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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 5 U 358/02
Rechtsgebiete: AUB 95, ZPO, AGBG, AUB 61, AUB 88


Vorschriften:

AUB 95 § 1
AUB 95 § 1 Abs. 3
AUB 95 § 2 Abs. 4
AUB 95 § 7 I Ziff. 1
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 256 Abs. 2
ZPO § 286
ZPO § 321 Abs. 1
ZPO § 321 Abs. 2
ZPO § 406 Abs. 1
ZPO § 406 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 3
ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 3
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 529 Abs. 2
ZPO § 533
AGBG § 8
AGBG § 9
AGBG § 10
AGBG § 11 a. F.
AGBG § 9 Abs. 1
AGBG § 9 Abs. 2 Nr. 2 a. F.
AGBG § 3
AUB 61 § 2 Abs. 3 lit. b
AUB 61 § 10 Abs. 5
AUB 88 § 1 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

5 U 358/02

Verkündet am 22.1.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, die Richterin am Oberlandesgericht Hermanns und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Dörr auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22.5.2002 - 14 O 193/99 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags als unzulässig abgewiesen wird.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 287.601,68 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem Jahr 1996 eine allgemeine Unfallversicherung und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung der vollen Invaliditätsentschädigung in Anspruch.

Dem Versicherungsvertrag liegen die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 1995 (Bl. 397 ff. d. A.) zu Grunde. Als Invaliditätsleistung wurde im Fall der Vollinvalidität eine Versicherungssumme von 562.500 DM vereinbart.

Am 30.1.1997 war der Kläger in einen Auffahrunfall verwickelt, wobei das vom ihm gesteuerte Fahrzeug durch den Anstoß des Unfallgegners auf ein vor dem Kläger fahrendes Fahrzeug aufgeschoben wurde. Die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des klägerischen Fahrzeugs betrug nach Auffassung des Sachverständigen ... (Blatt 88 ff. der Akten) 6,3 km/h. Der Sachverständige ermittelte eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zwischen 5 und 8 km/h (Blatt 173 ff. d. Akten). Nach Auffassung des Sachverständigen ... (Blatt 207 ff. der Akten) hat die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zwischen 6,7 und 9,8 km/h gelegen.

Der Kläger hat behauptet, er habe aufgrund des Unfalls ein HWS-Schleudertrauma und einen Gehörschaden erlitten, weshalb er unter chronischen Schmerzen und sonstigen psychischen Belastungen leide. Er sei vollständig in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für 562.500 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die vom Kläger behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen insgesamt als krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen auf den Unfall zu qualifizieren seien und gem. § 2 Abs. 4 AUB 95 vom Versicherungsschutz ausgenommen seien.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt:

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Invaliditätsleistung zu, da er den Nachweis dafür, infolge des Streitgegenstand liehen Unfalls in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt zu sein, nicht erbracht habe. Auch den Nachweis einer Teilinvalidität habe der Kläger nicht führen können. Alle weiteren vom Kläger angeführten Unfallfolgen seien in Form eines Tinnitus und von Verspannungen von den Sachverständigen zwar festgestellt worden, jedoch übereinstimmend dem Bereich subjektiver Befindlichkeiten beziehungsweise psychischer Reaktionen auf den Unfall zuzuordnen. Derartige Störungen seien gem. § 2 Abs. 4 AUB 95 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung zunächst gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und rügt, das Landgericht habe sich neueren Erkenntnissen verschlossen, wonach selbst bei leichten HWS-Verletzungen ein Dauerschaden nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne. Auch habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft entgegen den Beweisantritten des Klägers im Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.11. 2000 (Bl. 253 ff. d. A.) kein Obergutachten eingeholt. Die Einholung eines Obergutachtens sei insbesondere deshalb veranlasst gewesen, weil die gerichtlichen Sachverständigen ... die gebotene Neutralität vermissen ließen, was sich darin gezeigt habe, dass beide Gutachter in ihren schriftlichen Äußerungen auf den Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB hingewiesen hätten. Ein Obergutachten sei weiterhin nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil das Gericht den Sachverständigen mit einer fachübergreifenden orthopädischen, neurologischen und Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Beantwortung der Beweisfragen des Beweisbeschlusses vom 6.9.2000 beauftragt habe. Denn der Sachverständige habe sein eigenes orthopädisches Gutachten in die fachübergreifende Beurteilung einbezogen.

