich vorhersehbar waren (st. Rspr.: RGZ 119, 204, 208; BGHZ 67, 37, 373; 33, 12, 116; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 199 Rdnr. 31). Dabei kommt es für die Beantwortung nach der möglichen Vorhersehbarkeit nicht stets auf die Sicht des Geschädigten an. Vielmehr ist insbesondere bei Körperschäden die Sicht der medizinischen Fachkreise entscheidend. Erst dann, wenn sich Folgezustände später als unerwartet einstellen, ist der Beginn der Verjährung i. d. R. von dem Zeitpunkt an zu rechnen, in dem der Verletzte von den nachträglich eingetretenen Schäden Kenntnis erhält (BGH, Urt. vom 16.11.1999 - VI ZR 37/99, NJW 2000, 861, 862; Urt. v. 3.6.1997 - VI ZR 71/96, NJW 1997, 2448; vgl. auch Urt. v. 27.11.1997 - VI ZR 2/90, NJW 1991, 973).

Im vorliegenden Sachverhalt tragen die Parteien nicht vor, welche konkreten Verletzungen der Kläger davontrug. Der Kläger beschränkt sich auf die Angabe, er sei sehr schwer verletzt worden. Auch fehlt ein Sachvortrag, aufgrund welcher Unfallfolge eine Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit eintrat. Dennoch ist der Schluss erlaubt, dass die Möglichkeit der Verdienstminderung zeitnah zum Unfall in Betracht gezogen wurde. Denn ansonsten hätten die Parteien keine Veranlassung gesehen, Vermögenseinbußen wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit von der Abfindungswirkung eingeschränkt auszunehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass die tatsächlich eingetretene Minderung der Erwerbfähigkeit aufgrund einer unvorhersehbaren Unfallfolge eintrat. Demnach begann die Verjährung des Stammrechts bereits im Jahr 1979 zu laufen.

c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die dreijährige Frist des § 852 Abs. 1 BGB a.F., nicht die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F. maßgeblich.

aa) Nach dem vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geltenden Recht konnte ein deklaratorisches Anerkenntnis im Rahmen eines Abfindungsvergleichs die Wirkung eines titelersetzenden Anerkenntnisses besitzen. Dies hatte zur Folge, dass sich der Anerkennende wie bei einem gerichtlichen Feststellungsurteil 30 Jahre der Verjährungseinrede begab (BGH, Urt. v. 28.1.2003 - VI ZR 263/02, NJW 2003, 1524; Urt. v. 23.10.1984 - VI ZR 30/83, VersR 1985, 62, 63; Urt. v. 23.6.1998 - VI ZR 327/97, VersR 1998, 1387). Es kann offen bleiben, ob diese Rechtsgrundsätze entgegen der Auffassung des Landgerichts auch im geltenden Recht Beachtung finden müssen: So wird insbesondere in der Literatur die Auffassung vertreten, dass auch nach neuem Recht ein anerkannter Anspruch wie ein rechtskräftig festgestellter Anspruch in 30 Jahren verjährt, wenn das Anerkenntnis von dem gemeinsamen Vertragswillen getragen wird, einen Titel zu ersetzen (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 197 Rdnr. 11; Bamberger/Roth/Henrich, BGB, § 197 Rdnr. 19). Letztlich bedarf die Rechtsfrage keiner Vertiefung, da die hier zu beurteilende Abfindungserklärung vom 13.5.1980 die materiellen Voraussetzungen, die an ein titelersetzendes Anerkenntnis zu stellen sind, nicht erfüllt:

