Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 5 W 196/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 358a
ZPO § 406 Abs. 1
a) In Arzthaftungssachen, in denen der Richter in besonderem Maße der Hilfe von Sachverständigen bedarf, stellt es eine Notwendigkeit dar, das Ausmaß eines ärztlichen Fehlers in einer so deutlichen Sprache zu beschreiben, dass dieses auch für den medizinischen Laien deutlich wird.

b) Die Grenze zu einer beleidigenden Herabsetzung einer Partei ist dort zu ziehen, wo die Äußerung einer sachlichen Auseinandersetzung nicht mehr zugänglich ist.

c) Die Äußerung "kein seriöser Wirbelsäulenchirurg" vertrete eine bestimmte Auffassung, rechtfertigt daher die Besorgnis der Befangenheit nicht.


Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 15.06.2004 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen den Beklagten zur Last.

Der Gegenstandswert für die Gebührenberechnung im Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 9.000 Euro.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Arzthaftungsansprüchen in Anspruch, nachdem sie sich in den Jahren 1999/2000 wegen einer persistierenden Lumboischialgie links betont in die Behandlung der Beklagten zu 1) begeben hat. Nach Darstellung der Klägerin seien anlässlich einer durchgeführten Myelographie, anlässlich der operativen Versorgung und anlässlich der nachoperativen Behandlung ärztliche Fehler begangen worden.

Das Landgericht hat durch die Einzelrichterin am 24.06.2003 einen Beweisbeschluss gem. § 358a ZPO erlassen (Bl. 66 ff), in dem die Einholung eines Sachverständigengutachtens unter anderem zu der Behauptung der Klägerin angeordnet wurde, die angewandte Operationsmethode sei ungeeignet gewesen, da bei einem derart großen Operationsvorgang, wie er bei der Klägerin erforderlich geworden sei, eine ausreichende Stabilität durch die gewählte Methode nicht habe hergestellt werden können.

Der Sachverständige Prof. Dr. C. C., Leiter der Gutachtenambulanz an der Stiftung in H., erstattete am 02.03.2004 ein Gutachten, welches folgenden Passus enthält (S. 31 des Gutachtens, GA Bl. 124):

"Kein seriöser Wirbelsäulenchirurg wird heutzutage - und dies gilt auch für das Jahr 2000 - wie die Beklagten (Bl. 64) die Auffassung vertreten, dass bei einem Fall, wie dem vorliegenden, bei dem über 3 Segmente hinweg sämtliche dorsalen stabilisierenden Strukturen entfernt worden sind, die Notwendigkeit der Instrumentation überhaupt in Frage gestellt wird. Die von der Beklagten im Schreiben vom 20.06.2003 (Bl. 63 ff) vorgelegte Literatur belegt dies im Übrigen auch nicht".

Die Beklagten nahmen zu dem ihrem Prozessbevollmächtigten am 17.03.2004 zugegangenen Gutachten mit am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz vom 07.04.2004 Stellung. Dabei haben Sie den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und nur hilfsweise in der Sache zu dem Gutachten Stellung genommen. Die Beklagten haben vorgetragen, der Sachverständige sei unter anderem deshalb befangen, weil dieser in der oben wiedergegebenen Textpassage die Beklagten als "unseriös" darstelle, was eine diskriminierende Formulierung sei, weil er in seinem Gutachten durch die umfassende Darstellung des Klägervortrages und das weitgehende Fehlen einer Darstellung des Beklagtenvortrages hinsichtlich des Operationsvorganges sein Gutachten einseitig gestaltet habe und er sich nicht mit allen von den Beklagten genannten Stellen in der medizinischen Fachliteratur befasst habe.

Das Landgericht hat eine Stellungnahme des Sachverständigen zu den vorgetragenen Befangenheitsgründen eingeholt und auf sodann den Befangenheitsantrag zurückgewiesen. Aus den Ausführungen des Gutachters folge, dass dieser sich durchaus mit den Argumenten der Beklagten auseinandergesetzt habe, auch wenn er den Sachvortrag nicht vereinzelt wiedergegeben habe. Ein Gutachten müsse nicht wie der Tatbestand in einem richterlichen Urteil aufgebaut sein. Der Sachverständige habe auch seine Bereitschaft erklärt, sich mit den von der Beklagten angegebenen weiteren Literaturstellen, welche ihm nicht vorlägen, auseinanderzusetzen. Die beanstandete Formulierung sei nicht als diskriminierend zu bewerten, sondern diene lediglich der Dokumentation der Schwere des von dem Sachverständigen angenommenen Behandlungsfehlers.