Im übrigen komme es auf den Schweregrad des HWS-Syndroms nicht an, da es im Falle des Klägers einzig und allein um krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen gehe. Denn die unfallabhängigen Folgeschäden seien psychischer Natur.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte könne sich nicht auf den Ausschluss des § 2 Abs. 4 AUB 95 berufen, da die Beklagte in einer eigenen Kommentierung der AUB (Bl. 405-414 d. A.) eine ihre Vertragspartner irritierende Erläuterung der Vertragsklausel vorgenommen habe. So habe die Beklagte in Widerspruch zur Rspr. des Bundesgerichtshofs darauf hingewiesen, dass kein Versicherungsschutz für eine solche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens bestehe, die dadurch hervorgerufen werde, dass der Anblick eines Unfalles auf die Psyche einwirke.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 22.5.2002 - 14 O 193/99 - zu verurteilen, an den Kläger 287.601,68 € zu zahlen;

hilfsweise: festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Leistungen aus der Unfallversicherung, Versicherungsschein Nr. zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Die Beklagte vertritt die Auffassung, nach dem übereinstimmenden Inhalt der eingeholten Sachverständigengutachten müsse davon ausgegangen werden, dass beim Kläger durch das Unfallereignis keine dauernde körperliche Beeinträchtigung eingetreten sei. Weitere Beeinträchtigungen, die subjektive Befindlichkeiten bzw. psychische Reaktionen auf den Unfall darstellten, könnten unter Berücksichtigung des Inhalts des Versicherungsvertrags nicht zur Leistungsverpflichtung führen.

II.

A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.

1. Die Klage ist nur hinsichtlich des auf Leistung der Invaliditätsentschädigung gerichteten Hauptantrags zulässig. Demgegenüber ist die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags unzulässig: Nachdem das Gericht den Hilfsantrag nicht beschieden hat und der Kläger von der Möglichkeit des § 321 Abs. 1 ZPO keinen Gebrauch gemacht hat, war die Rechtshängigkeit des Hilfsantrags nach Ablauf der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO nach den Grundsätzen des verdeckten Teilurteils erloschen (BGH, Urt. v. 29.11.1990 - I ZR 45/89, NJW 1991, 1683, 1684 - Anspruchsmehrheit I; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. § 321 Rdn. 8; Dörr, Festschrift für Willi Erdmann, S. 795, 798 ff.). Mithin stand es dem Kläger frei, den übergangenen Anspruch im Rahmen des § 533 ZPO im Berufungsverfahren im Wege einer Klageerweiterung erneut rechtshängig zu machen. Dennoch ist der Hilfsantrag unzulässig, da das gemäß § 256 Abs. 1, 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung nicht ersichtlich ist. Nachdem der Kläger mit seinem Hauptantrag Zahlung der vollen Invaliditätsleistung begehrt, wird bereits bei der Entscheidung über den Zahlungsantrag eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über das Bestehen einer Leistungspflicht getroffen. Es ist nicht erkennbar, welches weitergehende Interesse der Kläger außerhalb des Leistungsprozesses an der begehrten Feststellung haben mag.

2. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Kläger einen bedingungsgemäßen Unfall i. S. des § 1 Abs. 3 AUB 95 erlitten hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger durch den Auffahrunfall zumindest eine Wirbelsäulenbeschleunigungsverletzung des Schweregrades 1, möglicherweise auch 2, davon getragen. Dennoch steht dem Kläger kein vertraglicher Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung zu, da er den ihm obliegenden Beweis, infolge des Unfalls eine unmittelbare körperliche Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten zu haben, die zu einer dauerhaften Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit geführt hat, nicht erbracht hat (a). Soweit der Kläger seine Invalidität aus einer psychischen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens herleitet, ist der vertragliche Anspruch aufgrund von § 2 Abs. 4 AUB 95 ausgeschlossen (b).

a) Der Kläger hat den ihm obliegenden, uneingeschränkt dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO unterliegenden Beweis dafür, aufgrund des Unfalls in seiner körperlichen Befindlichkeit dauerhaft Schaden an seiner Gesundheit genommen zu haben, nicht erbracht (zur Beweislast: BGH, Urt. v. 17.10.2001 - VI ZR 205/00, NJW-RR 2002, 166; Urt. v. 12.11.1997 - IV ZR 191/96, r + s 1998, 80).

aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts ist es dem Kläger nicht gelungen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die andauernden gesundheitlichen Beschwerden ihre Ursache in den unmittelbaren körperlichen Auswirkungen des Unfallereignisses haben. Vielmehr stehe zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Sachverständigengutachtens des Facharztes ... (Bl. 276-295 d. A.), des neurologisch/psychiatrischen Fachgutachtens ... (Bl. 303-319) sowie des Gutachtens des Facharztes für HNO/Neurootolgie ... (Bl. 296-302) fest, dass die unfallbedingten Beschwerden des Klägers folgenlos ausgeheilt seien. Die Sachverständigen seien zu dem Ergebnis gelangt, dass es aufgrund des Auffahrunfalls zu einer Wirbelsäulenbeschleunigungsverletzung mit Schweregrad 1 bis 2 gekommen sei. Anhaltspunkte für eine radikuläre, periphere oder für eine zentrale Schädigung des Nervensystems hätten sich nicht ergeben.

Auch die angiologische Diagnostik habe keine Auffälligkeiten ergeben. Eine cercikoencephale Symptomatik sei verneint worden. Ein HWS-Syndrom der Stufe 1 oder 2 heile jedoch spätestens nach zwei Jahren folgenlos aus. Alle übrigen vom Kläger angeführten Unfallfolgen seien dem Bereich subjektiver Befindlichkeiten bzw. psychischer Reaktionen auf den Unfall zuzuordnen.

bb) An diese Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden. Nach dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellung begründen. Beruhen die Zweifel an der Tatsachenfeststellung des Gerichts auf einem Verfahrensfehler, so kommt gemäß § 529 Abs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht nur unter der weiteren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Berufungsrüge nach § 520 Abs. 3 ZPO in Betracht (OLG Saarbrücken OLGR 2002, 453; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 529 Rdn. 2f., Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 3; vgl. auch Stackmann, NJW 2002, 781, 786). Denn es widerspräche dem mit der Zivilprozessreform erklärten Ziel des Gesetzgebers, das Berufungsgericht außerhalb der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler in jedem Fall dazu zu veranlassen, die gesamten Akten auf mögliche Verfahrensfehler und deren Relevanz für die Sachverhaltsfeststellung zu untersuchen (BT-Drucks. 14/4722, S. 101). Die Verfahrensrügen der Berufung sind nicht begründet.

cc) So sind die Feststellungen des Landgerichts entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil das Beweisergebnis unter Verstoß gegen § 286 ZPO der anerkannten Erfahrungstatsache widerspreche, dass nach dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft eine HWS-Verletzung theoretisch auch bei einer geringeren kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung als 10 km/h auftreten kann. Vielmehr hat sich der Sachverständige jedenfalls in seiner persönlichen Anhörung mit dem Einwand des Klägers auseinander gesetzt und sein Beweisergebnis keineswegs allein auf die geringe kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung gestützt. Der Sachverständige ... hat in seinen schriftlichen Ausführungen und in seiner mündlichen Anhörung deutlich herausgestellt, dass er den gebotenen sicheren Nachweis für die Unfallursächlichkeit der gegenwärtigen orthopädischen Beschwerden des Klägers wegen der fehlenden objektivierbaren Befundtatsachen nicht als geführt betrachten kann. Dies ist nicht zu beanstanden. Wenngleich es richtig ist, dass im Einzelfall auch bei Unfällen mit geringer Geschwindigkeitsänderung schwerwiegende Folgen entstehen können, heißt dies im Umkehrschluss noch nicht, dass beim Fehlen jeglicher objektivierbarer Untersuchungsbefunde ein zum Beweis erforderlicher sicheren Nachweis einer unfallursächlichen HWS-Verletzung allein mit der subjektiven Angabe eines aggravierenden Anspruchsstellers (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.3.2002, Seite 4) geführt werden kann.

dd) Entgegen der Auffassung der Berufung bedeutet es keinen Verstoß gegen § 286 ZPO, dass das Landgericht kein Obergutachten eingeholt hat. Soweit die Berufung zur Notwendigkeit, ein Obergutachten einzuholen, pauschal auf ihre früheren Schriftsätze verweist, ist die Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß begründet (§ 529 Abs. 2 Satz 1, § 520 Abs. 3 ZPO).

Auch der Vorwurf, die Sachverständigen ... und ... hätten mit ihren rechtlichen Hinweisen auf § 2 Abs. 4 AUB 95 ihre Neutralitätspflicht verletzt, lässt die fehlende Einholung eines Obergutachtens nicht verfahrensfehlerhaft erscheinen. In der Sache zeigt die Berufung Umstände auf, die aus Sicht der Berufung geeignet seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen zu begründen. Ob der Berufung hierin zu folgen ist, kann im Ergebnis dahinstehen, da der Kläger eine etwaige Befangenheit der Sachverständigen jedenfalls mit Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht mehr rügen konnte: Gemäß § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Aus § 406 Abs. 2 ZPO folgt jedoch, dass ein Ablehnungsantrag unverzüglich nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes gestellt werden muss (Zöller/Greger, aaO, § 406 Rdn. 10). Diese Frist hat der Kläger nicht genutzt, sondern 5 Monate nach Zusendung der den Ablehnungsgrund enthaltenden Gutachten in der mündlichen Verhandlung zur Sache verhandelt, ohne die Befangenheit der Sachverständigen zu rügen.

Schließlich war die Einholung eines Obergutachtens nicht deshalb indiziert, weil der Sachverständige ... in seinen schriftlichen Ausführungen auf das verkehrstechnische Gutachten des Sachverständigen ... nicht eingegangen ist. Denn der Sachverständige ... hat zu diesem Gutachten im Rahmen seiner mündlichen Anhörung Stellung bezogen und die Beweisfrage unter der Prämisse beantwortet, dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung knapp 10 km/h betragen habe.

ee) Weitere Umstände, die auf eine verfahrensfehlerhafte Tatsachenfestellung durch das Landgerichts schließen ließen, zeigt die Berufung nicht auf. Insbesondere zwingt der Sachvortrag des Klägers in der mündlichem Verhandlung vor dem Senat nicht zu einer erneuten Beweisaufnahme. Zwar hat der Kläger auf Frage des Senats dargetan, dass er unter fortdauernden körperlichen Beschwerden auch seine Tinnitus-Beschwerden verstanden wissen wolle. Diese Aussage steht in Widerspruch zur Feststellung des Landgerichts, wonach es sich auch bei dem vom Kläger angeführten Tinnitus um eine Unfallfolge handele, die dem Bereich subjektiver Befindlichkeiten bzw. psychischer Reaktionen auf den Unfall zuzuordnen sei. Diese Feststellungen des Landgerichts, die sich auf die Ausführungen des Sachverständigen ... in seiner zusammenfassenden gutachterlichen Stellungnahme vom 19.10.2001, Seite 15 (Bl. 290 d. A.) stützen, sind für das Berufungsverfahren maßgeblich, da der Kläger in seiner Berufungsbegründung und auch in seinem Sachvortrag vor dem Senat keine spezifischen, den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO genügenden, konkreten Anhaltspunkte benennt, die die Richtigkeit dieser Tatsachenfeststellung in Zweifel ziehen. Das gilt umso mehr, als der Kläger noch im Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 17.9.2002 (Bl. 458 d. A.) die Auffassung vertreten hat, dass die unfallabhängigen Folgeschäden psychischer Natur seien; ausschlaggebend für den Rechtsstreit sei die neurotische Fehlverarbeitung des Unfallereignisses.

b) Ob der Kläger aufgrund des Unfallereignisses unter psychischen Folgewirkungen leidet, kann offen bleiben. Zu Recht gelangte das Landgericht zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger geltend gemachte psychogenen Folgewirkungen des Unfallereignisses gemäß § 2 Abs. 4 AUB 95 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.