bb) Entscheidend sind die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 28.1.2003 angeführten Argumente: Auch in der vorliegend zu beurteilenden Abfindungserklärung findet sich gerade keine Formulierung, wonach die Ansprüche "in Grund und Höhe für Vergangenheit und Zukunft ersetzt werden". Hinzukommt, dass die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach offensichtlich unstreitig war. Es bestand kein nahe liegendes Interesse, die Haftungsfrage mit den Wirkungen eines Anerkenntnisses dem - hier nicht existierenden - Streit der Parteien zu entziehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Abschluss der Abfindungsvereinbarung den Geschädigten davon abgehalten haben mag, ein Feststellungsurteil zu erwirken, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht vorgetragen, dass der Geschädigte zeitlich vor der Abfindungsvereinbarung mit der Bitte um Abgabe eines Anerkenntnisses an die Beklagte herangetreten war und im Vertrauen auf die Anerkenntniswirkung der Vereinbarung von der prozessualen Option Abstand nahm, die Beklagte auf Feststellung der Einstandspflicht zu verklagen (vgl. OLGR Oldenburg 1997, 40; OLGR Hamm 1994, 69). Ein Erfahrungssatz, wonach Abfindungsvereinbarungen stets mit einem titelersetzenden Anerkenntnis verbunden zu werden pflegen, ist nicht nachgewiesen.

d) Weiterhin steht die Hemmungswirkung des § 852 BGB a. F. der Verjährung nicht entgegen: Alle etwaigen Verhandlungen waren jedenfalls nach Zugang des Schreibens vom 10.3.1996 beendet. Der Kläger trägt nicht vor, nach diesem Zeitpunkt, insbesondere nach dem für den Kläger negativen Ausgang des vor dem Landgericht geführten Rechtsstreits noch einmal in Verhandlungen mit der Beklagten eingetreten zu sein.

e) Auch die Unterbrechung, die durch die bis 2004 fortdauernde Zahlung des anteiligen Verdienstausfalls eingetreten war, hinderte die Verjährung nicht:

Zwar war es anerkannt, dass bei wiederkehrenden Leistungen die Bezahlung einer einzelnen Rate als verjährungsunterbrechendes Anerkenntnis zu qualifizieren ist, welches gem. § 208 BGB a.F. zugleich die Verjährung des Stammrechts unterbricht (Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 208 Rdnr. 5; BGH, NJW 1967, 2353). Allerdings ist mit einer Zahlung gegenüber dem Sozialversicherungsträger, auf den der Anspruch übergegangen ist, kein Anerkenntnis gegenüber dem Verletzten verbunden. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Sozialversicherungsträger die Tatsache der Leistungserbringung an den Versicherten weitergibt (Staudinger/Peters, BGB, 13. Auflage, § 208 Rdnr. 39; vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 212 Rdnr. 7; Bamberger/Roth/Henrich, BGB, § 212 Rdnr. 10; OLG Oldenburg, VersR 1967, 384, 385). Da die letzte Zahlung gegenüber dem Kläger selbst offensichtlich bereits im Oktober 1994 erbracht wurde, war das Stammrecht spätestens im Oktober 1997 verjährt.

f) Soweit das Landgericht in der Erhebung der Verjährungseinrede keinen Verstoß gegen Treu und Glauben erblickt hat, bleiben die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe des Klägers im Ergebnis ohne Erfolg:

aa) Die Besonderheit des Falles besteht darin, dass die Beklagte von Beginn des Unfallereignisses an bis ins Jahr 2004 den Verdienstausfallschaden lückenlos beglichen hat: Sie leistete zunächst in der Rechtsperson ihrer Rechtsvorgängerin unmittelbar an den Kläger und stellte hierbei ihre grundsätzliche Einstandspflicht weder in der Abfindungsvereinbarung vom 13.5.1980 noch in den Verhandlungen des Jahres 1987 und 1988 infrage. Ab 1994 wurde dann 10 Jahre lang Verdienstausfall gegenüber der Bundesknappschaft gezahlt.

Entscheidendes Gewicht kommt den Schreiben vom 6.8.1987 und vom 15.3.1996 zu. In beiden Schreiben lässt sich kein Anhaltspunkt dafür finden, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten sich nur für eine bestimmte Zeit zu Leistungen von Verdienstausfall verpflichtet gesehen hätte. Die gegenteilige Schlussfolgerung liegt nahe: Die Rechtsvorgängerin der Beklagten weist ausdrücklich darauf hin, dass dem Kläger bezüglich einer möglichen Rentenverkürzung zum Zeitpunkt der Abfassung der Schreiben keinerlei Nachteile drohen. Der Verfasser der Schreiben beruhigte den Kläger geradezu, indem er ausführt, in jedem Falle müsse die spätere Rentenberechnung abgewartet werden, um dann den unfallbedingten konkreten Rentenverlust auszugleichen. Das Schreiben vom 10.3.1996 formuliert noch drastischer, dem Kläger sei insoweit kein Schadensersatzanspruch abgeschnitten, da der mögliche Rentenverkürzungsschaden beim Altersruhegeld von dem Vorbehalt hinsichtlich des Verdienstausfalls umfasst werde.

bb) Bei verständiger Würdigung hat die Beklagte den Vertrauenstatbestand begründet, dass durch ein weiteres Zuwarten - ohne Differenzierung hinsichtlich einzelner Schadensfolgen (Rentenkürzung oder Verdienstausfall) - keine Rechtsnachteile entstünden. Insbesondere ist der Hinweis im Schreiben vom 15.3.1996 auf die Möglichkeit einer Feststellungsklage entgegen der Auffassung der Beklagten nicht so zu verstehen, als habe die Beklagte die Erhebung einer Feststellungsklage zur Vermeidung von Rechtsnachteilen angeregt. Der entsprechende Passus diente lediglich als Argumentationshilfe dafür, weshalb dem Leistungsbegehren des Klägers zum damaligen Zeitpunkt kein Erfolg beschieden sein konnte. In dieser Situation verstößt es zunächst gegen das Verbot des venire contra factum proprium, wenn die Beklagte ohne Vorankündigung die Einrede der Verjährung erhebt. Entgegen der Rechtsausfassung des Landgerichts ist eine für die Beklagte günstigere Bewertung nicht deshalb geboten, weil die Ansprüche im Jahr 1996 noch nicht verjährt gewesen sein mögen. Der Vorwurf lautet doch gerade, dass die Beklagte den Kläger durch die Erweckung des Vertrauens von der Einleitung verjährungshindernder Schritte abgehalten hat.

dd) Dennoch reicht der aus § 242 BGB herzuleitende Schutz nur so weit, wie der Vertrauenstatbestand in tatsächlicher Hinsicht aufrechterhalten wird. Nach dem Wegfall der die Unzulässigkeit der Rechtsausübung begründenden Umstände beginnt keine neue Verjährungsfrist. Vielmehr muss der Gläubiger in diesem Fall seinen Anspruch innerhalb einer angemessenen Zeitspanne gerichtlich geltend machen. Bei der Bemessung dieser Frist sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls von Bedeutung. Hierbei kommt es insbesondere auf den Umfang und die Schwierigkeit der Rechtssache an. Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass der Gläubiger zügig handeln muss, wobei als Richtschnur eine Frist von 4 Wochen bzw. einem Monat nicht überschritten werden darf (BGH, Urt. v. 6.12.1990 - VII ZR 126/90, NJW 1991, 974, 975; OLG Hamburg, VersR 1978, 45, 46; Staudinger/Peters, BGB, 13. Aufl., § 222 Rdnr. 24; Palandt/Heinrichs, aaO., Überblick vor § 194 Rdnr. 20; BGH, Urt. v. 20.1.1976 - VI ZR 15/74, NJW 1976, 2344, 2345: 4 Monate jedenfalls zu lang; vgl. auch MüchKomm(BGB)/Grothe, 4. Aufl. § 225 Rdnr. 3).