Gegen diesen, den Beklagten am 24.06.2004 zugestellten Beschluss richtet sich die mit am gleichen Tage eingegangenem Schriftsatz vom 08.07.2004 eingelegte sofortige Beschwerde. Wenn der Sachverständige es - wie hier - unterlasse, das im einzelnen dargestellte Operationsverfahren in seinem schriftlichen Gutachten genau wieder zu geben und den Ausführungen des Klägers zu dem angeblichen Behandlungsfehlers entgegenzusetzen und wenn der Sachverständige es unterlasse, Literaturangaben der Beklagten zur Kenntnis zu nehmen und wenn der Sachverständige die gewählte Operationsmethode mit der Formulierung, dass kein "seriöser" Wirbelsäulenchirurg diese vertreten würde, diese abwerte, rechtfertige dies zumindest in der Gesamtbetrachtung die Befürchtung, dass er ihrem Vorbringen nicht unbefangen gegenüberstehe.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und in dem Nichtabhilfebeschluss vom 28.07.2004 ergänzend ausgeführt, dass auch eine Gesamtschau der von der Beklagten vorgetragenen Befangenheitsgründe die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertige.

II. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

1. Gem. § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Demnach liegt eine zur Ablehnung berechtigende Befangenheit dann vor, wenn vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorhanden sind, die in den Augen einer verständigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen (BGH, Beschl. v.13.1.1987 - X ZB 29/86 - BGHR ZPO § 406 Abs. 1 Satz 1 Unparteilichkeit 1; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 406 Rd. 8; MünchKomm(ZPO)/Damrau, 2. Aufl. § 406 Rdn. 5).

2. Bei den von den Beklagten aufgeführten Gründen ist dies nicht der Fall.

a) Die Äußerung, "kein seriöser Wirbelsäulenchirurg" werde eine bestimmte Auffassung vertreten, gibt keinen Anlass, an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln. Allerdings kann eine überzogene Ausdrucksweise eines Sachverständigen grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit begründen (OLG Oldenburg, NJW-RR 2000, 1166f). Eine solchermaßen überzogene Ausdrucksweise vermag der Senat hier indes nicht zu erkennen. Bereits das Landgericht hat - zu Recht - darauf hingewiesen, dass die Äußerung hier der Beschreibung des Ausmaßes der Fehlerhaftigkeit, die einer bestimmten medizinischen Auffassung nach Meinung des Gutachters vorzuwerfen ist, dient. Dies sieht der Senat ebenso. Gerade in Arzthaftungsfällen ist das Gericht in einem besonderen Maße auf sachverständige Beratung angewiesen. Angesichts der Komplexität der Materie ist es dabei eine Notwendigkeit, das Ausmaß des ärztlichen Fehlers so klar zu beschreiben, dass dieses auch für den medizinischen Laien deutlich wird, zumal für die rechtliche Bewertung nicht nur die Frage ob, sondern auch in welchem Umfange ein Fehlverhalten vorliegt, von Bedeutung sein kann. Dies wird auch eine objektive Partei nicht anders sehen. Die Grenze zwischen der aus oben genanntem Grunde gebotenen "deutlichlichen Sprache", bei der namentlich kollegiale Rücksichtnahmen - auch auf Ärzte an "akademischen Lehrkrankenhäusern" - fehl am Platze sind und einer beleidigenden Herabsetzung wird eine objektiv denkende Partei, dort ziehen, wo sich die Äußerung einer sachlichen Auseinandersetzung entzieht und ins Persönliche abgleitet (so etwa die Bezeichnung von Äußerungen der Partei als "rüpelhaft" oder "flegelhaft", vgl. OLG Köln MDR 2002, 53). Letzteres ist hier nicht anzunehmen. Die Beklagten weisen selbst auf Literaturbelege hin, aus denen sich ergeben soll, dass die gewählte Operationsmethode gerade nicht "von keinem seriösen Wirbelsäulenchirurgen" vertreten werde. Die Auseinandersetzung mit dem von den Beklagten so gesehenen Vorwurf ist daher auf der sachlichen Ebene möglich. Dem haben sich die Beklagten zu stellen ohne sich der fachlichen Diskussion mit der - wiederholt vorgebrachten - Bemerkung, man "habe es nicht nötig", sich so bezeichnen zu lassen, zu entziehen.