Gemäß § 2 Abs. 4 AUB 95 fallen krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig wodurch diese verursacht wurden, nicht unter den Versicherungsschutz. Die Klausel hält einer AGB-rechtlichen Rechtskontrolle stand.

aa) Die Klausel gehört nicht zu dem Kernbereich, der nach § 8 AGBG (in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung; im folgenden AGBG a. F.) einer Kontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG a. F. entzogen ist. Denn dazu zählt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur der Bereich der essenziellen Leistungsbeschreibungen, ohne die mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht angenommen werden kann. Demgegenüber sind solche Klauseln, die wie im vorliegenden Fall das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern oder modifizieren, inhaltlich zu kontrollieren (BGHZ 142, 103, 109 f.; 141, 137, 140 f.).

bb) Die Klausel ist nicht wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.

aaa) Das Transparenzgebot verpflichtet den Klauselverwender, seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen so zu gestalten, dass der rechtsunkundige Adressat in der Lage ist, seine Rechtsposition ohne Einholung von Rechtsrat zu erkennen. Die Klauselfassung muss insbesondere der Gefahr vorbeugen, dass der Vertragspartner durch unklare Vertragsbedingungen von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Auch stellt es eine gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung dar, wenn die Klausel durch unzutreffende oder missverständliche Wortwahl dem Verwender die Möglichkeit eröffnet, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die Klauselgestaltung abzuwehren (ständige Rechtsprechung vgl. BGHZ 145, 203, 220; 141, 137, 143 f., 153, 158; 108, 52, 61; 104, 82, 92 f.). Diesen Anforderungen genügt § 2 Abs. 4 AUB 95.

Entgegen einer in der Literatur (Schwintowski, NVersZ 2002, 396) vertretenen Auffassung ist die Klausel nicht bereits deshalb unklar, weil der Begriff der psychischen Reaktionen nicht verlässlich definiert werden könne. Vielmehr ist bei unbefangener Interpretation der Klausel unter einer psychischen Reaktion in Abgrenzung zu einer organisch-physischen Reaktion eine Gesundheitsbeeinträchtigung zu verstehen, die ausschließlich auf einem psychogenen, d. h. seelisch bedingten Ursachenzusammenhang beruht (vgl. Grimm, AUB, 3. Aufl. § 2 Rdn. 108). Damit erfasst der Ausschluss solche krankhaften Veränderungen der Psyche nicht, die in Wahrheit nicht psychogen, also etwa wie im vorliegenden Fall durch Fehlverarbeitung eines Unfallgeschehens entstehen, sondern adäquat kausal auf einer unfallbedingten organischen Schädigung, vor allem des zentralen Nervensystems, beruhen (OLG Frankfurt, OLGR 2000, 27; Knappmann, NVersZ 2002,1,4; Grimm, aaO, § 2 Rdn. 108). Gleichwohl führt diese Einschränkung nicht zu einer intransparenten Klauselgestaltung, da sich dieses Klauselverständnis mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Wortlaut der Klausel und der Systematik der AUB 95 ergibt (im Ergebnis Grimm, aaO. § 2 Rdn. 108; vgl. auch OLG Koblenz VersR 2001, 1550; OLGR 2001, 467; a.A. wohl OLG Köln VersR 2000, 1489).

Nach unbefangener Lesart der Klausel tritt eine psychische Beeinträchtigung organischen Ursprungs nicht "infolge einer psychischen Reaktion" ein. Vielmehr ist die in einer psychischen Beeinträchtigung bestehende krankhafte Störungen Manifestation einer organisch-körperlichen Schädigung. Dieses Verständnis wird von den systematischen und wertenden Erwägungen, die bereits in der früheren Diskussion um anders formulierte Ausschlüsse psychischer Erkrankungen eine Rolle gespielt haben bestätigt: Die Klausel knüpft an den in § 2 Abs. 3 lit. b AUB 61 enthaltenen Ausschluss an. Die Regelung korrespondierte mit § 10 Abs. 5 AUB 61, wonach für die Folgen psychischer und nervöser Störungen, die auf eine durch einen Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems zurückzuführen sind, eine Leistungspflicht bestand. In der Rechtspraxis entstand Streit, ob der Ausschluss des § 2 Abs. 3 lit. b AUB 61 außerhalb des Anwendungsbereichs von § 10 Abs. 5 AUB 61 in umfassendem, vor allem den sog. Schreckschaden ausschließenden Sinne zu verstehen sei oder nur solche psychischen Erkrankungen erfasse, die an erster Stelle der Ursachenkette standen und nicht unmittelbar durch ein bedingungsgemäßes Unfallereignis hervorgerufen wurden (zur Rechtslage der AUB 61: Wussow, VersR 2000, 1183). Mit seiner Entscheidung vom 19.4.1972 (IV ZR 50/71, NJW 1972, 1233) hat der Bundesgerichtshof den Meinungsstreit im Sinne der zweiten Auffassung entschieden und Leistungsschutz aus systematischen Überlegungen auch für diejenigen Fälle gewährt, in denen die psychische Reaktion eine unmittelbare Folge einer äußeren unfallbedingten, nicht notwendig zu einer körperlichen Verletzung führenden Einwirkung auf den Körper sei. Zugleich hat der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung für die Versicherer Wege aufgezeigt, wie ein umfassender Ausschluss zu formulieren sei. So könne ein Klauselverwender einen umfassenden Ausschluss beispielsweise durch die beschreibende Ergänzung "auch wenn die Einwirkungen auf einem Unfall des Versicherten beruhen" erreichen (BGH NJW 1972, 1235). Diesem Hinweis und den systematischen Erwägungen, aus denen der Bundesgerichtshof eine einschränkende Auslegung des Ausschlusses hergeleitet hat, hat der Klauselverwender in der vorliegend zu beurteilenden Regelung des § 2 Abs. 4 AUB 95 Rechnung getragen, indem der Ausschluss losgelöst von einer Klausel, die sich mit der Definition des Unfalls beschäftigt, nunmehr in einer gesonderten Klausel geregelt wird und in einem beschreibenden Zusatz klargestellt wird, dass der Ausschluss alle krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig aus welcher Ursache, erfassen solle. Aus dem Umstand, dass der Klauselverwender in der Formulierung der AUB 95 die Regelung des § 10 Abs. 5 AUB 61 nicht mehr aufgenommen hat, lässt sich nichts herleiten. Denn der Klauselverwender stellt in § 7 I Ziff. 1 AUB 95 klar, dass er unter einer versicherten Invalidität auch die dauernde Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit versteht. Diese Leistungszusage wäre ihres Anwendungsbereichs beraubt, wenn der Ausschlusses psychischer Erkrankungen auch solche Beeinträchtigungen der Geistestätigkeit erfasste, die eine organische Ursache besitzen.

Dem steht nicht entgegen, dass es im Einzelfall schwierig sein mag, ob eine psychisch empfundene Gesundheitsbeeinträchtigung, etwa eine Depression nach einer schweren Operation, tatsächlich eine psychogene oder eine physisch vermittelte Ursache besitzt. Dennoch führen diese auf tatsächlichem Gebiet liegenden Unsicherheiten nicht zu einer Intransparenz der Klausel. Denn die Schwierigkeiten beruhen letztendlich darauf, dass die medizinische Diagnostik im Einzelfall an ihre Grenzen gelangen kann. Die Beschränktheit der naturwissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten stellt hingegen auf der Ebene der Abstraktion die Unterscheidung inzwischen organisch bedingten und psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht in Frage. Auch darf nicht übersehen werden, dass die Differenzierung im Regelfall der medizinischen Praxis nach den Maßstäben der praktischen Vernunft eindeutige Zuordnungen erlaubt. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der über den Beweis einer psychischen Erkrankung als solche hinausgehende zusätzliche Nachweis eines Ursachenzusammenhangs den Versicherungsnehmer in einem die Zumutbarkeit übersteigendem Maße beschwert. Gerade bei schwerwiegenden Verletzungen des zentralen Nervensystems (beispielsweise einem schweren Schädel/Hirn/Trauma) wird es Aufgabe der forensischen Praxis sein, auch ohne Nachweis durch bildgebende Verfahren den Ursachenzusammenhang zu einer Organschädigung im Rahmen der richterlichen freien Beweiswürdigung beispielsweise mit den Mitteln der medizinischen Empirie offenzulegen (OLG Frankfurt, OLGR 2000, 27).

cc) Auch einer Kontrolle am Maßstab des § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG a. F. hält der Ausschluss stand.

aaa) Entgegen der Rechtsauffassung des OLG Jena (VersR 2002, 1019) stellt der Ausschluss nicht deshalb eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG a. F. dar, weil er auch solche Gesundheitsbeeinträchtigungen erfasse, in denen das Unfallereignis eine unwillkürlich und automatisch ablaufende psychische Reaktion (z. B. einen Schreck) auslöst, die ihrerseits einen physiologischen Ursachenzusammenhang in Gang setzt, der seinerseits eine körperliche Gesundheitsbeeinträchtigung (z. B. im Fall des OLG Jena eine Aortendistorsion) hervorruft. Denn bei genauer Betrachtung wird eine solche Konstellation vom Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB 95 nicht erfaßt, da die ausschließlich physiologisch ausgelöste, dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigung, für die der Versicherungsnehmer Leistung begehrt, in Fällen der vom Oberlandesgericht Jena untersuchten Art in einer körperlichorganischen Gesundheitsbeeinträchtigung besteht, ohne dass ein psychisches Krankheitsbild fortwirkt (Schwintowski, NVersZ 2002, 396).

bbb) Auch der Umstand, dass nach dem hier vertretenen Verständnis des Leistungsausschlusses für psychogene Folgewirkungen kein Versicherungsschutz besteht, benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht einseitig in einer den Vertragszweck gefährdenden, den Geboten von Treu und Glauben zuwiderlaufenden Weise.

Der Vertragszweck der Unfallversicherung wird in § 1 AUB 95 definiert: Der Versicherer bietet Versicherungsschutz bei Unfällen, worunter gem. § 1 Abs. 3 AUB 88 solche Ereignisse zu verstehen sind, die von außen auf den Körper des Versicherungsnehmers einwirken. Demnach wird aus der Fassung der AUB 95 der Vertragszweck der Unfallversicherung nicht durch einen umfassenden Schutz jedweder denkbaren gesundheitsrelevanten Schädigung, sondern in erster Linie dadurch gekennzeichnet, körperliche Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers zu versichern.

Weiterhin ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen von Bedeutung, dass eine Einbeziehung psychogener Folgewirkungen die Tarifkalkulation nicht unerheblich erschweren würde. Diese beruht darauf, dass die umfassende Einstandspflicht für psychogene Einwirkungen im Grundsatz jedwedes Geschehen der Außenwelt zu einem potenziellen Unfallereignis machen kann. Da die Manifestation psychischer Folgewirkungen wesentlich durch die persönliche Disposition des jeweiligen Versicherungsnehmers beeinflusst wird, kann der Eintritt des Versicherungsfalls nicht anhand objektiv fassbarer Vorgänge (etwa der Zahl der Verkehrsunfälle) vorausberechnet werden, weshalb dem Versicherer zu einer zuverlässigen Tarifkalkulation ein verlässliches Datenmaterial fehlt (Grimm, aaO., Rdnr. 103; OLG Düsseldorf VersR 1998, 886).

Gerade weil die psychischen Folgewirkungen nicht selten auf einer besonderen persönlichen Disposition des Versicherungsnehmers beruhen, entspricht es durchaus der Billigkeit, diese spezifischen, erhöhten Risiken in der Person des Versicherungsnehmers nicht auf die Solidargemeinschaft aller Versicherten umzulegen.

Weiterhin dient der Ausschluss psychogener Folgewirkungen dem nicht gering zu schätzenden Interesse beider Vertragspartner, die Leistungsprüfung praktikabel zu gestalten, damit der Versicherer seine Einstandspflicht in einem überschaubaren Verfahren mit vertretbarem Kostenaufwand zeitnah beurteilen kann. Auch dieses Ziel würde durch die Einbeziehung psychogener Folgewirkungen erschwert, da der Nachweis eines Kausalzusammenhanges zwischen Unfallereignis und psychischer Folgewirkung regelmäßig dort mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, wo eine primäre Organschädigung fehlt oder - wie im vorliegenden Fall - vollständig ausheilt (OLG Düsseldorf VersR 1998, 888; OLG Koblenz OLGR 201, 467).

dd) Schließlich ist die Klausel nicht überraschend i. S. § 3 AGBG, da der Leistungsausschluss im hier verstandenen Sinne keine typischen Unfallfolgen ausschließt. Darüber hinaus ist der Ausschluss in seinem äußeren Erscheinungsbild im Vergleich zu der Vorgängerregelung der AUB 61 deutlicher herausgestellt, da er in einer Klausel formuliert wurde, die mit der drucktechnisch hervorgehobenen Überschrift "Ausschlüsse" versehen ist (ebenso OLG Düsseldorf, VersR 1998, 888; LG Waldshut-Tiengen, VersR 2002, 430, 431).

B. Die Kostenentscheidung beruht § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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