Wendet man diese Rechtsgrundsätze an, so ist festzuhalten, dass die Beklagte das von ihrer Rechtsvorgängerin geschaffene Vertrauen, auf die Erhebung der Verjährungseinrede zu verzichten, in ihrem Schreiben vom 22.12.2004 beendete. In diesem an den späteren Prozessbevollmächtigten gerichteten Schreiben nahm die Beklagte auf den vorangegangenen Schriftwechsel Bezug und stellte unmissverständlich klar, dass sie mit Blick auf die zwischenzeitlich eingetretene Verjährung der Ansprüche keine weitere Regulierung vornehmen werde. Dennoch hat der Kläger erst am 27.5.2005, mithin 5 Monate später, im beigezogenen Verfahren 14 O 213/05 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchsetzung der ab dem 1.9.2004 aufgelaufenen Ansprüche auf Verdienstausfall eingereicht.

Diese Frist übersteigt die in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Regelfrist bei weitem. Auch die Umstände des Einzelfalls bilden keine Grundlage, um dem Kläger eine so lange Bearbeitungsfrist ohne Rechtsnachteile zuzugestehen: Der anspruchsrelevante Sachverhalt ist überschaubar. Hinzu kommt, dass das die Verjährungseinrede beinhaltende Schreiben direkt an den Prozessbevollmächtigten adressiert war, der mithin ohne weitere Verzögerungen unmittelbar mit der rechtlichen Prüfung beginnen konnte. Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Prüfung der Verjährungseinrede gerade zum Jahresende 2004 mit Blick auf die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 6 EGBGB in den Fokus der rechtlichen Beratung trat.

Soweit der Kläger im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 29.9.2006 (Bl. 154 ff. d. A.) die lange Frist damit zu erklären suchte, dass Nachforschungen bei den früheren Bevollmächtigten des Klägers anzustellen gewesen seien, verhilft dieser Vortrag der Berufung bereits deshalb nicht zum Erfolg, da nicht einlassungsfähig vorgetragen wurde, welche wichtigen Unterlagen nicht vorhanden waren und über welchen genauen Zeitpunkt sich die ergebnislose Nachforschung bei den früheren Bevollmächtigten erstreckte. Darüber hinaus müsste sich der Kläger eine eventuelle Nachlässigkeit seiner früheren Bevollmächtigten als eigenes Versäumnis zurechnen lassen.

3. Ungeachtet der Verjährungseinrede kann der Klage weiterhin deshalb nicht stattgegeben werden, weil der Kläger die Höhe des geltend gemachten Verdienstausfalls nicht schlüssig dargelegt hat:

a) Der Kläger kann den Anspruch nicht auf die rechnerische Differenz zu derjenigen Berufsunfähigkeitsrente stützen, die er erhalten würde, falls er bislang höhere Sozialversicherungsbeiträge eingezahlt hätte. Diese Betrachtungsweise verkennt, dass der Kläger ohne Unfallereignis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine, mithin auch nicht die höhere Berufsunfähigkeitsrente beziehen würde. Damit wurde das Unfallereignis für die in der Differenz der Berufsunfähigkeitsrenten liegende Vermögenseinbuße nicht kausal.

b) Soweit der Kläger geltend macht, dass er ohne Unfall derzeit ein höheres Arbeitsentgelt erzielen könne, ist die Kausalität auch dieses Schadens nicht nachgewiesen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er seine bisherige Tätigkeit bei der D. S. AG unfallbedingt verloren hat. Aus der vorgelegten Bescheinigung ergibt sich lediglich, dass er zum 30.9.2004 aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Auch der ergänzende Sachvortrag, der Kläger habe sich deshalb zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses entschlossen, da eine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr bestanden habe, schließt die Schlüssigkeitslücke noch nicht: Es fehlt ein einlassungsfähiger Vortrag, unter welchen unfallbedingten Beschwerden der Kläger noch heute leidet und welchen Tätigkeiten der Kläger im Zeitraum des geltend gemachten Verdienstausfalls noch hätte nachgehen können.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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