b) Völlig verfehlt ist es, wenn die Beklagten daraus, dass der Sachverständige es unterlassen habe, das im einzelnen dargestellte Operationsverfahren wiederzugeben und dem "seitenlange Ausführungen der Klägerin über angeblich begangene Behandlungsfehler" entgegen zu setzen, einen Befangenheitsgrund herleiten. Immerhin bestimmt die Klägerin mit ihrer Behauptung zu ärztlichen Fehlern den Streitgegenstand des Verfahrens, so dass es zumindest nachvollziehbar ist, wenn der Sachverständige diese Behauptungen als solche wiedergibt, wie er dies getan hat. Demgegenüber leuchtet es nicht ein, wieso es erforderlich sein soll, dass der Sachverständige, "das von den Beklagten im einzelnen dargestellte Operationsverfahren in seinem schriftlichen Gutachten genau" wiedergibt (Beschwerdeschrift S. 3, GA Bl. 175). Das angewandte Operationsverfahren - d.h. hier die Frage wie operiert wurde und nicht, ob dies fachgerecht war - steht als solches überhaupt nicht in Streit. Eine "einseitige Akzentuierung" zugunsten der Klägerin ergibt sich hieraus nicht. Auch die in diesem Zusammenhang von den Beklagten angeführte Entscheidung des OLG Köln (VersR 1992, 255), der ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zugrunde lag, streitet daher nicht für sie.

c) Auch daraus, dass der Sachverständige Literaturangaben der Beklagten nicht verwertet hat, ergibt sich kein Befangenheitsgrund. Soweit ein Sachverständiger die zur Beantwortung der Gutachterfrage erforderliche Literatur nicht oder nicht vollständig heranzieht, ist dies in erster Linie ein fachlicher Angriffspunkt gegen die Richtigkeit des Gutachtens, der einer einsichtigen Partei keinen Anlass gibt, die Unvoreingenommenheit des Gutachters in Frage zu stellen. Etwas anders mag gelten, wenn sich der Sachverständige der Auseinandersetzung mit Literaturangaben einer Partei bewusst entzieht. So liegt der Fall hier aber nicht. Der Sachverständige hat nicht nur ausdrücklich offenlegt, welche Literatur er aus welchen Gründen nicht verwerten konnte, sondern auch ausdrücklich aufgefordert, ihm die fehlenden Werke zugänglich zu machen, wobei er seine Bereitschaft erklärt hat, sich auch hiermit auseinanderzusetzen. Dass diese Bereitschaft tatsächlich nicht vorhanden sein sollte, ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.

d) Die Besorgnis der Befangenheit kann schließlich auch nicht aus einer Gesamtschau der vorgenannten Argumente hergeleitet werden. Die in diesem Zusammenhang von den Beklagten hergestellte Verknüpfung, der Sachverständige halte eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Beklagten deshalb nicht für erforderlich, weil er von vornherein davon ausgehe, dass ohnehin kein seriöser Wirbelsäulenchirurg die Auffassung der Beklagten vertrete, lässt sich weder aus dem Gutachten noch aus der Äußerung des Sachverständigen zu dem Befangenheitsantrag entnehmen. Der Sachverständige hat in seiner Stellungnahme vom 06. 05. 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen, an welcher Stelle seines Gutachtens er sich mit den von den Beklagten genannten Argumenten auseinandergesetzt hat und dass er auch die Auseinandersetzung mit den weiteren fachlichen Argumenten der Beklagten nicht scheut.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Wert des Beschwerdeverfahrens war - entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 21. 01. 2004, 5 W 7/04-3) - mit einem Fünftel des Wertes der Hauptsache zu bemessen. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 574 ZPO) nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück